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Platzierung auf dem Arbeitsmarkt :

Die k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide

5.1 Gründung und Aufbau

Im Anschluss an die erfolgreiche Invalidenschulung sah das Konzept der sozialen Kriegsbeschädigtenfürsorge eine staatlich organisierte Vermittlung der Geschulten auf geeignete Arbeitsplätze vor.1 Das Endziel – die Herstellung von „Erwerbsfähigkeit und Erwerbsmöglichkeit der Kriegsbeschädigten“2 – sollte, was die Erwerbs fähigkeit betraf, zunächst durch Schulung, und was Erwerbsmöglichkeit anbelangte, durch eine darauf aufbauende Arbeitsvermittlung erreicht werden. Unterstützung bei der Ar-beitsplatzsuche avancierte somit zum öffentlichen Auftrag. Kein Kurs entließ die Geschulten ohne weitere Beratung auf den Arbeitsmarkt : Entweder wurden Kriegs-beschädigte direkt vom Schulungsträger auf einen Arbeitsplatz vermittelt oder eine Arbeitsvermittlungsstelle übernahm diese Aufgabe.

Die administrative Verankerung dieses Aufgabenbereiches erfolgte im Umfeld der Landeskommissionen. Im Juni 1915 wurde per Ministerialerlass3 die sogenannte k. k.

Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide geschaffen. Dieser dem Ministerium des Innern unterstellte „staatliche Verwaltungsapparat“4 entband die gerade erst im Aufbau be-griffenen Landeskommissionen von der Aufgabe, für die Rückführung der Kriegsbe-schädigten in das Erwerbsleben zu sorgen5 – einer Aufgabe übrigens, der die Landes-kommissionen wohl angesichts ihrer mangelhaften Personalausstattung ohnehin nicht hätten gerecht werden können. Die neu ins Leben gerufene Einrichtung war im Un-terschied zu den Landeskommissionen keine völlige Neuschöpfung, sondern konnte meist auf bereits bestehenden – teils gemeinnützigen, teils öffentlichen

„Arbeitsnach-1 Zur Arbeitsvermittlung siehe Verena Pawlowsky/Harald Wendelin : Transforming Soldiers into Workers.

The Austrian Employment Agency for Disabled Veterans during the First World War (erscheint 2014, in : Berghahn Books)

2 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen über Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Wien 1915, S. 6.

3 Erlass des MdI v. 28.6.1915 ; ebd., S. 26–28.

4 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen über Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Wien 1916, S. 152–

154, hier S. 152.

5 Auf die bereits eingerichteten Invalidenfürsorgestellen musste nun dahin gehend eingewirkt werden, dass sie die Arbeitsvermittlung wieder aufgaben ; ebd., S. 153f.

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weisen“ – aufsetzen, die nun auch für die Kriegsbeschädigtenfürsorge benutzt wurden.

Die k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide war – und das macht sie auch in einem größeren Zusammenhang beachtenswert – der erste Versuch einer flächendeckenden und zentral organisierten Arbeitsvermittlungsstelle innerhalb der Monarchie. Sie ging der als Reichsstelle für Arbeitsvermittlung erst 1917 installierten allgemeinen und nicht auf kriegsbeschädigte Arbeitnehmer beschränkten Arbeitsvermittlung voraus.6

