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Vom Entwicklungskolonialismus zur postkolonialen Extraversion im Kalten Krieg

Entwicklung wird in dieser Arbeit verstanden als geplante Intervention in ge-sellschaftlichen Angelegenheiten mit dem Ziel, Transformationen anzustoßen und Verbesserungen hervorzubringen.¹⁷ Dabei ist in einem zweiten, historisie-renden Schritt je nach Akteur und Kontext erst festzustellen,was als Verbesserung galt und welche Methoden als zielführend und legitim angesehen wurden, um einen als positiv erachteten Wandel hervorzubringen.¹⁸Oft kreisten die Vorstel-lungen um wirtschaftliche Produktionssteigerung und die Verbesserung von Le-bensbedingungen, wobei in der Regel–mit erheblichen Auswirkungen für die Praxis– einer der beiden Seiten größere Bedeutung beigemessen wurde.¹⁹ Ak-teure mochten übereinstimmen, dass„Entwicklung“und „Fortschritt“das Ziel waren, aber die Bedeutung politischer, sozialer und wirtschaftlicher Aspekte ganz unterschiedlich gewichten. So sagte Nyerere in einer Rede in Dänemark 1977:

„Tanzania has tried to keep a balance between its urgent need to increase the amount of wealth and its conviction that the purpose of wealth is man, who must

 Diese Begriffsbestimmung kombiniert Aspekte aus den Definitionen von: David C. Engerman, Development Politics and the Cold War, in: Diplomatic History 41/1 (2017), S. 1–19, hier: S. 5; Jan Nederveen Pieterse, Development Theory. Deconstructions/Reconstructions, London 2010, S. 3.

 Ebd.

 Michael P. Cowen/Robert W. Shenton, Doctrines of Development, London 1996.

not be destroyed in the process of creation“.²⁰ Dank solcher Aussagen genoss Tansania den Ruf, dem sozialen Aspekt eindeutig Vorrang vor Wirtschafts-wachstum als Selbstzweck einzuräumen.

Die drei Akteursgruppen, deren Motive und Handlungsweisen im Zentrum der Analyse stehen – Überseestudierende, entsandtes Entwicklungspersonal und Counterparts– waren angehalten, sich in den Dienst des Afrikanischen Sozia-lismus in Tansania zu stellen. Gleichzeitig waren sie allesamt„Ausgeburten“des entwicklungspolitischen Feldes, das sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in zunehmender globaler und sozialer Reichweite aufspannte, institu-tionalisierte und neue Beziehungsformen hervorbrachte.²¹Das entwicklungspo-litische Feld konstituierte sich als ein komplexes und weitverzweigtes Geflecht von Institutionen, Akteuren und Praktiken, das sich durch spezifische Spielre-geln, Rationalitäten, Diskurse und Kapitalstrukturen auszeichnete.²² Geformt durch die Spannungen des Kalten Krieges und die Befreiungskämpfe der Deko-lonisierung war das entwicklungspolitische Feld ein „Gebiet der moralischen Kampfführung“²³in der Austragung von Konflikten zwischen Ost und West, Nord und Süd, Sozialismus und Kapitalismus, Plan- und Marktwirtschaft, selbst wenn diese scheinbar eindeutigen Gegensätze vielfach verschwammen. Hier kreuzten sich, oft mit empfindlichen Reibungen, die Linien von Nationalismus und Inter-nationalismus, Antiimperialismus und Antikapitalismus, Solidarität und Hilfe.

Zwar war und ist Entwicklungspolitik oft Instrument diplomatischer und han-delspolitischer Interessen, aber bei vielen Akteuren blieb „ein Überschuss an

 Zit. nach Paul Bjerk, Julius Nyerere, Athens 2017, S. 93.

 Der Begriff„Ausgeburt“findet sich bei Pierre Bourdieu/Loïc J. D. Wacquant, An Invitation to Reflexive Sociology, Cambridge 1992, 107. Er verweist darauf, dass Individuen die z.B. Funktionen als Regierungsberater oder Counterparts einnehmen, diese Rolle nur aufgrund des Feldes ein-nehmen können:„[H]e or she is in a sense an emanation of the field“(ebd.).

