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Verecundus überläßt ihm sein Landgut

Neuntes Buch

3. Verecundus überläßt ihm sein Landgut

Verecundus aber ward bei unserem Glücke von ängstlicher Besorgnis

verzehrt, weil er sah, wie ihn die Bande, die ihn so fest hielten, von unserer Gesellschaft ausschließen sollten. Er war noch nicht Christ, doch war seine Gattin gläubig, und gerade sie war für ihn das größte Hindernis auf dem Wege, den wir eingeschlagen hatten: er wollte, so sagte er, auf keine andere Weise Christ sein als auf die, in welcher er es nun einmal nicht sein konnte.

Mit vieler Güte bot er uns für die Zeit unseres dortigen Aufenthaltes sein Landgut an. Du wirst es ihm vergelten, o Herr, wenn du den Gerechten ihren Lohn auszahlst, ein glückliches Ende hast du ihm ja schon verliehen. Als wir nämlich nicht mehr bei ihm, sondern bereits in Rom waren, fiel er in eine schwere Krankheit, an der er auch starb, nachdem er ein gläubiger Christ geworden war. So hast du dich nicht nur <s 190>seiner, sondern auch unser erbarmt; hätte doch unerträglicher Schmerz uns quälen müssen, wenn wir bei dem Gedanken an die ungemeine Güte unseres Freundes uns gegenüber ihn deiner Herde nicht hätten zuzählen können. Dank dir also, unser Gott, wir sind die Deinen; deine Mahnungen und deine Tröstungen bezeugen es. Du, 326 Röm. 14,16.

327 Ps. 45,11.

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getreu in deinen Verheißungen, schenkst jetzt dem Verecundus für sein Landgut Cassiciacum, wo wir vom Gewühl der Welt in dir ausruhen durften, zur Vergeltung die Lieblichkeit ewig dauernder paradiesischer Tugend; denn auf Erden hast du ihm seine Sünden nachgelassen "auf dem fruchtbaren Berge, auf deinem Berge, auf dem reichen Berge"328.

Verecundus also war damals von Besorgnis erfüllt, Nebridius aber freute sich mit uns. Wenn er auch, bevor er Christ wurde, in den Abgrund des

verderblichsten Irrtums gestürzt war, daß er den Leib deines Sohnes, der doch die Wahrheit ist, nur für einen Scheinleib hielt, so entwand er sich ihm doch, und so stand es mit ihm, daß er, ohne mit Sakramenten an deine Kirche gefesselt zu sein, aufs eifrigste nach der Wahrheit forschte. Auch ihn hast du nicht lange nach unserer Bekehrung und Wiedergeburt durch die Taufe, da er als treuer Katholik in vollendeter Keuschheit und Enthaltsamkeit dir in Afrika bei seinen Landsleuten diente, vom Leibe befreit, nachdem noch durch ihn seine ganze Familie christlich geworden war. Nun lebt er "im

Schoße Abrahams"329. Was immer wir uns unter diesem Schoße vorstellen mögen, dort lebt mein Nebridius, mein süßer Freund, des Freigelassenen Sohn, den du aber, o Herr, an Kindesstatt angenommen hast; dort lebt er.

Denn welch anderen Ort sollte es für eine solche Seele geben? Er lebt an jenem Orte, über den er mich armes, unwissendes Menschenkind soviel gefragt hat. Nun legt er nicht mehr sein Ohr an meinen Mund, aber seinen geistigen Mund an deine Quelle und trinkt daraus Weisheit nach Herzenslust, soviel er vermag, ohne Ende glückselig. Doch wird er davon wohl nicht so berauscht, daß er mein <s 191>vergäße, da du, o Herr, den er in sich hinein trinkt, unser eingedenk bist. So stand es also damals: wir trösteten den

Verecundus, der, unbeschadet unserer Freundschaft, doch damals über diese unsere Bekehrung traurig war, und ermahnten ihn zur Treue in seinem

Stande, nämlich im Ehestande, auf den Nebridius aber warteten wir, wann er uns wohl folgen werde. Denn er war schon ganz nahe daran, ja stand

unmittelbar davor, bis endlich auch für ihn die Tage vorüber gingen. Denn lang und zahlreich erschienen sie uns in unserem Verlangen nach jener ungestörten Freiheit, in der wir dir dann aus dem Grunde unseres Herzens singen könnten: "Zu dir hat mein Herz gesagt: dein Antlitz habe ich gesucht, o Herr, und dein Antlitz will ich suchen"330.

