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1. Warum bekennt er Gott, wenn dieser doch alles weiß?

Aber weißt du vielleicht nicht, o Herr, was ich dir sage, da die Ewigkeit dein ist, oder siehst du bloß eine Zeitlang, was in der Zeit geschieht? Warum also erzähle ich dir so viele Dinge? Wahrlich nicht, damit du sie von mir erfahrest, sondern ich lenke durch sie meinen und meiner Leser Sinn zu dir, daß wir alle sprechen: "Groß ist der Herr und preiswürdig gar sehr"471. Ich habe es bereits gesagt und will es wieder sagen: "Aus Liebe zu deiner Liebe tue ich dieses".

Wir beten ja auch, und doch sagt die ewige Wahrheit: "Euer Vater weiß, was euch Not tut, noch bevor ihr ihn darum bittet"472. Um also unsere Hingebung dir zu bezeigen, bekennen wir dir unser Elend, aber auch dein Erbarmen uns gegenüber, auf daß du uns vollends befreiest, wie du es begonnen, und wir in Zukunft nicht mehr unglücklich in uns, sondern glückselig in dir seien. Du hast uns ja berufen, arm zu sein im Geiste, sanftmütig, traurig, hungernd und dürstend nach der Gerechtigkeit, barmherzig, <s 271>reinen Herzens und friedfertig473. Siehe, so vieles habe ich dir bekannt, soweit ich konnte und wollte, da du zuvor gewollt, daß ich dir bekenne, meinem Herrn und Gott;

"denn gütig bist du, und dein Erbarmen währet ewiglich"474.

2. Er fleht zu Gott um das Verständnis der Heiligen Schrift.

Wann aber werde ich völlig imstande sein, mit der Sprache meiner Feder aufzuzeichnen alle deine Mahnungen, Drohungen, Tröstungen und

Führungen, durch die du mich veranlaßt hast, deinem Volke dein Wort zu predigen und dein Sakrament auszuspenden? Und selbst wenn ich alles ordnungsgemäß aufzuzählen vermöchte, so sind mir doch die Augenblicke zu kostbar dazu. Auch brenne ich längst danach, dein Gesetz zu betrachten und dir dabei zu bekennen, was ich weiß und was ich nicht weiß, die Anfänge deiner Erleuchtung und die Reste meiner Finsternis, bis meine Schwäche von deiner Stärke verschlungen wird. Auf nichts anderes sollen meine Stunden verwandt werden, soweit sie nicht durch notwendige körperliche Erholung oder geistige Arbeit oder die Liebesdienste, die wir pflichtgemäß oder freiwillig anderen erweisen, ausgefüllt werden.

O Herr, mein Gott, neige dein Ohr meinem Gebete, und dein Erbarmen erhöre mein Sehnen; nicht für mich allein schlägt heiß mein Herz, sondern in Liebe will es auch den Brüdern dienen. Und du weißt, daß mein Herz es so 471Ps. 95,4.

472Matth. 6,8.

473Vgl. Matth. 5,3-9.

474Ps. 117,1.

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meint. Deinem Dienste möchte ich Gedanken und Sprache weihen; gib, was ich dir darbringen kann. Denn "elend bin ich und arm"475, "du aber bist reich für alle, die dich anrufen“476; selbst frei von Sorgen, trägst du Vatersorge für uns. Reinige von aller Vermessenheit und aller Lüge das Sinnen meines Herzens und die Lippen meines Mundes. Deine Schrift sei meine keusche Wonne; möge sie mich nicht in die Irre führen, noch ich <s 272>andere durch sie. Herr, achte auf mich und erbarme dich meiner, Herr mein Gott, du Licht der Blinden und Stärke der Starken: habe acht auf meine Seele und erhöre die Stimme des Rufenden aus der Tiefe. Denn wenn dein Ohr nicht auch in die Tiefe sich neigte, wohin sollen wir dann gehen, wohin unser Rufen richten? "Dein ist der Tag, und dein ist die Nacht"477, und auf deinen Wink fliegen die Augenblicke vorüber. So gib du mir Zeit, die Geheimnisse deines Gesetzes zu betrachten und verschließe es nicht denen, die anklopfen. Nicht umsonst hast du ja gewollt, daß auf so vielen Blättern so dunkle Geheimnisse verzeichnet wurden. Oder haben nicht auch die Wälder ihre Hirsche, die sich in sie zurückziehen, sich dort erquicken und ergehen, darin weiden, ruhen und wiederkäuen? O Herr, vollende dein Werk in mir und enthülle sie mir.

