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Verwaltungsbezirke außerhalb der Amtsstruktur von 1363

Im Dokument AUF DEM WEG ZUM TERRITORIUM (Seite 183-200)

B. Die Verwaltung der Grafschaft Berg im 13. und 14. Jahrhundert

III. Die Lokalverwaltung

3. Verwaltungsbezirke außerhalb der Amtsstruktur von 1363

a) Beyenburg

Keimzelle des späteren Amtes Beyenburg war die gleichnamige, in Bergspornlage über einer Wupperschleife erbaute Burg, die am 21. März 1336 erstmals urkundlich als castrum erwähnt wird und heute bis auf wenige Spuren verschwunden ist1046. Der aufgrund des spärlichen Materials wenig aussagekräftige archäologische Befund spricht dafür, dass die Wehranlage kaum vor Beginn des 14. Jahrhunderts errichtet worden ist, Baudatum und Erstnennung dürften demzufolge nicht allzu weit auseinanderliegen1047. Der gewählte Bauplatz befand sich im nordöstlichen Winkel des Kirchspiels Lüttringhausen, das 1363 und 1365 als Bestandteil des Amtes Bornefeld erscheint1048. Direkt unterhalb der Beyenburg führte im Zuge der viel frequentierten Fernstraße Köln-Dortmund eine Brücke über die Wupper, die hier als Grenze zu dem bis 1324 kölnischen, danach märkischen Kirchspiel und Gogericht Schwelm fungierte1049. Zwischen Straße und Burg lag der seit 1189 als bergischer Besitz dokumentierte Hof Steinhaus – ein, wie der Name verrät, befestigtes Anwesen und vermutlich von Beginn an Zentrum einer größeren Villikation1050. Die zu dieser domus lapidea gehörige Kapelle hatte Graf Adolf V. von Berg in den Jahren vor 1296 den Kreuzbrüdern zur Gründung einer

1046 LAV NRW R, Jülich-Berg III R, Amt Barmen-Beyenburg, Nr. 58, S. 81a.

1047 Bedauerlicherweise hat bisher keine gründliche archäologische Untersuchung des Burggeländes stattgefunden.

Die genannten Ergebnisse beruhen auf einer Notgrabung des Jahres 1986, bei der lediglich Fundmaterial des 14./15. Jhs. zutage gefördert wurde; vgl. RECH 1987, S. 44.; HELBECK 2007, S. 125f.

1048 LACOMBLET 1863, S. 147–158, Beilage 4, hier S. 148: item villarum et parrochiarum de Doen, Wermoltzkirchen, Lutmennychusen, Reymscheit et Dabrichusen in officio de Byrnuelde; VOM BERG 1941, Nr. 1, S. 1ff. (24.08.1365).

Siehe auch oben, S. 148f.

1049 Zum Übergang des Schwelmer Gogerichtsbezirkes an die Grafen von der Mark HELBECK 1995, S. 163f.;

zur Grenzbildung im Raum Beyenburg ebd., S. 167ff. Vgl. auch DERS. 2007, S. 221ff. – Die Wupperbrücke findet, wie die Beyenburg, erstmals in der Urkunde vom 21.03.1336 Erwähnung.

1050 1189 gewährte Graf Engelbert I. von Berg dem Grafen Heinrich von Hückeswagen ein Darlehen in Höhe von 100 Mark und übergab ihm bis zur Auszahlung der Summe den Hof Steinhaus zum Nießbrauch (curtem meam quae dicitur Steinhus): KREMER 1781, Nr. 38, S. 61; vgl. HELBECK 2007, S. 121f. Die Bezeichnung curtis und die Höhe der Darlehenssumme deuten darauf hin, dass es sich schon damals um einen Herrenhof mit abhängigen Gütern handelte; aber erst jüngere Aufzeichnungen liefern die Bestätigung für diese Vermutung. Der Hof Mosblech, später selbst Mittelpunkt eines Hofverbandes mit weitreichenden gerichtlichen Befugnissen, könnte laut STURSBERG 1950, S. 17 als „Wirtschaftshof“ des Steinhauses fungiert haben.

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Ordensniederlassung übertragen1051, die schon 1304 wegen der von der Handelsstraße ausgehenden Störungen um mehrere hundert Meter nördlich auf den Beyenburg genannten Berg verlegt wurde1052. Ob allein dieser Name als Hinweis auf eine bereits bestehende Burganlage zu werten ist, erscheint eher zweifelhaft1053. Klarheit bringt erst die oben angesprochene Urkunde von 1336, durch die Graf Adolf VI. und seine Gemahlin Agnes von Kleve den Kreuzbrüdern eine Entschädigung dafür gewährten, dass sie in unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Kloster eine Burg erbaut hatten.

