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und präsenziellen Ökonomie?

FORSCHUNG

Olivier Crevoisier Olivier.Crevoisier@unine.ch Delphine Guex delphine.guex@unine.ch Alain Segessemann alain.segessemann@unine.ch

solche Regionen gelten zunächst die städti-schen Gebiete mit ihren zahlreichen Unter-nehmen wie Banken und Versicherungen, die globale Dienstleistungen erbringen. Noch pro- duktiver sind aber gewisse ländliche Räu-me, da sich die Industrie in der Schweiz vor-nehmlich in diesen Gebieten angesiedelt hat.

Seit den Fünfzigerjahren dominiert die soge-nannte Exportbasistheorie alle strategischen Überlegungen im Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung, Raumentwicklung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Diese Theorie konzentriert sich auf Betriebe, die ihre Gü-ter oder Dienstleistungen in andere Regio-nen exportieren, also Industrien und Dienst-leistungen mit einer hohen Wertschöpfung.

30 forum raumentwicklung 02 / 2015 — Forschung Region Rheintal, deren Entwicklung die Kri-terien der Exportbasistheorie am ehesten erfüllt, keineswegs zu den florierendsten Re-gionen des Landes.

Ist die aus den Fünfzigerjahren stammen-de Exportbasistheorie möglicherweise nicht mehr aktuell? Welche Veränderungen, mit de- nen sich die heutige Situation erklären liesse, haben sich seit damals ergeben? Zum einen hat die Mobilität stark zugenommen und der Anteil der Pendlerinnen und Pendler ist ste-tig gewachsen. Im schweizerischen Durch-schnitt stellen diese mobilen Arbeitnehmen-den auf regionaler und manchmal gar auf kantonaler Ebene die wichtigste Einkom-mensquelle dar. Zum andern sind aber auch die Rentenleistungen – vor allem die Alters-renten – ebenso wie die Einkommen im Zu-sammenhang mit den Umverteilungsmecha-nismen der Sozialversicherungen und die Vermögenserträge enorm gestiegen. Diese Transfereinkommen bilden im Durchschnitt die zweitgrösste Einkommensquelle.

Residentielle wirtschaftliche Aktivitäten ver-lagern sich in Richtung periurbane Räume

All diesen Einkommen ist gemeinsam, dass sie in der Regel direkt in die Wohngebiete fliessen, wo sie eine eigene Form der Ökono- mie begründen, die als residentielle Ökono- mie bezeichnet wird. In der Schweiz ist zu beobachten, dass die einkommensstarke Be- völkerung ebenso wie lokale Dienstleistun-gen rund ums Wohnen wie Detailhandel, Gastgewerbe, Kliniken, Immobiliendienst- leistungen sowie persönliche Services wie Coiffeur oder Fitness tendenziell aus den produktivsten Regionen des Landes und insbesondere aus den industriellen Gegen- den wegziehen. Damit kommen die Ein-künfte im Zusammenhang mit der residen- tiellen Ökonomie meist nicht den Regionen zugute, in denen diese Gelder ursprüng- lich erwirtschaftet wurden. Dies wiederum löst eine ökonomische Entwicklung aus, in der nicht mehr die exportorientierten Aktivitäten im Zentrum stehen, sondern die Präsenz einer Wohnbevölkerung ausschlag- gebend ist. Residentielle wirtschaftliche Aktivitäten spielen in periurbanen Räumen wie etwa der Zürcher Goldküste, der Region Collonge-Bellerive in Genf, im Lavaux oder in der Region Nyon bei Lausanne – in be- deutenden Wohngebieten also, in denen ei- nige der reichsten Personen der Schweiz leben – eine wichtige Rolle. Das Gegenteil ist beispielsweise in Neuenburg oder im Jura der Fall: Hier fehlt eine dynamische residen-tielle Ökonomie, was dazu beiträgt, dass die Einkommen aus der Region abfliessen.

Auch der regionale Arbeitsmarkt ist davon betroffen, da schweizweit fast zwei von drei Arbeitsstellen der residentiellen Ökonomie zuzuordnen sind.