Siehe, deine Stimme ist meine Freude, deine Stimme geht mir über alle Lust.

Gib, was ich liebe; denn ich empfinde Liebe, und auch das ist dein Geschenk.

Laß deine Geschenke nicht verloren gehen und verachte nicht dein

dürstendes Pflänzlein. Ich will dir bekennen, was ich in deinen Büchern finde, und "ich will hören die Stimme deines Lobes "478, in dir meinen Durst stillen und die Geheimnisse deines Gesetzes betrachten von dem Anfange an, in dem du Himmel und Erde geschaffen, bis zu dem Reiche deiner heiligen Stadt, das ewig mit dir währt.

O Herr, erbarme dich meiner und erhöre mein Sehnen. Denn es erstreckt sich nicht, so glaube ich fest, auf Irdisches, nicht auf Gold, Silber, Edelsteine und prächtige Gewänder, nicht auf Ehre, Macht und fleischliche Lüste oder auf das, was wir für den Körper und die Dauer unserer Pilgerfahrt bedürfen;

dies "alles wird uns ja zugegeben, wenn wir nach deinem Reiche und deiner Gerechtigkeit"479 trachten. Sieh, o Herr, wonach mein Verlangen steht!

"Erzählt haben mir die Gottlosen von Freuden, aber sie waren nicht nach deinem Gesetze, o Herr."480 Sieh, wonach mein Verlangen steht. Sieh, <s 273>o Vater, und schaue auf mich, sieh es an und billige es. Deine Gnade lasse mich Barmherzigkeit vor deinem Angesichte finden, daß sich mir, wenn ich anklopfe, die Geheimnisse deiner Worte erschließen. Ich beschwöre dich durch unsern Herrn Jesus Christus, deinen Sohn, "den Held deiner Rechten, den Menschensohn, den du eingesetzt hast"481 zum Mittler zwischen dir und uns, durch den du uns gesucht, als wir dich nicht suchten; du aber hast uns gesucht, auf daß wir dich suchten, dein Wort, durch das du alles gemacht, 475Ebd. 85,1.

476Röm. 10,12.

477Ps. 73,16.

478Ebd. 25,7.

479 Matth. 6,33.

480Ps. 118,85.

481Ps. 79,18.

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darunter auch mich, deinen Eingeborenen, durch den du das gläubige Volk zur Kindschaft berufen hast und darunter wiederum mich; ich beschwöre dich bei dem, der "zu deiner Rechten sitzet und für uns bei dir fürbittet"482 und "in dem alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind"483. Nach ihnen suche ich in deinen Schriften. Moses hat von ihm geschrieben"484; so sagt er selbst, so sagt es die Wahrheit.

3. Niemand versteht, was Moses über die Schöpfung geschrieben, es sei denn, daß Gott ihn erleuchte.

Ich will nun hören und verstehen, wie du geschaffen hast "im Anfange Himmel und Erde"485. So hat Moses geschrieben; er hat es geschrieben und ist geschieden, ist hinübergegangen von hinnen von dir zu dir und ist nun nicht mehr vor mir. Denn wäre er noch hier, so würde ich ihn festhalten und ihn fragen und ihn bei dir beschwören, daß er mir diese Worte erkläre; und meine Ohren würden lauschen auf die Worte, die seinem Munde entströmten.

Wenn er aber hebräisch spräche, so würde er vergebens an mein Ohr anklopfen, und ich würde nichts verstehen; doch spräche er lateinisch, so wüßte ich wohl, was er meinte. Doch woher soll ich wissen, daß er die

Wahrheit spricht? Und wenn ich dies wüßte, wüßte ich es dann wohl von ihm?

Denn <s 274>innen in der Wohnstätte meiner Gedanken würde mir die Wahrheit, nicht in hebräischer, nicht in griechischer, nicht in lateinischer, nicht in einer anderen fremden Sprache, sondern ohne das Mittel von Mund und Zunge und ohne den Schall der Silben sagen: "Er redet die Wahrheit", und ich würde vertrauensvoll sofort deinem Diener sagen: "Du redest die Wahrheit". Da ich nun ihn nicht fragen kann, so flehe ich zu dir, o Wahrheit, so flehe ich zu dir, o mein Gott, denn von dir erfüllt, hat er die Wahrheit gesprochen: Sieh nicht auf meine Sünden, und wie du es deinem Knechte verliehen hast, die Wahrheit auszusprechen, so laß mich sie verstehen.

4. Die Schöpfung verkündet laut den Schöpfer.

Sieh, Himmel und Erde sind da; sie bekennen laut, daß sie geschaffen sind.

