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Texte und Abbildungen vermitteln mediale Vorstellungen von der geord-neten Welt ländlicher Kleidung. Sie entstanden aus den selben Zusammen-hängen, sie bedienten sich ähnlicher Mittel, sie spielten von Anfang an zusammen. Die Topik der Texte und die Typik der Abbildungen entwickel-ten sich zu einer persisentwickel-tenentwickel-ten Eindrücklichkeit und formentwickel-ten nachhaltig die Bilder vestimentären Landlebens.

Sie stehen nacheinander für feudale, aufklärerische, romantische, nationa-listische und historistische Zielsetzungen. Sie erheben ein ihrem Medium entsprechendes Realitätspostulat und verschleiern ihre Historizität. Ihre stete Wiederholung in immer wieder angepassten Formen machte sie zum Teil eines kulturellen Gedächtnisses. Sie wurden Elemente eines landes-nationalen Symbolsystems und konnten gleichzeitig als regionale

371 Beispielsweise bei Walter Wörtz: Trachtengraphik in Schwaben, S. 3.

372 Eingehend mit den Funktionen der Staffage befasst sich: Gudrun König: Eine Kulturge-schichte des Spazierganges. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780–1850. Wien, Köln, Weimar 1996.

zungen genutzt werden. Sie bedienten in ihrer Geschlechterrepräsentation das Modell des idealen Wirtschaftspaares genauso wie das des Konserva-tismus der Frauen und der Fortschrittlichkeit der Männer. In der Konzentra-tion auf die weiblichen Formen der Kleidung zeichnet sich ein Interesse der Autoren an einer Differenzkonstruktion zu ihrer männlich bürgerlichen Ausgangskultur. Die Frauen verkörpern darin vergleichbar zu anderen fremden Kulturen das Exotische, das Andere. Das ermöglichte und verstärk-te gleichzeitig die Darsverstärk-tellung von erotischen Komponenverstärk-ten, die in sozial entfernten Gesellschaftsschichten leichter thematisiert werden konnten.373 In der Darstellung weiblicher, ländlicher Kleidungsformen findet eine bürger-liche Projektion erotischer Wünsche statt. Die Entblößung sonst bedeckter Körper- oder Kleidungsteile kann dazu genauso gezählt werden wie die Hervorhebung sekundärer Geschlechtsmerkmale. Die adverbiale Bestim-mung der Steinlachtälerin mit „niedlich“ und die Blicklenkung auf ihren kurzen Rock, die seit J. D. Memminger ihre Beschreibung begleiten, und die damit korrespondierenden graphischen Darstellungen des Motivs zeigen Anteile an einem solchen Diskurs. Im Begriff des Niedlichen liegen darüber hinaus Bedeutungen, die auf eine weitere Funktion in der Thematisierung ländlicher Kleidung hinweisen. „Niedlich“ ist nach dem Deutschen Wörter-buch alles, was durch seine Kleinheit, Zierlichkeit und Artigkeit Eindruck auf die Sinne macht, reizend ist.374 Die ländliche Erscheinungsweise wird mit diesem Attribut einerseits überhaupt erst ästhetisch wahrgenommen im Sinne einer sensualistischen Ästhetik,375 andererseits durch die diminutive Form des Ästhetischen gleichzeitig klein gehalten. Die ästhetische Aneig-nung weist mit der BetoAneig-nung des Niedlichen und der damit einher gehenden Verkleinerung schon Wesensmerkmale des Kitsches auf, der erst später im 19. Jahrhundert wichtiger Bestandteil der Trachtenbilder sein wird.

Mit der ästhetischen Aneignung der ländlichen Kleidung in Form von Trachten geht auch die Absicht einher, die bäuerliche Bevölkerung als ge-sellschaftliche Gruppe zu vereinnahmen und soziale Gegensätze in einem

373 Vgl. Richard R. und Caroline Brettell: Erotik und Unschuld: Sex und Liebe im Bauern-bild. In: Dies.: Bäuerliches Leben. Seine Darstellung in der Malerei des 19. Jahrhunderts.

Genf 1984, S. 107–118.

374 Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 7. Leipzig 1889. Bearbeitet und herausgegeben von Dr. Mathias von Lexer. Unter dem Stichwort „niedlich“ findet sich auch ein Hinweis auf Schlegel, der (in seinen Vorl. 1.63,12) das Niedliche und Zierliche eine Unterart des Schönen nenne.

