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Verhältnis zwischen Sprach(en)erwerb und Erwerb mathematischer Kompetenzen

Kapitel 2 Grundlagen für einen bilingualen deutsch-französischen

2.5. Verhältnis zwischen Sprach(en)erwerb und Erwerb mathematischer Kompetenzen

Es sollen hier zunächst Überlegungen zur Rolle der Sprache (Mutter- bzw. Fremdsprache) in gesprochener und geschriebener Form beim Aufbau mathematischen Wissens sowie bei der Entwicklung mathematischer Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler dargelegt werden.

Danach soll erörtert werden, inwieweit wiederum Mathematiklernen zur Förderung sprachlicher Kompetenzen beitragen kann. Zum Schluss geht dieser Teil auf den Zugewinn ein, den das Zusammenspiel von Mutter- und Fremdsprache im Rahmen eines bilingualen Sachfachunterrichts darstellt.

Dem von Bruner formulierten EIS-Prinzip zufolge sollte ein mathematischer Sachverhalt möglichst in allen drei Darstellungsebenen – enaktiv, ikonisch, symbolisch – erfasst werden.

Ein weiteres mit dem EIS-Prinzip zusammenhängendes didaktisches Prinzip ist das auf Bauersfeld zurückzuführende Prinzip vom intermodalen Transfer, das in 'Übersetzungen' mathematischen Wissens von einer Darstellungsebene in eine andere besteht (nach Maier et al. 1999, S. 77).

Besonders bei jüngeren Schülerinnen und Schülern gibt erst die Verbindung aller Darstellungsformen ein tieferes Verständnis eines Sachverhalts.

Zu der symbolischen Darstellungsebene gehören sowohl die sprachliche Formulierung als auch die formale Darstellung in mathematischen Symbolen. Da die Sprache uns aber wesentlich vertrauter ist, spielt sie also beim intermodalen Transfer und folglich beim Mathematiklernen eine besondere Rolle. Diese Überlegungen unterstreichen, wie wichtig es ist, dass die Sprache im Lernprozess der Mathematik die Schülerinnen und Schüler begleitet.

In ihrem Buch „Mathematik und Sprache“ meinen Maier et al. dazu: „Die Sprache kann ihrer Funktion der Strukturierung, Ergänzung und Verifizierung der Modellerfahrungen nur gerecht werden, wenn Handeln und verbale bzw. schriftliche Darstellung von Anfang an eng aufeinander bezogen sind. [...]

Die sprachliche Formulierung von Beziehungen und Merkmalen erweitert ebenso wie die Benennung von Objekten und Ereignissen die Möglichkeit einer begrifflich denkenden Bewältigung der Umwelt.“ (ebd. S. 85)

Durch die Versprachlichung werden Inhalte selbstständig strukturiert und in eigenen Vorstellungen umgesetzt.

Einen ergänzenden Gesichtspunkt liefern Gallin und Ruf, indem sie großen Wert auf zweierlei Bereiche legen: die persönliche Auseinandersetzung mit dem Stoff und das Gespräch mit anderen Menschen, die in einer Beziehung zu diesem Stoff stehen:

„Selber mit dem Stoff reden und seine Erlebnisse mit andern austauschen, das sind die beiden Quellen des Verstehens. In der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Stoff erfährt man die eigenen Möglichkeiten und Grenzen, im erzählenden Austausch mit andern gestaltet man seine Erkenntnisse und erweitert divergierend seinen Horizont. So arbeitet man gemeinsam an einer Sprache, die zwar mehr und mehr in die Welt des Regulären hineinwächst, trotzdem aber auch etwas ganz Persönliches bleibt, weil sie von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen durchdrungen ist.“ (Gallin / Ruf 1998, S. 25)

Auf diesem Wege wird allmählich vom Kontext der Erfindung zum Kontext der Validierung übergegangen. Wagenschein unterscheidet in diesem Sinne zwischen der „Sprache des Verstehens“ und der „Sprache des Verstandenen“ (Wagenschein zitiert nach Gallin / Ruf

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1998, S. 25), d. h. zwischen einer informellen Arbeitssprache und einer formaleren Sprache als Ergebnis eines sozialen Aushandlungsprozesses.

Wiederum bedeutet der Erwerb jeglichen Wissens – nicht zuletzt auch das Erlernen von Mathematik – eine Erweiterung der Sprachfähigkeit, wobei die Sprache hier unter der doppelten Funktion – einer kommunikativen und einer kognitiven – betrachtet wird. Laut Maier et al. verweist die kognitive Funktion der Sprache auf zwei Probleme, auf den Zusammenhang zwischen Begriff (signifié) und Zeichen (signifiant) und auf den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken (nach Maier et al. 1999, S. 18).

