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Friedliche Koexistenz: Ujamaa und das goldene Zeitalter der Entwicklungspolitik, 1970 – 1977

Entwicklungspolitik und der deutsch-deutsche Wettlauf um Afrika, 1964 – 1970

3.3 Friedliche Koexistenz: Ujamaa und das goldene Zeitalter der Entwicklungspolitik, 1970 – 1977

Anfang der 1970er-Jahre war Tansania als weltweit einziger Staat Schwerpunkt-land nicht nur der BRD-Entwicklungshilfe, sondern auch der DDR-Außenpoli-tik.¹⁹¹ Die DDR konnte nach fünf Jahren des Wartens und Verhandelns einen Durchbruch erzielen und bei einem Besuch von Außenminister Winzer 1970 Ab-kommen über Handel sowie Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit mit Tansania schließen.¹⁹²Die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen folgte auf die Unterzeichnung des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags vom 21.12.

 BArch Koblenz, B 213/7672, Bundesminister Kai-Uwe von Hassel an Bundeskanzler Erhard, Bonn, 9.9.1968.

 BArch Koblenz, B 102/86803 Bd. 3, Hebich (BRD-Botschaft) an AA, Dar es Salaam, 2.10.1969.

 Zuständig für die Rekrutierung vonexpatriatesbzw. die Zuweisung von Arbeitsplätzen war neben den Ministerien dieCentral Establishment DivisionimPresident’s Office.BArch Koblenz, B 213/7876, AA an BMZ, Bonn, 23.1.1968; Hebich (BRD-Botschaft) an AA, Dar es Salaam, 29.11.1967.

In ähnlicher Weise musste das sansibarische Gesundheitsministerium chinesische und sowjeti-sche Fachkräfte möglichst getrennt voneinander einsetzen, um Konflikte zu vermeiden. Siehe Hong, Cold War Germany, S. 311.

 BArch Koblenz, B 213/7672, BRD-Botschaft an AA, Dar es Salaam, 9.8.1969, S. 15.

 Kebschull, FRG and GDR in the Third World, S. 160.

 Matthes, Zur Entwicklung, S. 73–75. Tansania ließ im Abkommen u.a. den Passus über die gegenseitige Unterstützung in internationalen Organisationen streichen, um die eigene Ent-scheidungsfreiheit (und die Beziehung zu westlichen wie anderen nicht-blockgebundenen Staaten) nicht zu kompromittieren. PAAA, C 772/74, Zielke (DDR-Konsul), Aktenvermerk über Gespräch mit Mbapila, Dar es Salaam, 2.5.1969

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1972. Weitere „Fortschritte in den bilateralen Beziehungen“, so der ehemalige DDR-Botschafter Matthes, hingen jedoch„fast ausschließlich von DDR-Initiativen ab.“¹⁹³Diese Initiativen waren jedoch angesichts des Debakels in Sansibar und einem anhaltenden Misstrauen gegenüber Ujamaa ebenfalls nur auf wenige Einsatzfelder begrenzt.

In der Bundesrepublik wurde Tansania jedoch zum Paradebeispiel für das neue Modell altruistischer Hilfe. Unter den neuen Richtlinien der sozialliberalen Regierung sowie den persönlichen Freundschaften Willy Brandts und Erhard Epplers zu Julius Nyerere und Amir Jamal (langjähriger Minister in wichtigen Ressorts wie Finanzen und Wirtschaft)¹⁹⁴wurde Tansania zu einem Schwerpunkt der bundesdeutschen Afrikapolitik, dessen Bedeutung nicht allein mit geopoli-tischen und wirtschaftlichen Interessen, sondern nur mit Bezug auf das ent-wicklungspolitische Feld erklärbar ist.¹⁹⁵ Als erstes Länderprogramm des BMZ überhaupt wurde 1971 ein Plan für Tansania mit den Schwerpunkten Landwirt-schaft, Industrie, staatliche Entwicklungsinstitutionen und integrierte ländliche Entwicklung ausgearbeitet, der mit langfristigen Mittelzusagen einherging.¹⁹⁶ Kein anderes afrikanisches Land stand bei der SPD¹⁹⁷ und bei den entwick-lungspolitisch einflussreichen Kirchen¹⁹⁸ so hoch im Kurs wie Tansania. Die Projekte, die in diesen Jahren initiiert wurden, liefen oft über Jahrzehnte.