Beginnend mit Peter von Kalkum, officiatus tor Byenborgh, sind zwischen 1355 und 1373 in dichter Folge bergische Amtsträger auf der Beyenburg nachzuweisen1054. Dass sowohl Peter als auch seine Nachfolger Heinrich von dem Bottlenberg gen. Schirp und Heinrich von Wienhorst jeweils fast durchweg als „Amtmann zur Beyenburg“ angesprochen werden, sollte nicht dazu verleiten, schon für den genannten Zeitraum von der Existenz eines flächenhaft umgrenzten Verwaltungsbezirkes auszugehen, der in seiner Struktur mit einem der 1363 genannten bergischen Altämter vergleichbar gewesen wäre. In eine andere Richtung deutet die zweimalige Kennzeichnung Peters von Kalkum als kelner(e) to der Byenborgh in den Jahren 1356 und 13581055. Tatsächlich erweist sich das Amt Beyenburg des 14. Jahrhunderts bei näherer Betrachtung zuallererst als Kellnerei oder – um eine seit den 1390er Jahren gebrauchte Bezeichnung aufzugreifen – als „Kellneramt“, dessen Einzugsbereich weit in das benachbarte märkische Herrschaftsgebiet hinübergriff. So sprach Herzog Wilhelm von Berg, als er im Juli 1390 seinem Gläubiger Johann Sobbe zu Villigst die beiden Ämter Beyenburg und Hardenberg als Sicherheit für die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 6.000 Goldschilden benannte, von unse slosse genant die Bienburgh mit dem kelnerampte ind mit der vryheyde

1051 Es war ein Bruder Adolfs V., der Kölner Dompropst Konrad von Berg, der 1298 die Schenkung des zwei Jahre zuvor verstorbenen Grafen bestätigte und der Klostergründung eine feste rechtliche Basis verschaffte:

KREMER 1781, Nr. 210, S. 228; vgl. dazu STURSBERG 1950, S. 32; HELBECK 2007, S. 42ff.

1052 KREMER 1781, Nr. 233, S. 244ff. (18.10.1304).

1053 Am 05.07.1307 ist vom Byenberg die Rede: LAV NRW R, Kloster Beyenburg, Urk. Nr. 2. Wie so oft bei geographischen Bezeichnungen scheinen „Burg“ und „Berg“ hier austauschbare Begriffe gewesen zu sein.

1054 LAV NRW R, Berg, Manngelder, Nr. 2/Akten (1355). Zu den einzelnen Belegen siehe unten, Art. Nr. 10 (Heinrich von dem Bottlenberg gen. Schirp), Art. Nr. 33 (Peter von Kalkum), Art. Nr. 73 (Heinrich von Wienhorst). Die sich von 1373 an auftuende Lücke von 17 Jahren – nach der letzten Nennung Heinrichs von Wienhorst als amptmann to der Bijenburgh am 07.06.1373 (LAV NRW R, Berg, Manngelder, Nr. 2/Akten) ist erst am 28.07.1390 mit Ludwig von Rott wieder ein Amtsträger nachweisbar (LAV NRW R, Berg, Urk. Nr. 717) – dürfte einem Überlieferungszufall geschuldet sein.

1055 LAV NRW R, Berg, Manngelder, Nr. 2/Akten (1356, 30.11.1358).

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ind ampten die dar zu huerent1056. 1396 verzichtete Everhard von Limburg auf alle Forderungen gegenüber den Leuten, die sein Vater Johann in dem kelnerampte zur Byenburg bekummert hait1057. Aufschluss über die damalige Gestalt des Amtes Beyenburg gewährt der Sühnevertrag vom 3. November 1399, in welchem der Herzog dem Grafen Adolf II. von Kleve-Mark zwei Jahre nach der verlorenen Schlacht von Kleverhamm einzelne bisher von der Beyenburg aus verwaltete Besitzungen und Gerechtsame verpfändete. Dazu zählten die nördliche Hälfte des Kirchspiels Radevormwald ausschließlich der veistinge toe Roede, also der ummauerten Stadt und ihres Burgbanns, ferner Hof und Eigen zu Barmen, die Hofverbände Bransel und Möllenkotten, soweit sie innerhalb der Grenzpfähle der Grafschaft Mark gelegen waren, die Fischerei in der Wupper zwischen Elberfeld und Beyenburg sowie die bergischen Gerichte, Herrschaftsrechte und Güter in acht märkischen Grenzkirchspielen und darüber hinaus alle in der Grafschaft Mark oder in Westfalen ansässigen bergischen Leute1058. Die hier erstmals dokumentierte Zugehörigkeit Radevormwalds zum Beyenburger Distrikt lässt vermuten, dass die Kellnerei zu Beyenburg im direkten zeitlichen Anschluss an die Errichtung der Burg die Nachfolge einer älteren, 1301 als officium cellerarie de Rode bezeugten Hebe- und Sammelstelle in Radevormwald angetreten hat, die für die Erfassung des heterogenen bergischen Besitzes jenseits der Wupper und die Einziehung der dem Landesherrn in diesem Raum geschuldeten Naturalabgaben, Steuern und Dienstleistungen zuständig gewesen sein dürfte1059. Ein ausführlicher Exkurs erscheint daher angebracht.

