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von Ulfrid Mattig

Im Dokument Wunder des Lebens (Seite 28-34)

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2017|März erziehungskunst Die Schülerinnen und Schüler sind, wenn man so will, die

bunten Farben, die dem »Kunstwerk« den Anstrich geben.

Die eine oder der andere hat besondere Strahlkraft, andere kommen erst in der Mischung zur Geltung. Und es bleibt spannend, wie die Gesamtkomposition unserer sich entwi-ckelnden »sozialen Plastik« schließlich ausfallen mag.

Der Unterrichtsrahmen

Vier Semesterwochenstunden waren für die Gesamtklasse in zwei 90-Minuten-Blöcken für die Stofferarbeitung im Fach Biologie zusammengefasst. Ein weiterer Block stand dem Leistungskurs für die Stoffvertiefung und zum Ein-üben der spezifischen Klausurmethodik zur Verfügung. Die einzelnen Unterrichtsblöcke waren die Mosaiksteine, um das »Kunstwerk« konkret zu gestalten.

Neben der Planung des Gesamtjahres mit dem Abitur als Ziel, definierte ich als meine Detailaufgaben im Prozess der angesteuerten »sozialen Plastik«: die Strukturierung und Rhythmisierung der Unterrichtsblöcke, die Vermittlung von Sachinformationen, Provozieren zu Einstellungen und Po-sitionen, Erstellen von Querverbindungen und Aufgaben, Moderieren der Schülerbeiträge sowie die Aufgabe von Hausaufgaben und Organisation der Exkursionen.

Pädagogische Leitbilder

Das Leitmotiv war also, neben der Vorbereitung auf die Abi-turprüfung, die Lerngruppe als sozialen Organismus im Sinne von Beuys zu verstehen und deren Entwicklung zu gestalten. Hierzu ist eigentlich ein weiter Spielraum nötig, der bei uns allerdings im straffen Zeitrahmen des prall ge-füllten Stoffplanes und der am Ende wartenden Abitur-prüfung sehr eng war. Somit fokussierte ich mich darauf, diesen zentralen Konflikt aufzulösen, beziehungsweise kein Ziel zu vernachlässigen. Neben der Stoffaneignung und Entwicklung der spezifischen Prüfungskompetenz sollte gleichermaßen der einzelne Schüler als individuelle Persönlichkeit mit seinen konstruktiven Entfaltungsmög-lichkeiten und mit seiner Integration und Entwicklung im sozialen Rahmen der Lerngruppe im Zentrum stehen. In diesem Sinne behielt ich besonders die Leitbilder Eigen-ständigkeit, Kreativität, Kooperationund die intrinsische Mo-tivationim Auge.

Unter dem Aspekt der Eigenständigkeit wollte ich mich in der Lehrerrolle weitgehend im Hintergrund halten. Hilf-reich war hierbei, dass die Abituraufgaben auch für Biolo-gie im Land Brandenburg zentral vom Bildungsministerium gestellt werden. So fiel es leichter, mich als Teamplayer in

Experimentieren und Mikroskopieren

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die Lerngruppe einzufügen, wusste ich doch ebenso wenig wie die Schüler, welche Themen aus dem vorgegebenen Lernstoff in den Klausuren abgefragt werden würden. So hatten wir das gemeinsame Ziel, die optimale inhaltliche und methodische Vorbereitung auf die uns gleichermaßen unbekannten Klausuraufgaben.

Ebenfalls zur Unterstützung der Eigenständigkeit nutzte ich für die Aneignung von Sachinformationen das gute Fachbuch. So konnte ich den Lehrervortrag in Grenzen hal-ten. Die Schüler übten im Sinne der vorbereitenden Stu-dierfähigkeit die Selbsterarbeitung von Fachinhalten. Am Rande bemerkt: Einige Sachfehler im Lehrbuch stellten sich als Hilfe heraus, das absolute Vertrauen in Gedrucktes zu hinterfragen und damit eher der eigenen Urteilskraft zu

vertrauen. Dieintrinsische Motivation, als das eigenständige, an der Sache orientierte Interesse, wird als wichtige Vo-raussetzung für nachhaltiges Lernen anerkannt. In der Wal-dorfpädagogik weisen alleine schon der Verzicht auf das

»Sitzenbleiben« und auf Zensurenzeugnisse in diese Rich-tung. Hier gibt es, im Unterschied zur Regelschule, auch im 13. Jahrgang keine Vorzensuren, die in das Abiturzeug-nis eingehen würden. Dadurch ist admiAbiturzeug-nistrativer Druck vermieden und der Fokus lässt sich leichter auf die Inhalte des Faches als solches richten.