Neue Ausmaße von„Hilfe“und Verschuldung

Entwicklungspolitische Projekte wie die Errichtung der Ingenieursfakultät (Ka-pitel 7) oder das regionale Entwicklungsprogramm in Tanga (Ka(Ka-pitel 8) wurden dabei oft auf Anfrage der tansanischen Regierung umgesetzt. Schon 1966 hatte Tansania erste Anfragen für eine Art Regionalplanung an die BRD gestellt, al-lerdings für die Regionen Mtwara und Mbeya.¹⁹⁹1971 waren tansanische Akteure

 Matthes, Zur Entwicklung, S. 75–76.

 Erhard Eppler, Arm, aber nicht chancenlos, in: der Überblick 2 (2002), S. 45; Engel/Schlei-cher, Die beiden deutschen Staaten, S. 177.

 Ebd.

 Michael Bohnet, Development Policy in Sub-Saharan Africa and the Case of Tanzania, in: Ulf Engel u.a., Hg., Tanzania Revisited: Political Stability, Aid Dependency, and Development Constraints 2000, S. 3–16, hier: S. 10.

 Vinnai, Die Arbeit der FES, S. 110, 152–155.

 Köhler, Stellenwert Tanzanias, S. 21–22. Köhler, selbst ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär des BMZ, vertritt in diesem Text die These, dass die engen Beziehungen zwischen Tansania und der BRD ursächlich auf die Relationen im kirchlichen Bereich zurückzuführen sind.

 BArch Koblenz, B 102/86803, BRD-Botschaft an AA, Dar es Salaam, 1.8.1966.

bemüht, konkrete Projekte in Tanga„für die BRD“zu identifizieren.²⁰⁰Der Auftakt der Regionalplanung in Tansania überlappte nicht nur mit dem entwicklungs-politischen Trend des Grundbedürfnisansatzes, sondern auch mit den neuen Länderplanungen, die ab Anfang der 1970er Jahre im BMZ angefertigt wurden.

Tanga war ein Labor, in dem der neue Ansatz, von„Projektitis“ und „Insellö-sungen“abzugehen und die Projekte regional und sektoral untereinander abzu-stimmen, erprobt wurde.²⁰¹In der Praxis erhielt das von tansanischer Seite ver-tretene Verständnis einer Region als Großraum den Vorzug vor dem deutschen, kleinräumiger definierten Ansatz. Minister Eppler hatte bereits die Unterstützung einer ganzen Region zugesagt, aber BMZ-Beamte in Bonn hatten die Projekt-reichweite auf den Distrikt Korogwe reduziert.²⁰²Das tansanische Büro des Pre-mierministers sperrte sich gegen diese politisch inopportune Bevorzugung eines einzelnen Distrikts und setzte durch, die ganze Tanga-Region in den Plan (und die nachfolgende Finanzierung und Implementierung von Einzelprojekten) einzu-beziehen.²⁰³Die Regionalbehörden übten Druck auf das deutsche Team aus, das im Laufe von zwei Jahren, während viele Teams anderer Länder bereits nach wenigen Monaten Pläne ablieferten, noch immer nichts vorgelegt hatte. In Tanga erwartete man zudem nicht nur einen Plan, sondern möglichst schnell„sichtbare Resultate“.²⁰⁴So begann im Oktober 1974 die Umsetzung erster Projekte.²⁰⁵Die tansanische Seite hatte es verstanden, die eigenen Wünsche, sowohl in Bezug auf die Größe als auch die Implementierung die eigene Position durchzusetzen.

Tansania profitierte dabei von Entwicklungsminister Epplers (SPD, 1968–

1974) Anstrengungen, eine „kopernikanische Wende“ in der bundesdeutschen Entwicklungspolitik herbeizuführen und den Bedürfnissen der „Entwicklungs-länder“Vorrang vor Industrieinteressen zu einzuräumen.²⁰⁶Die stark christlich geprägte Strömung, der Eppler angehörte, gewann Ende der 1960er-Jahre an Einfluss und„stellte das Motiv der Solidarität, verstanden als

Menschheitssoli- BArch Koblenz, B 213/7675, BRD-Botschaft an BMZ, Dar es Salaam, 23.9.1971.

 Pollvogt, Zur Anatomie, S. 106–107.

 Pilgram/Zils, TIRDEP, S. 27.