Nur wenige Jahrzehnte waren seit dem Übergang fast aller westfälischen Besitzungen des alten bergischen Grafenhauses an die Altenaer Linie der Familie (um 1160) verstrichen, als erste Versuche seitens der Grafen von Berg erkennbar werden, jenseits der Wupper wieder Fuß zu fassen und im Besonderen die Positionen in der Wupper-Ennepe-Mulde und auf den anschließenden Hochflächen zu verstärken. In den Jahren vor 1189 nämlich ließ sich Graf

1056 LAV NRW R, Berg, Urk. Nr. 717 (28.07.1390). Dass es sich hier zugleich um die Erstnennung der Freiheit Beyenburg – der vor dem Burgtor entstandenen Höhensiedlung – handelt, ist in der Literatur bisher übersehen worden: Noch HELBECK 2007, S. 141 spricht von einer ersten Erwähnung im Jahr 1448.

1057 LACOMBLET 1853, Nr. 1022 (12.07.1396).

1058 CRECELIUS 1867, Beiträge, S. 213ff. (Urkunde des Herzogs Wilhelm von Berg und seiner Söhne);

LACOMBLET 1853, Nr. 1071, S. 952 (Gegenurkunde des Grafen Adolf von Kleve-Mark). Der Hinweis auf die bisherige Zuständigkeit des Beyenburger Amtmanns Johann von Wienhorst (als her Johan van Wyenhorst dat toe hebben plagh toe den Ampte van der Byenburgh) folgt im Urkundentext auf die Erwähnung der Barmer Grundherrschaft, ist aber gewiss nicht nur auf diese allein, sondern auch auf die übrigen angeführten Besitz- und Herrschaftstitel zu beziehen – selbstverständlich mit Ausnahme des ebenfalls verpfändeten Kirchspiels Mülheim an der Ruhr.

1059 WOLF 1997, Nr. 73, S. 37f. (30.11.1301).

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Engelbert I. von Berg den Fronhof zu Schwelm vom Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg pfandweise übertragen1060. Freilich war die Verpfändung nicht von Dauer, da es schon 1190 zur Einlösung des Pfandobjekts kam1061. 1235 erscheinen die Berger als Inhaber des ebenfalls in Schwelm, in unmittelbarer Nähe zum Fronhof gelegenen Oberhofes Möllenkotten, zu dem im 15. Jahrhundert 28 zinspflichtige Güter gehörten1062. Anders als der Schwelmer Hofverband blieb diese Grundherrschaft in bergischen Händen1063. Auf der Radevormwalder Hochfläche wiederum könnte, folgt man den Untersuchungen von P. A. Heuser, Remlingrade einen frühen bergischen Besitzschwerpunkt gebildet haben1064. Bestimmenden Einfluss im Raum um Radevormwald übte bis zum Ende des 13. Jahrhunderts ein Ministerialengeschlecht aus, das seinen Namen von der erzstiftischen Feste Volmarstein an der Ruhr trug und dessen Mitglieder zu den wichtigsten Gefolgsleuten der Kölner Erzbischöfe in Westfalen zählten. Die Machtstellung der Volmarsteiner gründete auf reichem Allodial- und Lehnbesitz und ihrer Funktion als Stuhlherren in zwei Freigrafschaften, darunter der Freigrafschaft Volmarstein, deren Südgrenze von (Hohen-)Limburg an der Lenne über Breckerfeld und Radevormwald bis nach Kräwinklerbrücke an der Wupper verlief.1065. Eine deutliche Schwächung erlitt die Familie, als ihr Hauptsitz im Gefolge der Niederlage des Kölner Erzbischofs bei Worringen 1288 durch den Grafen Everhard II. von der Mark erobert und teilweise zerstört wurde1066. Die Burg Volmarstein wurde zwar bis 1296 wieder aufgebaut1067, dem Druck der an Ennepe und Wupper immer offensiver auftretenden Berger konnten die Volmarsteiner aber auf Dauer nicht standhalten. Um die Wende zum

1060 Am 27.05.1189 verkündete Kaiser Friedrich I., dass Erzbischof Philipp dem Grafen Engelbert und seinen Erben die Höfe Hilden, Schwelm und Elberfeld für 576 Mark als Pfandlehen verliehen habe: LACOMBLET 1840, Nr. 517, S. 362. Der genaue Zeitpunkt der Pfandnahme ist nicht bekannt.

