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Die Verwaltung : Schwachpunkt der sozialen KriegsbeschädigtenfürsorgeKriegsbeschädigtenfürsorge

Trotz aller Bemühungen und guten Absichten stellte sich bald heraus, dass eine soziale Kriegsbeschädigtenfürsorge, wie sie theoretisch konzipiert worden war – eine Fürsorge, die am Einzelfall ansetzte und die Verletzten des Krieges ausreichend unterstützte –, den Einsatz ganz anderer Mittel erfordert hätte. Die für die soziale Kriegsbeschädig-tenfürsorge geschaffene Verwaltungsstruktur war von Anfang an hoffnungslos über-fordert und finanziell unterdotiert.

Anhand zweier Bespiele – einer ersten Bestandsaufnahme, die im Frühjahr 1916 nur sehr dürftige Ergebnisse hinsichtlich der praktischen Einrichtung und Effizienz der Büros der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide erbrachte, und einer inter-ministeriellen Besprechung, die sich im Mai 1917 mit den Landeskommissionen zur Fürsorge für heimkehrende Krieger befasste – sollen im Folgenden die Probleme auf-gerollt und konkret dargestellt werden. Die Beschreibung der dann unter der Ägide des Ministeriums für soziale Fürsorge im Jahr 1918 unternommenen Reorganisation der administrativen Strukturen, die zwar vor dem Ende des Krieges nur mehr in Ansätzen verwirklicht werden konnte, aber nichtsdestotrotz die Grundlage für die Kriegsbe-schädigtenfürsorge der Nachkriegszeit legte, schließt dieses Kapitel ab.

6.1 Inspektion und Werbekampagne 1916

Robert Weiss, Vorstand der Wiener k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide und zugleich Konsulent des Innenministeriums in Fragen der Arbeitsvermittlung, begab sich in den Monaten März und Mai des Jahres 1916 auf Dienstreisen nach Brünn, Linz, Salzburg, Klagenfurt und Laibach.1 Er musste feststellen, dass die Landesstellen der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide an manchen Orten, wie zum Beispiel in Klagenfurt, ein Jahr nach ihrer Installierung noch nicht aktiv geworden waren und an

1 Brünn : AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1553, Sa 8, 2745/1918. Linz : ebd., Kt. 1357, 2702/1918 ; ebd., Kt. 1357, 2550/1918. Salzburg : ebd., Kt. 1357, 2707/1918. Klagenfurt : ebd., Kt. 1357, 2722/1918. Lai-bach : ebd., Kt. 1357, 2728/1918.

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Inspektion und Werbekampagne 1916

anderen Orten, etwa in Laibach, trotz bestehender Einrichtungen Arbeitsplätze nicht offiziell, sondern unter der Hand vermittelt wurden. Ortsstellen gab es in den von ihm besuchten Regionen entweder überhaupt keine, oder sie funktionierten schlichtweg nicht.

Offensichtlich motiviert durch die enttäuschenden Berichte des Konsulenten, star-tete das Innenministerium im Sommer 1916 eine Offensive, um den Anordnungen des Erlasses vom Vorjahr2 durch eine Werbekampagne mehr Nachdruck zu verleihen : Das Armee-Oberkommando stellte dem Innenministerium den Kriegsberichterstatter Rudolf Peerz, der schon 1915 durch eine einschlägige Publikation zu den Kriegsin-validen auf sich aufmerksam gemacht hatte,3 als Wanderredner zur Verfügung. Peerz reiste in seiner neuen Funktion zunächst durch Oberösterreich, das man „als Muster-beispiel einzurichten“ suchte, und warb für den Ausbau der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide auch „auf das flache Land hinaus“.4 Zu diesem Zweck hielt er in verschiedenen Provinzstädten Lichtbildervorträge, in deren Folge dann die lokalen Fürsorgeausschüsse gegründet werden sollten. Die Vorträge thematisierten nicht nur die Invalidenversorgung, sondern enthielten auch Kriegsberichte.5 Dieser „kriegeri-sche Hintergrunde und die Darbietung von Bildern vom Kriegsschauplatze“ wirkten – wie sich bald zeigen sollte und wohl auch beabsichtigt war – im ersten Kriegsjahr noch

„als ein ausserordentliches Anziehungsmittel“.6

Rudolf Peerz, der seine Propagandareisen im August und September 1916 in Salz-burg7 und im Oktober und November desselben Jahres in der Steiermark8 fortsetzte, berichtete dem Ministerium regelmäßig und detailliert von jeder einzelnen dieser Veranstaltungen,9 die anfangs tatsächlich eine gewisse Wirkung gehabt hatten und

2 Gemeint ist der Erlass, mit dem die k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide geschaffen wurde : Erlass des MdI v. 28.6.1915 ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen über Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Wien 1915, S. 26–28 ; vgl. Kapitel 5.1.