 Es entspricht damit der Definition eines Feldes im Sinne von Pierre Bourdieu. Siehe z.B.

Markus Schwingel, Pierre Bourdieu zur Einführung, 7., erg. Aufl., Hamburg 2011, S. 98–99. Das Zitat stammt aus Meike Fechter, Anybody at Home? The Inhabitants of Aidland, in: Anne-Meike Fechter/Heather Hindman, Hg., Inside the Everyday Lives of Development Workers: The Challenges and Futures of Aidland, Boulder 2011, S. 131–149, hier: S. 131; Übersetzung E. B.

Fechter bezieht sich hier zwar auf den rezent geprägten Begriffaidland,das Zitat scheint aber auch für den Begriff„Feld“passend. Siehe auch David Mosse, Hg., Adventures in Aidland. The anthropology of professionals in international development, New York 2011; Elizabeth Harrison, Beyond the Looking Glass?‘Aidland’reconsidered, in: Critique of Anthropology 33/3 (2013), S. 263–279.

 Berthold Unfried, Instrumente und Praktiken von„Solidarität“Ost und „Entwicklungshil-fe“West: Blickpunkt auf das entsandte Personal, in: Berthold Unfried/Eva Himmelstoss, Hg., Die eine Welt schaffen: Praktiken von„Internationaler Solidarität“und„Internationaler Entwick-lung“, Leipzig 2012, S. 73–98, hier: S. 74.

1.2 Vom Entwicklungskolonialismus zur postkolonialen Extraversion 9

Moralpolitik“, der„nicht in diesen Interessen aufgeht“und „die Solidaritätsge-fühle, den Idealismus vieler Menschen – je nach Sichtweise – beflügelt oder absorbiert hat“, wie Berthold Unfried festhält.²⁴Diese affektive Bindung an das entwicklungspolitische Feld und die Bereitschaft, die eigenen Praktiken inner-halb dieses Bereiches zu verorten, sind neben der Etablierung von Transfer-kanälen für Kredite, Waren und Personal mit spezifischen Abkommen und Or-ganisationen, der Institutionalisierung von Entwicklungsbürokratien und den globalen Prestigekämpfen im Entwicklungssektor stichhaltige Gründe dafür, die Aushandlungen auf diesem Feld in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses zu stellen.

Das gestiegene Interesse an der Geschichte der Entwicklung ist zum Teil als Resultat der kritischen Auseinandersetzung mit den Thesen der poststruktura-listisch geprägten Post-Development-Strömung zu lesen, die seit den späten 1980er-Jahren das historische Denken in Entwicklungsstufen sowie die Untertei-lung der Welt in Entwickelte und Unterentwickelte hinterfragte und derartige Diskurse als Instrumente der Machtausübung analysierte.²⁵ Alle mit „Entwick-lung“assoziierten Diskurse dienten in dieser Perspektive dem Ausbau und der Festigung der westlichen Dominanz über den Rest der Welt.²⁶ Wie eine

„Maschine“, so ein zentraler Befund des Anthropologen James Ferguson, durchpflügte das westliche Entwicklungsregime eine homogenisierte Welt von

„Entwicklungsländern“, indem es überall die gleichen Probleme von „Unterent-wicklung“sah, technokratische Lösungsformeln oktroyierte und nicht nur zur Ausweitung staatlicher Macht führte, sondern diesen Prozess auch entpolitisier-te.²⁷Nicht zufällig koinzidierte die Formulierung und Diskussion des Post-Deve-lopment-Ansatzes mit einer weitverbreiten Ernüchterung in den 1980er und 1990er-Jahren, als Entwicklungstheorien und -interventionen angesichts von Schuldenkrise und wirtschaftlicher Misere im globalen Süden weithin als ge-scheitert galten und der neoliberale Rückbau des Wohlfahrtsstaats zunehmend auch die kapitalistischen Zentren traf.²⁸

 Ebd., S. 97.

