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1 EINLEITUNG

1.1 Stand der Forschung

1.1.3 Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Das Nebeneinander von mehreren Rollen kann mit Konflikten einhergehen, welche sich negativ auf die psychische und physische Gesundheit sowie das allgemeine Wohlbefinden auswirken können (Amstad et al. 2011). Insbesondere bei Beschäftigten im medizinischen Bereich treten laut aktueller Datenlage aufgrund der hohen Arbeitszeitbelastung durch Schicht- und Bereitschaftsdienst sowie durch das Anfallen von Mehrstunden häufig Interrollenkonflikte auf (Lukasczik et al. 2018).

Laut einer schweizerischen Studie fühlen sich Beschäftigte in Gesundheitsberufen deutlich häufiger mit Vereinbarkeitsschwierigkeiten konfrontiert als Erwerbstätige in nicht-gesundheitsbezogenen Berufen (Hämmig 2018).

Weitere berufsgruppenspezifische Forschungsergebnisse verdeutlichen diese Problematik: Bei Krankenhausärztinnen und -ärzten konnte ein höheres Konfliktpotential zwischen Beruf und Familie im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung festgestellt werden (Fuß et al. 2008). In einer 2017 durchgeführten, bundesweiten Umfrage des Marburger Bundes zeigten sich 70 % der Klinikärztinnen und -ärzte unzufrieden mit den vom jeweiligen Arbeitgeber angebotenen Möglichkeiten, Privatleben bzw. Familie und Beruf zu vereinbaren (Marburger Bund 2017). Bei einer Befragung von Frauenärztinnen und -ärzten antworteten 88 % der weiblichen und 72 % der männlichen Teilnehmenden auf die Frage „Meinen Sie, dass Familie und Beruf miteinander vereinbar sind?“ mit „nein“

(Hancke et al. 2012). Fast 60 % der Frauenärztinnen gaben an, sich außerfamiliäre Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu wünschen. Diese wurden allerdings nur in 5-13 % der Fälle von den jeweiligen Arbeitgebern angeboten (Hancke et al. 2012). Es liegen nur wenige Erhebungen zum Stand der Kinderbetreuungsmöglichkeiten an Kliniken in Deutschland vor. Laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts boten im Jahr 2010 nur 15 % der Kliniken betriebseigene Kinderbetreuungsangebote an. Die

Platzzahlen wurden von 49 % der Kliniken als bedarfsgerecht bewertet; 18 % gaben an, dass das Angebot den Bedarf nicht decken würde (Bühren u. Löffert 2010).

Auch Pflegekräfte und Hebammen erfahren oftmals einen Vereinbarkeitskonflikt. Im Rahmen einer Befragungsstudie an Hebammen in der Schweiz stellte sich neben Arbeitspensum, Arbeitszeiten sowie mangelnder Wertschätzung ärztlicherseits auch die problematische Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ein bedeutender Belastungsfaktor heraus (Eissler u. Jerg-Bretzke 2015). Die NEXT-Studie an europäischem Pflegepersonal konnte insbesondere den zeitabhängigen Konflikt durch häufige Überstunden, Schicht- mit Nachtdienst und quantitative Arbeitsanforderungen als relevant für die Vereinbarkeitsproblematik identifizieren (Simon et al. 2004).

Im Berufsgruppenvergleich weisen Ärztinnen und Ärzte laut vorangegangenen Forschungsergebnissen eine höhere Vereinbarkeitsproblematik auf als Pflegepersonal (Hämmig 2018; Hämmig et al. 2012; Körber et al. 2018; Pal u. Saksvik 2008). Des Weiteren scheint der Einfluss des Berufs auf die Familie im Allgemeinen stärker ausgeprägt als umgekehrt (Jerg-Bretzke, Krüsmann et al. 2016; Simon et al.

2004).

Hinsichtlich eines Geschlechterunterschieds gibt es kontroverse Ergebnisse: Viele Untersuchungen stellten keinen Unterschied bezüglich des Interrollenkonflikts zwischen Beruf und Familie fest (Fuß et al. 2008; Hancke et al. 2014; Simon et al.

2004), wohingegen einige Studien auf einen höheren Konflikt bei weiblichen Beschäftigten hinweisen (Ádám et al. 2008; AlAzzam et al. 2017).