3 Rudolf Peerz, Unsere Sorge um die Kriegsinvaliden. Eine sozialpolitische Studie, Wien 1915.

4 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1358, 4821/1918.

5 „Unsere Erzherzoge und Armee-Kommandanten an der Front“, „Meine Erlebnisse beim k. k. o.-ö.

Schüt zenregimente“ ; ebd.

6 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1553, Sa 10, 2700/1918, Bericht über die Fortsetzung der Vortragsreise zur Errichtung von Fürsorgeausschüssen der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide in Oberöster-reich, v. 17.8.1916.

7 Ebd., Kt. 1553, Sa 11, 4812/1918. Im Juli 1917 wartete Peerz immer noch auf den Kostenersatz für diese Reisen.

8 Ebd., Kt. 1357, 2698/1918 ; ebd., Kt. 1365, 7880/1919, Bericht über die vom 12.–20. Okt 1916, bezw.

vom 6.–18. November 1916 in Steiermark unternommene Vortragsreise im Interesse der k. k. Arbeits-vermittlung an Kriegsinvalide und der Kriegerwaisenfürsorge (Erstattet von Dr. Rudolf Peerz).

9 Die Einträge zu zwei oberösterreichischen Gemeinden lesen sich so : „9. August : Vortrag in Steyr : […]

Ort der Veranstaltung in Steyr : Grünmarktkino. Besuch gut, Eröffnung durch Ansprache seitens des

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auch dazu führten, dass die gewünschten Fürsorgeausschüsse zumindest gegründet wurden. Doch sehr effizient dürfte diese von den lokalen Eliten getragene und bloß ehrenamtlich ausgeübte Fürsorgetätigkeit in der Praxis dann nicht gewesen sein. Und schon im Herbst 1916, als die im Frühjahr noch spürbar gewesene Kriegsbegeisterung bereits merklich nachgelassen hatte,10 stieß der Wanderredner in der Provinz auf weit weniger freundliche Aufnahme als zu Beginn.

Die letzte Fahrt Peerz’ erwies sich überhaupt als Fehlschlag. Schon im Vorfeld hatte man sich im Ministerium des Innern darauf verständigt, dass bei dieser Reise nach Graz von der Gründung der Fürsorgeausschüsse abgesehen werden sollte, und als Peerz in der Stadt ankam, mussten auch die Vorträge abgesagt werden, weil aufgrund von Unruhen ein Versammlungsverbot ausgesprochen worden war. Peerz besichtigte daraufhin einige einschlägige Einrichtungen, um den auf einen späteren Termin ver-schobenen Vorträgen durch Hinweise auf die lokalen Gegebenheiten eine „spezifische Färbung“11 verleihen zu können, und erwarb in der Orthopädischen Anstalt 50 Dia-positive für seinen Vortrag „Von der Front bis zum schaffenden Leben“.12 Diese Mühe sollte sich als vergeblich erweisen, denn drei Wochen später wiederholte er die Reise in die Steiermark – mit ähnlichem Misserfolg. Manche Vorträge mussten abgesagt wer-den, weil die lokalen Behörden jede Vorbereitung verabsäumt hatten, andere musste Peerz erst mühevoll vor Ort bewerben, „[s]o unwürdig es [ihm] auch erschien, als

Leiters der k. k. Bezirkshauptmannschaft, k. k. Bezirkskommissär Dr. Neuber. Einleitung des Vortrages durch den Leiter der Landesstelle Linz der k. k. Arbeitsvermittlung, darauffolgend Vortrag des Prof.