Als erstes wurde die k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide in Niederösterreich installiert, wo die „Landesarbeitsnachweisstelle für Niederösterreich (Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Wien und Niederösterreich)“ einfach zur „Amtlichen Lan-desstelle für Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide“ umdefiniert wurde.7 In einem Büro am Wiener Neubaugürtel8 untergebracht, entwickelte sie sich rasch zu einer allseits bewunderten Mustereinrichtung,9 die mit dem Österreichischen Arbeitsnachweis für Kriegsinvalide10 auch eine überregionale Zeitschrift herausgab. Außerhalb Wiens schlossen sich die Bezirksarmenräte der Landesstelle als Amtliche Bezirksstellen an.11 6 Karl Forchheimer, Arbeitslosenfürsorge und Arbeitsvermittlung, in : Wilhelm Exner (Hg.), 10 Jahre Wiederaufbau. Die staatliche, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Republik Österreich 1918–1928, Wien 1928, S. 273–275, hier S. 275. Zwar war schon 1915 für die gesamte Monarchie eine Zentralisierung der Arbeitsvermittlung angeordnet worden, doch diese Anordnung führte nur zu ei-nem länderweisen und freiwilligen Zusammenschluss bereits bestehender Einrichtungen, die zudem von ganz anderen Voraussetzungen als die k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide ausgingen : Nicht die Unterbringung schwer vermittelbarer Personen war ihr Zweck, sondern die Versorgung von Kriegsbe-trieben mit Arbeitskräften ; diese „Kriegsorganisation der Arbeitsvermittlung“ (S. 265) bewährte sich vor allem bei der Vermittlung von qualifizierten Metallarbeitern bzw. von Hilfskräften für Schanzarbeiten ; Denkschrift über die von der k. k. Regierung aus Anlaß des Krieges getroffenen Maßnahmen, Bd. 1 : Bis Ende Juni 1915, Wien 1915, S. 264f. Auch der bereits 1906 mit Unterstützung des Arbeitsstatistischen Amtes (1898 im Handelsministerium eingerichtet) geschaffene Verein Reichsverband der allgemeinen Ar-beitsvermittlungsanstalten Österreichs ist als ein solcher Vorläufer zu nennen ; Margarete Grandner, Staat-liche Sozialpolitik in Cisleithanien 1867–1918, in : Helmut Rumpler (Hg.), Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisierung in Österreich und Deutschland 1867/71 bis 1914. Historikergespräch Österreich – Bundesrepublik Deutschland 1989, Wien-München 1991, S. 150–165, hier S. 162.

7 Dienstvorschrift der „Amtlichen Landesstelle für Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide“ in Niederöster-reich ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1915, S. 28f.

8 Das Büro in Wien VII, Neubaugürtel 32, war das Vermittlungsinstitut. Die Landesstelle selbst war in Wien I, Stock im Eisen-Platz 3, untergebracht ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1916, S. 152–157 ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1915, S. 76.

9 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen über Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Wien 1917, S. 279.

10 Die ab Dezember 1915 zweimal wöchentlich erscheinende Zeitschrift enthielt nicht nur ein Verzeichnis offener Stellen, sondern auch „volkstümlich gehaltene Aufsätze“ und war für Kriegsinvalide gratis ; K.k.

Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1915, S. 76.

11 Büros der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide auf Bezirksebene gab es anfangs sonst nur in Gali-zien, Böhmen und Mähren – dort wegen der dezentralen Industriestruktur ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1916, S. 156.

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Gründung und Aufbau

In der Steiermark konnte mit dem 1897 gegründeten steiermärkischen Arbeitsvermitt-lungsamt eine der ältesten Arbeitsvermittlungen Österreichs für die Vermittlung von Kriegsbeschädigten genutzt werden.12 Auch Oberösterreich,13 Tirol,14 Salzburg15 und Schlesien16 konnten auf bestehenden Strukturen aufbauen. In Klagenfurt und Bregenz wurden neue Landesstellen errichtet.17

Der neuen Einrichtung wurde in jedem Kronland ein Kuratorium beigestellt. Ver-treter der Statthalterei, des Landesausschusses, der Landeskommission und anderer relevanter Einrichtungen (etwa der regionalen Industrie- und Gewerbevereine) sowie Privatpersonen sollten in diesem Gremium vereint werden.18 Um „bei der erforderli-chen Propaganda“19 mitzuwirken und die Betriebe im direkten Kontakt über die Be-deutung der Invalidenbeschäftigung aufzuklären, bedurfte es – so waren alle Beteiligen überzeugt – „der opferwilligen, vom Gemeinsinn und Patriotismus getragenen Mit-wirkung der Unternehmerkreise, wie jener der voll erwerbsfähigen Arbeiterschaft“.20 Doch die Aufgaben des Kuratoriums erschöpften sich, zumindest dem Anspruch nach, nicht in dieser Propagandatätigkeit oder in der Verwaltung der Kriegsinvaliden auf der einen und der offenen Stellen auf der anderen Seite. Es sollte auch alles daran setzen, die Arbeitsmöglichkeiten für Invalide zu erweitern – etwa durch die Errichtung von Betriebswerkstätten oder die Zuteilung staatlicher Aufträge und Lieferungen an Be-triebe, die sich bereit erklärten, Kriegsbeschädigte zu beschäftigen.