4. Von den Büchern, die er zu Cassiciacum geschrieben, und von seinen Briefen an Nebridius. Über die Psalmen. Wunderbare Heilung vom Zahnschmerz.

Es nahte der Tag, an dem ich in Wirklichkeit von meinem Amte als Lehrer der Rhetorik befreit werden sollte, von dem ich in Gedanken schon längst

geschieden war. Es geschah, und du befreitest meine Zunge, wovon du mein Herz schon längst befreit hattest. Voll Freude pries ich dich, als ich mich mit 328 Ps.67,16.

329 Luk. 16,22.

330 Ps. 26,8.

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all den Meinen auf das Landgut begab. Von meiner dortigen

wissenschaftlichen Tätigkeit, die ohne Zweifel bereits deinem Dienste

geweiht war, noch aber heftig den Stolz der Schule atmete wie die Brust des Läufers, wenn er Ruhepausen macht, geben Zeugnis die Gespräche, die ich mit den Anwesenden und auch mit mir in deiner Gegenwart führte. Meinen Verkehr mit dem abwesenden Nebridius bezeugen meine Briefe an ihn. Wann aber finde ich genügende Zeit, all die großen Wohltaten zu erwähnen, die du uns in jener Zeit erzeigt hast, zumal ich von noch größeren berichten muß?

Deutlich rufe ich mir in der Erinnerung mein damaliges Glück zurück, und süß ist es mir, vor dir zu bekennen, wie du mich durch innere Stacheln völlig gebändigt, wie du meinen Sinn geebnet hast, wie du die Berge und Hügel meiner Gedanken abgetragen, <s 192>meine krummen Pfade gerade gerichtet und die rauhen sanft gemacht, schließlich, wie du auch meinen Herzensbruder Alypius dem Namen deines eingeborenen Sohnes, unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi, unterworfen hast, dem er anfangs in unserer wissenschaftlichen Tätigkeit keinen Platz einräumen wollte. Denn lieber wollte er in ihr den Duft der stolzen Zedern wiederfinden, die der Herr schon zerschmettert hat, als den der heilsamen Kräuter deiner Kirche, die da ein wirksames Gegenmittel wider den Biß der Schlange sind.

Wie pries ich dich, mein Gott, als ich die Psalmen Davids las, diese Gesänge voll gläubigen Vertrauens, jene Töne der Frömmigkeit, die der Geist des Stolzes nicht vernimmt; noch war ich ein Neuling in deiner wahren Liebe, als Katechumen verbrachte ich mit dem Katechumenen Alypius die Ferienzeit auf dem Landgute in treuer Gesellschaft meiner Mutter, ihrem Äußeren nach ein Weib, aber mit männlichem Glauben mit der Sicherheit des Alters, der Liebe einer Mutter und der Gottseligkeit einer Christin. Wie habe ich dich beim Lesen jener Psalmen gepriesen! Wie entflammten sie mich für dich! Wie brannte ich, sie, wenn möglich, dem ganzen Erdkreise wider den Hochmut des Menschengeschlechtes vorzutragen! Und sie werden ja in der Tat auf dem ganzen Erdkreise gesungen, und "niemand ist, der sich vor deiner Glut bergen"331 kann. Wie gewaltig und bitter waren die Schmerzen, mit denen ich den Manichäern zürnte; und dann bemitleidete ich sie wieder, daß sie von jenen Sakramenten, jenen Heilmitteln nichts wußten und wider das Gegengift wüteten, durch das sie hätten gesund werden können. Wären sie doch

damals irgendwo ohne mein Wissen in meiner Nähe gewesen, hätten sie doch mein Antlitz sehen und meine Stimme vernehmen können, als ich in meiner Muße den vierten Psalm las! Hätten sie doch den Eindruck jenes Psalmes auf mich beobachten können! "Als ich rief, hörte mich der Gott meiner Gerechtigkeit; in der Trübsal hast du mir Raum gemacht. Erbarme dich meiner, o Herr, und erhöre <s 193>mein Gebet!"332 Hätten sie doch gehört, was ich zwischen den Worten des Psalmes sprach, ohne daß ich um ihr Zuhören wußte, daß sie nicht etwa glaubten, ich spräche ihretwegen so.