 BArch Koblenz, B 213/7680, Aktualisierung des Länderhilfeprogramms Tansania, 8.6.1973, o.O., S. 60–61.

 Hofmeier sieht hier einen Unterschied zu Dar es Salaam:„Im Gegensatz zu den an auf-wendige Planung und langsame Abwicklung aller internationalen Entwicklungshilfeorganisa-tionen gewöhnten und entsprechend leidgeprüften Beamten der zentralen Ministerien in der Hauptstadt erwarteten die entscheidenden Leute in der Region möglichst schnell sichtbare konkrete Resultate.“Hofmeier, Die Tanga-Region, S. 317.

 Interview #28, GTZ-Projektleiter; Pilgram/Zils, TIRDEP, S. 28.

 Köhler, GTZ, S. 131–133.

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darität vor politischer Systemsolidarität, in den Vordergrund.“²⁰⁷Während „ge-nuine Entwicklungspolitiker“, also jene mit einem Interesse am Umbau der in-ternationalen Wirtschaftsordnung, auch von„Solidarität“sprachen, blieb„Hilfe“

(und später„Zusammenarbeit“) in der offiziellen Nomenklatur doch der bestim-mende Begriff.²⁰⁸ Drei Aspekte waren programmatisch für die bundesdeutsche Entwicklungspolitik der 1970er Jahre: die Priorisierung der ärmsten Länder, die Grundbedürfnisorientierung und ländliche Entwicklung.²⁰⁹Hier war die BRD Teil des westlichen entwicklungspolitischen Trends. Eppler setzte aber auch eigene Akzente und ging auf die stetige Forderung vieler Länder des globalen Südens ein, projektungebundene Warenhilfe nunmehr grundsätzlich (aber nicht ausnahms-los) ohne Lieferbindung zu vergeben, sodass mit BRD-Krediten Waren auf dem Weltmarkt erworben werden konnten.²¹⁰ Die BRD mit ihrer Marktmacht konnte sich diesen Schritt erlauben, da auch ohne vertragliche Bindungen zahlreiche Aufträge an bundesdeutsche Firmen vergeben wurden und Gelder somit direkt zurückflossen (bzw. erst gar nicht in die„Empfängerländer“gelangten). Eppler scheiterte jedoch mit seinem Versuch, diesen Grundsatz auch bei anderen west-lichen Gebern im DAC durchzusetzen.²¹¹Innenpolitisch gelang es ihm, die Posi-tion des BMZ zu stärken: 1972 war die Entscheidungshoheit über die entwick-lungspolitischen Kernkompetenzen (Formulierung von Grundsätzen sowie Entscheidungen über Kapital- und Technische Hilfe) gesichert.²¹²Allerdings be-hielt das Auswärtige Amt weiterhin seine Hoheit in außenpolitischen Fragen, während Finanzministerium und der Haushaltsausschuss des Bundestages die finanziellen Spielräume absteckten. Grundsätzlich erachtete auch Eppler privat-wirtschaftliche Interessen und staatliche Entwicklungshilfe als kombinierbar, es sei„völlig legitim, wirtschaftliche Interessen in diesem Lande für die Entwick-lungspolitik nutzbar zu machen, [i]llegitim wäre lediglich das umgekehrte Ver-fahren: Entwicklungspolitik zum ausführenden Organ wirtschaftlicher Interessen zu degradieren.“²¹³ Innenpolitisch blieb das BMZ trotz der Profilierung ein

„Mauerblümchen in der Ressorthierarchie“, nicht zuletzt weil

entwicklungspoli- Unfried, Instrumente, S. 75.

 Ebd., S. 75.

 Ziai, Globale Strukturpolitik, S. 102.

 Dieser Grundsatz wurde ab 1973 angewandt. Siehe BArch Koblenz, B 102/138294, Matthöfer (BMZ) an Wirtschaftsminister Friderichs, Bonn, 8.8.1973.

 Zur Frage der Lieferentbindung in der BRD-Entwicklungspolitik und dem Versuch, dieses Prinzip im DAC durchzusetzen, siehe BArch Koblenz, B 102/138294.

 Stockmann u.a., Entwicklungspolitik, S. 66; Messner, Entwicklungspolitik, S. 419.