 Aram Ziai, Post-Development: Premature Burials and Haunting Ghosts, in: Development and Change 46/4 (2015), S. 833–854.

 Arturo Escobar, Encountering Development. The Making and Unmaking of the Third World, Princeton, N. J. 1995.

 James Ferguson, The Anti-Politics Machine.„Development,“Depoliticization, and Bureauc-ratic Power in Lesotho, Minneapolis 1994.

 Joseph Morgan Hodge, Writing the History of Development (Part 1: The First Wave), in: Hu-manity 6/3 (2015), S. 429–463.

Rezente Forschungen zur Geschichte der Entwicklung halten die kritische Distanz zum Denken in Entwicklungsstufen und bestätigen einige Befunde der Post-Development-Literatur, kommen aber insgesamt zu dem Schluss, dass das Konzept der Entwicklung keinen stabilen Inhalt hat, sondern für verschiedene Interessen geformt, angeeignet und instrumentalisiert wurde. Anstelle eines Konzepts der bipolaren Weltordnung (im Sinne des Kalten Krieges) oder westli-cher Herrschaft über den Rest der Welt sind hier komplexe und verflochtene

„Nord-Süd-Ost-West-Beziehungen“getreten, in denen die dynamischen Konstel-lationen des Kalten Krieges und der Dekolonisierung (wenngleich noch selten konsequent) miteinander artikuliert werden. In dieser Perspektive zeigt sich, dass sich Akteure des globalen Südens oft beträchtliche Spielräume erarbeiteten und diese ausnutzten. Auch Staaten wie Kuba oder die DDR werden keinesfalls mehr zu„Satelliten“und langen Armen Moskaus degradiert, sondern als eigenständig agierende Staaten gesehen, in denen auch intern Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Außenbeziehungen geführt wurden.²⁹ Das Feld der Entwick-lungspolitik selbst erscheint somit weniger als weitgehend homogener, vom Westen dominierter Machtapparat, sondern als ambivalent,vielfach fragmentiert, widersprüchlich–und historisch tiefer verwurzelt als nur in der Nachkriegszeit.³⁰ Die entwicklungspolitische Personalentsendung geht, wie das Feld der Ent-wicklung allgemein, auf verschiedene Traditionslinien zurück, darunter die christliche Zivilisierungsmission, der imperiale Expansionismus, humanitäre Interventionen internationaler Organisationen, mannigfaltige Solidaritätsbewe-gungen und auch die Anforderung von Beratern durch modernisierungswillige Herrscher in vielen Teilen der Welt (z. B. in Sansibar). Ersten Maßnahmen unter dem Begriff der Entwicklung um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahr-hundert, auch in deutschen Kolonien in Afrika und im Pazifik, folgten imperia-listische Strategien in den 1930er und 1940er-Jahren, die den Machterhalt stärker an verwissenschaftlichte Interventionen (insbesondere vonseiten der Natur- und

 Piero Gleijeses, Moscow’s Proxy? Cuba and Africa 1975–1988, in: Journal of Cold War Studies 8/2 (2006), S. 3–51; Margarete Grandner/Arno Sonderegger, Hg., Nord-Süd-Ost-West Beziehungen.

Eine Einführung in die Globalgeschichte, Wien 2015; Leslie James/Elisabeth Leake, Decoloniza-tion and the Cold War: Negotiating Independence, London 2015; Tony Smith, New Bottles for New Wine. A Pericentric Framework for the Study of the Cold War, in: Diplomatic History 24/4 (2000), S. 567–591.

 Einen Überblick über den Forschungsstand bieten u.a. Marc Frey, Entwicklungspolitik, in:

Jost Dülffer/Wilfried Loth, Hg., Dimensionen internationaler Geschichte, München 2012, 293–312;

Hodge,Writing (Part 1); Joseph Morgan Hodge,Writing the History of Development (Part 2: Longer, Deeper, Wider), in: Humanity 7/1 (2016), S. 125–174; Corinna R. Unger, Histories of Development and Modernization: Findings, Reflections, Future Research, in: H-Soz-Kult, 9.12. 2010. http://www.

hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-1130 (Zugriff: 23.12. 2016).