375 Zur sensualistischen Ästhetik vgl. Robert Jütte: Geschichte der Sinne. München 2000.

Besonders das Kapitel: Die Ästhetisierung der Sinne. S. 156–171. Den Einfluss der Emp-findsamkeit auf die Wahrnehmungsweisen der Reise- und Landesbeschreibungen und auf die künstlerische Bearbeitung der empfindsamen Wahrnehmung, die sich sicherlich für das Thema der historischen Kleidungsbeschreibung in Württemberg nachweisen ließe, kann diese Arbeit leider nicht weiter verfolgen.

Ordnungsschema aufzuheben. Die Überrepräsentanz weiblicher Motive kann in diesem Zusammenhang auch als Übertragung weiblicher Eigen-schaften376 auf die ländlichen Gesellschaftsschichten gedeutet werden und weist auf ihre soziale Entmächtigung bei gleichzeitiger symbolischer Erhö-hung.377 Vitalistische Konzepte treten demgegenüber eher zurück oder konnten sich gegen die Dominanz der Prägung dieser Motive durch die Auffassungen des Rokoko nicht stärker durchsetzen.

Mit dem Interpretament der Exotisierung ist nur ein Teilbereich dieser Vorgänge beschreibbar. Denn sie kann hier nur den Teil abdecken, der das Interesse an einer gesellschaftlich weit entfernten Gruppe und ihre nachfol-gende ästhetische Aufwertung betrifft. Den Vorgang des Entwurfs eines idealen Untertanen kann es aber nicht vollständig beschreiben. Denn hier sollte ja gerade nicht das Fremde entdeckt und idealisiert werden, sondern das Eigene herangeholt und eingebunden werden. Dieses Konzept ist dem der Exotisierung streckenweise stark verwandt, aber es ist nicht deckungs-gleich.378 Denn es betont in allem das Eigene.

Die Formel von der „Lesbarkeit der Welt“, mit der die Erzeugung kultu-reller Ordnungsschemata oft erklärt wird, greift für diese Vorgänge eben-falls zu kurz, wenn sie nur als Wunsch der Welterklärung interpretiert wird, denn sie sind eigentlich kulturelle Antizipationen gesellschaftlicher Wunschzustände, eben vestimentäre Wunschbilder. Diese verbinden in sich unterschiedliche Aktualisierungen und Konstrukte. Sie vereinen in sich Herzog Carl Eugens Entwurf einer loyalen Untertanenschaft und König Wilhelms I. Versuch einer national kulturellen Einheit. Ebenso enthalten sie die Vorstellungen der bürgerlichen Aufklärung vom „Volk“ und das Bemü-hen des nach-revolutionären Bürgertums in der zweiten Jahrhunderthälfte um eine Gesellschaftskoalition mit den Bauern gegen das Proletariat.

Die Persistenz der Typologie wird durch immer wieder vorgenommene Anpassungen auf der Form- und auf der Bedeutungsebene unterstützt. Texte und Abbildungen geraten dabei nie in Widerspruch, weil sie von Anfang an

376 Insbesondere die Koppelung des Weiblichen mit dem Natürlichen befördert diesen Vor-gang. Vgl. Rita Morrien: Sinn und Sinnlichkeit. Der weibliche Körper in der deutschen Literatur der Bürgerzeit. Köln 2001. Besonders Kap: Die Naturalisierung der Geschlech-terdifferenz im 18. Jahrhundert. S. 11–15.

377 Zur symbolischen Form des weiblichen Körpers vgl. die grundlegende Studie von Marina Warner: Monuments & Maidens. The Allegory of the Female Form. Hier besonders S.

XXf. und Kap.11. Ebenso: Sigrid Schade, Monika Wagner, Sigrid Weigel (Hg.): Allego-rien und Geschlechterdifferenz. Köln 1994.

378 Konrad Köstlin hat zwar einleuchtend die Vorgänge der Exotisierung des Nahen be-schrieben, aber das Feld der Politik scheint mir damit nicht ausreichend beschrieben.

Konrad Köstlin: Exotismus des Nahen: das Abenteuer der Nähe. In: Kleiner Grenzver-kehr. Deutsch-französische Kulturanalysen. Hg. von Utz Jeggle, Freddy Raphael. Paris 1997, S. 35–48.

mit einander verknüpft sind, auch dort, wo sie nicht gemeinsam auftreten.

