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Kapitel 4 Eigene Unterrichtsversuche zum bilingualen Mathematikunterricht

4.1. Analyse der Behandlung des Zehnerübergangs

Am Beispiel eines konkreten Inhalts (Addition mit Zehnerübergang im 1. Schuljahr) wurde eine Unterrichtsstunde zunächst in einer bilingual geführten Klasse durchgeführt und anschließend zum Vergleich jeweils in einer nicht bilingual geführten Klasse in Deutschland und Frankreich.

Mathematisches Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler anhand eines didaktischen Spiels mit einer Methode zum Zehnerübergang bekannt zu machen. Dafür werden ihnen zunächst ein paar Additionsaufgaben gestellt, um sie zunächst die zu überwindende Schwierigkeit spüren zu lassen. Dann üben sie spielerisch den Zehnerübergang ein. Die Stunde schließt mit neuen Additionsaufgaben, bei denen sie die mit dem Spiel eingeführte Methode anwenden können.

Im Blick auf das Verstehen von den in der Fremdsprache gegebenen Anweisungen und Spielregeln und den Erwerb fremdsprachlicher Kenntnisse soll im Rahmen dieses Versuchs die Rolle vom Lehrer durchgeführter Handlungen hervorgehoben werden. Manche fremd-sprachige Äußerungen sollten von den Kindern leicht aufgenommen und verstanden werden können, wenn der Lehrer sie langsam ausspricht und sie mit entsprechendem Handeln – hier auf dem Spielplan – begleitet. Dieses Experiment könnte dann folgenden Schluss zulassen:

Wenn bei der Behandlung eines Themas die Kinder den einschlägigen fremdsprachigen Wortschatz noch nicht verstehen, es aber möglich ist, ihn über Handlungen zu deuten, schadet der bilinguale Unterricht dem Erwerb von mathematischen Kenntnissen nicht. Zu diesem Zweck wird hier in der bilingual unterrichteten Klasse mit den Kindern hauptsächlich in der Fremdsprache gearbeitet, und in den beiden monolingual unterrichteten Klassen wird nahezu vollständig auf Sprache verzichtet.

4.1.1. Bilingualer Unterricht in Klasse 1 in Tannenkirch (Baden)

Klassenlehrer: Herr Staudner

Lehrer der Stunde: Yves Schubnel; Datum:12.04.2002

Thema: Mit Zehnerübergang addieren – Additionner avec passage de la dizaine

4.1.1.1. Unterrichtsentwurf

Der ausführliche Verlaufsplan und die Spielregeln zum Autorennen-Spiel finden sich im Anhang I1-I3

4.1.1.1.1. Rechenaufgaben – Quelques calculs

4.1.1.1.2. Autorennen – La course de voitures

4.1.1.1.3. Neue Rechenaufgaben – De nouveaux calculs

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4.1.1.2. Analyse der bilingual geführten Stunde

a) Mathematische und sprachliche Voraussetzungen

Die Kinder kennen die Zahlwörter im Zahlenraum von 1 bis 20. Sie können auf 10 ergänzen und sind bereits mit Zahlzerlegungen vertraut. Sie kennen teilweise auch schon bis 20 die französischen Zahlwörter und verfügen über einen ausreichenden Wortschatz, der ihnen hilft, die Spielregeln zu verstehen.

b) Mathematisches Lernziel

Mathematisches Lernziel ist es, den Zehnerübergang durch Zahlzerlegungen und einfache Additionen (10 + …) sicher vollziehen zu können.

c) Bilinguale Lernziele

Die bilingualen Lernziele sind folgende:

- dieKenntnis der französischen Zahlwörter von 0 bis 20 zumTeil ergänzen und festigen.

Dabei können die Kinder auf Unterschiede zwischen dem Aufbau deutscher und französischer Zahlwörter aufmerksam gemacht werden; z. B.: siebzehn (7 + 10) und dix-sept (10 + 7),

- auf Französisch zerlegen und rechnen, und

- den französischen Wortschatz erweitern (jeu, voiture de course, numéro, pompe à essence usw.) und Ausdrücke wie „j’ai gagné“, „j’ai perdu“ verstehen und selbst benutzen können.

d) Unterschied zwischen monolingualem und bilingualem Unterricht

Manche abstrakte Begriffe, z. B. die Zahlen, werden auf zwei Sprachen bezeichnet; das trägt dazu bei, dass die Kinder diese Konzepte besser wahrnehmen und auch verstehen.

e) Zusammenhang zwischen den drei durchgeführten Aktivitäten

Ein paar Additionsaufgaben werden zuerst gestellt, um auf die etwaige Schwierigkeit des Zehnerüberganges aufmerksam zu machen. Das Spiel bietet eine Hilfe an, indem es einen möglichen Weg zeigt: Man muss auf dem Zapfsäule-Feld anhalten, bevor man auf das richtige Feld gehen darf. Die letzten Additionsaufgaben geben den Kindern die Gelegenheit, das Modell des Spieles zu benutzen, um Additionen mit Zehnerübergang durchzuführen.

4.1.1.3. Anmerkungen zur Durchführung

- Die Kinder sind motiviert und verstehen die Spielregeln gut. Auf einer mathematischen Ebene ist diese Aktivität überdies ein Erfolg.

Dieses Spiel bietet den Kindern zum Zehnerübergang eine Hilfe an. Manche Schülerinnen und Schüler finden es jedoch etwas umständlich. Für diese ist es natürlich klar, dass sie in Zukunft ihre eigene Vorgehensweise benutzen werden können, wenn sie effizienter ist als die hier durchgeführte.