Denn sie sind der Veränderung und dem Wechsel unterworfen. Was aber nicht geschaffen ist und doch besteht, an dem gibt es nichts, was vorher nicht war, d. h. es gibt keinen Wechsel und keine Veränderung. Laut

bekennen sie auch, daß sie nicht selbst sich gemacht haben: "Deshalb sind wir, weil wir erschaffen sind". Wir waren also nicht, bevor wir waren, so daß wir also durch uns selbst hätten entstehen können. Dieses Geständnis der Schöpfung ist durch sich selbst klar genug. Du also, o Herr, hast sie

erschaffen; und du bist schön, denn sie sind schön, und du bist, denn sie 482Röm. 8,34.

483Kol. 2,3.

484Vgl. Joh. 5,46.

485Gen. 1,1.

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sind. Aber sie sind nicht so schön, nicht so gut, ja sie sind nicht in dem Maße wie du, ihr Schöpfer; im Vergleiche mit dir sind sie weder schön noch gut noch sind sie überhaupt. Das wissen wir, und dafür danken wir dir. Doch unser Wissen ist verglichen mit dem deinen nur Nichtwissen.

5. Die Welt ist aus Nichts erschaffen.

Wie aber hast du Himmel und Erde geschaffen und mit welchem Werkzeuge dein großes Werk ausgeführt? Du hast sie nicht geschaffen wie ein Künstler, der einen Körper aus einem bereits vorhandenen bildet nach dem Ermessen seiner Seele, die die Fähigkeit besitzt, jedem Körper die Gestalt, die seinem Geiste vorschwebt, zu <s 275>geben. Und hätte sie dieses überhaupt tun können, wenn du sie nicht geschaffen hättest? Dabei gibt der Künstler Form und Gestalt nur einem Gegenstande, der bereits vorhanden ist und Dasein schon besitzt, wie der Erde, dem Steine, dem Holze, dem Golde oder einem beliebigen anderen Stoffe dieser Art. Und woher wären diese, wenn du nicht ihnen Dasein verliehen hättest? Du hast dem Künstler den Leib gebildet, du ihm eine Seele geschaffen, die den Gliedern gebietet, du ihm den Stoff geliefert, aus dem er etwas bildet, du ihm das Talent gegeben, mit dem er die Kunst erfaßt und innerlich schaut, was er äußerlich darstellen soll, du die Sinne, durch deren Vermittlung er das Bild seines Geistes auf den Stoff

überträgt und wiederum der Seele über die Verwirklichung der Idee berichtet, so daß dann dieser die in seinem Innern thronende Wahrheit fragen kann, ob das Abbild gut sei. Dich preist alles dieses als den Schöpfer aller Dinge. Allein wie erschaffest du sie? Wie hast du sie erschaffen, mein Gott, "Himmel und Erde?" Ganz bestimmt hast du nicht im Himmel und auch nicht auf der Erde Himmel und Erde geschaffen, auch nicht in der Luft oder im Wasser, da auch dieses zum Bereich von Himmel und Erde gehört. Auch hast du nicht im Weltall das Weltall geschaffen; denn es gab ja keinen Raum, wo etwas hätte ins Dasein treten können, bevor es überhaupt Erschaffenes gab. Auch hattest du nichts in der Hand, woraus du Erde und Himmel hättest bilden können.

Woher auch solltest du es nehmen, was du nicht geschaffen hattest, um etwas daraus zu schaffen? Gibt es überhaupt ein Sein außer deinem Sein? Du hast also gesprochen: "Und es ward"486, und in deinem Wort hast du es

erschaffen.

6. Wie hat Gott sein "Es werde!" gesprochen?

Aber wie hast du dieses "Es werde!" ausgesprochen? Etwa so, wie aus der Wolke deine Stimme erscholl: "Dieser ist mein geliebter Sohn"?"487 Denn jene Stimme ertönte und vertönte, begann und hörte wieder auf. Die <s

276>Silben ertönten und verklangen, die zweite nach der ersten, die dritte nach der zweiten und so der Reihe nach, bis die letzte nach den übrigen 486Ps. 32,9.

487Matth. 3,17 und 17,5.

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ertönte und nach allen Stillschweigen eintrat, Hieraus geht klar und deutlich hervor, daß jenes Wort durch die Bewegung eines Geschöpfes hervorgerufen wurde, das, selbst zeitlich, deinem ewigen Willen diente. Und diese deine nur für den Augenblick geschaffenen Worte verkündete das äußere Ohr dem vernünftigen Geiste, dessen inneres Ohr auf dein ewiges Wort eingestellt ist.