Gerade dem Biologieunterricht wohnen besondere Mög-lichkeiten inne, den Schülern die Faszination des Faches le-bendig zu halten. Wir nutzten viele direkte Berührungen mit der Lebenswirklichkeit wie den Besuch des Botanischen

Viele Kohlsorten sind aus dem Wildkohl herausgezüchtet worden

Partnerdiskussion

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AUS DEM UNTERRICHT

2017|März erziehungskunst Gartens oder des Max-Planck-Instituts für molekulare

Pflan-zenphysiologie, wir haben experimentiert oder sind mit Mi-kroskopen in die Welt der Mikroben vorgestoßen.

Auch kleine freiwillige Schülervorträge zu spannenden bio-logischen Phänomenen wie »Bioinvasoren«, »Das unbe-kannte Leben der Pilze«, »Biosphäre II« u.a. konnten das fachbezogene Interesse unterstützen. Die eigene »Biosphäre III« begleitete uns in ihrer Entwicklung als Modell über das ganze Schuljahr.

Unsere Kernmethoden

Drei Kernmethoden zur Unterstützung von Kreativität und Kooperationhaben dem Semester den Stempel aufgedrückt und sollen hier besonders hervorgehoben werden. Häufig wurden fachliche Zusammenhänge ausführlich paarweise oder in Dreiergesprächen erörtert und ein Unterrichtsblock mit einer derartigen Gesprächsrunde eingeleitet. Dann gab es an der Tafel eine Liste mit vielleicht fünf oder sieben Teil-themen zur Wiederholung aus dem vorausgegangenen Block oder auch zu den vorbereiteten Hausaufgaben. Es waren immer sehr aktive Phasen, in denen sich die Schüler ohne Ausnahme intensiv ausgetauscht haben. Oft hatte ich Mühe, diese Gespräche für eine Zusammenfassung abzu-brechen. Das waren dann Momente, in denen sich sehr be-wusst Mosaiksteine zum Gesamtkunstwerk abzeichneten;

Momente, in denen sich ein Lehrer überflüssig fühlen konnte angesichts der intrinsisch hoch motivierten Lern-gruppe.

Die Diskussionsergebnisse zu den einzelnen Teilthemen wurden dann von jeweils einem Schüler vor der Klasse als Kurzvortrag präsentiert. Anfangs war es für manche Schü-ler etwas heikel, so plötzlich vor der Klasse zu stehen. Die Situation entspannte sich aber schnell, weil es keinerlei Zen-surendruck gab, alle die Chance hatten, ihre Beiträge zuvor in den vorausgegangenen Partnergesprächen einzuüben und weil eine grundlegend tolerante Grundhaltung in der Gruppe herrschte. So konnten sich dann auch weniger re-degewandte Schüler in der Situation angenommen und wohlfühlen. Durch diesen Ansatz war nebenbei gewähr-leistet, dass Schüler, die gefehlt hatten oder die Hausaufga-ben nicht vorbereiten konnten, aufs Laufende kamen.

Einen weiteren Mosaikstein steuerte der Leistungskurs bei.

Einmal in der Woche hatte dieser einen eigenen Block, bevor sich dann Leistungs- und Grundkurs zu einem gemeinsa-men Block trafen.

Wenn im Leistungskurs zuvor neue Inhalte erarbeitet wor-den waren, bildeten wir gelegentlich wieder Kleingruppen, die sich gemischt aus Grund- und Leistungskurs zusam-mensetzten. Hier konnten sich die Leistungskursschüler als

»Junglehrer« bewähren. Für den Grundkurs war die Ver-mittlung neuen Stoffes durch Mitschüler spannend. Hier passt der Begriff »intrinsische Motivation« in besonderer Weise. Es war bemerkenswert, mit welchem Engagement sich alle einsetzten, allein aus dem eigenständigen Interesse, Sachinhalte gedanklich zu durchdringen und verständlich weiterzugeben. Es musste nur darauf geachtet werden, dass sich keine sachlichen Fehler einschlichen.

