• Keine Ergebnisse gefunden

Was versteht man unter Gender?

Im Dokument Katharina Kallenborn (Seite 17-20)

2. Ein Volksfest erforschen – mein Zugang zur Mainzer Fastnacht

3.1 Was versteht man unter Gender?

Die soziale Kategorie ‚Geschlecht‘ teilt unsere Gesellschaft in zwei Teile, in Frau-en und Männer. Noch bis in die 60er Jahre des zwanzigstFrau-en Jahrhunderts nahm man an, dass die unterschiedlichen Geschlechterrollen – also das Verhalten, das für ei-nen Mann beziehungsweise für eine Frau als angemessen galt – biologisch determi-niert seien; man ging also von der Existenz eines vorkulturellen und somit natürli-chen Geschlechtskörpers aus (Göttsch 1999: 2). In der zweiten Hälfte des zwanzigs-ten Jahrhunderts begann die Frauen- und Genderforschung, diese Annahmen zu hinterfragen; der Begriff ‚Gender‘ wurde in den frühen 1980er Jahren populär (Pine 2002: 253). Es wurde nun zwischen Sex, dem biologischen Geschlecht, und Gender, der kulturell erworbenen Geschlechtsidentität unterschieden: Man nahm an, dass ein Mensch grundsätzlich als biologisches Weibchen oder biologisches Männchen, also entweder mit weiblichen oder männlichen Geschlechtsorganen auf die Welt kommt, dass dieses biologische Geschlecht (sex) aber nicht zwangsläufig mit dem sozialen Geschlecht (gender) übereinstimmen muss, da letzteres kulturell erworben wird. In den 1990er Jahren verschwamm die Unterscheidung zwischen Sex und Gender mehr und mehr, und man begann, den Geschlechtskörper als historisch und kulturell konstruiert anzusehen (Pine 2002: 261). Judith Butler stellt in ihrem Werk Das Unbehagen der Geschlechter (1991) die Zweigeschlechtlichkeit grundsätzlich in Frage. Gender, also die Geschlechtsidentität, ist für sie keineswegs die Folge von Sex, dem biologischen Geschlecht – vielmehr geht sie davon aus, dass beide Kon-zepte gesellschaftlich konstruiert sind: Da der Körper selbst laut Butler immer schon

14 durch kulturelle Bedeutungen interpretiert worden ist, ist Sex schon immer das Gleiche gewesen wie Gender (1991: 26). Mit anderen Worten: Wird sofort nach der Geburt ein Mensch aufgrund äußerer Merkmale als männlich oder weiblich klassifi-ziert, so stellt dieser Akt bereits eine kulturelle Zuschreibung dar. Ein natürliches Geschlecht gibt es also nicht:

„Die Geschlechtsidentität umfaßt auch jene diskursiven/kulturellen Mittel, durch die eine ‚geschlechtliche Natur‘ oder ein ‚natürliches Geschlecht‘ als ‚vor-diskursiv‘, d.h. als der Kultur vorgelagert oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich die Kultur einschreibt, hergestellt und etabliert wird.“ (Butler 1991:

24)

Sex, das sogenannte „natürliche Geschlecht“, geht also selbst aus denjenigen Mitteln hervor, die Gender, die Geschlechtsidentität, konstruieren – eine Unter-scheidung zwischen den beiden Konzepten wird folglich hinfällig. Eine bestehende Kategorie ‚Frauen‘ – oder ‚Männer‘ – vorauszusetzen sieht Butler als falsch an, diese sollten vielmehr als „offener Schauplatz umkämpfter Bedeutungen“ dienen denn als starre Begriffe (1991: 35). Butler kritisiert also das System der Zweigeschlechtlich-keit an sich, sowie seine Folgeerscheinung, die „institutionalisierte Heterosexuali-tät“, also ein festes, gegensätzlich strukturiertes heterosexuelles System, welches das System der Zweigeschlechtlichkeit mit sich bringt (1991: 45).