Auch folgende Daten deuten auf eine ausgeprägtere Vereinbarkeitsproblematik bei weiblichen Beschäftigten hin: Laut Buddeberg-Fischer, Stamm und Kollegen (2008) arbeiten Ärztinnen mit Kindern in hierarchisch niedrigeren Positionen als Ärztinnen ohne Kinder, wohingegen dieser Unterschied bei Ärzten nicht besteht (Buddeberg-Fischer, Stamm et al. 2008). Eine Untersuchung an Frauenärztinnen und -ärzten zeigte zudem, dass Ärztinnen insgesamt seltener in höheren Hierarchieebenen arbeiten als ihre männlichen Kollegen (Hancke et al. 2012). Des Weiteren ließ sich eine Vereinbarkeitsproblematik bei Ärztinnen als wichtiger Grund für den Ausstieg aus der kurativen ärztlichen Tätigkeit feststellen, wohingegen dies bei Männern eine weitaus geringere Rolle spielte (Bolliger et al. 2016).

Laut der genannten Studienergebnisse scheint also bei weiblichen Angestellten im Gesundheitswesen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ein ausgeprägterer Vereinbarkeitskonflikt zu bestehen, was angesichts des hohen Frauenanteils in Gesundheitsberufen zusätzlich an Bedeutung gewinnt.

Universitätskliniken sind laut aktueller Studienergebnisse im Vergleich zu Kommunalkliniken verstärkt von der Vereinbarkeitsproblematik betroffen. 43 % der Ärztinnen und Ärzte sowie 73 % der Pflegekräfte an einem Kommunalklinikum gaben an, genügend Möglichkeiten zu haben, Beruf und Familie vereinbaren zu können, wohingegen dieser Anteil an einer Universitätsklinik mit 20 % (Ärztinnen und Ärzte) bzw. 63 % (Pflegekräfte) deutlich geringer war (Körber et al. 2018).

Eine funktionierende „Work-Life-Balance“ rückt jedoch für viele Arbeitnehmer im medizinischen Bereich immer mehr in den Vordergrund. Vereinbarkeitskonflikte beeinflussen die Arbeitszufriedenheit (Cortese et al. 2010; Fuß et al. 2008) sowie die allgemeine Lebenszufriedenheit (Fuß et al. 2008) der Beschäftigten und nehmen Einfluss auf die Personalausstattung der Kliniken, da sie über den Verbleib der Beschäftigten im Beruf mitbestimmen. Mehrere Studien an Ärztinnen und Ärzten (Fuß et al. 2008; Pantenburg et al. 2014), Pflegepersonal (Simon et al. 2004) sowie Klinikpersonal im Allgemeinen (Hämmig 2018) belegen einen Zusammenhang zwischen einem hohen Interrollenkonflikt und der Intention, den Beruf zu verlassen.

Eine internationale Untersuchung an 1190 Hebammen bekräftigt diese Assoziation:

Es konnte gezeigt werden, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine wichtige Bedeutung für die Arbeitszufriedenheit von Hebammen hat, welche wiederum in einem negativen Zusammenhang mit der Intention, den aktuellen Arbeitsplatz bzw.

Beruf zu verlassen steht (Jarosova et al. 2016). Somit scheinen Vereinbarkeitsmöglichkeiten für die Beschäftigten in Kliniken hohe Relevanz zu besitzen und stellen wichtige Instrumente dar, um beispielsweise Teilzeitquoten zu verringern sowie einen früheren oder überhaupt einen Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit zu erreichen und somit dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern (Blum 2019; Burkhart et al. 2012).

Studien zeigen zudem, dass Vereinbarkeitskonflikte Einfluss auf die psychische und körperliche Gesundheit der Beschäftigten verschiedener Berufsgruppen in Kliniken haben. So bringen einige Autoren Interrollenkonflikte zwischen Beruf und Familie mit

einem erhöhten Burnout-Risiko (Fuß et al. 2008; Hämmig 2018; Leineweber et al.

2014) sowie dem vermehrten Vorkommen von Angst- und Depressionssymptomen (Flaig 2014; Zhang et al. 2017) in Zusammenhang. Zudem weisen mehrere Studien auf einen Zusammenhang zwischen einem Arbeit-Familie-Konflikt und einem erhöhten kardiometabolischen Risiko (Berkman et al. 2015) sowie muskuloskelettalen Beschwerden hin (Kim et al. 2013).