 Eppler in den BMZ-Mitteilungen 4/1970 zit. nach Rainer Brähler, Entwicklungspolitik und Bildungshilfe. Geschichte, Funktion, Legitimation, Frankfurt/Main 1986, S. 123.

tische Themen trotz einer wachsenden Dritte-Welt-Bewegung kaum Wählerstim-men mobilisieren konnten.²¹⁴ Eppler gelang es nicht, andere Ressorts für die Anliegen des globalen Südens zu sensibilisieren.²¹⁵

So wirkten schon unter Epplers Nachfolger Egon Bahr (SPD, 1974–1976) wirtschaftliche Interessen im Zuge der Auswirkungen der ersten Ölkrise wieder stärker auf die Entwicklungspolitik ein. Der neue Bundeskanzler Helmut Schmidt schenkte Forderungen nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung, wie sie u. a.

Nyerere vorbrachte, kein Gehör. Die Regierung zielte darauf ab, neue Rohstoff-quellen zu erschließen und Arbeitsplätze in der Industrie trotz Nachfragerück-gang zu erhalten. Der Grundsatz, dass westdeutsche Gelder bei Warenhilfe un-gebunden zu sein hatten, wurde „im Rahmen der entwicklungspolitischen Vertretbarkeit“²¹⁶durch Ausnahmen für Consultingleistungen, Schiffs- und Lo-komotivbau sowie andere „sensible Wirtschaftszweige“, die Exporteinbrüche verzeichneten, aufgeweicht.²¹⁷ Die bundesdeutsche Bearbeitung der kapitalisti-schen Überproduktionskrise traf sich mit dem Interesse auf tansanischer Seite, bereits defekte chinesische Lokomotiven zu ersetzen oder Maßnahmen zu setzen, um die Abhängigkeit von Ölimporten zu verringern. 1975 drängte Nyerere die BRD, prioritär in die Erschließung tansanischer Kohle- und Eisenerzvorkommen zu investieren.²¹⁸Investitionen mit westdeutscher Beteiligung, darunter die Erkun-dung von Uranvorkommen, die Beschaffung von Eisenbahnlokomotiven oder der Bau einer Papierfabrik²¹⁹wurden geplant bzw. weiter umgesetzt. Die bisherigen Ergebnisse der tansanisch-deutschen Kooperation waren jedoch ernüchternd.

1972, zur Blütezeit der Dependenztheorie an der Universität Dar es Salaam, übten Wissenschaftler in der tansanischen Presse scharfe Kritik am Bau der be-reits erwähnten Düngemittelfabrik, die zu diesem Zeitpunkt das größte Indu-strieprojekt in Tansania darstellte. Statt Importe zu substituieren, machte das Vorhaben weitere Importe und Investitionen notwendig, die durch die Aufwertung der D-Mark noch deutlich teurer ausfielen als geplant. Gleichzeitig sank der Weltmarktpreis für Dünger und dadurch die Exporterlöse, die Tansania sich von dem Ausmaß der Produktion erhofft hatte. Die Düngemittelfabrik stand

symp- Nuscheler 1995 zit. nach Ziai, Globale Strukturpolitik, S. 96.

 Elshorst, Organisation, S. 20–21.

 BArch Koblenz, B 102/216260, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit Schlei an Wirtschaftsminister Lambsdorff, Bonn, 7.10.1977.

 Siehe z.B. BArch Koblenz, B 102/178519 Bd. 8,Vermerk über Staatssekretär-Besprechung am 24.2.1977; ebd., B 102/216270, Preuß an German Airport Equipment, Bonn, 27.3.1979.

 BArch Koblenz, B213/7682, BRD-Botschaft an AA, Dar es Salaam, 10.12.1975.

 PAAA, C 6115, Botschaft der DDR in der VR Tansania,„Jahresanalyse 1978“, Dar es Salaam, 5.1.1979, Fol. S. 161–162.