Der Geist aber verglich die nur in der Zeitlichkeit tönenden Worte mit deinem schweigenden ewigen Worte und sagte: "Etwas anderes ist dieses, etwas ganz anderes". Jene Worte sind tief unter mir, ja sie sind eigentlich gar nicht, denn sie fliehen und vergehen, aber das Wort meines Gottes bleibt über mir in Ewigkeit. Wenn du also in tönenden und vergehenden Worten gesprochen hast, daß Himmel und Erde werden sollen, und wenn du so Himmel und Erde erschaffen hast, dann gab es ja schon vor Himmel und Erde eine Körperwelt, durch deren zeitliche Bewegungen jene Stimme in der Zeit dahinging. Aber vor Himmel und Erde war kein Körper da, oder wenn einer da war, so hattest du ihn sicherlich ohne ein vorübergehendes Wort geschaffen, um dadurch das vorübergehende Wort zu erschaffen, mit dem du sagen könntest: Es werde Himmel und Erde! Wie beschaffen auch immer sein mag, woraus jene Stimme hervorgebracht worden, es würde überhaupt gar nicht bestehen, wäre es nicht von dir geschaffen. Mit welchem Worte also hast du den Körper ins Dasein gerufen, der Ursache dieser Worte werden sollte?

7. Gottes Wort ist ewig in Gott selbst.

So rufest du uns also, o Gott, zur Erkenntnis des Wortes, das Gott ist bei dir, das von Ewigkeit her ausgesprochen wird und in dem alle Dinge von Ewigkeit her ausgesprochen werden. Denn das eine Wort wird nicht etwa beendet, damit ein anderes gesprochen und nach und nach alle gesprochen werden können, sondern alles ist zugleich und von Ewigkeit her ausgesprochen; <s 277>sonst fände sich ja hierbei schon Zeit und Wechsel an Stelle von wahrer Ewigkeit und wahrer Unsterblichkeit. Dieses erkenne ich, mein Gott, und danke dir dafür. Ich erkenne und bekenne es dir, mein Herr und Gott, und mit mir erkennt es und preist dich ein jeder, der nicht undankbar ist gegen die lautere Wahrheit. Wir erkennen es, o Herr, wir erkennen es; denn insoweit ein Körper seine bisherige Wesenheit verliert und dafür eine neue annimmt, insoweit sagt man, er vergeht und entsteht. In deinem Worte ist somit nichts, was vergeht und entsteht; denn es ist in Wahrheit unsterblich und ewig. Und deshalb sprichst du mit deinem Wort, das gleich dir ewig ist, zugleich und von Ewigkeit her alles aus, was du aussprichst, und alles, was entstehen soll, entsteht. Und alles schaffst du durch dein Wort; doch haben deshalb nicht etwa auch alle Dinge, die du durch dein Wort ins Leben rufst, zugleich und von Ewigkeit her ihr Dasein.

8. Das ewige Wort Gottes ist auch das Prinzip unserer Erkenntnis der Wahrheit.

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Warum nun dies? frage ich dich, mein Herr und Gott. Zwar erkenne ich dies einigermaßen, allein ich weiß nicht, wie ich mich anders ausdrücken soll als etwa so: Jedes Wesen, das zu sein anfängt und zu sein aufhört, beginnt und beendet mit dem Zeitpunkte sein Sein, wenn die ewige Vernunft, in der weder Anfang noch Ende ist, Anfang und Ende seines Seins bestimmt hat.

Diese ewige Vernunft aber ist dein Wort, "es ist der Anfang, weil es auch zu uns spricht"488. Denn so spricht das fleischgewordene Wort im Evangelium, und es tönte von außen an die Ohren der Menschen, damit sie es glaubten, es in ihrem Herzen suchten und in der ewigen Wahrheit fänden, wo es als gütiger und alleiniger Lehrer alle seine Schüler unterweist. Dort vernehme ich deine Stimme, o Herr, und du sagst mir, daß jener zu uns spricht, der uns unterweist; wer uns aber nicht unterweist, der mag wohl sprechen, aber er redet nicht zu uns, Wer anders aber vermag uns zu lehren als die <s

278>unwandelbare Wahrheit? Denn auch dann, wenn ein veränderliches Geschöpf uns unterweist, werden wir zur unwandelbaren Wahrheit geleitet;

sie ist es, die uns in Wahrheit lehrt, wenn wir nur beständig sind, auf ihn hören und "uns innig an der Stimme des Bräutigams erfreuen"489, indem wir uns an den wenden, von dem wir das Dasein haben. Und deshalb heißt jene ewige Vernunft auch der Anfang, weil, wenn sie nicht ewig bliebe, wir nicht wüßten, wohin wir aus dem Irrtume unsere Schritte rückwärts richten sollten.

