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Verarbeitung emotionalen Bildmaterials bei Psychopathen

2. Theoretischer und empirischer Hintergrund

2.6 Wahrnehmung emotionalen Bildmaterials

2.6.2 Verarbeitung emotionalen Bildmaterials bei Psychopathen

Affektiv besetzter Bildinhalte und die Modulation des Blinzelreflexes auf Lärmreize während des Betrachtens untersuchten Patrick, Bradley & Lang (1993) an Gefangenen mit niedrigen, mittleren und hohen Werten in der PCL-R. 3,5 bis 5,5 Sekunden nach Darbietung des entweder aversivem oder appetitiven Bildes ertönten die Lärmreize. Sowohl Gefangene mit niedrigen als auch moderaten PCL-R-Werten, d.h. Nicht-Psychopathen, zeigten das normale

Reaktionsmuster einer Reflexinhibierung bei appetitiven und einer Reflexpotenzierung bei aversiven Stimuli. Psychopathen dagegen zeigten bei beiden Bedingungen eine Inhibition im Vergleich zu neutralen Bildern. Dass der Reflex sowohl bei angenehmen als auch unangenehmen Bildern vergleichsweise verringert ist, konnten mehrere Studien bestätigen (Patrick, Bradley & Lang, 1994; Levenston et al., 2000; Pastor et al., 2003). Ebenso zeigten Psychopathen eine verringerte Potenzierung des Blinzelreflexes während der Antizipation eines lauten Knalls (Patrick, 1994). Levenston et al. (2000) stellten fest, dass der Blinzelreflex besonders bei Szenen mit Opfern eines Angriffs oder Verletzten, aber in etwas geringerem Maß auch bei direkt bedrohlichen Szenen wie bewaffneten Angreifern im Vergleich zu Kontrollprobanden verringert war. Aufregende Bilder wie z.B. eine Achterbahn rief eine geringe Inhibition bei Psychopathen und eine geringe Potenzierung bei Nicht-Psychopathen hervor. Bei erotischen Bildern zeigten beide Gruppen eine Inhibition des Reflexes; auch in der zygomatischen Antwort (lächeln), im Corrugator-EMG (Stirnrunzeln), der Veränderung der SCR und Herzfrequenz gab es keine bzw. nur kleinere Unterschiede. In einer anderen Studie zeigten psychopathische Frauen eine verringerte Reflexpotenzierung bei aversiven Bildern nur, wenn sie weniger ängstlich waren und wenn der Lärmreiz bei 2,0 und nicht bei 4,5 Sekunden ertönte. Daraus schlossen die Autoren eher auf eine verzögerte als auf eine defiziente Reflexmodulation (Sutton, Vitale & Newman, 2002).

Interessanterweise zeigten auch nichtkriminelle Gesunde mit hohen PCL-R-Werten diese Beeinträchtigung während des Betrachten aversiven Bildmaterials (Mejia et al., 1997;

Vanman et al., 2003; Benning, Patrick & Iacono, 2005). Benning, Patrick & Iacono (2005) zeigten den Probanden angenehme, unangenehme und neutrale IAPS-Bilder und stellten fest, dass hohe Werte des interpersonell-emotionalen Faktors des PPI (“fearless dominance”) mit einem verringerten angst-potenzierten Blinzelreflex, hohe Werte des sozial-abweichenden Faktors („impulsive antisociality“) dagegen mit defizienten Hautleitungsgeschwindigkeiten assoziiert waren. Die Autoren gehen davon aus, dass eine hohe Punktzahl im ersten Faktor speziell mit der verminderten Reaktion auf aversive Bildinhalte zusammenhängt und damit assoziiert bei diesen Menschen ein Mangel an Angst zu risikoreichen Aktivitäten mit antisozialen Verhaltensweisen führen kann (Benning, Patrick & Iacono, 2005). Bereits Kinder mit antisozialen Tendenzen zeigen in ihrer subjektiven Einschätzung ein niedrigeres Arousal auf unangenehme und ein höheres Arousal auf angenehme IAPS-Bilder (Sharp, van Goozen

& Goodyer, 2006). Da der Blinzelreflex Angst reflektieren soll (Levenston et al., 2000), von Diazepam geblockt werden kann (Patrick, Berthot & Moore, 1996) und in Untersuchungen an Tieren gezeigt werden konnte, dass die angstvermittelte Potenzierung von der Amygdala

ausgeht (Hitchcock & Davis, 1986; Fanselow, 1994), wird vermutet, dass bei Psychopathen eine Schwäche defensiver Strukturen gegenüber aversiven Reizen vorliegt und sie sich leichter in Gefahrensituationen bringen (Levenston et al., 2000).