Denn ich hätte es in der Tat gar nicht gesagt oder mindestens nicht so gesagt, wenn ich die Empfindung gehabt hätte, von ihnen gesehen oder gehört zu werden; und wenn ich es auch gesagt hätte, so würden sie es doch 331 Ps. 18,7.

332 Ps. 4,2.

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nicht so aufgenommen haben, wie ich mit mir und für mich in vertraulicher, herzlicher Hingebung vor deinem Angesichte sprach.

Ich erschauderte in Furcht und erglühte zugleich in Hoffnung und in

freudigem Jubel ob deiner Barmherzigkeit, Vater. Und diese Empfindungen leuchteten aus meinen Augen und klangen aus meiner Stimme, wenn dein Geist in seiner Güte zu uns gewandt spricht: "Ihr Menschenkinder, wie lange ist noch schwer euer Herz? Warum liebet ihr die Eitelkeit und suchet die Lüge

?"333 Ich hatte ja die Eitelkeit geliebt und die Lüge gesucht. Und du, o Herr,

"du hattest schon deinen Heiligen erhöht"334, "ihn von den Toten auferweckt und zu deiner Rechten im Himmel gesetzt"335, damit er aus der Höhe seiner Verheißung gemäß "den Tröster, den Geist der Wahrheit"336 sende. Und er hatte ihn schon gesandt, ich aber wußte es noch nicht. Er hatte ihn gesandt, weil er schon durch seine Auferstehung von den Toten und seine Himmelfahrt erhöht worden war. Vorher aber "war der Geist noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war"337. Und es ruft der Prophet: "Wie lange ist noch schwer euer Herz? Warum liebet ihr die Eitelkeit und suchet die Sünde?

Wisset doch, daß der Herr seinen Heiligen erhöht hat"338. Er ruft "Wie lange noch?", er ruft "Wisset doch!", und ich hatte in so langer Unwissenheit die Eitelkeit geliebt und die Lüge gesucht. Deshalb zitterte ich nun, da ich davon

<s 194>hörte; denn dieses Wort ist an solche gerichtet, wie ich nach meiner Erinnerung einer gewesen war. Denn die Trugbilder, die ich statt der

Wahrheit umarmt hatte, waren Eitelkeit und Lüge. Und schwere und laute Klagen stieß ich aus im Schmerze meiner Erinnerung. O hätten sie doch vernommen die, die jetzt noch die Eitelkeit lieben und die Lüge suchen!

Vielleicht wären sie erschüttert worden und hätten sie ausgespieen; du würdest sie nunmehr erhören, wenn sie zu dir riefen. Denn den wahren Tod des Fleisches für uns "ist gestorben, der da Fürbitte einlegt für uns"339. Ich las: "Zürnet nicht und sündiget nicht"340. Wie tief bewegte mich solche Mahnung, mein Gott; denn schon hatte ich gelernt, mir wegen meiner Vergangenheit zu zürnen, um in Zukunft nicht mehr zu sündigen. Mit Recht zürnte ich mir; ich selbst sündigte ja, kein anderes Wesen aus dem Reiche der Finsternis in mir, wie jene sagen, die sich selbst nicht zürnen und sich dafür "Zorn anhäufen für den Tag des Zornes und der Offenbarung deines gerechten Gerichts"341. Meine Güter lagen nun nicht mehr in der Außenwelt, und nicht mehr suchte ich sie mit den Augen des Fleisches in dieser Sonne.

Denn die sich in der äußeren Sinnenwelt freuen, werden leicht eitel und verlieren sich in das Sichtbare und Zeitliche, und ihre hungrigen Gedanken zehren an den Vorstellungen ihrer Einbildungskraft. O möchten sie doch 333 Ebd. 4,3.