Mobilität verändert die Einkommensvertei-lung in den Regionen

Aus dem Export von Gütern und Dienstleis-tungen stammende Einkommen, die direkt Die Exportbasistheorie geht davon aus, dass

durch den Verbrauch der Einkommen der Ar-beitnehmenden vor Ort neue Arbeitsplätze entstehen und regionales Wachstum ermög-licht wird. Alle politischen Strategien für eine territoriale Innovation oder die Förderung von Clusters beruhen auf der Vorstellung, dass sich die wirtschaftliche Kraft einer Re-gion aus ihrer Export- und Innovationsfähig-keit ergibt: Sie ermöglicht es, wettbewerbs-fähig zu bleiben.

Ist die Exportbasistheorie überholt?

Was aber geschieht mit Regionen, die dem Muster dieser Theorie nicht entsprechen?

Verpassen sie tatsächlich den Anschluss an die Entwicklung? Gemäss Studien, die an der Universität Neuenburg durchgeführt wur- den, haben längst nicht alle ländlichen Räu-me die gleichen Wachstumsmodalitäten übernommen. Ausserdem zählen die am stärksten industrialisierten Gebiete der Schweiz wie etwa der Jurabogen oder die

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an die Bewohnerinnen und Bewohner der Region gehen, in der die exportierenden Un-ternehmen angesiedelt sind, stellen durch-schnittlich nur gerade die drittgrösste regio- nale Einkommensquelle dar. Hinzu kommt, dass diese Gelder aufgrund der Pendlerströ- me zunehmend aus den produktiven Regio- nen abfliessen und die Trennung zwischen Wohn- und Arbeitsort der Bevölkerung immer ausgeprägter wird.

Durch die residentielle Ökonomie lässt sich die Neuverteilung der Einkommen zwar teil-weise erklären, aber sie reicht nicht aus, um die Tendenzen der räumlichen Entwicklung vollumfänglich zu erfassen. Man tätigt ja den Grossteil seiner Ausgaben nicht zwingend in einer bestimmten Gemeinde, nur weil man dort wohnt. Der Faktor der Mobilität muss da-her ebenfalls berücksichtigt werden. Gewisse Regionen sind heute vollständig von den Aus-gaben externer Konsumentinnen und Konsu- menten abhängig. Das gilt natürlich für touris- tische Orte: Der Tourist ist per Definition ein

mobiler Konsument, der sein Geld an einem andern Ort ausgibt als dort, wo er es verdient hat oder wo er wohnt. Aber auch andere Re- gionen haben ein solches präsenzielles ökonomisches Profil. Ausflüglerinnen und Ta- gestouristen, die in eine bestimmte Gegend reisen – sei es zum Einkaufen, aus gesund- heitlichen oder anderen Gründen –, die Wohn-

OLIVIER CREVOISIER, *1963, ist ordentlicher Professor in der Groupe de Recherche en Economie Territoriale (GRET) an der Universität Neuenburg. In seiner Lehre und Forschung beschäftigt er sich mit territorialer Ökonomie und Institu- tionenökonomik, insbesondere mit Fragen der regionalen Wirtschaftsentwicklung und der Siedlungsentwicklung.

DELPHINE GUEX, *1983, ist Doktorandin in der Groupe de Recherche en Economie Territoriale (GRET) an der Universität Neuenburg. Ihre Forschungen konzentrieren sich auf die langfristige Raumentwicklung in touristischen Gebieten vom 19. Jahrhundert bis heute.

ALAIN SEGESSEMANN, *1984, ist ebenfalls Doktorand in der Groupe de Recherche en Economie Territoriale (GRET) an der Universität Neuenburg. Er beschäftigt sich in seinen Forschungen mit der Regional- und Stadtentwicklung in der Schweiz, vor allem mit Fragen der residentiellen Ökonomie.

bevölkerung einschliesslich Steuertouristen und Studierende ebenso wie Einheimische, die ihr Geld vor Ort ausgeben, bilden die Grundlage einer präsenziellen Ökonomie, die für viele Schweizer Regionen von entschei-dender Bedeutung ist.

(Übersetzung)

32 forum raumentwicklung 02 / 2015 — Reportage Text: Stefanie Pfändler

s.pfaendler@gmail.com Fotos: Manuel Diener manueldiener@bluewin.ch

Versuchslabor für