Wetterer spricht von einer „Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit“, die das Ergebnis historischer Entwicklungsprozesse ist und durch fortlaufende soziale Praxis immer neu reproduziert wird (2010: 126). Dieses System bestimmt im Alltag einen Großteil des gesellschaftlichen Lebens: Geschlecht ist „alltäglich erfahrbare schaftliche Realität“ (Göttsch 1999: 3) und ein „fundamentales Kriterium gesell-schaftlicher Ordnung“ (Göttsch 1999: 6). Die Einteilung unserer Mitmenschen in die Kategorien ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ geschieht im Alltag so selbstverständlich, dass sie selten hinterfragt wird – die Genderforschung jedoch zeigt, dass sie sozial kon-struiert ist. Küppers macht deutlich, wie die „wirkmächtige, herrschaftsdurchtränkte soziale Realität“ (2012: 5) der Geschlechterordnung zu dem Zwang führt, sich der Norm zu unterwerfen:

„Geschlecht ist nach wie vor eines der dominantesten Ordnungskriterien in un-serer Gesellschaft und bildet ein sehr handlungswirksames und grundlegendes gesellschaftspolitisches Strukturierungsprinzip. Um sozial überleben zu können, müssen wir einem Geschlecht zugeordnet und als solches erkennbar sein… Mit

15 dieser Klassifikation sind spezifische Wahrnehmungen, Zuschreibungen, Hierar-chien und Vorannahmen verbunden, die wiederum weitere soziale Interaktio-nen beeinflussen.“ (Küppers 2012: 6)

Das System der Zweigeschlechtlichkeit bestimmt also unseren Alltag. Gender spielt eine große Rolle für die Art und Weise, wie wir uns selbst und andere in sozi-al-relationalen Kontexten definieren (Ridgeway/Correll 2004: 512), es kann sogar nur in Interaktion mit anderen bestehen: „Man ‚hat‘ ein Geschlecht erst, wenn man es für andere hat“ (Gildemeister 2010: 138). Es muss jedoch angemerkt werden, dass Gender nie das einzige Klassifikationsschema ist, „mit dem wir die Welt ordnen und unser Gegenüber einordnen“ (Gildemeister 2010: 138). Gender wird nie allein erzeugt, sondern immer mit anderen Kategorien wie Alter, Klassenzugehörigkeit, Hautfarbe, Ethnizität (Gildemeister 2010: 143; Ridgeway/Correll 2004: 516; Göttsch 1999: 6) und sollte immer im Zusammenhang mit diesen betrachtet werden.

Obwohl man wohl in allen Kulturen zwischen ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ unter-scheidet, variieren das Verständnis von maskulin und feminin, die Vorstellungen über biologische Unterschiede, und die Bedeutung, die Differenzen zugeschrieben wird, von Kultur zu Kultur (Pine 2002: 253; Schröter 2012: 49). Nicht alle Gesell-schaften kennen (nur) zwei Geschlechter und nicht in allen GesellGesell-schaften ist die Geschlechtszugehörigkeit lebenslang festgeschrieben (Wetterer 2010: 127). So gibt es in vielen außereuropäischen Gesellschaften ein ‚drittes Geschlecht‘, beispielswei-se hijras in Indien, khusra in Pakistan, two spirits in Nordamerika (Schröter 2012: 49-52), und Margaret Mead stellte Ende der 1950er Jahre fest, „dass es Gesellschaften gibt, die institutionalisierte Geschlechtswechsel oder mehr als zwei Geschlechter kennen und damit nachdrücklich vor Augen führen, dass unsere Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit keineswegs von universaler Selbstverständlichkeit ist“ (Wet-terer 2010: 128). Das Konzept ‚Gender‘ ist also hochgradig abhängig vom kulturellen Kontext – oder, in Butlers Worten: Die Geschlechtsidentität lässt sich „nicht aus den politischen und kulturellen Vernetzungen herauslösen, in denen sie ständig hervor-gebracht und aufrechterhalten wird“ (1991: 18).

Ich habe versucht zu zeigen, dass Gender – ebenso wie andere soziale Katego-rien auch – etwas ist, das man tut, nicht etwas, das man ist; es ist „eine Art unabläs-sig wiederholte Handlung“ (Butler 1991: 167), ein Effekt von Diskursen (Küppers

16 2012: 5), welche sich ständig selbst erneuern. Geschlecht ist nicht etwas, das exis-tiert – das System der Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft wird durch alltägliche Praktiken sowohl dargestellt als auch hervorgebracht (Küppers 2012: 7).

Dieses System erhält sich selbst, indem es ständig neu definiert, was Männer und Frauen sind und was sie tun (Ridgeway/Correll 2004: 522) – es existieren also vor-herrschende Meinungen bezüglich der Eigenschaften eines ‚typischen‘ Mannes oder einer ‚typischen‘ Frau, und diese kulturellen Vorstellungen wandeln sich nur lang-sam und schrittweise (Ridgeway/Correll 2004: 528).

Im Dokument Katharina Kallenborn (Seite 17-20)