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- Im Beisein des Lehrers sprechen die Kinder Französisch, oder sie versuchen es wenigstens.

Aber sobald sie alleine spielen, hat das Deutsche wieder den Vorrang.

Am Anfang des Autorennen-Spieles werden zunächst die Bilder und dann die Spielregeln auf Französisch erklärt und manche Begriffe ins Deutsche übersetzt.

Im Nachhinein lässt sich sagen: Man hätte Spielregeln und Anweisungen mit einfachen Worten beim Spielen nur auf Französisch erklären und mit Gesten begleiten können, indem man auf den Spielplan Bezug genommen hätte. So hätte man die Kinder in ein „echteres Sprachbad“ eingetaucht und der Kombination Mathematik-Französisch größeren Nach-druck verliehen. Das hätte vielleicht auch dazu beigetragen, dass sich nachher die Kinder unter sich auch mehr auf Französisch äußern.

Für den Lehrer ist die Versuchung, Deutsch zu sprechen, groß und man merkt, dass dieser Unterricht ein hohes Maß an Sprachkonzentration verlangt.

Zur Einführung neuer Begriffe, deren Sinn nicht durch ein Handeln angedeutet werden kann, bedarf es allerdings doch der Übersetzung mancher Wörter ins Deutsche.

Bei Übungsstunden, in denen es darum geht, Kenntnisse zu festigen, ist jedoch der größte Teil auf Französisch machbar.

4.1.2. Deutscher Unterricht in Klasse 1 an der Adolf-Reichwein- Schule in Freiburg

Klassenlehrer: Herr Walter

Lehrer der Stunde: Yves Schubnel; Datum: 08.05.2002 Thema: Mit Zehnerübergang addieren

In dieser Stunde, die nur auf Deutsch gehalten wird, werden dieselben Inhalte nach dem gleichen Unterrichtsverlauf und mit demselben Material behandelt wie in der bilingualen Mathematikstunde in Tannenkirch.

Ziel ist es, zu untersuchen, inwiefern Kinder in der Lage sind, fremdsprachige Anweisungen zu verstehen. Zu diesem Zweck wird während der Unterrichtsstunde so wenig Deutsch gesprochen wie möglich und also Folgendes beachtet:

- Es werden keine verbalen Anweisungen gegeben;

- Aufforderungen werden durch Gesten oder mit Hilfe des Spielplans übermittelt;

- Bei der ersten Partie, die der Lehrer gegen die Klasse spielt, werden die Spielregeln so weit wie möglich durch stumme Impulse erläutert. Auf den Inhalt der Sprechblasen wird nicht eingegangen. Es wird also so wenig wie möglich zur Sprache gegriffen.

Ergebniszettel

Spieler: ……… und …..……….

Autorennen

Partie Vorname des Gewinners

1 2 3

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4.1.3. Französischer Unterricht in CP (cours préparatoire) an der école Hubert-Metzger in Belfort

Klassenlehrerin: Madame Freyburger

Lehrer der Stunde: Yves Schubnel; Datum: 01.06.2002 Thema: Additionner avec passage de la dizaine

Hier wird in französischer Sprache demselben Unterrichtsverlauf mit dem gleichen Modus Operandi gefolgt wie im vorigen deutschen Unterricht.

Ergebniszettel: siehe auf Französisch verfassten Ergebniszettel im Anhang I1-I3.

4.1.4. Kommentar zum Ablauf in den deutsch- und französisch- sprachigen Klassen und Folgerungen für eine bilinguale Stunde

Obwohl die Sprache fast gar nicht benutzt worden ist, haben die Kinder aus den zwei monolingualen Klassen die Spielregeln und die Methode zum Zehnerübergang gut verstanden. Auf der mathematischen Ebene ist diese Aktivität also ein Erfolg. Auf einen bilingualen Mathematikunterricht übertragen bedeutet dies, dass der Lehrer Anweisungen und Erklärungen hauptsächlich in der Fremdsprache geben kann unter der Bedingung, dass er immer wieder handelnd auf den Spielplan Bezug nimmt. Die Kinder verstehen den mathematischen Inhalt und eignen sich außerdem fremdsprachliche Kenntnisse an, indem sie sich die gehörten Wörter peu à peu einprägen.

Die Tatsache, dass die Kinder in den drei Klassen gleich gut gespielt und sich die Methode zum Zehnerübergang zu Eigen gemacht haben, deutet darauf hin, dass alle die Spielregeln gut verstanden haben, und trotz fremdsprachiger bzw. stark reduzierter Anweisungen mathematische Kenntnisse erworben haben.

Diese Feststellungen scheinen folgende Schlüsse zuzulassen:

1) Sobald die Grundlagen des zu behandelnden Themas sichergestellt sind, leidet der Erwerb mathematischer Kenntnisse nicht darunter, wenn der Unterricht in der Fremdsprache weitergeführt wird. In diesem Sinne stützt die Erfahrung aus diesem Unterrichtsversuch teilweise die These 1, dass bilingualer Mathematikunterricht in der Primarstufe dem Erlernen von Mathematik nicht schadet, wenn notwendige Sach-informationen im Voraus mittels begleitender Handlungen übermittelt werden.

2) Fremdsprachige Begriffe können anhand eines (didaktischen) Spiels eingeführt werden.

Diese Aussage kann die These 2 stützen, dass bilingualer Mathematikunterricht hilft, die Fremdsprache sinnvoll zu üben.

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