1061 KNIPPING 1901, Nr. 1352 (13.05.1190).

1062 ILGEN 1908, Nr. 436, S. 189f. (13.05.1235). Die zugehörigen Güter werden erstmals in der Beyenburger Amtsrechnung von 1466/67 erwähnt: CRECELIUS 1867, Beiträge, S. 233f.

1063 Vgl. zur Geschichte des Hofverbandes HELBECK 1995, S. 134ff.

1064 Vgl. HEUSER 1990, S. 142 u. 153ff., der auf den besonderen Status des Remlingrader Hofgerichts im Spätmittelalter und die rechtliche Sonderstellung der dortigen Kirche verweist. Die Kapelle zu Remlingrade, die 1183 ins Licht der Quellen tritt, ist offenbar als Eigenkirche gegründet worden. Ihr Weihename, der des hl. Pankratius, könnte auf Beziehungen zum ältesten bergischen Grafenhaus hindeuten. Die Wertschätzung der Berger für diesen Heiligen äußerte sich u. a. in der Bewidmung der Burgkapelle ihres jüngeren Hauptsitzes, Burg an der Wupper, um 1160; vgl. GERLING 1985, S. 7; KLOOSTERHUIS 1990, S. 46f.

1065 Über die Ausdehnung der Freigrafschaft Volmarstein berichtet erst eine späte Quelle, eine Grenzbeschreibung des 16. Jhs. (zuerst veröffentlicht von SCHNETTLER 1912, S. 47f., siehe auch LEHMHAUS 1933, S. 41ff.). Für die Zuverlässigkeit dieser Aufzeichnung, die auf einer älteren Vorlage beruhen dürfte, plädiert HELBECK 1995, S. 198. Ähnlich zuletzt HÖLLER 2008, S. 151ff.

1066 Vgl. ERKENS 1982, S. 241; JANSSEN 1988, Quod deinceps, S. 440 mit Anm. 180.

1067 THIER 2010, S. 21f.

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14. Jahrhundert entluden sich die Spannungen in offenen Feindseligkeiten: Am 30. November 1301 verpflichteten sich der Ritter Johann von Schwelm gen. de Curia und sein Sohn, dem Grafen Wilhelm von Berg gegen Dietrich I. von Volmarstein und alle sonstigen Feinde zu helfen1068. Über Hintergründe und Verlauf der Auseinandersetzung ist nichts Näheres bekannt. Einen willkommenen Vorwand zum Eingreifen dürfte den Bergern der Streit zwischen dem Herrn von Volmarstein und dem Kölner Gereonstift um den Hof Bransel (südöstlich von Schwelm) geboten haben1069. Im November 1301, vier Jahre nachdem die Kölner Stiftsherren das Anwesen im Tausch gegen ein unweit von Ahrweiler befindliches Gut an Dietrich abgetreten hatten, erklärten sie das Rechtsgeschäft wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen hinsichtlich der Allodialität der erworbenen Liegenschaften für ungültig und nahmen ihre früheren Besitzungen wieder an sich, um sich wenige Monate später mit der Bitte um Schutz und Hilfe an den Grafen Wilhelm zu wenden1070. Wie aus einer Klageschrift des Kölner Erzbischofs Wikbold von Holte gegen den Berger hervorgeht, beanspruchte dieser damals längst die Vogtei zu Bransel, die Wikbolds Amtsvorgänger Siegfried von Westerburg noch ungestört ausgeübt hatte1071.

Auf wirksamen Beistand seines erzbischöflichen Lehnsherrn konnte Dietrich von Volmarstein nicht zählen, war Wikbold doch im so genannten Kurfürstenkrieg (1300–1302) einer Koalition zwischen König Albrecht I. und den Grafen von Kleve, Jülich und Berg unterlegen, so dass er im Herbst 1302 einen demütigenden Friedensschluss akzeptieren musste1072. Aus dieser Perspektive erscheint die Fehde zwischen Wilhelm von Berg und Dietrich von Volmarstein als

„regionale Komponente eines Konfliktes auf reichspolitischer Ebene“1073. Sie endete mit dem Vergleich vom 18. März 1304, in dem Dietrich auf jegliches Anrecht an dem gericht van Rode

1068 WOLF 1997, Nr. 73, S. 37f. Der Ritter war vermutlich auf dem Göckinghof bei Schwelm ansässig; vgl.

HELBECK 1995, S. 142f.