Friedrich August Köhler gab mit seinem kleinen Hinweis, dass die Stein-lachtalerinnen besser im Kalenderkupfer zu besichtigen seien als von ihm zu beschreiben379, den Hinweis auf die gegenseitige Durchdringung der Medien. Letztendlich bedeutet dies, dass von einer verbundenen Wahrneh-mung, das heißt von einem intermedialen Zusammenspiel und gegenseiti-gen Verweischarakter von Bild und Text ausgegangegenseiti-gen werden muss. Was Armin Griebel für Bayern in der Zeit nach 1850 beschreibt380, nämlich den direkten Übergang von graphischen Vorlagen in ethnographische Beschrei-bungen, also nicht als Illustration, sondern als Information, muss für Würt-temberg schon für das Ende des 18. Jahrhunderts angenommen werden und ist in beiden Fällen grundlegend für die hier dargelegte These der Persis-tenz.

Die schon angesprochene Problematik der Zugänge zum historischen All-tag von Kleidung auf dem Land stellt sich also nicht nur in der Analyse einer einzelnen Quellengattung, sondern sie betrifft alle aufgeführten Quel-len.381 Sie ist demnach durch eine Quellenkombinatorik nur bedingt aufheb-bar. Denn ihre Informationen sind verbunden durch die gemeinsamen Inte-ressenhorizonte und die Paradigmen der jeweils herrschenden Schicht.

Trotz ihrer beinahe tautologischen vestimentären Aussagen, hervorgerufen durch ihre Intermedialität, können diese Quellen ein wichtiger Teil histori-scher Kleidungsforschung sein, wenn man sie als Diskurse interpretiert und die Einflüsse der Diskurse auf die Ebene der Praxis einbezieht.

379 „Die Kleidungsart der Steinlacher Mädchen hat etwas eigenes und luxuriöses wegen der vielen angehängten seidenen Bänder von allen Farben. Man findet sie in dem Hofcalender für 1789 am besten abgebildet.“ Friedrich August Köhler, Albreise, S. 62. Köhler wollte damit vermutlich auch auf die sachliche Richtigkeit der Abbildung im Hofkalender ver-weisen und auf seine Belesenheit, wenn er eine solche Publikation erwähnt.

380 Armin Griebel: Tracht und Folklorismus in Franken. Bd. 1. Würzburg 1991, S. 115f 381 Das gilt auch für die hier nicht herangezogenen, weil zeitlich später angesiedelten,

soge-nannten Konferenzaufsätze, auf deren leitende Perspektiven und ihre Abhängigkeit von den bestehenden (Kleidungs-) ethnographischen Texten Gabriele Mentges bereits hinge-wiesen hat. Gabriele Mentges: Auf den Spuren Karl Bohnenbergers und der frühen volks-kundlichen Forschungen zur Sachkultur. Konferenzaufsätze als Quelle für die Erfor-schung ländlicher Kleidungskultur. In: Berichte zur Volkskunde in Baden-Württemberg.

Bd. 6. Stuttgart 1995, S. 7–40.

Liste der Abbildungen:

1789: Kalenderbilder im Wirtembergischen Hofkalender, darin: „Ein Maedchen von der Steinlach“

1793: Illustration in Hausleutners „Schwäbisches Archiv“, darin: Ein Mädchen von der Steinlach“

1812: Tafeln mit „National Trachten des Königreichs Wirtemberg“ in Röders „Neueste Kunde von dem Königreiche Wirtemberg“

1820: Dieselben in Memmingers Ausgabe der „Neueste Kunde…“

1814: Carl von Heideloffs Serie von Aquarellen für die königliche Sammlung, darin: „Aus dem Oberamt Tübingen“

1824: Aquatintaradierungen der Heideloff Vorlagen von der Ebner-schen Kunsthandlung in Stuttgart herausgegeben, darin: „Aus dem Oberamt Tübingen“

1830: Neue Reihe der Ebnerschen Kunsthandlung unter Verwendung der Heideloff Vorlagen. Darin: 2 mal „Aus dem Oberamt Tübingen“

und erste Graphik mit „Oberamt Reutlingen“ in Anlehnung an das Mo-tiv aus dem Steinlachtal

1841: Festzug der Württemberger unter der gestalterischen Mitwirkung von Carl Alexander und Manfred Heideloff

Um 1850: Blätter mit württembergischen Motiven bei Carl Jügel. „Tü-bingen – E„Tü-bingen“

