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6. Empirische Untersuchung

6.2 Vorüberlegungen zur Wahl der empirischen Methoden und der Stichprobe

Wenn man das Phänomen der häuslichen (irregulären) Pflegearbeit bedenkt, bietet die Wahl des geeigneten Forschungsinstruments eine Herausforderung. Eine solche empirische Studie muss sich einigen Schwierigkeiten stellen. Metz-Göckel et al. (2010:14) veranschaulichen diese anhand der folgenden Fragen:

Wie erforscht man etwas, was es nicht geben soll, und wozu kaum eine Betroffene Auskunft geben will, schon gar nicht gern? Wie erreicht man Personen, die ‚illegal‘ oder wider die Sitten und Regeln leben, dazu noch, wenn deren Auskünfte riskant sowohl für die Arbeitgebenden-Haushalte als auch für die polnischen Haushaltsarbeiterinnen sein können?

In der Planungs- und Vorbereitungsphase dieses Dissertationsvorhabens rechnete ich jedoch nicht mit all diesen Schwierigkeiten. Dies beruhte auf der irrtümlichen Annahme, dass aufgrund der in dieser Studie behandelten Thematik die Studienteilnehmerinnen ohne größere Bedenken Auskünfte erteilen würden. Die vorliegende Arbeit verfolgte nicht das Ziel, sich mit den prekären Arbeitsbedingungen sowie dem illegalen Charakter der Beschäftigung als Haushaltspflegehilfe auseinanderzusetzen, sondern wollte auf die Bewältigung der pflegerischen kommunikativen Situationen durch die polnischen Haushaltspfleghilfen fokussieren sowie ihre speziellen Lernbedürfnisse erforschen.

Basierend auf der Annahme, dass vor allem die sich in legalen Arbeitsverhältnissen befindenden polnischen Betreuerinnen an der Untersuchung teilnehmen würden, ging ich von einer größeren Bereitschaft zur Partizipation an der empirischen Studie und von einer höheren Offenheit der polnischen häuslichen Pflegerinnen und ihrer Auftraggeber aus.

In der Vorbereitungsphase der Studie wurden anhand der Literaturrecherche die methodologischen Ansätze erwogen, die für dieses Forschungsdesign geeignet sind. In der Forschungsliteratur werden unterschiedliche empirische Methoden, u. a. mündliche und

76 schriftliche Befragung oder Beobachtung, in Erwägung gezogen sowie deren Vor- und Nachteile diskutiert (vgl. Fricke 2006; vgl. dazu Sachweh 2000; Haider 2010).

Um die Kommunikation zwischen den Pflegekräften und ihren Patienten zu erforschen, kann beispielsweise die Beobachtung eingesetzt werden. Auf diese Methode greift etwa Sachweh (2000) bei ihrer Datenerhebung zurück. Die Beobachtung und die Tonaufnahmen wurden in diesem Fall durch eine Phase eingeleitet, in der die Autorin in fünf Stationen an dem Heimalltag „beobachtend“ teilgenommen hat. Auf diese Weise sollten u. a.

das Pflegepersonal und die Patienten an die Anwesenheit einer fremden Person gewöhnt werden. Anschließend fanden während der Morgenpflege die Tonbandaufnahmen statt (Sachweh 2000). In der Forschungsmethodologie spricht man in diesem Zusammenhang von einer teilnehmenden Beobachtung, bei der „die Forscher direkt in das zu untersuchende soziale System gehen und dort in der natürlichen Umgebung Daten sammeln“ (Atteslander 2010:95). Die Rolle, die die beobachtende Person übernimmt, ist der Gruppe jedoch nicht immer bewusst. Man unterscheidet hierbei die verdeckte (die Personen, die den Gegenstand der Beobachtung darstellen, sind sich dessen nicht bewusst) und offene Beobachtung, bei der die Rolle, die „Intention“ der Forschenden den beobachtenden Personen bekannt ist (vgl.

Albert/Marx 2014:45; vgl. dazu Atteslander 2010:95; Pilch 1998:78;

Wilczyńska/Michońska-Stadnik 2010:149). Die teilnehmende Beobachtung bietet somit eine Möglichkeit, tiefere Einblicke in die untersuchte Problematik zu gewinnen. Bei der offenen teilnehmenden Beobachtung besteht jedoch ein größeres Risiko, dass der Beobachter von der Gruppe beeinflusst wird, d. h. ihre Denkweise und Meinungen übernimmt, seine Objektivität verliert und sich mit der Gruppe identifiziert (vgl. Atteslander 2010:95; vgl. dazu Pilch 1998:79). Atteslander (2010:95) lenkt zudem die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass die Beobachter sich „zwischen der nötigen Empathie und der nötigen Distanz entscheiden, d. h. zwischen sozialer Teilnehmerrolle und Forscherrolle“ bewegen.

Obwohl die Beobachtung in einer realen Situation stattfindet und u. a. aus diesem Grund diese Art der Datenerhebung in der Konversationsanalyse gerne eingesetzt wird, kommt es vor, dass sich die Untersuchten nicht natürlich verhalten, weil sie sich beobachtet wissen. In solchen Fällen kann eine solche Beobachtung keine echte Kommunikation zwischen den beiden Seiten erforschen.