Was die Dotierung der k. k. Arbeitsvermittlung betraf, so blieb diese – ganz ähn-lich wie jene der Landeskommissionen und nicht zu ihrem Vorteil – der Autonomie der Länder überlassen. Der Kostenersatz wurde nie genau geregelt, die Verwaltungs-hierarchie war unübersichtlich. Niederösterreichische Bezirksarmenräte wandten sich

12 Ebd., S. 184.

13 In Oberösterreich bediente sich die k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide der Arbeitsvermittlung der Stadt Linz bzw. – wenn es um landwirtschaftliche Berufe ging – der Arbeitsvermittlung des oberös-terreichischen Landeskulturrates ; ebd., S. 166 ; sie blieb aber insgesamt eng mit der Landeskommission verbunden ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1917, S. 285.

14 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1358, 5656/1918.

15 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1916, S. 156.

16 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1357, 2100/1918.

17 Denkschrift über die von der k. k. Regierung aus Anlaß des Krieges getroffenen Maßnahmen, Bd. 3 : Jän-ner bis Juni 1916, Wien 1917, S. 177. In Vorarlberg war die Arbeitsvermittlung im Rathaus von Bregenz, in Kärnten im Haus der Landesregierung untergebracht ; K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1916, S. 157.

18 Die Amtsleiter der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide und die Mitglieder der Kuratorien waren zwar staatlich ernannt, aber ehrenamtlich tätig ; oft übernahmen staatliche Funktionäre der politischen Verwaltung oder Personen aus der autonomen Verwaltung diese Tätigkeit ; ebd., S. 155.

19 Ebd.

20 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1915, S. 26.

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beispielsweise Ende 1916 mit ihren Anträgen auf Kostenersatz an die Bezirkshaupt-mannschaften und die Statthalterei, doch diese ließen – weil sie nicht unterrichtet wa-ren, wie sie solche Anträge bearbeiten sollten – die „Akten einfach unerledigt liegen“.21 Die Landesstelle der Arbeitsvermittlung, der diese Bezirksarmenräte in ihrer Funk-tion als Arbeitsvermittlungsbüros für Kriegsbeschädigte eigentlich unterstanden, saß ihrerseits „vollständig auf dem Trockenen“ : Sekretäre, die kleine Ausgaben aus ihren Privatmitteln vorgestreckt, aber nicht ersetzt bekommen hatten, waren schon „sehr un-gehalten“ ; der Landesverband für Fremdenverkehr musste eine Summe zur Deckung von Personalkosten vorschießen, und Geschäftsleute „dräng[t]en in ungestümer Weise nach Bezahlung ihrer Rechnungen“ ; das Ministerium, dem diese Probleme vorgelegt wurden, reagierte nicht.22

Jene Aufgabe der neuen Stelle aber, die – gesetzlich zwar nicht normiert – den-noch bald im Mittelpunkt der Tätigkeit stand, war die materielle Unterstützung der Kriegsbeschädigten bis zu einer ersten Lohnzahlung.23 Diese Unterstützung, die nach Möglichkeit in Form von Naturalien gewährt werden sollte, in der Praxis aber häufig in einer finanziellen Aushilfe bestand, war zwar rein subsidiär und der Kriegsbeschä-digte konnte keinerlei Anspruch geltend machen, doch die Tatsache, dass die soziale Kriegsbeschädigtenfürsorge damit um den Bereich monetärer Zuwendungen erweitert wurde, kann als Eingeständnis der Behörden gelesen werden, dass es mit Schulung und Arbeitsvermittlung allein nicht getan war, um das Projekt der Reintegration wirklich zu vollenden. Die Landeskommissionen wären budgetär zu solchen Unterstützungs-zahlungen nicht in der Lage gewesen ;24 die Landesstellen der k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide erhielten für diesen Teil ihrer Aufgaben staatliche Zuschüsse.25 Ihre Ortsstellen hießen bezeichnenderweise Fürsorgeausschüsse, wie der ganze Bereich

21 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1553, Sa 4, 2687/1918, AV Wien an MdI v. 14.11.1916.