334 Ebd. 4,4.

335 Ephes. 1,20.

336 Joh. 14,16 f.

337 Ebd. 7,39.

338 Ps. 4,3.

339 Röm. 8,34.

340 Ps. 4,5.

341 Röm. 2,5.

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schwach werden vor Hunger, auf daß sie sprächen: "Wer wird uns das Gute sehen lassen?"342 Und wir würden ihnen sagen, auf daß sie es hörten: "Das Licht deines Angesichts ist offenbar geworden in uns, o Herr"343. Denn nicht wir sind das Licht, das "jeden Menschen erleuchtet"344, sondern wir werden von dir erleuchtet, so daß wir, die wir "vormals Finsternis"345 waren, in dir Licht werden. O könnten sie doch im Innern das ewige Licht <s

195>schauen; ich hatte es gekostet und knirschte, es ihnen nicht zeigen zu können, wenn sie mir ihr Herz, das sich von dir hinweggewandt hatte, in ihren Augen brachten und sprachen: "Wer wird uns Gutes sehen lassen?"

Denn dort, wo ich mir gezürnt hatte, in der geheimen Kammer meiner Seele, wo ich von Reue zerrissen war, wo ich voll Hoffnung auf dich meinen alten Menschen dir als Schlachtopfer dargebracht und auf die Erneuerung meines Geistes zu sinnen begonnen hatte, dort hattest du mich deine Süßigkeit verkosten lassen und "Freude in mein Herz gegeben"346. Und ich schrie laut auf, da ich dieses draußen las und im Innern erfuhr. Ich wollte nicht mehr reicher werden an irdischen Gütern, das Zeitliche verschlingend und vom Zeitlichen verschlungen, da ich in ewiger Einfachheit anderes "Getreide und Wein und Öl"347 hatte.

Und im folgenden Verse rief ich mit der lauten Stimme meines Herzens aus:

"O im Frieden, in ihm selbst" - was besagte doch dieser Ausruf! - "will ich einschlafen und ausruhen"348. Denn wer wird uns widerstehen, wenn sich erfüllt das Wort, das geschrieben ist: "Verschlungen ist der Tod in den Sieg"?349 Und du, o Gott, bist selbst jenes "Selbst", das sich nicht ändert. In dir ist Ruhe, die aller Mühen vergißt, denn kein anderer ist neben dir, und nicht um nach dem vielen andern zu streben, das nicht das ist, was du bist, sondern "zur Hoffnung hast du, o Herr, einzig und allein mich bestellt"350. So las und erglühte ich, ohne zu finden, was ich beginnen sollte mit jenen tauben Toten, zu denen auch ich gehört hatte, eine Pest, ein erbitterter und blinder Beller gegen deine Schriften, die vom Honig des Himmels süß und in deinem Lichte leuchtend sind; und ,,ich härmte mich ab über die Feinde"351 dieser Schriften.

Wann werde ich mich all dessen erinnern, was sich <s 196>in jenen Ferientagen zutrug? Ich habe aber auch nicht vergessen, noch will ich es verschweigen, wie scharf mich damals deine Geißel traf und wie wunderbar schnell deine Barmherzigkeit mich heilte. Mit Zahnschmerzen peinigtest du mich, und als diese so heftig wurden, daß ich nicht sprechen konnte, da stieg in meinem Herzen der Gedanke auf, die Meinen alle, die anwesend waren, 342 Ps. 4,6. 4,7.

343 Ebd.

344 Joh. 1,9.

345 Ephes. 5,8.

346 Ps. 4,7.

347 Ebd. 4,8.

348 Ebd. 4,9.

349 1 Kor. 15,54.

350 Ps. 4,10.

351 Ebd. 138,21.

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aufzufordern, zu dir, dem Gotte jeglichen Heiles, für mich zu flehen. Ich schrieb die Bitte auf eine Wachstafel und gab sie ihnen zu lesen. Und sobald wir die Kniee zu einfachem Gebete beugten, verging jener Schmerz. Aber was für ein Schmerzt Und wie kam es, daß er so schnell schwand? Ich erschrak, ich gestehe es, o Herr, mein Gott, denn niemals noch hatte ich Ähnliches erfahren, Im tiefsten Innern verstand ich deine Winke, und voller Freude in deinem Glauben pries ich deinen Namen; aber dieser Glaube ließ mir keine Ruhe in betreff meiner vergangenen Sünden; denn noch nicht hatte ich die Taufe empfangen, die sie mir nachgelassen hätte.