In der wissenschaftlichen Literatur wird zudem ein anderer, sehr wichtiger Punkt hervorgehoben, die ethischen und gesetzlichen Aspekte der Durchführung der verdeckten Beobachtung (vgl. Albert/Marx 2014:45; vgl. dazu Fricke 2006:109). Auch wenn die digitalen Ton- bzw. Videoaufnahmen sowie die Beobachtung in einer institutionellen

77 Einrichtung stattfinden, kann die Privatsphäre der Pflegebedürftigen verletzt werden. In Anbetracht der Rahmenbedingungen der häuslichen Pflege und bei der Berücksichtigung der besonderen Zielgruppe müsste zudem das offene Beobachtungsverfahren in vielen speziellen Fällen ethisch in Frage gestellt werden. Gemeint sind beispielsweise die Pflegebedürftigen mit dementieller Erkrankung, die nicht mehr imstande sind, für sich selbst zu entscheiden. Ich vertrete den Standpunkt, dass der besondere Charakter der Tätigkeit als Haushaltspflegehilfe die Anwendung dieser empirischen Forschungsmethode deutlich erschwert. Des Weiteren bin ich der Meinung, dass in diesem Fall auch auf eine von den Angehörigen ausgesprochene Erlaubnis, die Beobachtung durchzuführen, nicht zurückgegriffen werden sollte bzw. darf. Als Gründe dafür können u. a. der geschützte Rahmen der häuslichen Pflege oder aber der Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen genannt werden. Darüber hinaus muss bei jeder Beobachtung bekanntermaßen mit den Störfaktoren, die auftreten können, gerechnet werden. In diesem speziellen Fall ist die Vermutung berechtigt, dass Störvariablen mit größerer Intensität erscheinen können. Der Hawthorne-Effekt, der beschreibt, dass die untersuchten Personen ein größeres Engagement bei der Aufgabenbewältigung zeigen, sobald sie erfahren haben, dass sie an der empirischen Studie teilnehmen (vgl. Albert/Marx 2014:40), lässt sich in diesem Zusammenhang z. B.

nicht mildern. Die forschende Person kann, unter den gegebenen Umständen, nicht unbemerkt ihre Beobachtung durchführen und beispielsweise von den Betreuten als Pflegepersonal wahrgenommen werden, zumal sie als eine fremde Person in vertrauter Umgebung erscheint.

Eine weitere mögliche Forschungsmethode, die dazu dienen kann, die Aspekte der Kommunikation zwischen den Pflegekräften und ihren Patienten herauszuarbeiten, stellt die Befragung dar. In der Literatur wird betont, dass diese Methode eine zeitökonomische und relativ unkomplizierte Datenerhebung erlaubt und in vielerlei Situationen angewandt werden kann (vgl. Albert/Koster 2002:24; vgl. dazu Albert/Marx 2014:61; Atteslander 2010:109).

Die Antworten der Befragten gewähren dem Forschenden einen Einblick in Erinnerungen an bestimmte Ereignisse, die die Studienteilnehmer erlebt haben, und „spiegeln ihre Meinungen und Bewertungen wider“ (Albert/Marx 2014:62; vgl. dazu Atteslander 2010:109).

Abhängig von der Größe der untersuchten Gruppe sowie dem Forschungsgegenstand werden die Befragungen in qualitative und quantitative Interviews unterteilt. In der Forschungsliteratur differenziert man weiter zwischen standardisierten und nichtstandardisierten Interviews. Die Unterschiede liegen in der Art und Weise der

78 Konzeption, d. h. an der Kategorisierung der Antwortmöglichkeiten (vgl. Albert/Marx 2014:70; vgl. dazu Pilch 1998:85). Pilch (1998:85) weist zudem auf Diskrepanzen bei der Durchführung der beiden Interviewmöglichkeiten hin. Das nichtstandardisierte Interview lässt einen Freiraum bei der Formulierung und der Reihenfolge der Fragen und dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, Inhalte zu vertiefen bzw. zusätzliche Fragen zu stellen. Das standardisierte Interview ist einfacher zu analysieren und bietet eine größere Vergleichbarkeit der Daten. Damit die sogenannten „Interviewer-Effekte“ (vgl. Albert/Marx 2014:63) reduziert werden und um eine größere Rücklaufquote zu erreichen, wird die schriftliche Befragung anhand eines Fragebogens öfters durchgeführt. Dieses Verfahren lässt jedoch dem Forschenden keine Kontrolle über den Befragungsverlauf. Die Antworten der Befragten können von weiteren Personen geprägt werden oder sogar von Personen, die nicht zur Stichprobe gehören, erteilt werden (vgl. Albert/Marx 2014:63). Zudem können eventuelle Missverständnisse in Bezug auf die Fragen nicht geklärt werden (vgl. Fricke 2006:109–110; vgl. dazu Albert/Marx 2014:63).

In Anbetracht der Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren habe ich mich für die schriftliche quantitative sowie die mündliche qualitative, standardisierte Befragung entschieden.