22 Alle Zitate : Ebd.

23 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1916, S. 152–157. Manche Kronländer – wie z. B. Salzburg – machten von dieser Möglichkeit jedoch nicht Gebrauch ; AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1553, Sa 11, 6914/1918, LR Salzburg an MfsF v. 1.3.1918. In Salzburg hatte diese Fürsorge (die individuelle Unter-stützung der Kriegsbeschädigten mit Handgeld, Kleidung, Wäsche, Schuhen usw.) bis zum 20.4.1918 das Kriegshilfsbüro der Landesregierung übernommen, die Landeskommission prognostizierte, dass sie nach Übernahme dieser Agenden Ende Mai 1918 „am Ende ihrer Leistungskraft angelangt sein“ werde ; ebd., Kt. 1553, Sa 11,13074/1918, LK an MfsF v. 17.5.1918. Auch für die mährische Arbeitsvermittlung waren bis Anfang 1918 noch überhaupt keine staatlichen Mittel aufgewandt worden ; ebd., Kt. 1553, Sa 8, 12432/1918.

24 Auf diesen Umstand wiesen mehrere Landeskommissionen hin ; ebd., Kt. 1362, 17603/1918 ; ebd., Kt.

1553, Sa 11, 2705/1918, LK Salzburg an MdI v. 22.9.1917 ; ebd., Kt. 1553, Sa 11, 2705/1918, Statthalte-rei für Tirol und Vorarlberg an MdI v. 17.2.1917.

25 Z. B. die Erwähnung der gewährten Kredite ; ebd., Kt. 1359, 8246/1918, Protokoll der Sitzung des Ar-beitsausschusses der k. k. Arbeitsvermittlung/Landesstelle Wien v. 4.3.1918, S. VIII.

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Schwierigkeiten in der Praxis

auch häufig unter dem Begriff der Berufsfürsorge firmierte. Wie die berufliche Schu-lung war also auch die ArbeitsvermittSchu-lung – bezogen auf Kriegsbeschädigte – nicht sosehr eine arbeitsmarktpolitische als vielmehr  – und wie sich zeigen wird, sogar ganz besonders – eine Fürsorgemaßnahme. Zwar wurden die von den Arbeitsvermitt-lungsbüros, respektive Fürsorgeausschüssen, ausbezahlten Unterstützungen immer als Überbrückungsmaßnahme bis zur ersten Lohnzahlung deklariert, doch aus vielerlei Gründen, die im Folgenden noch ausgeführt werden, kamen Kriegsbeschädigte oft gar nicht in den Genuss einer solchen ersten Lohnzahlung, weil sie nie auf einen Arbeits-platz vermittelt wurden.

5.2 Schwierigkeiten in der Praxis

Jenseits aller praktischer Probleme, mit denen die k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegs-invalide als neu geschaffener, aber weder mit dem notwendigen Budget noch Perso-nal bestückter Verwaltungskörper zu kämpfen hatte – Probleme, die die Arbeitsver-mittlung mit den Landeskommissionen teilte –, gab es auch genügend strukturelle Faktoren, die an sich schon ausgereicht hätten, um die Funktionsfähigkeit der Büros immer wieder auf eine harte Probe zu stellen. Zu diesen gehörte einerseits die spezielle Situation eines von der Kriegswirtschaft geprägten Arbeitsmarktes, auf dem Arbeits-kräfte zwar durchaus nachgefragt waren, der aber zugleich in seinem industriell-ge-werblichen Sektor eine einseitige Ausrichtung auf die Rüstungsindustrie erlebte und mehr und mehr unter dem Rohstoffmangel litt. Andererseits war die Beschaffenheit der Klientel selbst auch ein solcher Faktor. Kriegsbeschädigte waren nämlich nicht nur ihrer körperlichen Gebrechen wegen schwer vermittelbare Arbeitskräfte.