Auf einer eher kommunikativen Ebene braucht Mathematik eine Sprache, um formuliert und mitgeteilt werden zu können. Zum Beispiel das Untersuchen von Objekten, deren zu bezeichnende Merkmale und das Formulieren von Beziehungen zwischen den Objekten sind Anlass zur sinnvollen Einführung neuer Wörter, Ausdrücke und Sätze.

Die kognitive Funktion der Sprache wird beim mathematischen Erkenntnisgewinn gefördert, und die Ergebnisse individuellen Denkens können zwecks sprachlicher oder schriftlicher Mitteilung in Worte ausgedrückt werden. Die kommunikative Funktion hat somit einen Verstärkungseffekt auf die kognitive Funktion. Beide Funktionen hängen also eng mit-einander zusammen und werden im Mathematikunterricht gefördert.

Es wurde hier auf die Wechselwirkung zwischen Spracherwerb und Erwerb mathematischer Kompetenzen eingegangen. Bei der in Frage kommenden Sprache kann es sich sowohl um die Muttersprache als auch um eine Fremdsprache handeln, vorausgesetzt, dass die Schülerinnen und Schüler über den nötigen Grundwortschatz und die -strukturen der Fremdsprache verfügen11.

Indem die Fachbegriffe in der Mutter- und in der Fremdsprache vermittelt werden, werden sie bereichert und vertieft. Lassen wir Golay diesbezüglich zu Wort kommen:

„Durch die zweisprachige Vermittlung der Fachbegriffe durchdringen die Schüler diese Konzepte in zwei unterschiedlichen Sprachen. Somit erhalten sie einen Perspektiven-wechsel, der sich nicht nur auf der sprachlichen Ebene abspielt, sondern auch zu einer 'erweiterten Bilingualität' der fachlichen Konzepte im Sinne verschiedenartiger Zugänge führt. Fachwissen kann somit erfolgreich ergänzt und gefestigt werden.“

(Golay 2007, S. 110)

Die verschiedenen erörterten Beziehungen zwischen je zwei Fächern aus Mathematik (M), der Muttersprache (L1) und der Fremdsprache (L2) können zusammenfassend anhand des folgenden Dreiecks verdeutlicht werden (Abb. 2.5.1.):

11 Sollte dies noch nicht der Fall sein, muss darauf geachtet werden, dass die Kinder schon mit dem behandelten Thema vertraut sind oder dass sich dieses leicht veranschaulichen lässt. Bei abstrakten Themenbereichen, die fachsprachlich für die Kinder komplex sind, sollte es nicht verboten sein, „eine einführende Lektion in der Muttersprache abzuhalten, bis genügend Grundkenntnisse vorhanden und gefestigt sind, um anschließend in der fremden Arbeitssprache fortzufahren.“ (Golay 2007, S. 111)

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Abb. 2.5.1.: Beziehungen im bilingualen Mathematikunterricht

Hiermit kommt zum Ausdruck, dass das Heranziehen beider Sprachen sich im Rahmen des bilingualen Mathematikunterrichts positiv auf den Erwerb mathematischer Kenntnisse auswirkt; der bilinguale Mathematikunterricht kann sich vorteilhaft auf zwei Sprachen stützen.

Wiederum können beide Sprachen Vorteile aus einem bilingualen Mathematikunterricht ziehen; die Schülerinnen und Schüler können über ein Glossar die Fachbegriffe und die im Mathematikunterricht am häufigsten benutzten Vokabeln bzw. Ausdrücke in zwei Sprachen erfahren. Darüber hinaus, kann auch im bilingualen Mathematikunterricht ein kontrastives Lernen stattfinden. Wenn es z. B. bei der Uhr darum geht, eine Uhrzeit in Deutsch und in Französisch anzugeben, muss man sich bewusst sein, dass eine wortwörtliche Übersetzung von einer Sprache in die andere manchmal nicht möglich ist („dreiviertel neun“ bzw.

„Viertel vor neun“ heißt auf Französisch „neuf heures moins le quart“): In diesem Falle hilft die Mathematik, anhand eines Zifferblatts diese Formulierungen als verschiedene Bezeichnungen der gleichen Uhrzeit zu verstehen.

M

L1

L2

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