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tomatisch für Fehlplanungen und die Vertiefung statt Überwindung von Abhän-gigkeiten vom Weltmarkt und westlichen Konzernen.²²⁰ In der BRD-Botschaft wuchs die Angst vor Skandalen, der Zerstörung des westdeutschen Rufs und der Belastung der politischen Beziehungen nicht nur aufgrund der Düngemittelfa-brik, sondern auch aufgrund einer „Häufung“ von „Wucher- und Scheinge-schäfte[n]“,„bei denen letzten Endes immer Tansania der Verlierer“war. So ex-portierten etwa einige bundesdeutsche Firmen völlig unbrauchbare Maschinen aus dem 19. Jahrhundert.²²¹ Die deutschen ExpertInnen vor Ort sprachen sich wiederholt ausdrücklich gegen kapitalintensive Vorhaben aus, die nur der deut-schen Wirtschaft nutzten, aber kaum Effekte in Tansania, insbesondere der Schwerpunktregion Tanga, versprachen. Dazu gehörte etwa der Straßenbau in Lushoto–der dann trotzdem durchgeführt wurde.²²²

Die Spannungen zwischen den Netzwerken„alteingesessene[r] Wirtschafts-kreise“und VertreterInnen entwicklungspolitischer Positionen, die auch in der Botschaft anzutreffen waren, bestanden fort.²²³ Der „gute deutsche Name in diesem Lande“war gleichwohl von der Kritik an den Investitionen und unlauteren Firmenpraktiken nicht gefährdet, wie die Botschaft berichtete: Nyerere war nach wie vor von der Qualität westdeutscher Erzeugnisse überzeugt; schon in den 1960er-Jahren hatte er die Anweisung gegeben, „bei staatlichen Maschinenbe-stellungen Deutschland erste Priorität zu geben“und diese Anweisung 1971 für alle staatlichen Unternehmen wiederholt–womöglich einmal mehr, um die Ab-hängigkeit von Großbritannien weiter zu verringern.²²⁴Zu diesem Zeitpunkt be-standen jedoch bereits fünfzehn Prozent der tansanischen Auslandsverschuldung in deutschen Guthaben. 1976 schwang sich die BRD kurzzeitig zum größten Au-ßenhandelspartner Tansanias auf.²²⁵ 18,1% aller tansanischen Exporte gingen nach Westdeutschland, während umgekehrt 15,4% aller tansanischen Importe aus der BRD stammten, was nur von Großbritannien übertroffen wurde.²²⁶Aus

 Andrew Coulson, Tanzania’s Fertilizer Factory, in: Andrew Coulson, Hg., African Socialism in Practice. The Tanzanian Experience, Nottingham 1979, S. 184–190.

 BArch Koblenz, B 213/7675, BRD-Botschaft an AA, Dar es Salaam, 22.9.1971.

 BArch Koblenz, B 213/33047, H. (TIRDEP) an BfE, Tanga, 5.11.1974.

 BArch Koblenz, B 213/7672, BRD-Botschaft an AA, Dar es Salaam, 9.8.1969, S. 7–8.

 BArch Koblenz, B 213/7672, Anlage zum Schreiben der BRD-Botschaft an AA, Dar es Salaam, 9.8.1969, S. 8.

 Röhnelt, Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe, S. 59–60; Wirth, Aspekte, S. 37.

 Röhnelt, Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe, S. 59–60, 7072. Deutsche Firmen in Tansania bzw. Firmen mit Beteiligung mit Kapital aus der BRD waren (Stand 1974) z.B. Gauff KG, Kilimanjaro Textile Corporation, Lufthansa, Simba Plastics oder Tanganyika Sisal Spinning Co.

Ltd. (TASCO). Deutsche Beteiligungen gab es auch an Großfarmen und Plantagen. Siehe Schneider-Barthold, Tanzania, S. 229–230.

bundesdeutscher Perspektive blieb Tansania jedoch eine wirtschaftliche Margi-nalie. Die bundesdeutschen Privatinvestitionen nach Tansania hatten bis 1977 DM 23,9 Millionen ausgemacht, was nur 1,1 Prozent der vorwiegend nach Südafrika und Libyen gehenden Direktinvestitionen am Kontinent entsprach.²²⁷ Auch die Bedeutung der„Entwicklungshilfe“als Subvention für strauchelnde BRD-Wirt-schaftszweige war in anderen Ländern weitaus umfassender als in Tansania, wie z. B. Lieferungen der exportorientierten Lokomotivbauindustrie im Rahmen von Warenhilfeprogrammen belegen.²²⁸