Die Vermittlungsquoten ergeben zunächst ein äußerst heterogenes Bild, waren sie doch von Kronland zu Kronland sehr verschieden. Selbst in der Stadt Wien, die beson-ders gute Zahlen aufwies und wo 1916 und 1917 knapp über 50 % der Kriegsbeschädigten vermittelt werden konnten,26 waren die Verantwortlichen unzufrieden, da diese Ziffern die Erfolgszahlen jener Büros, deren Aktivitäten nicht auf Kriegsbeschädigte beschränkt waren, doch deutlich unterschritten. Ab Mitte 1918 und besonders nach Kriegsende konnte wegen der ungünstigen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt selbst diese Quote nicht mehr erzielt werden. In Böhmen wurden nur zwischen 20 und 35 % der

kriegsbe-26 1915 : 44,4 %, 1916 : 52,6 % ; ebd., Kt. 1356, 1764/1918 ; 1917 : 51,8 % ; ebd., Kt. 1356, 1490/1918. Nur die Landesstelle Graz hatte mit Wien vergleichbare Raten zu melden : 1916 : 62 %, 1917 : 87,6 % ; ebd., Kt. 1358, 6404/1918.

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schädigten Männer, die sich an die Arbeitsvermittlungsbüros wandten, vermittelt.27 Und die niedrigsten Raten wurden aus Laibach gemeldet, wo nur 5 bis 10 % der in den Büros registrierten Männer in den Arbeitsmarkt reintegriert werden konnten.28 Unbefriedigend war auch die Tatsache, dass ein Großteil der Kriegsbeschädigten – angeblich 80 %29 – die vermittelten Stellen innerhalb eines Jahres wieder verließ. Während Berichte über die Invalidenschulung meist außergewöhnlich positiv, ja vielfach enthusiastisch ausfielen, vermisst man diesen euphorischen Ton bei der Arbeitsvermittlung völlig.

5.2.1 Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage

Eine der Hauptschwierigkeiten bestand darin, dass die Arbeitsvermittlungsbüros das auf dem Arbeitsmarkt herrschende Missverhältnis von Angebot und Nachfrage nur mangelhaft überbrücken konnten. In den ersten Kriegsjahren wurden ihnen oft Stellen gemeldet, für die sich Kriegsbeschädigte – sei es aufgrund ihres konkreten Leidens, sei es aufgrund fehlender Qualifikation – einfach nicht eigneten. Das Justizministerium wollte zum Beispiel 1916 unter den Kriegsbeschädigten staatsanwaltliche Funktionäre rekrutieren und startete eine Werbeaktion, konnte aber zwei Jahre später erst die An-stellung von zwei Personen melden.30 Im letzten Kriegsjahr war dann oft umgekehrt die Nachfrage nach Posten größer als das Angebot.31 Der Rohstoff- und Kohlemangel hatte zu diesem Zeitpunkt viele Betriebe bereits dazu gezwungen, ihre Produktion zu reduzieren oder ganz einzustellen und Arbeitskräfte zu entlassen.32

Es gab freilich mit dem großen Sektor der Kriegswirtschaft einen Bereich, in dem sich Arbeitsmöglichkeiten für Kriegsbeschädigte eröffnet hätten, doch Landeskom-missionen wie Vermittlungsbüros standen einer Vermittlung von Arbeitsplätzen in

27 Ebd., Kt. 1356, 93/1918, Landeszentralarbeitsamt in Prag III an MdI v. 29.12.1917 ; ebd., Kt. 1357, 2635/1918.

28 Ebd., Kt. 1356, 1669/1918.

29 Ebd., Kt. 1358, 4471/1918, Bericht über die Beratung der Arbeitsvermittlungen am 7.2.1918, S. 3 ; siehe auch ebd., S. 8 : „Viel Verdruss bereitet das Vorkommen arbeitsunfähiger und arbeitsscheuer Elemente unter den Invaliden. Epileptische, Geistesgestörte, Lungenkranke und an Nervenschock leidende Inva-lide vermögen ihre Posten nur auf kurze Zeit auszufüllen und werden daher immer von neuem an die Landesstelle verwiesen. In letzter Zeit hat sich die Praxis eingebürgert, derartigen Invaliden Aufseher-posten in Flüchtlingslagern zu vermitteln, woselbst sich diese Leute vielfach erholen.“

30 Ebd., Kt. 1356, 1591/1918. Die Aktion wurde nach Kriegsende noch einige Jahre weitergeführt, doch der Erfolg blieb weiter aus ; ebd., Kt. 1371, 6678/1920.