Dr. R. Peerz und Lichtbildervorführung durch die Kinoinhabung. Vortragsthema : Die Hauptformen des gegenwärtigen Krieges […] Aufnahme des Vortrages mit groszem Interesse und Beifall. Unter den Zuhörern auffallend viel Personen im reiferen jugendlichen Alter. Beteiligung seitens der Gemeindevor-stehung Steyr relativ gering. Anschlieszend Konstituierung des Ausschusses im Hotel Steyrerhof. […]

11. August : Vortrag in Kirchdorf. Ort der Veranstaltung : Schobesberger’s Gasthof. Lichtbildapparat durch o.-ö. Volksbildungsverein kostenlos beigestellt, desgleichen Stromlieferung seitens des Elektrizi-tätswerkes R. Hofmann & Co. Lichtbildervorführung durch Lehrer W. Fürböck. Besuch sehr gut, (ca 200 Personen), sowohl aus Kreisen der Sommergäste, als auch jenen der Einheimischen. Unter Erste-ren auch Frau Fürstin Windischgrätz mit Familie. […] In einer anschlieszenden Sitzung, bei der eine Reihe der von der k. k. Bezirkshauptmannschaft eingeladenen Herren zusammentraf, welche sich zur Uebernahme der Fürsorgefunktionen bereit erklärt hatten, wurden diese des Näheren erläutert und der Fürsorgeausschusz konstituiert.“ Ebd., Kt. 1553, Sa 10, 2700/1918, Bericht über die Fortsetzung der Vortragsreise zur Errichtung von Fürsorgeausschüssen der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide in Oberösterreich, v. 17.8.1916.

10 Z. B. John Keegan, Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie, Reinbek bei Hamburg 2003, Kapitel

„Die Stimmung in den Krieg führenden Nationen“.

11 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1365, 7880/1919, Bericht über die vom 12.–20. Okt 1916, bezw. vom 6.–18. November 1916 in Steiermark unternommene Vortragsreise im Interesse der k. k. Arbeitsvermitt-lung an Kriegsinvalide und der Kriegerwaisenfürsorge (Erstattet von Dr. Rudolf Peerz), S. 2.

12 Ebd., S. 3.

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Organ eines k. k. Ministeriums von Amt zu Amt […] zu eilen“.13 Grundsätzlich traf er auf „eine Art ‚stille Obstruktion‘“14 der Gemeindeverwaltungen, und den ihm zur Seite gestellten Vertreter der Grazer Statthalterei fand Peerz unzuverlässig und gehässig.

Die Propagandareisen wurden 1917 wieder eingestellt.15 Dass die Zentralbehörden in der Folge anders auf die Gründung der Fürsorgeausschüsse der Arbeitsvermittlung gedrängt hätten, ist nicht überliefert. Ob die für die lokale Vermittlungs- und Für-sorgearbeit im Grunde so wichtigen Ausschüsse eingerichtet wurden oder nicht, hing nun ganz von den Voraussetzungen vor Ort ab – von Voraussetzungen also, die viel zu selten so günstig waren, als dass hier auf der untersten Ebene ein halbwegs funk-tionierendes Verwaltungssystem hätte entstehen können. Noch 1918 wurde über das Versagen der dezentralen Stellen der Arbeitsvermittlung Klage geführt.16 Auch der bereits genannte17 Wilhelm Exner kritisierte in einer Rede im Herrenhaus die Or-ganisationsstruktur der Arbeitsvermittlung. Für ihn bestand „diese ganze Institution […] eigentlich nur aus einer Kartothek und Zuschiebung von Invaliden von einem Ort zum anderen mit Hilfe von Korrespondenzkarten u. dgl.“,18 in der individuellen Fürsorge hingegen versage die Arbeitsvermittlung vollkommen.

6.2 Zwischenbilanz 1917

Ein Jahr nach den Inspektionsreisen des Robert Weiss und zwei Jahre nach Einrich-tung der Landeskommissionen zur Fürsorge für heimkehrende Krieger trafen am 18.

Mai 1917 im Ministerium des Innern Vertreter der Landeskommissionen mit dem Innenminister Dr. Erasmus Freiherr von Handel19 und mit Beamten anderer

Ministe-13 Ebd., S. 8.