1069 Vgl. HELBECK 1995, S. 132f.

1070 ILGEN 1908, Nr. 2426, S. 1161f. (22.09.1297) u. Nr. 2427, S. 1163 (24.09.1297); WOLF 1997, Nr. 70, S. 36f.

(09.11.1301), Nr. 116, S. 58f. (29.05.1302).

1071 KNIPPING 1909, Nr. 3893 = WOLF 1997, Nr. 77, S. 40 (um 1302). Die Branseler Vogtei, ursprünglich im Besitz der Grafen von Hückeswagen, hatte Heinrich von Hückeswagen, Kanoniker an St. Gereon in Köln, am 05.05.1264 seinem Stift verkauft, das den Kölner Erzbischof zum (Orts-)Vogt bestimmte: JOERRES 1893, Nr. 156, S. 158; vgl. DARAPSKY 1943, S. 185; SIMON 1984, Geschichte, S. 34. Das an den Grafen von Berg gerichtete Hilfsersuchen vom Mai 1302 bedeutete daher einen Affront gegenüber dem Erzbischof, der den Stiftsherren in ihrem Konflikt mit seinem Vasallen, dem Herrn von Volmarstein, offenbar keine ausreichende Unterstützung gewährte.

1072 Vgl. JANSSEN 1995, S. 206f.; DERS. 2000, Territorien, S. 64f.

1073 HELBECK 1974, S. 65.

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verzichtete1074. Das nicht genauer gekennzeichnete „Gericht von Radevormwald“, ursprünglich vielleicht ein Gogericht, sollte von nun an im unangefochtenen Besitz der Grafen von Berg bleiben. Auch in der strittigen Frage, welchem Stand die Nachkommen aus Ehen bergischer Hintersassen mit Frauen, die der volmarsteinischen Freigerichtsbarkeit unterlagen, angehören sollten, wurde eine Regelung zugunsten des Bergers getroffen, so wie sie bereits unter dessen Bruder, dem 1296 verstorbenen Grafen Adolf V., gegolten hatte1075. Schließlich erklärte Dietrich, wenngleich gegen eine finanzielle Abfindung, den Verzicht auf den Oberhof zu Bransel, als dessen Vogt und Herrn er ausdrücklich seinen bergischen Gegenspieler anerkannte1076.

Der bergisch-volmarsteinische Vertrag von 1304 leitete den Rückzug der Volmarsteiner aus dem Gebiet um Radevormwald ein, als dessen weitere Wegmarken der Verkauf eines Waldes und mehrerer Güter im Grenzbereich der Kirchspiele Schwelm und Radevormwald im Jahr 1307 an den Radevormwalder opidanus Ludwig gen. Starke und die Abtretung der sechs Freigüter (und späteren Sattelgüter) Im Hagen, Herkingrade, Klein-Feckinghausen, Groß-Feckinghausen, Richlingen und Osenberg mitsamt den zugehörigen Freileuten durch Dietrich von Volmarsteins Schwiegersohn Dietrich Graf von Sayn und dessen Ehefrau Sophie an Graf Adolf VI. von Berg im Jahr 1315 zu nennen sind1077. Mit der zweiten Erstürmung der Burg Volmarstein (1324) und dem Übergang von Burg und Freigrafschaft Volmarstein sowie des Gogerichts Schwelm an die Grafen von der Mark schied die Familie endgültig aus den Machtkämpfen zwischen Ruhr und Wupper aus1078.

1074 WOLF 1997, Nr. 310, S. 164. Anders als hier vom Bearbeiter, M. Wolf, in seinem Urkundenregest angegeben, handelte es sich nicht um den Verzicht auf die „Freigrafschaft zu Radevormwald“, sondern lediglich um aus der volmarsteinischen Freigrafschaft abgeleitete, in Radevormwald geltend gemachte Rechte.

1075 Bemerkenswert ist, dass Adolf V. schon im Jahr 1282 von König Rudolf von Habsburg ein Urteil zur Standesangehörigkeit jener Kinder erwirkt hatte, die aus einer Verbindung von Freibauern mit bergischen Vogtleuten hervorgegangen waren: BÖHMER 1969, Nr. 343, S. 244 (13.02.1282). Auch wenn das Urteil allgemein gehalten ist, wird die Annahme nicht zu gewagt sein, dass nicht zuletzt die Gemengelage bergischer und volmarsteinischer Rechte um Radevormwald den Grafen Adolf zu seinem Rechtsersuchen veranlasst hat.