1.2 Vom Entwicklungskolonialismus zur postkolonialen Extraversion 11

Agrarwissenschaften) knüpften.³¹Die Verbindung von Imperialismus, Technolo-gie und Wissenschaft führte zur Geburt des Entwicklungsexperten und der

„zweiten kolonialen Besetzung“ durch diese Experten.³² Viele der kolonialen Experten setzten ihre Karrieren dann als Entwicklungsexperten„vor Ort“in den Zentralen nationaler Entwicklungsagenturen oder internationalen Organisatio-nen fort und sorgten für Kontinuität kolonialer und postkolonialer Entwick-lungsstrategien.³³Tatsächlich hatte sich das Vertrauen in Planung als Instrument zur Steuerung von Wirtschaftswachstum und sozialem Wandel schon in den 1930er und 1940er-Jahren in Europa und den USA etabliert, um Wirtschaftskrisen wie jene nach 1929 und die politische Radikalisierung der 1930er-Jahre zu ver-hindern.³⁴ Nationales Wirtschaftswachstum sowie Aufbau und Konsolidierung eines bürokratisierten Staates mitsamt umfassender Infrastruktur wurden zum Mantra der Interventionen in den 1950er und 1960er-Jahren, die parallel von der Weltbank und UN-Organisationen wie auch den USA und der Sowjetunion, der BRD und der DDR verfolgt wurden.³⁵Gleichzeitig handelte es sich hier um Ziele

 Cowen/Shenton, Doctrines of Development; Joseph Morgan Hodge u.a., Hg., Developing Africa. Concepts and Practices in Twentieth-Century Colonialism, Manchester 2014; Sönke Kun-kel/Christoph Meyer, Hg., Aufbruch ins postkoloniale Zeitalter. Globalisierung und die ausser-europäische Welt in den 1920er und 1930er Jahren, Frankfurt/Main 2012; Rohland Schuknecht, British Colonial Development Policy after the Second World War: The Case of Sukumuland, Tanganyika, Berlin 2010; Monica M. Van Beusekom/Dorothy L. Hodgson, Lessons Learned? De-velopment Experiences in the Late Colonial Period, in: The Journal of African History 41/1 (2000), S. 29–33.

 Joseph Morgan Hodge, Triumph of the expert. Agrarian doctrines of development and the legacies of British colonialism, Athens 2007.

 Joseph Morgan Hodge, British Colonial Expertise, Post-Colonial Careering and the Early Hi-story of International Development, in: Journal of Modern European HiHi-story 8/1 (2010), S. 24–46;

ders., Colonial Experts, Developmental and Environmental Doctrines, and the Legacies of Late British Colonialism, in: Christina Folke Ax u.a., Hg., Cultivating the Colonies: Colonial States and Their Environmental Legacies, Athens 2011, S. 300–325; Uma Kothari, From Colonialism to De-velopment. Reflections of former Colonial Officers, in: Commonwealth & Comparative Politics 44/

1 (2006), S. 118–136; dies., Spatial Practices and Imaginaries. Experiences of Colonial Officers and Development Professionals, in: Singapore Journal of Tropical Geography 27/3 (2006), S. 235–253.

 Joseph Morgan Hodge/Gerald Hödl, Introduction, in: Joseph Morgan Hodge u.a., Hg., Deve-loping Africa: Concepts and Practices in Twentieth-Century Colonialism, Manchester University Press 2014, S. 1–34, hier: S. 15–17; Tony Judt, Postwar. A History of Europe since 1945, New York 2005, S. 67–77.