14 Ebd., S. 8.

15 Peerz wurde eine neue Aufgabe übertragen : Er sollte sich der Propaganda für Kriegsanleihen widmen und die Agenden des Kriegshilfsbüros popularisieren ; AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1365, 7880/1919.

16 Die niederösterreichischen Bezirksstellen etwa, die eigentlich bereits relativ früh installiert worden wa-ren, funktionierten – so beklagten die Teilnehmer einer Besprechung noch im Februar 1918 – im Unter-schied zur Wiener Zentraleinrichtung trotzdem nicht, und zwar – so meinte man – deshalb, weil sie nur im Nebenamt geführt wurden ; ebd., Kt. 1358, 4471/1918, S. 8.

17 Vgl. Kapitel 4.7.

18 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1359, 8246/1918, Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses der k. k.

Arbeitsvermittlung/Landesstelle Wien v. 4.3.1918, S. II. Dass Exner seine Kritik im Herrenhaus öffent-lich machte und sich nicht direkt an das Kuratorium der Arbeitsvermittlung wandte, dessen Mitglied er war, wurde ihm von fast allen Teilnehmern der Sitzung, besonders aber vom Amtsleiter der Landesstelle Wien, übel genommen.

19 Erasmus Freiherr von Handel (*1860, †1929), der 1916 schon einmal Innenminister war, wurde nach Beendigung seiner zweiten Amtszeit als Minister im Jahr 1917 Statthalter in Oberösterreich und als

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rien zusammen. Die Teilnehmer der Unterredung zogen Bilanz über die bisherige Ar-beit der Landeskommissionen, tauschten Erfahrungen aus und besprachen mögliche Schwierigkeiten der Kriegsbeschädigtenfürsorge nach der Demobilisierung. Konkrete Ergebnisse gab es keine, doch zeigten die verschiedenen Wortmeldungen die Prob-leme deutlich auf. Während der Innenminister in seinem Einleitungsvortrag noch be-tonte, dass es den Landeskommissionen gelungen sei, „aus dem Nichts eine vollendete Sozialeinrichtung zu schaffen“, dass „volle Arbeit geleistet“ worden sei und „Öster-reich auf diesem Gebiete führend und beispielgebend vorangegangen“ sei,20 vermit-teln die nachfolgenden Berichte und Beiträge ein äußerst durchwachsenes Bild und geben sich deutlich weniger euphorisch. Positiv vermerkt wurde lediglich, dass sich die Landeskommissionen mittlerweile tatsächlich zu Zentren der Kriegsbeschädigtenfür-sorge entwickelt hatten und – wie Rudolf Graf Attems, Administrativer Referent der oberösterreichischen Landeskommission, feststellte  – von den karitativen Vereinen als logische koordinierende Organisationen für alle Bestrebungen auf diesem Sektor wahrgenommen wurden. Auch Aspekte, die nicht unmittelbar in den 1915 definierten Aufgabenbereich der Landeskommissionen fielen, wie beispielsweise die Förderung von Kriegerheimstätten oder Kriegsinvalidenerwerbsgenossenschaften, würden inzwi-schen an die Landeskommissionen herangetragen.21

Doch abseits dieser positiven Worte gab es fundamentale Kritik, und diese kam vor allem aus Böhmen. Dort hatte Hauptmann Karl Eger, der Invalidenfürsorgereferent des Militärkommandos Leitmeritz22 und ehemalige Volksschullehrer,23 im Bereich seines Militärkommandos eine offenbar relativ gut funktionierende Verwaltungsstruk-tur mit Ortsstellen und einer äußerst effizienten Evidenzführung ins Leben gerufen.24 Eger arbeitete eng mit dem bei der Sitzung ebenfalls anwesenden Robert Marschner25 zusammen, der als Direktor der Arbeiterunfallversicherungsanstalt für das Königreich Böhmen zugleich Büroleiter der Staatlichen Landeszentrale für das Königreich

Böh-cher Vorsitzender der oberösterreichischen Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger ; ebd., Kt. 1363, 24699/1918, Jahresbericht 1917 oö. Landeskommission, S. 3.

20 Alle Zitate : K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen über Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Wien 1917, S. 262.

21 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1917, S. 263.

22 „Referent für Kriegsbeschädigtenfürsorge beim k. u. k. Militärkommando Leitmeritz“. Leitmeritz, tschech. Litoměřice.