Wenn wir aber vom Irrtume zurückkehren, so geschieht es durch die

Erkenntnis der Wahrheit; daß wir aber erkennen, lehrt sie uns, denn sie ist der Anfang und redet zu uns.

9. Wie redet das Wort Gottes zum Herzen?

In diesem Anfange hast du, o Gott, "Himmel und Erde" erschaffen; in deinem Worte, deinem Sohne deiner Kraft, deiner Weisheit, deiner Wahrheit hast du in wunderbarer Weise gesprochen und auf wunderbare Weise geschaffen.

Wer kann es erfassen? Wer erzählen? Was ist das da, das mir entgegen leuchtet und mein Herz trifft, ohne es zu verletzen, so daß ich erschaudere und erglühe - erschaudere, insoweit ich ihm unähnlich, und erglühe, insoweit ich ihm ähnlich bin? Die Weisheit, die Weisheit selbst ist es, die mir

entgegenleuchtet, die den Nebel vor meinen Augen zerreißt, der mich wieder umhüllt, wenn ich mich von ihr in der Finsternis meiner Sünden und unter der Last meines Elends abkehre. Denn "so sehr ist meine Kraft in meiner

Dürftigkeit geschwächt worden"490, daß ich selbst das Gute an mir nicht zu ertragen vermag, bis du, o Herr, der "du dich aller meiner Sünden erbarmt hast", auch all "mein Siechtum" heilest. Denn "du wirst auch vom Verderben mein Leben erlösen", du wirst mich krönen "in Erbarmen und mit

Barmherzigkeit", du wirst sättigen "meine Sehnsucht mit Gütern", daß meine Jugend sich erneue wie die des Adlers"491. "Denn in Hoffnung sind wir erlöst 488Joh. 8,25.

489Joh. 3,29.

490Ps. 30,11.

491Ebd. 102,3-5.

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<s 279>geworden, und in Geduld erwarten wir deine Verheißungen"492. Hören soll, wer kann, deine Stimme in seinem Innern; ich aber will

zuversichtlich mit deinem Psalmisten ausrufen: "Wie groß sind deine Werke, o Herr! Alles hast du mit Weisheit gemacht"493. Und diese Weisheit ist der Anfang, und "in diesem Anfange hast du Himmel und Erde geschaffen".

10. Von dem Einwande, was Gott vor der Schöpfung getan habe.

Sind nicht ihrer alten Irrtümer noch voll, die zu uns sprechen: "Was tat Gott, bevor er Himmel und Erde schuf? Denn wenn er bis dahin ruhte und nichts wirkte, warum ist er nicht für alle Zeit in derselben Untätigkeit verblieben, in der er vor der Schöpfung verharrt hatte?" Wenn nämlich in Gott irgendeine neue Bewegung entstanden wäre und ein neuer Wille, ein Geschöpf ins Dasein zu rufen, das er zuvor noch nicht geschaffen hatte, könnte man da überhaupt noch von wahrer Ewigkeit sprechen, in der ein Wille entsteht, der vorher nicht da war? Denn der Wille Gottes ist kein Geschöpf, sondern er ist früher denn das Geschöpf, weil nichts geschaffen werden könnte, wenn nicht der Wille des Schöpfers vorhanden wäre. "Gottes Wille gehört also zur

Sind nicht ihrer alten Irrtümer noch voll, die zu uns sprechen: "Was tat Gott, bevor er Himmel und Erde schuf? Denn wenn er bis dahin ruhte und nichts wirkte, warum ist er nicht für alle Zeit in derselben Untätigkeit verblieben, in der er vor der Schöpfung verharrt hatte?" Wenn nämlich in Gott irgendeine neue Bewegung entstanden wäre und ein neuer Wille, ein Geschöpf ins Dasein zu rufen, das er zuvor noch nicht geschaffen hatte, könnte man da überhaupt noch von wahrer Ewigkeit sprechen, in der ein Wille entsteht, der vorher nicht da war? Denn der Wille Gottes ist kein Geschöpf, sondern er ist früher denn das Geschöpf, weil nichts geschaffen werden könnte, wenn nicht der Wille des Schöpfers vorhanden wäre. "Gottes Wille gehört also zur