Um 1850: Blatt „Württemberg“ verschiedene Trachtenpaare und ein Brautwagen repräsentieren Württemberg

1876: „Württembergische Landes-Geschichte“ mit Trachtengraphiken 1888: „Illustrierter Atlas des Königreichs Württemberg“ mit Trachten-graphiken

1941: Bruhn/Tielke: Das Kostümwerk. Tafel „Württemberg“

III. Inventarisierter Kleidungsalltag

Nach der Untersuchung der Idealisierungen soll nun mit Hilfe anderer In-formationssysteme Einblick in den historischen Alltag ländlicher Kleidung genommen werden. Auf der Grundlage archivalischer Überlieferungen werden neue Einsichten in Bestand und Entwicklung ländlicher Kleidung zwischen 1750 und 1850 gesucht.

Materiell betrachtet sind die Realien dieses Kapitels in der Regel ebenso nur auf Papier erhalten wie die des vorigen. Ihr anderer Charakter, im Ver-gleich zu den bisher behandelten Quellen, begründet sich aus ihrem Zustan-dekommen und ihrem Entstehungsinteresse. Die Inventare mit ihren Klei-derlisten, die hier im Mittelpunkt stehen sollen, sind zwar ebenso obrigkeit-liche Quellen wie die Landesbeschreibungen, ihr Zweck ist aber ein ganz anderer. Sie sind Besitzbeschreibungen aus steuer- und privatrechtlichem Interesse und haben von daher ihr wichtigstes Ziel in der Zählung, Identifi-zierung und Wertbestimmung des Vorgefundenen. Ihr objekt- und wert-bezogener Blick auf die Dinge eines Haushalts erlaubt der heutigen For-schung einen unmittelbareren Zugriff auf die Dinge des Alltags als andere Quellen.

Dennoch ist mit den Inventaren auch nur ein eingeschränkter Blick auf die in ihnen verzeichneten Dinge möglich. Das ergibt sich aus dem Charak-ter dieser Listen. Auf Grund der württembergischen Gesetzgebung zum realteiligen Erbrecht382 wurden Inventare des gesamten Besitzes bei der Heirat, beim Tod eines Ehepartners, nach dem Tod beider Ehepartner oder eines ledigen Erblassers und bei Vermögensübergaben notwendig. Inner-halb des Vorgangs der Vereinigung zweier Personen zu einer neuen Le-bensgemeinschaft sollte deren jeweiliger Anteil, ihr „Beibringen“ in seiner Zusammensetzung und seiner Wertigkeit kenntlich gemacht werden. Im Falle des Todes eines Partners, beider Partner, einer Scheidung oder einer Vermögensübergabe konnten der Zugewinn und das bei der Heirat Einge-brachte wieder unterschieden werden und zu neuen Listen für die (Erb-) Teilung verarbeitet werden. Aufgestellt wurden die Inventare von den örtli-chen Amtspersonen und dem Amtsschreiber bzw. den Vertretern des nächstzuständigen Amtsnotariats.383 Ein fremder Blick richtete sich auf die Sachen und in eine fremde Ordnung wurden sie danach eingefügt. Die

382 In Württemberg war die Erbfolge nach dem Prinzip der Realteilung, also einer gleichbe-rechtigten Erbteilung, geregelt, im Gegensatz zum Anerbenrecht, bei dem nur ein jeweils bevorrechtigter Erbe den Hauptteil der Erbmasse erhielt.

383 Während des Untersuchungszeitraums wurden in Württemberg die Verwaltungsvorgänge reformiert und das alte Schreiberwesen in eine neue Behördenhierarchie überführt. Vgl.

Alfred Dehlinger: Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung bis heute. Bd. 2. Stuttgart 1952, S. 962f.

nungsgemäße Aufnahme war gesetzlich geregelt und die Durchführung in der Schreiberausbildung und in Rechtskommentaren vorgegeben. Die Ta-xierung der Dinge und die Verfertigung der Listen waren nicht in das Belie-ben der örtlichen Behörden gestellt. Die Vollständigkeit der Aufnahme aller Fahrnis, also aller nicht wandfest angebrachter Dinge, war die Vorausset-zung für den geregelten Ablauf jeder späteren Vermögensaufteilung. Unter-scheidungsmerkmale wurden also nur dort vermerkt, wo es für die Wieder-erkennbarkeit der Objekte notwendig war.