23 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1356, 1808/1918.

24 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen über Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Wien 1916, S. 166–

25 Robert Marschner (*4.7.1865, †8.9.1934), Jurist, 1909–1919 leitender Direktor der AUVA in Prag, war 169.

Organisator der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Böhmen ; Österreichisches biographisches Lexikon, Bd. 6, Wien 1974, S. 111.

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Zwischenbilanz 1917

men zur Fürsorge für heimkehrende Krieger, war.26 Gemeinsam hatten die beiden schon Anfang 1916 für eine großzügige Ausgestaltung der Kriegsbeschädigtenfür-sorge und vor allem für eine dezentrale Organisationsstruktur von Landeskommissio-nen und Arbeitsvermittlung mit „heimatlichen Beratungsstellen“27 plädiert. Trotzdem war die Organisation der böhmischen Kriegsbeschädigtenfürsorge im Wesentlichen

der Militärverwaltung, der Eger entstammte, zu verdanken.28

In Wien kritisierte Hauptmann Karl Eger nun : „Die Richtlinien, die die staatliche Fürsorge für die Kriegsbeschädigten anfangs aufgestellt hat, die Vorkehrungen und Einrichtungen, die getroffen wurden, sind zum Teil durch die Ereignisse überholt wor-den, zum Teil haben sie sich als unzulänglich erwiesen.“29 Die Arbeit der Landeskom-missionen respektive der Landeszentrale mit ihren vielen Ausschüssen und

Kommis-26 In Prag war die Landeskommission der AUVA angegliedert. Robert Marschner war Vorgesetzter von Franz Kafka. Beide sind mit einschlägigen Veröffentlichungen hervorgetreten ; Robert Marschner, An die Kriegsbeschädigten aus unserer Land- und Forstwirtschaft, Prag 1916 ; Franz Kafka, Aufruf des Deutschen Vereins zur Errichtung und Erhaltung einer Krieger- und Volksnervenheilanstalt in Deutschböhmen in Prag [November 1916], in : Erich Heller/Jürgen Born (Hg.), Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, Frankfurt/M. 1967, S. 764–766. Eine Zusammenführung der militärischen mit der zivilen Verwaltung der Kriegsbeschädigtenfürsorge gelang in Böhmen – wegen des unterschiedlich ausgeprägten Engagements der relevanten Stellen einerseits und der Nationalitä-tenprobleme andererseits – nur sehr mangelhaft. Ein bisweilen konfliktreiches Nebeneinander war die Folge ; AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1358, 3848/1918, S. 10f. So übergab das Militärkommando das gut funktionierende Ortsstellennetz (die Ortsstellen hießen zunächst Ortsausschüsse und wurden im Zuge der Übergabe in Fürsorgestellen umbenannt) zwar an die Landeszentrale – diese schuf außer-dem Vertrauensmännerkommissionen am Sitz der Militärsanitätsanstalten und gab ab März 1917 eine eigene Zeitung heraus –, doch konnte die Landeszentrale die Evidenzführung wegen Personalmangels nicht mitübernehmen ; ebd., Kt. 1361, 13869/1918 ; ebd., Kt. 1358, 3848/1918, S. 11f ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1916, S. 166–169. Die Evidenzführung wurde noch 1918 von den militäri-schen Stellen besorgt. Die Übernahme hatte also eher formalen Charakter, und das Verhältnis zwimilitäri-schen Landeszentrale und Ortsstellen blieb locker. Zudem wurde die Landeszentrale als böhmisches Amt wahrgenommen, während sich die Ortsstellen zuerst in „Deutschböhmen“ etabliert hatten. In der Lan-deszentrale in Prag (bei der AUVA) waren – wenngleich der Büroleiter Robert Marschner ein deutsch-sprachiger Tscheche war – fast keine deutschen Beamten angestellt ; AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt.

1361, 15593/1918, Artikel in der Zeitung Bohemia ; siehe auch Klaus Wagenbach, Kafka (= rororo Bio-graphie), Hamburg 1964, S. 63. Die Landeszentrale bevorzugte außerdem die Prager Kriegsbeschädig-ten, was – wie Eger bedauerte – wiederum die Spendenfreudigkeit der deutschsprachigen Bevölkerung dämpfte. Karl Eger konnte durch intensiven Kontakt häufig vermittelnd wirken, doch plädierte er, wie andere auch, ganz vehement für eine Trennung in eine böhmische und eine deutsche Verwaltung ; z. B.

AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1358, 3848/1918, S. 37. Dass Karl Eger ein Verfechter der intensiven administrativen Kommunikation war, kommt besonders deutlich in einer Sammlung seiner Anordnun-gen zum Ausdruck ; ebd., Kt. 1361, 13869/1918.

27 Ebd., Kt. 1358, 3848/1918.

28 Ebd., Kt. 1356, 1808/1918.

29 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1917, S. 278.

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sionen sei zu schwerfällig und die Tatsache, dass alle Arbeiten im Nebenamt erledigt werden mussten, angesichts der steigenden Zahl der Kriegsbeschädigten untragbar.30 Die Beamten Marschners, die die Agenden der Kriegsopferfürsorge nebenbei betreu-ten, würden schon jetzt teilweise ihre freien Nachtstunden dafür opfern. Außerdem stelle die Trennung der Arbeitsvermittlung von der übrigen Tätigkeit der Landeskom-missionen den Erfolg der Kriegsbeschädigtenfürsorge grundsätzlich infrage, weil hier ein wesentlicher Teil der Aufgaben unerfahrenen Personen überlassen würde, die zu-dem nicht vom Fürsorgegedanken geleitet seien. Der in der normalen Arbeitsvermitt-lung tätige Beamte, der bislang nur Dienstmädchen und Tagelöhner vermittelt hatte, sei als Berufsberater für einen Kriegsbeschädigten völlig überfordert.

„Der […] soll in die Psyche dieses geschlagenen Menschen eindringen, soll beurteilen, ob der Krieger noch erwerbsfähig ist und für welchen Beruf er sich eignen soll, wie ihm geholfen werden könnte ? […] woher soll er über Nacht alle die Qualifikationen bekommen, Fälle zu beraten, die uns, die wir uns ununterbrochen damit beschäftigen, alle Mittel und Wege ken-nen, oft mutlos und ratlos machen ?“31

Eger schlug daher eine grundlegende Reorganisation der Landeszentrale und ihre Um-wandlung in ein vollkommen selbstständiges Amt mit verschiedenen Fachabteilungen und eigenen Angestellten vor. Dieser Zentrale sollten außerdem die Arbeitsvermitt-lungen – massiv ausgebaut und mit qualifizierten und lokal verankerten Berufsberatern ausgestattet – wieder unterstellt werden.32 Freilich wurde ihm sofort entgegengehalten, dass dieses Programm „zu Ausgaben von Millionen“33 führen würde und dass es bes-ser sei, an bestehende Strukturen (der Arbeitsnachweise) anzuknüpfen und die Or-ganisation schrittweise auszubauen, als einen völlig neuen Apparat zu schaffen. Eger könne – so Attems, der sich eine Spitze in Richtung Militär nicht verkneifen konnte – nur „deshalb mit solchen Phantasien kommen“,34 weil er kein Beamter sei. Die hohen Kosten des Modells und auch der kriegsbedingte Mangel an Arbeitskräften würden die von Eger vorgeschlagene Reorganisation ganz illusorisch machen. Egers Aussage, dass man „Invalidenfürsorge […] nicht vom grünen Tisch aus betreiben [könne]“, dass sie

„unten in der Heimat des Kriegsbeschädigten beginnen“ und „vom praktischen Leben

30 Ebd., S. 281.

31 Ebd., S. 279f. Auch Robert Weiss hatte 1916 nach seiner Dienstreise nach Salzburg betont, dass der für die Salzburger Arbeitsvermittlung zuständige Beamte, der bisher nur weibliche Hausdienstboten vermittelt hatte, noch geschult werden müsse ; AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1357, 2707/1918.

32 Eger zufolge war das in Ungarn der Fall ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1917, S. 281.

33 Ebd., S. 282.

34 Ebd., S. 284.

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ausgehen“35 müsse, wurde von den anderen Teilnehmern der Besprechung offensicht-lich als indirekter Angriff auf die bisherigen Bemühungen der Zivilverwaltung gewertet.