 David C. Engerman, The Second World’s Third World, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 12/1 (2011), S. 183–211; Marc Frey u.a., Hg., International Organizations and Development. 1945–1990, Basingstoke u.a. 2014; Nils Gilman, Mandarins of the Future. Moder-nization Theory in Cold War America, Baltimore 2007; Eric Helleiner, Forgotten Foundations of Bretton Woods. International Development and the Making of the Postwar Order, Ithaca, London

der meisten postkolonialen Regierungen, deren Mitglieder der gebildeten Schicht angehörten. Anhand eigener Biografien konnten sie die Wirksamkeit von Ent-wicklungsstrategien bezeugen, wiesen aber auch auf die Unzulänglichkeit kolo-nialer Entwicklung und die häufig gewaltvolle Umsetzung hin und trieben einen politischen Emanzipationsprozess voran.³⁶ Parallel forderten wachsende Ge-werkschaftsbewegungen und neu gegründete Parteien die Errungenschaften ein, die die koloniale Entwicklungsideologie versprach: die gleichen Rechte wie die Bevölkerung in den Metropolen, einen höheren Lebensstandard und politische Teilhabe ohne Diskriminierung.³⁷

EinRechtder Bevölkerung auf„Entwicklung“wurde den infolge des Krieges hoch verschuldeten Metropolen jedoch schnell zu teuer und ließ informelle For-men der Machtausübung bei nomineller Souveränität attraktiver erscheinen.

Damit änderte sich der Beziehungsmodus; die politische Unabhängigkeit zahl-reicher Kolonien „verwandelte Anspruchsberechtigung in Bittgesuch“, wie Frederick Cooper pointiert bemerkt hat.³⁸Das Bittgesuch konnte angesichts der neugewonnenen Souveränität und des Kontexts des Systemwettstreits jedoch nun auch an andere Adressen als nur an jene der alten Kolonialherren gerichtet werden, wodurch sich neue Handlungsspielräume ergaben. Das entwicklungs-politische Feld als Tummelplatz konkurrierender moralischer Überlegenheitsan-sprüche eignete sich für die Eliten der rezent unabhängig gewordenen Staaten wie kaum ein anderes, mit der Rhetorik von „Hilfe“ und „Solidarität“ materielle Forderungen an„Patrone“zu stellen und eigene Agenden zu verfolgen.³⁹ Entge-gen der vorherrschenden Logik im westlichen und östlichen Lager, dass es sich bei der Systemkonkurrenz um ein binäres Nullsummenspiel zwischen zwei Blö-cken handelte, waren einige postkoloniale Regierungen äußerst geschickt darin, konkurrierende Parteien gegeneinander auszuspielen und zu höheren Leistungen anzustacheln, Zwistigkeiten innerhalb der Machtblöcke auszunutzen und–wie

2014; Timothy Mitchell, Rule of Experts. Egypt, Techno-Politics, Modernity, Berkeley 2002; Ti-mothy Nunan, Humanitarian Invasion. Global Development in Cold War Afghanistan, New York 2016; Matthias Schmelzer, The Hegemony of Growth. The OECD and the Making of the Economic Growth Paradigm, Cambridge 2016; Massimiliano Trentin,„Tough negotiations“. The Two Ger-manys in Syria and Iraq, 1963–74, in: Cold War History 8/3 (2008), S. 353–380.

 Hodge/Hödl, Introduction, S. 20.

 Frederick Cooper, Africa since 1940. The Past of the Present, Cambridge 2002.

 Frederick Cooper,Writing the History of Development, in: Journal of Modern European History 8/1 (2010), S. 5–23, hier: S. 13, Übersetzung E. B.

 Engerman, Development Politics, S. 2–3.

1.2 Vom Entwicklungskolonialismus zur postkolonialen Extraversion 13

im Falle Tansanias–den Wegfall wichtiger Geber durch eine strategische Diver-sifizierung der Ressourcenquellen zu kompensieren.⁴⁰