1076 Dem Oberhof Bransel waren Mitte des 16. Jhs. 26 Höfe unterstellt, von denen 22 im Kirchspiel Schwelm und vier im Kirchspiel Radevormwald lagen. Ob der Hofverband bereits im 14. Jh. in ähnlicher Form bestanden hat, ist nicht geklärt; vgl. HELBECK 2007, S. 230.

1077 KRUMBHOLTZ 1913, Nr. 279a, S. 103f. (um 1307) = WOLF 1997, Nr. 514, S. 291f.; DERS. 2000, Nr. 1195, S. 689f. (23.05.1315). Neben den sechs genannten Freigütern im Kirchspiel Radevormwald erwarb Graf Adolf VI. 1315 auch Freigüter in den Kirchspielen Schwelm, Breckerfeld, Dahl, Hagen und Voerde.

1078 KISKY 1915, Nr. 1454. Vgl. HELBECK 1995, S. 163; VON DER RECKE VON VOLMERSTEIN 2003, S. 17ff.; THIER 2010, S. 24ff. Nach der Wiederherstellung der Burg erklärte Graf Adolf II. von der Mark das hus zu Volmensteyne 1344 zum Offenhaus des Grafen Adolf VI. von Berg: LACOMBLET 1853, Nr. 407, S. 321.

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In der Zwischenzeit hatten die Berger ihren Vorposten Radevormwald ausgebaut und ihm durch die Bewidmung mit Stadtrechten eine neue Qualität verliehen. Noch um das Jahr 1302, als Erzbischof Wikbold von Holte in schriftlicher Form auf die erzstiftischen Allodialrechte an der villa Rode sita in nemore pochte, besaß Radevormwald offenbar keinen städtischen Status1079. Als ältestes Zeugnis für die Stadtwerdung – ein eigentliches Stadterhebungsprivileg ist nicht erhalten1080 – gilt gemeinhin die Abschrift einer Urkunde von 1316 über die Ausstattung des Katharinenaltars in der Radevormwalder Pfarrkirche, da sie laut Siegelankündigung mit dem Stadtsiegel versehen war, das in seiner seit 1371 überlieferten Form den limburgisch-bergischen Löwen mit Schlüssel zeigt1081. Aufgrund siegelkundlicher Gegebenheiten wird man mit T. Diederich den für die Stadtrechtsverleihung in Frage kommenden Zeitraum enger fassen können, und zwar auf die Jahre 1309–13161082. Wie oben bereits angedeutet, hatten die Grafen von Berg nicht bis zur Stadterhebung gewartet, um in Radevormwald eine Kellnerei zu begründen. Als erster namentlich zu identifizierender Verantwortlicher für diese spätestens 1301 bestehende Einrichtung begegnet 1316 der Ritter Roland Bogen, der im Verein mit den Bürgern von Radevormwald die besagte Altarstiftung zugunsten der Pfarrkirche besiegelte1083. Er hatte mindestens einen Vorgänger, erfolgte die Altardotation doch zum Seelenheil des verstorbenen Kellners Johann, Schwager des damaligen Pfarrers von Radevormwald.

Von den bergischen Kellnern des 14. Jahrhunderts werden nur wenige mit Namen genannt.

Bei der großen Mehrzahl dieser Amtspersonen ist von einer nichtritterbürtigen Herkunft auszugehen – schon weil Schreib- und Rechenkenntnisse erwünscht waren. Wenn in Radevormwald die Wahl entgegen der sonstigen Gepflogenheiten auf einen Ritterbürtigen fiel, so wohl vor allem deswegen, weil dem Kellner hier nicht allein die Verwaltung der dem Landesherrn gebührenden Abgaben und Dienstleistungen oblag. Er musste nämlich überdies

1079 KNIPPING 1909, Nr. 3893 = WOLF 1997, Nr. 77, S. 40 (um 1302).

1080 Zwar lässt sich die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, dass es gar keine förmliche Stadtrechtsverleihung gegeben hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat aber ein solches Schriftstück existiert, es dürfte einem der zahlreichen Stadtbrände zum Opfer gefallen sein. Für letztere Alternative spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg (1592–1609) laut einer abschriftlich überlieferten Urkunde zwei Privilegien des 14. und 15. Jhs. bestätigte, nachdem sie durch den großen Stadtbrand von 1571 verloren gegangen waren; vgl. FRIEDHOFF 1998, S. 111.