Nur Robert Marschner unterstützte Eger. Auch er betonte, dass die Umgestaltung der Unterstützungs- und Verwaltungsstruktur der sozialen Kriegsbeschädigtenfür-sorge dringend notwendig sei. Indem er ein mögliches Nachkriegssystem grob skiz-zierte, nahm er Grundprinzipien der späteren Kriegsbeschädigtenfürsorge schon vor-weg. So stellt er etwa vorausblickend fest, dass die Kriegsinvalidenfürsorge zur Gänze vom Staat übernommen werden müsse, und dass sie weiters zwar Fürsorge sein müsse, aber nicht den Charakter einer von Mitleid getragenen Almosengewährung haben dürfe. Kriegsbeschädigtenfürsorge sollte seiner Meinung nach von der Haltung ge-leitet sein, dass hier vom Staat Hilfe in Form einer Gegenleistung jenen zugestanden wird, die ihrerseits zuvor dem Staat eine Leistung erbracht hatten. Kriegsbeschädig-tenfürsorge sollte – wie er es ausdrückte – ein „Akt der Erkenntlichkeit“ sein.

„Die bisherige Form, welche im Grunde den Charakter der Freiwilligkeit unter staatlicher Auf-sicht trägt, wird wohl den späteren Bedürfnissen nicht gewachsen sein. Die Verstaatlichung der Invalidenfürsorge wird in erster Linie in Frage kommen. Ihr spezieller Charakter wird ihre Angliederung an irgendein Ressort der öffentlichen Verwaltung ausschließen. Zur Besorgung der Kriegsbeschädigtenfürsorge gehört nicht nur die Beherrschung bürokratischer Formen, sondern auch eine genaue Kenntnis des praktischen Lebens und seiner wirtschaftlichen Ge-staltung, die Fähigkeit, nicht nur die Wünsche des Kriegsbeschädigten entgegenzunehmen und sie nach Tunlichkeit zu erfüllen, sondern den Invaliden auch in allen Angelegenheiten nach bestem Wissen und Willen zu beraten. Der Kriegsinvalide darf nicht das Gefühl haben, daß er sich in einem ‚Amte‘ im bürokratischen Sinne befindet, es muß ihm vielmehr die Überzeugung beigebracht werden, daß die Fürsorge ein Akt der Erkenntlichkeit des Staates, beziehungsweise der Gesellschaft für das ist, was er in ihrem Interesse getan hat. Kein unangebrachtes Mitleid, keine Schwäche, sondern warmherziges Entgegenkommen, gepaart mit der erforderlichen Festigkeit sind die wichtigsten Requisiten einer zielbewussten Kriegsbeschädigten-Fürsorge.“36

„Die bisherige Form, welche im Grunde den Charakter der Freiwilligkeit unter staatlicher Auf-sicht trägt, wird wohl den späteren Bedürfnissen nicht gewachsen sein. Die Verstaatlichung der Invalidenfürsorge wird in erster Linie in Frage kommen. Ihr spezieller Charakter wird ihre Angliederung an irgendein Ressort der öffentlichen Verwaltung ausschließen. Zur Besorgung der Kriegsbeschädigtenfürsorge gehört nicht nur die Beherrschung bürokratischer Formen, sondern auch eine genaue Kenntnis des praktischen Lebens und seiner wirtschaftlichen Ge-staltung, die Fähigkeit, nicht nur die Wünsche des Kriegsbeschädigten entgegenzunehmen und sie nach Tunlichkeit zu erfüllen, sondern den Invaliden auch in allen Angelegenheiten nach bestem Wissen und Willen zu beraten. Der Kriegsinvalide darf nicht das Gefühl haben, daß er sich in einem ‚Amte‘ im bürokratischen Sinne befindet, es muß ihm vielmehr die Überzeugung beigebracht werden, daß die Fürsorge ein Akt der Erkenntlichkeit des Staates, beziehungsweise der Gesellschaft für das ist, was er in ihrem Interesse getan hat. Kein unangebrachtes Mitleid, keine Schwäche, sondern warmherziges Entgegenkommen, gepaart mit der erforderlichen Festigkeit sind die wichtigsten Requisiten einer zielbewussten Kriegsbeschädigten-Fürsorge.“36