Unsere »Biosphäre III«

Wenn immer möglich, waren die Schüler aufgefordert, für theoretische Zusammenhänge Grafiken, Tabellen oder fi-gürliche Darstellungen zu entwickeln, in den eigenen Heftaufzeichnungen oder besonders auch als Tafelbild. Ge-legentlich bestand die Aufgabenstellung für die vorberei-tenden Partnergesprächen explizit darin, für die Sachinhalte mögliche Tafelzeichnungen auszudenken. Hier war Kreativität gefordert, was die Schüler offensichtlich stark animierte. Gelegentlich standen dann alle Kleingrup-pen an der Tafel, um ihre Vorschläge anzuzeichnen. Das gab ein gutes Gedränge und ein gespanntes Interesse, wie die Aufgaben verschieden gelöst worden waren.

Anschließend bekam die Klasse die eine oder andere Dar-stellung jeweils von seinem Urheber erläutert. Bei der

Viel-zahl kreativer Vorschläge leiteten sich in aller Regel inte-ressante und konstruktive Diskussionen ab. Die Gruppe hatte sehr schnell verstanden, dass, um niemanden zu ent-mutigen, auch bei Fehlern keine Darstellung abgewertet werden durfte. Viel eher ergab sich im Gespräch die Chance, eben dann auch aus Fehlern zu lernen. Nebenbei bot sich ein Training für das mündliche Abitur, um auch dort im Prüfungsgespräch die Tafel geübt für veranschau-lichende Darstellungen einsetzen zu können.

Rückblick

Das Kernziel, das Abitur, ist geschafft. Im Fach Biologie waren sogar 15 Punkte dabei, schriftlich sowie mündlich.

Gedränge an der Tafel

Eine Auswahl verschiedener Lösungsvorschläge

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AUS DEM UNTERRICHT

2017|März erziehungskunst Non scholae sed vitae discimus, also, die formale Qualifika-tion für ein Studium ist erreicht. Und, wie ist das vorge-nommene Kunstwerk insgesamt gelungen? Aus meiner Sicht recht gut. Viele Puzzleteile entstanden und haben sich immer mehr zu einem Gesamtbild zusammengefügt.

Meist ging es heiter zu, es wurde mikroskopiert oder expe-rimentiert, es wurde um Meinungen und Einstellungen ge-rungen, Wissensstoff im intensiven Miteinander nachhaltig durchdrungen oder Methoden trainiert. Gelegentlich er-schien ein Block für sich wie ein kleines Einzelkunstwerk.

Auch unsere Exkursionen in die »reale Welt«, außerhalb von Tafel und Lehrbuch, waren wichtig.

Es bleibt der Lehrerwunsch, dass sich bei den Schülerinnen und Schülern viele Unterrichtseinheiten zu einem guten Er-innerungsbild an den Biologieunterricht in der 13. Klasse zusammenfügen, ein nachhaltiges Interesse am Fach er-halten bleibt, Wissen angelegt wurde, auf das vielseitig zu-gegriffen werden kann oder dass angemessen auf die Anforderungen eines weiterführenden Studiums vorberei-tet wurde. Vielleicht empfinden sie sich sogar als kleines, aber wichtiges Mosaiksteinchen in der gelebten »Sozialen Skulptur« der Lerngruppe und denken mit Freude auf diese in der Schule gelebte Lebenszeit zurück.

Die Schülerinnen und Schüler schwirren in die Welt hi-naus. Der Lehrer muss sich vom »Kunstwerk« trennen. Das kann ihm so schwer fallen wie einem Maler, der mit seinem Bild das Gefühl verbindet, ein Teil von ihm selbst geht dahin. Immerhin wird unser »Erziehungskunstwerk« drei-undzwanzigfach in die Welt hinaus gehen.

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Zum Autor:Dr. Ulfrid Mattig war Lehrer in den Fächern Biologie, Geographie, Leibeserziehung an Gymnasien und im Ausland (China und Kolumbien); nach seiner Verrentung unterrichtete an den Waldorfschulen Lensahn, Potsdam und Kleinmachnow.

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ERZIEHUNGSKÜNSTLER

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