Scharfe Kritik von tansanischer Seite musste die BRD bis 1974 für ihre Be-ziehungen zur Kolonialmacht Portugal (die als NATO-Verbündeter militärische Hilfe und als„Entwicklungsland“Entwicklungshilfe aus der BRD erhielt) und zu den weißen Minderheitsregimen in Rhodesien und Südafrika hinnehmen. Die DDR wurde nicht müde, die BRD anhand dieser Beziehungen als imperialistisch zu„entlarven“.²²⁹Publizistische Kreise in Tansania–einige Journalisten hatten Seminare und Studiengänge in der DDR absolviert–stimmten in die Kritik ein, aber nur wenige PolitikerInnen sahen darin einen zureichenden Grund, um die Beziehungen mit der BRD infrage zu stellen oder auch nur entscheidend zu be-lasten. Nyerere versuchte bisweilen gar zu vermitteln. Die in Dar es Salaam an-sässige Führung der mosambikanischen FRELIMO etwa verweigerte bis 1973 ka-tegorisch die Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Tansania.²³⁰ Der Vorsitzende der FRELIMO Samora Machel ging Treffen mit FES-Vertretern aus dem Weg, obwohl Nyerere ihm mehrmals zur Kontaktaufnahme geraten hatte.²³¹ 1976 gewann Tansanias geostrategische Position nochmals an Bedeutung.

Die sozialistische Orientierung Angolas und Mosambiks nach den

Unabhängig- Rolf Hofmeier Möglichkeiten und Grenzen deutscher Entwicklungspolitik gegenüber Afrika, in: Helmut Bley/Rainer Tetzlaff, Afrika und Bonn: Versäumnisse und Zwänge deutscher Afrika-Politik, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 192–253, hier: S. 247.

 Siehe Dokumente über das Rehabilitierungsprogramm für die Tazara-Bahn in PAAA, ZW 125228

 Schleicher, Afrika in der Außenpolitik der DDR, S. 25; siehe auch PAAA, AV Neues Amt 13466, BRD-Botschaft Tansania, Länderaufzeichnung über die Vereinigte Republik Tansania, Stand 1.3.1976.

 PAAA, B58 III B 2/1069, BRD-Botschaft der an AA, Dar es Salaam, 8.12.1970. Das entspre-chende Interview hatten DED-Entwicklungshelfer mit Samora Machel geführt.

 FES-Schreiben vom 27.3.1973 zit. nach Volker Vinnai, Demokratieförderung in Afrika. Die Zusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung mit politischen Parteien und Befreiungsbewegun-gen in Afrika. Schriftenreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung, Münster 2007, 38. Die Opposition im Bundestag hatte zudem auch kräftig gegen mögliche Zusammenarbeit mit den „kommunisti-schen/marxistischen Terroristen“polemisiert. Zum Verhältnis der BRD zu Portugal siehe auch Lopes, West Germany.

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keiten 1975 machte offensichtlich, dass der Westen im südlichen Afrika an Boden verlor; gleichzeitig setzte sich der Befreiungskampf gegen die weißen Minder-heitsregime in Südafrika und Rhodesien fort. Wie unter der US-amerikanischen Carter-Regierung, die nach dem Desaster in Vietnam auf Diplomatie setzte, wurden auch in der BRD Gruppen einflussreicher, die auf eine Annäherung setzten. Entwicklungsministerin Marie Schlei (SPD, 1976–1978) knüpfte 1976 Kontakte zu Befreiungsbewegungen wie dem ANC–die laut Protesten der kon-servativen Opposition nach wie vor als „terroristische Organisationen“ einzu-stufen waren – und schaffte es, eine Erhöhung der Mittel für die Gruppe der

„Konfliktrandstaaten“ (Frontline States) im südlichen Afrika durchzusetzen.

Während Schleis Amtszeit wurden die Mittel für diese Länder vervierfacht.²³² Zehn Prozent aller Mittel, die afrikanischen Ländern in bilateralen Abkommen zugesagt wurden, waren Tansania gewidmet.²³³

Diese umfassenden zugesagten Mittel wurden jedoch nie voll ausgeschöpft.

Eine Unterscheidung zwischen Zusagen und Verwendung lässt die zunehmende Überforderung der tansanischen Bürokratie mit der Verwaltung der westlichen Transfers kenntlich werden. 1977 wurden nur 75 Prozent der geplanten BRD-Ent-wicklungshilfegelder ausgegeben,„weil die tansanischen Partner […] keine hö-heren Geldmengen absorbieren konnten“.²³⁴Aus bundesdeutscher Sicht lag die Ursache der fehlenden „Absorptionskapazität“, wie die zweckgerechte Verwen-dung von Ressourcen im technizistischen Jargon des Feldes genannt wird, in der tansanischen Verwaltung, während Tansania (und andere Empfängerländer) das bundesdeutsche „Antragsprinzip“ kritisierten, demzufolge Entwicklungshilfe immer nur auf Basis einzelner Projektanträge vergeben wurde und somit im Ge-gensatz zu Rahmenkrediten einen enormen bürokratischen Aufwand verursachte.