Als physiologisch-autonome Reaktion wurde neben dem gut untersuchten Blinzelreflex auch die Hautleitungsgeschwindigkeit (skin conductance response, SCR) betrachtet. Die Veränderung der SCR gilt als nicht spezifisch für aversive Stimuli: sie nimmt auch bei positiven Reizen mit hohem Arousal als nichtspezifisches Maß sympathischer Aktivierung zu (Bradley et al., 2001). Bei Psychopathen gibt es Hinweise für ein generelles Defizit der SCR beim Betrachter aller Bilder mit emotionalem Inhalt (Herpertz et al., 2001a;

Sutton, Vitale & Newman, 2002; Pastor et al., 2003), obwohl in anderen Studien keine Unterschiede zu Kontrollgruppen gefunden werden konnten (Patrick, Bradley & Lang, 1993;

Levenston et al., 2000). Bei Herpertz et al. (2001a) zeichneten sich Psychopathen durch verminderte SCR, niedrigere Corrugator-Aktivität und fehlende Blinzelreflex-Modulation auf positive und negative Stimuli aus. Ähnliche Ergebnisse zur SCR gibt es bei Psychopathen bezüglich emotional getönter auditorischer Stimuli (Verona et al., 2004). Pham, Philippot &

Rime (2000) verglichen darüber hinaus autonome Antworten von Psychopathen versus Kontrollprobanden in einer Emotionsinduktionsstudie zu Freude, Angst, Ärger, Trauer und Ekel anhand von Videomaterial. Unterschiedlich waren ein niedrigerer Blutdruck vor und während emotionaler Stimulation, ansonsten wurden keine Unterschiede respiratorischer, elektrodermaler oder elektromyographischer Art festgestellt. Auch die emotionale Beurteilung der Videos war ähnlich; Psychopathen berichteten lediglich weniger starke subjektive körperliche Wahrnehmungen als die Kontrollgruppe.

Mithilfe von fMRT konnten Müller et al. (2003) auch neuronale Strukturen beim Betrachten von IAPS-Bildern ausfindig machen. Dazu betrachteten 6 Psychopathen (PCL-R-Wert >39) und 6 Nicht-Psychopathen (PCL-R-(PCL-R-Wert <10) Serien von jeweils fünf positiven und fünf negativen Bildern. Zuvor wurden vier neutrale Bilder gezeigt. Jedes wurde 3 Sekunden lang präsentiert und zwischen den einzelnen Serien wurden 10 Sekunden lange Pausen mit schwarzem Bildschirm eingeschoben, um die induzierten Emotionen ausklingen zu lassen. Bei Psychopathen riefen negative Bildinhalte vermehrte Aktivität in mehreren präfrontalen und temporalen Regionen, dem anterioren cingulären Cortex und der Amygdala jeweils rechts und verminderte Aktivität im rechten subgenualen Cingulum, rechten medialen temporalen Gyrus, linken Lobulus paracentralis, linken dorsalen cingulären Cortex und linken parahippocampalen Gyrus hervor. Orbitofrontale und dorsolaterale präfrontale Regionen stehen in Verbindung mit der Emotionsregulation (Damasio et al., 2000; Herpertz et al.,

2001b) und deren Überaktivierung wird von den Autoren in Übereinstimmung mit früheren Studien im Sinne einer möglichen dysfunktionalen top-down-Kontrolle der Amygdala interpretiert. Auch hippocampale und parahippocampale Bereiche wurden im Zusammenhang mit Emotionsprozessierung gebracht, was die starke Unteraktivierung erklären könnte. Bei positiven Bildern stellte sich in der Studie eine vermehrte Aktivität im linken Gyrus frontalis und eine verminderte Aktivität im rechten medialen frontalen und rechten medialen temporalen Gyrus dar. Diese Lateralisierung wird mit einem Hyperarousal in linken und einem Hypoarousal in rechten temporalen Regionen in Verbindung gebracht (Müller et al., 2003).