Jean-François Bayart hat diese Strategie, also die Mobilisierung externer Ressourcen im Rahmen asymmetrischer Beziehungen, alsExtraversion bezeich-net.⁴¹Diese Strategie war eine Überlebensnotwendigkeit, denn wie in vielen an-deren postkolonialen Staaten erbte auch die Regierung in Dar es Salaam von ihren britischen Vorläufern ein „Haus ohne Fundament“.⁴² Die politische wie wirt-schaftliche Macht des Staates gründete nicht in der Kontrolle über die Bevölke-rung (oder gar in einer Art Gesellschaftsvertrag), sondern in erster Linie in seiner Position am Schnittpunkt zwischen nationalem Territorium und der globalen Ebene–wie Frederick Cooper auch mit seinem Konzept des„Torwächterstaates“

(gatekeeper state) für Afrika allgemein argumentiert hat.⁴³Für die Regierungen unabhängiger Staaten in Asien und Afrika war die Ausrichtung ihrer Entwick-lungs- und Modernisierungspolitik auch eine Frage der außenpolitischen Orien-tierung. Im Zusammenhang mit dem Panafrikanismus und einer Betonung von Eigenständigkeit kam es auch zur Formulierung eines nicht-marxistischen

„Afrikanischen Sozialismus“in mehreren Spielarten, von denen Tansanias Uja-maa eine besonders praxiswirksame und langlebige war. Nicht nur für Julius Nyerere war Sozialismus die einzig„rationale Wahl“für postkoloniale Staaten.⁴⁴ Nyerere und andere Vertreter des Afrikanischen Sozialismus wiesen darauf hin, dass jene postkolonialen Länder, die sich für den Kapitalismus entschieden, zwangsläufig in einer Position der wirtschaftlichen und damit auch politischen Abhängigkeit verbleiben würden.⁴⁵ Die ökonomische Lage war gekennzeichnet

 Jeffrey James Byrne, Mecca of Revolution. Algeria, Decolonization, and the Third World Order, New York 2016; Cooper, Writing the History, S. 15; Engerman, The Second World’s Third World, S. 196; Jeremy Scott Friedman, Shadow Cold War.The Sino-Soviet Competition for the Third World, Chapel Hill 2015; Daniel Speich, The Kenyan Style of „African Socialism“: Developmental Knowledge Claims and the Explanatory Limits of the Cold War, in: Diplomatic History 33/3 (2009), S. 449–466, hier: S. 465; Lindsay Whitfield/Alastair Fraser, Negotiating Aid, in: Lindsay Whit-field, Hg., The Politics of Aid: African Strategies for Dealing with Donors, Oxford/New York 2009, S. 27–44.

 Jean-François Bayart, Africa in the World: A History of Extraversion, in: African Affairs 99/395 (2000), S. 217–267.

 Andreas Eckert, Herrschen und Verwalten. Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920–1970, München 2007, S. 265.

 Cooper, Africa since 1940.

 Julius Nyerere, Capitalism or Socialism:The Rational Choice, in: New Blackfriars 55/653 (1974), S. 440–448.

 M. Anne Pitcher/Kelly M. Askew, African Socialisms and Postsocialisms, in: Africa 76/1 (2006), S. 1–14, hier: S. 7; John S. Saul, The Failure of African Socialisms and their Future, in: Robert Albritton, Hg., New Socialisms: Futures beyond Globalization, London 2004, S. 159–181.

durch rudimentäre Industrie und Infrastruktur sowie einen Fachkräftemangel.

Staatliche Planung, die Nationalisierung wirtschaftlicher Schlüsselsektoren, öf-fentliche Investitionen in die Produktion und insbesondere eine gemeinschaftlich reorganisierte Landwirtschaft schienen vielversprechende Maßnahmen, um in all diesen Bereichen zügig Abhilfe zu schaffen.

Aus historischer Sicht ist eine schematische Gegenüberstellung von Kapita-lismus und SoziaKapita-lismus irreführend, um diese Orientierung zu kennzeichnen.