31 Ebd., Kt. 1358, 4346/1918, AV Wien v. 6.2.1918. Das wird zum Teil auch schon für 1917 behauptet ; Weiss in ebd., Kt. 1359, 8246/1918, Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses der k. k.

Arbeitsver-mittlung/Landesstelle Wien v. 4.3.1918, S. IX.

32 Z. B. ebd., Kt. 1358, 4471/1918, Bericht über die Beratung der Arbeitsvermittlungen am 7.2.1918, S. 6.

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Schwierigkeiten in der Praxis

der Kriegswirtschaft grundsätzlich reserviert gegenüber. Für sie hatte eine dauerhafte Unterbringung Vorrang vor einer nur vorübergehenden. Hier wird offenbar, dass sich der Konflikt zwischen Militär und Zivilverwaltung auch auf die Arbeitsvermittlung erstreckte. Die Armee hätte Posten im eigenen Wirkungskreis – in militärischen Be-trieben oder in BeBe-trieben, die gemäß Kriegsleistungsgesetz33 unter militärischer Ver-waltung standen – gerne mit Kriegsbeschädigten besetzt, um gesunde Männer für den Einsatz an der Front frei zu bekommen. Die zivilen Behörden hingegen hatten schon die Demobilisierung im Auge und wollten Kriegsbeschädigte auf solchen Stellen un-terbringen, von denen anzunehmen war, dass es sie auch nach Kriegsende noch geben würde. Kriegsbeschädigte sollten schon mit Arbeitsplätzen versorgt sein, wenn die große Masse der demobilisierten Soldaten auf den Arbeitsmarkt strömte, und nicht etwa als entlassene Arbeiter eines dann nicht mehr benötigten Rüstungsbetriebs selbst auf Arbeitssuche sein. In der Konkurrenz mit den gesunden Heimkehrern würden sie – so sah man voraus – den Kürzeren ziehen.

Eine Umfrage des Ministeriums für soziale Fürsorge unter den Arbeitsvermitt-lungsstellen für Kriegsbeschädigte ergab im Jänner 1918, dass in der Praxis die An-stellung von bereits superarbitrierten Kriegsbeschädigten beim Militär tatsächlich von eher untergeordneter Bedeutung war.34 Die Büros vermieden die Vermittlung der bei ihnen vorsprechenden Männer auf die als nicht dauerhaft eingestuften militärischen Arbeitsplätze, und auch der Großteil der Kriegsbeschädigten hatte – wie etwa aus Salz-burg gemeldet wurde – „keine besondere Vorliebe für solche Anstellungen“.35 Unter den insgesamt 18.772 in den militärischen Waffen- und Munitionsbetrieben beschäf-tigten Kriegsbeschädigten der österreichischen Reichshälfte waren nur knapp 20 % über den Weg der freien Arbeitsvermittlung angeworben worden.36 Für Dienststellen direkt bei der kämpfenden Truppe fanden sich – trotz der attraktiven Bedingungen, die diese Posten etwa hinsichtlich der Verpflegung boten – unter den Kriegsbeschä-digten überhaupt keine Bewerber ;37 an den Ort der Gefahr wollten sie offenbar auf keinen Fall zurückkehren. Das Sozialministerium stand in dieser Beziehung – wenn auch aus anderen Gründen – ganz hinter den Kriegsbeschädigten. Als das

Kriegsmi-33 RGBl 1912/236.

34 Erlass des MfsF v. 24.1.1918 ; AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1358, 5453/1918 ; im selben Karton auch 3974/1918 ; 4053/1918 ; 4318/1918 ; 4630/1918.