1081 HAStK, Best. 1039 (Farragines Gelenii) I, fol. 140f. (24.06.1316), gedr. bei DIEDERICH 1974, S. 262f.

1082 Wegen auffälliger stilistischer Gemeinsamkeiten des Radevormwalder Stadtsiegels mit dem großen Reitersiegel des Grafen Adolf VI. von Berg (1308–1348) gelangt DIEDERICH 1974, S. 260 zu dem Schluss, dass es „frühestens 1309/1310“ entstanden sein kann.

1083 Siehe unten, Art. Nr. 6.

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für die Sicherheit seines äußerst exponierten Sprengels sorgen und hatte ganz allgemein die bergischen Gerechtsame im Radevormwalder Gebiet wie auch in den benachbarten westfälischen Kirchspielen zu verteidigen und auszubauen, womit sein Tätigkeitsprofil dem eines Amtmanns in den sich formierenden bergischen Amtsbezirken entsprach. In die Amtszeit des Kellners Roland Bogen dürfte die Errichtung der Radevormwalder Landwehr fallen, die der Sicherung des neu gewonnenen Gebietes gegenüber kölnischen, nach 1324 vor allem märkischen Vorstößen diente1084. Auch erste Arbeiten an der Stadtbefestigung von Radevormwald könnten unter seiner Ägide in Angriff genommen worden sein1085.

Abgesehen von der strategischen Rolle Radevormwalds als „Brückenkopf“1086 nach Westfalen besaßen Stadt und Umland auch eine nicht zu unterschätzende gewerbliche Bedeutung als Zentrum der Eisenverhüttung und -verarbeitung1087. Inwieweit Roland Bogen über Kompetenzen gerichtlicher Natur verfügte, muss offen bleiben. Einen Blick auf die Gerichtsverfassung der Stadt gestattet erst eine Urkunde des Jahres 1374, in welcher von einer Rechtshandlung vor dem städtischen Gericht die Rede ist, das unter dem Vorsitz des wohl der Bürgerschaft angehörenden Richters Hildebrand gen. Brewer tagte1088. Die Bergische Gerichtserkundigung von 1555 führt in Radevormwald zwei Gerichte, ein Burgergericht und ein Landgericht an, wobei Letzteres drei Bauerschaften umfasste1089. Die hier dokumentierte

1084 Wie HELBECK 2000, S. 31ff. u. S. 38 schlüssig dargelegt hat, gehört die Landwehr zwischen der Wupper bei Oege und der Bever bei Kottmannshausen, welche die nördliche und östliche Grenze des Kirchspiels und Gerichts Radevormwald begleitet, in die erste Hälfte des 14. Jhs. (nicht vor 1304); sie dürfte demnach parallel zur Stadtwerdung von Radevormwald entstanden sein.

1085 Die einzige Nachricht über die Existenz einer solchen Befestigung in Radevormwald im 14. Jh. datiert aus dem Jahr 1397, als Graf Dietrich von der Mark gemäß der Schilderung der Kölner Jahrbücher die Städte Radevormwald und Lennep eroberte und ihre Mauern schleifen ließ (und gewan dana Rode vur dem walde und darna de stat Leinepe und verbrant dat allit und warp de mure nider): CARDAUNS 1876, Jahrbücher, S. 84.

1086 Zum „Brückenkopf-Charakter“ des Radevormwalder Gebietes – ein in Anlehnung an SCHÖLLER 1953, S. 18 gebrauchter Begriff – vgl. HELBECK 1974, S. 62; DERS. 2000, S. 13.

1087 Vgl. SÖNNECKEN 1978, S. 161ff.; BRENDLER/HERBORN 2001, S. 203; KREFT 2002, S. 349, S. 355f.

Mit ungefähr 150 Rennfeuerplätzen aus dem 11. bis 13. Jh. weist die Umgebung von Radevormwald innerhalb der bergisch-märkischen Mittelgebirgszone, die im Alten Reich zu den wichtigsten metallgewinnenden und -verarbeitenden Landschaften zählte, eine besonders große Funddichte von Rennfeuerstellen auf. Der Stadtwerdungsprozess kommt in einem Zeitraum zum Abschluss, in dem nach den Beobachtungen von Kreft in Städten wie Radevormwald ein wesentlicher Strukturwandel von der Eisenerzeugung zum weiterverarbeitenden Gewerbe stattfindet: Die zuvor im gesamten Bergland verbreitete Eisenverhüttung zieht sich zwischen 1250 und 1350 in oberbergische und sauerländische Gebiete mit ausreichenden Erzvorkommen zurück, während man abseits dieser Landstriche dazu übergeht, auswärtiges Roheisen zu Stahl zu schmieden. Trotz der spärlichen Überlieferung ist anzunehmen, dass sich die junge Stadt Radevormwald rasch zu einem der Zentren des Stahlgewerbes im Bergischen Land entwickelt hat.