Einerseits werden damit Differenzierungen im„Westen“genauso wie Divergenzen im sozialistischen Lager ausgeblendet: Zusätzlich zur Herausforderung durch Sozialismen in afrikanischen und arabischen Ländern (und Kuba) machte das maoistische China der Sowjetunion seit Anfang der sechziger Jahre die Füh-rungsrolle im Weltkommunismus streitig und untermauerte seine Ambitionen bis Mitte der 1970er-Jahre durch aufwendige Projekte wie den Bau der Eisenbahnlinie von der Küste Tansanias bis zum Kupfergürtel Sambias.⁴⁶Die Untersuchung von divergenten Formen und Erfahrungen der„roten Globalisierung“, wie die welt-umspannenden Praktiken der sozialistischen Staaten auch genannt werden, ha-ben ein erhebliches heuristisches Potenzial, denn sie erlauha-ben„Globalisierung nicht nur im Singular, sondern im Plural zu denken“, wie Matthias Middell ar-gumentiert.⁴⁷Der privilegierten Behandlung westlicher Entwicklungsregime und der damit einhergehenden Ausblendung alternativer Entwürfe und Praktiken ist nach wie vor mit Entschiedenheit entgegenzuarbeiten, ohne dabei wieder in eine starre Gegenüberstellung abgeschlossener, voneinander getrennter Systeme zu verfallen.⁴⁸

Andererseits nämlich standen viele entwicklungspolitische Visionen auf ei-nem gemeinsamen Sockel modernisierender Entwicklung, die den Aufbau eines starken Staates, dessen wirtschaftspolitische Rolle in der Planung,

Industriali- Friedman, Shadow Cold War; Jamie Monson, Africa‘s Freedom Railway. How a Chinese De-velopment Project Changed Lives and Livelihoods in Tanzania, Bloomington 2009.

 Matthias Middell,WeltgeschichteDDR. Die DDR in globalgeschichtlicher Perspektive, in: Ulrich Mählert, Hg., Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, S. 149–

156, hier: S. 152.

 Ein Beispiel für diese West-Zentriertheit ist etwa der historische Überblick in Silke Roth, The Paradoxes of Aid Work: Passionate Professionals, London, New York 2015, Kap. 1. Fast voll-kommen unerwähnt bleiben sozialistische Entwicklungspolitiken in ihren praktischen und theoretischen Dimension z.B. im rezenten Überblickswerk Karin Fischer u.a., Hg., Handbuch Entwicklungsforschung, Wiesbaden 2016. Von einem Kapitel über Tansania abgesehen gilt das auch für Gilbert Rist, The History of Development. From Western Origins to Global Faith, London, New York 2008. Eine breiterte Perspektive vertreten jüngere Publikationen wie Corinna R. Unger, International Development: A Postwar History, London, 2018; Stephen J. Macekura/Erez Manela, Hg. The Development Century: A Global History. Cambridge, 2018.

1.2 Vom Entwicklungskolonialismus zur postkolonialen Extraversion 15

sierung und Wirtschaftswachstum einschloss.⁴⁹ Viele sowjetische oder ostdeut-sche Akteure sahen Wirtschaftswachstum als unverzichtbar an, um den Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaftsform zu ebnen – und da auch westliche Investitionen zur „Entwicklung der Produktivkräfte“ und Herausbildung der historisch wichtigen Arbeiterklasse beitragen konnten, standen sie diesen grundlegend (aller Rhetorik, der zufolge westliche Entwicklungshilfe eine Form des Neokolonialismus darstelle, zum Trotz) keinesfalls grundsätzlich negativ gegenüber.⁵⁰Ein weiteres Argument gegen eine Zuordnung von Ländern in be-stimmte Lager ist die Koexistenz widersprüchlicher Ansätze in ein und demselben Land. Eine starre Trennung von traditionalisierungs- oder modernisierungsori-entierten Ansätzen, von Strategien landwirtschaftlicher Entwicklung oder be-schleunigter Industrialisierung ist daher wenig zielführend, gleich ob es dabei um Indien oder Tansania geht.⁵¹Hier ist es also notwendig, konkurrierende Konzepte und Gruppen zwischen und innerhalb von Staaten in den Blick zu nehmen.

Statt statische Systeme aufeinanderprallen zu lassen, ist von historisch

Statt statische Systeme aufeinanderprallen zu lassen, ist von historisch