35 Ebd., Kt. 1358, 5453/1918.

36 Die übrigen Kriegsbeschädigte waren als frontdienstuntauglich, aber berufsfähig eingestuft worden : Noch nicht aus dem Militärverband entlassen, konnten sie einfach in die Waffenbetriebe abkomman-diert werden ; ebd., Kt. 1361, 15364/1918.

37 Das Kriegsministerium propagierte diese Stellen, musste sich jedoch vom Sozialministerium mitteilen lassen, dass sich Kriegsbeschädigte für Stellen im Feld nicht bewarben ; ebd., Kt. 1361, 13599/1918.

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nisterium – angeregt durch das Ministerium des Innern – im März 1918 vorschlug, dass die Kriegsbeschädigten anlässlich ihrer Superarbitrierung aufgefordert werden sollten, sich für Militärbetriebe freiwillig zu melden, war das Ministerium für soziale Fürsorge strikt dagegen, weil es befürchtete, dass eine solche von einer militärischen Kommission ausgesprochene Aufforderung ein „autoritatives Moment“38 enthalten würde, dem sich Kriegsbeschädigte nicht entziehen könnten ; die Superarbitrierungs-kommissionen würden damit außerdem auch einen Akt der Berufsberatung setzen, zu dem sie weder befugt noch geeignet seien.

Wenn es gelang, Kriegsbeschädigte auf normale Arbeitsplätze zu vermitteln, so zeigte sich in der Regel, dass sie mit Hinweis auf ihre verminderte Arbeitsleistung geringer entlohnt wurden als ihre gesunden Kollegen. So geschah es während des Krieges selten aus uneigennützigen Gründen, wenn Firmen von sich aus anboten, Kriegsbeschädigte anzustellen. Die Wiener Gummifabrik Philipp Schwarz39 etwa wollte 1916 einige Hundert fußamputierte Kriegsbeschädigte anlernen ; Verpflegung und Unterbringung aber sollte das Militär übernehmen.40 Der Lohn für diese Arbeitskräfte hätte dann freilich nicht besonders hoch sein müssen. Die Schlosserei Wellschmidt & Co.41 wollte einen Musterbetrieb einrichten, in dem ein Drittel der Arbeitskräfte Kriegsbeschädigte sein sollten ; sie hoffte, auf diese Weise Aufträge des Kriegsministeriums zu lukrieren.42 Im Verlauf des Krieges nahm die Bereitschaft privater Betriebe, Kriegsbeschädigte zu beschäftigen, sukzessive ab.43 Diese Männer waren für Arbeitgeber so lange interessant, als gesunde Arbeitskräfte nicht zu bekommen waren oder ihre Beschäftigung zusätzli-che Vorteile, vor allem eben eine Reduktion der Lohnkosten, versprach.

Die Invalidenbezüge reichten nicht aus, den fehlenden Lohnanteil auszugleichen, was – wie die Landeskommissionen Anfang 1917 befürchteten – nicht nur zu einer fortschreitenden Arbeitsunlust unter den Kriegsbeschädigten führen, sondern auch ein „willkommenes Agitationsmittel sehr bedenklicher Art für subversive Elemente bilden“44 könnte. Die Landeskommissionen versuchten gegenzuarbeiten, doch ihre Mittel waren begrenzt. Die Gewerkschaften fürchteten, dass Kriegsbeschädigte zu Lohndrückern werden könnten, und forderten eine bindende Regelung ; die Arbeit-geberverbände sträubten sich dagegen. In den Mitte Oktober 1917 veröffentlichten Richtlinien der k. k. Arbeitsvermittlung, die sich an Arbeitgeber, Arbeitnehmer und

38 Ebd., Kt. 1362, 19273/1918.

39 Philipp Schwarz, Erzeugung von Gummiwebwaren, Wien XIII, Mitisgasse 5 ; Lehmann, 1916, S. 536.

39 Philipp Schwarz, Erzeugung von Gummiwebwaren, Wien XIII, Mitisgasse 5 ; Lehmann, 1916, S. 536.