1088 ANDERNACH 1981, Nr. 975 (22.03.1374).

1089 CRECELIUS 1873, S. 49. Der Konsultationsgang führte 1555 vom Stadtgericht zum Gericht von Lennep, vom Landgericht zu den Dingstühlen von Wermelskirchen und Dabringhausen im Amt Bornefeld.

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Gerichtsorganisation dürfte sich in ihren Grundzügen schon bei der Stadtwerdung ausgebildet haben. Damals wird Radevormwald aus dem Verband des 1304 genannten gerichts von Rode ausgeschieden sein, dessen Zuständigkeitsbereich sich in etwa mit dem Kirchspiel Radevormwald deckte. Die Stadt bildete nun zusammen mit einzelnen umliegenden Höfen einen gesonderten Gerichts- und Verwaltungsbezirk, den Burgbann, dessen Grenzen durch Pfähle an den Ausfallstraßen markiert waren1090.

Das Kellneramt hat Roland Bogen vermutlich über einen längeren Zeitraum innegehabt;

gesichert ist eine weitere Erwähnung zum Jahr 13251091. Falls man eine Nachricht aus dem Jahr 1349 auf ihn bezieht, wonach das Stift Xanten aufgrund von Streitigkeiten „mit denen zu Rade“ mehrmals Boten zu einem nicht näher gekennzeichneten dominum Rolandum aussandte, unter anderem zur Besiegelung einer Urkunde1092, ergäbe sich eine Amtsdauer von über drei Jahrzehnten. Sollte Roland damals tatsächlich noch im Amt gewesen sein, dürfte sich sein Dienstsitz aber nicht mehr in Radevormwald, sondern auf der um 1336 erbauten Beyenburg befunden haben. Unter den älteren bergischen Kellnereien war diejenige in Radevormwald die einzige, die in einer Siedlung und nicht an einem Burgplatz eingerichtet wurde; tatsächlich waren die Kellner der Grafschaft Berg anfangs in erster Linie „Burgbeamte“1093. Aus dieser Sicht stellt sich die Verlegung des Kellnereiamtes auf die Beyenburg als Angleichung an den Normalzustand dar. Ausschlaggebend für den Burgenbau wird zwar das Bestreben des Grafen Adolf VI. von Berg gewesen sein, neben der Stadt Radevormwald einen zweiten befestigten Stützpunkt an der sich herausbildenden bergisch-märkischen Grenze zu schaffen1094. Zugleich war die neue Burg als zentrale Sammel- und Aufbewahrungsstätte für grund- und gerichtsherrliche Abgaben an der nordöstlichen Peripherie der Grafschaft Berg vorgesehen1095. Dem Kellnereiamt Beyenburg waren mit Sicherheit seit seiner Gründung außer dem Kirchspiel Radevormwald die bergischen Besitzungen im Kirchspiel Schwelm zugeteilt, allen voran die beiden Hofverbände Möllenkotten und Bransel, die zuvor der Kontrolle des

1090 Am 22.03.1374 wird der Burgbann als „Distrikt der Stadt und des Gerichts“ bezeichnet; er umfasst den vor den Toren der Stadt gelegenen Hof Kollenberg (ANDERNACH 1981, Nr. 975). Laut dem Privileg des Herzogs Adolf vom 22.02.1400 waren Begrenzungspfähle u. a. an der Breckerfelder Straße, auf dem Weg nach Ispingrade, auf der Kölner, der Beyenburger und der Schwelmer Straße platziert; vgl. dazu HEUSER 1990, S. 146.

1091 VON MALLINCKRODT 1911, Nr. 7, S. 4ff. (05.08.1325).

1092 So HEUSER 1990, S. 158 Anm. 66, unter Hinweis auf WILKES 1937, S. 174f.

1093 JANSSEN 1971, S. 100; DERS. 1983, S. 325.

1094 Eine weitere „Verteidigungslinie gegen Mark und Volmestein (sic)“ bildeten, wie STURSBERG 1959, S. 45 hervorhebt, die Städte Lennep und Wipperfürth und die Burg Hückeswagen.

1095 HELBECK 2000, S. 23.

Im Dokument AUF DEM WEG ZUM TERRITORIUM (Seite 183-200)