Wir blicken dadurch bildlich gesprochen heute in die Kleiderkästen, aber die stehen in schlecht beleuchteten Räumen und die meisten Kleidungsstü-cke darin sind zusammengefaltet. Farben sind also nur eingeschränkt er-kennbar, Schnitte gar nicht. Dafür finden sich aber viele Materialien und vor allem Wert und Anzahl der Stücke, denn diese Parameter bestimmten die Beschreibungen in den Listen. In der Zusammenstellung der Teile las-sen sich dann Kleidungsstile erkennen. Mit vielen kleinen Zusatzinformati-onen der Akten ergeben sich Hinweise auf die Bedeutung der Kleidung in der Ökonomie des Haushalts, und damit konturieren sich auch die Binnen-beziehungen von Ehe und Familie und die historischen Geschlechterver-hältnissen auf dem Land.384

Die Konzentration auf die Heiratsinventare, die sogenannten Beibringens- und Zubringensinventare betont im Gegensatz zur sonstigen vestimentären Inventarforschung den Moment des Zeitgemäßen. Sterbfallinventare (Eventual- und Realteilung in Württemberg) und Testamente können dem-gegenüber immer nur bereits vergangene Wertigkeiten vermitteln. Würt-tembergs Aktenüberlieferung kann mit ihrer Besonderheit, den seriell vor-handenen Heiratsinventaren, der Sachkulturforschung neue Einblicke in die jeweils aktuellen ländlichen Sachuniversa gewähren. Denn die Heirat ist nicht nur ein biographischer Schwellenpunkt, sondern war auch der Zeit-punkt, an dem die materielle Grundausstattung eines neuen Haushaltes soweit zusammengebracht werden sollte, dass eine selbständige Ökonomie beginnen konnte. Das Zeitgemäße bezeichnet also nicht in erster Linie das Innovative, sondern das, was zum jeweiligen Zeitpunkt für die Lebensfüh-rung zusammengebracht werden konnte. Es kann deswegen neue, neuartige, gebrauchte und alte Dinge umfassen.

Die Inventare enthalten in der Regel nicht sehr viele einzelne Posten, denn ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung besaß bei der Heirat und

384 Einblicke in die somatischen Verhältnisse, die bei der Beschäftigung mit Kleidung nahe liegen und hier auch gelegentlich angedeutet werden, sind mit Inventaren allein nur schwer möglich. Hier führen kombinatorische Studien weiter. Vgl. Christel Köhle-Hezinger: Der schwäbische Leib. In: Dies., Mentges (Hg.), Der neuen Welt ein neuer Rock, S. 59–80.

auch später nur einen kleinen überschaubaren Bestand an Dingen. Für die Kleidung hieß das vor allem, eine doppelte Grundausstattung zu haben, damit ein Wechsel möglich war. Die selbstverständlich auch vorhandenen reichhaltigen Inventare sollten nicht über den grundsätzlich knappen Be-stand an Kleidung hinwegtäuschen. So wie die großen Vermögen nicht darüber hinweg täuschen sollten, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich mit einem geringen Vermögen von wenigen hundert Gulden und vielfacher Verschuldung abfinden musste.

Die Überprüfung der vestimentären Idealisierungen in den realen Besitz-verzeichnissen bildet den Spannungsbogen dieser Arbeit. Dabei werden die Idealisierungen durch einen Trachtenkanon, den die Regionalgeschichts-schreibung vorgelegt hat, noch verstärkt. Mit ihm befasst sich als eine Art Vorlauf das erste Kapitel. Das zweite Kapitel widmet sich dann den Befun-den aus Befun-den Kleiderlisten. Im Vordergrund wird dabei der bisher wissen-schaftlich noch nicht behandelte Dusslinger Bestand stehen. Exemplarisch lassen sich dort historischer ländlicher Kleidungsbesitz und Kleidungsstil erforschen. Im Wechsel der historischen Bedeutsamkeit von Dusslingen (bzw. Steinlachtal) und Betzingen als Trachtenorte liegt der besondere Ak-zent. Betzingen, mit dem sich schon meine Forschungen für das dortige Museum befassten, wird daher resümierend angefügt. Die Leitfragen der Auswertung der Inventare lauten: Was findet sich überhaupt darin, wie verändern sich die Dinge in der Zeit, wie stehen sie zum Trachtenkanon, was ergibt der Binnenvergleich von Dusslingen und Betzingen. Das dritte Kapitel dient der Zusammenfassung der Ergebnisse.