In der Praxis²³⁵wurde das Antragsprinzip zudem oft umgekehrt:„Die deutschen Regierungsdelegationen kamen ja schon mit unterschriftsreifen Projektvor-schlägen an, immer“, erinnerte sich ein ehemaliger BMZ-Beamter, der in seiner Zeit als GTZ-Projektleiter auch Anträge für die tansanischen Institutionen aus-formulierte:

 Bohnet, Geschichte, S. 87–89.

 Röhnelt, Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe, S. 43–44.

 Ebd., S. 69–70.

 Wie weiter oben beschrieben wurde es in den 1980er Jahren auch formell möglich, dass die BRD die Vorschläge einbrachte.

Alle Papiere, die nach Deutschland gehen, habe ich geschrieben. […] Diese sogenannten Regierungsverhandlungen waren ja keine Verhandlungen. Die Summe stand schon fest, alles, das war schon im Haushaltsausschuss genehmigt, bevor es überhaupt anfing.²³⁶ Hauptmodus der Technischen Hilfe war bis in die 1970er-Jahre die Finanzierung, Begleitung und Durchführung von einzelnen Projekten, die in den tansanischen Fünfjahresplänen aufgelistet waren. DDR-seitig wurden diese Pläne nicht als tatsächliche Planung, sondern nur als„Programmierung“eingeschätzt²³⁷. Prak-tisch dienten Tansania die Entwicklungspläne alsaid shopping list, aus der sich Geber die ihnen genehmen Projekte herauspicken sollten. So überreichte Tansania (nach Vorabsprachen) der BRD 1977 in Hinblick auf die Periode von 1978–1981 eine Liste von sechzehn Projekten, viele davon zur Fortführung, mit der Bitte um Technische Hilfe im Wert von 133 Mio. DM.²³⁸Da Tansania unmöglich auf die Kriterien und Vorzüge aller einzelnen Geber eingehen konnte, wurden auch gleich Anfragen fürtechnical missions gestellt, die dann für die entspre-chende Detailausarbeitung der Vorhaben zu sorgen hatten.²³⁹Diese Strategie war zweischneidig: Sie erhöhte die Chancen, dass Projekte tatsächlich gefördert und umgesetzt wurden, minimierte aber den tansanischen Einfluss und jede Chance auf eine abgestimmte Gesamtplanung. Auf Planungsebene hingegen hatte sich das BRD-Personal–so eine Einschätzung der Botschaft im Jahr 1972–längst an Alleingänge gewöhnt und ging davon aus,„dass die Planung von Projekten im Wesentlichen ihre Sache sei“, mit dem Ergebnis, dass sich die tansanischen Stellen selbst dann nicht einschalten konnten, wenn sie dessen fähig und willens waren.²⁴⁰

Die tansanische Regierung versuchte wiederholt (mit Schützenhilfe einiger BRD-ExpertInnen, die vom Ideal der Partnerschaftlichkeit auf Augenhöhe über-zeugt waren), einen Teil der Entwicklungshilfe vom Projektprinzip auf Pro-grammhilfe umzustellen.²⁴¹Solche Rahmenkredite, wie sie die skandinavischen

 Interview #25, Ehemaliger GTZ-Projektleiter.

 PAAA, MfAA, B 272/74, Generalkonsulat der DDR in der VR Tansania,„Bericht zu einigen Problemen des Planungssystems in der VRT/Festland“, Dar es Salaam, 16.8.1969.

 Röhnelt, Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe, S. 116–117.

 BArch Koblenz, B 102/86803, Principal Secretary Treasury an BRD-Botschafter, Dar es Sa-laam, 22.9.1969.

 BArch Koblenz, B 213/7678, Müllenheim (BRD-Botschaft) an AA, Dar es Salaam, 19.7.1973. Die

 BArch Koblenz, B 213/7678, Müllenheim (BRD-Botschaft) an AA, Dar es Salaam, 19.7.1973. Die