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2. Theoretischer und empirischer Hintergrund

2.5 Emotionale Gesichtswahrnehmung

2.5.2 Neuronale Korrelate der emotionalen Gesichtswahrnehmung

2.5.2.1 Läsionsstudien

Studien zur Emotionswahrnehmung mit neuropsychologischen und bildgebenden Verfahren konnten teilweise verschiedene Emotionen einzelnen Hirnstrukturen zuordnen. Erkenntnisse brachten Studien, die zeigten, dass bestimmte Läsionen die Wahrnehmung aller Basisemotionen beeinträchtigen können (Hornak et al., 1996; Adolphs et al., 1996, 2000) oder an anderer Stelle auch einzelne Subkategorien in Mitleidenschaft ziehen können. Patienten mit Amygdalaläsionen sind vor allem im Erkennen von ängstlichen Gesichtsausdrücken beeinträchtigt (Adolphs et al., 1994, 1999b, 2005; Calder et al., 1996; Young et al., 1995,1996; Phelps & Anderson 1997; Broks et al., 1998; Sprengelmeyer et al., 1999;

Anderson & Phelps, 2000; Buchanan et al., 2004; Adolphs & Tranel, 2004), wobei diese Selektivität unklar ist, da bei einzelnen Patienten oft verschiedene Emotionen nicht erkannt werden konnten und sich die Läsionen teilweise auf mehrere Areale bezogen. Manchmal sind gleichzeitig mehrere Emotionen mit negativer Valenz wie Angst, Ärger, Ekel und Trauer betroffen (Adolphs et al., 1999a,b; Anderson & Phelps, 2000; Schmolck & Squire, 2001).

Adolphs et al. führten in einer Einzelfallstudie die Patientin SM vor. Sie war Anfang dreißig und litt an dem seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom, bei dem beide Amygdalae kalzifizieren und atrophieren. Sie schätzte ängstliche Gesichter als weniger intensiv ein als Kontrollprobanden, verkannte ängstliche oft mit überraschten oder ärgerlichen Gesichtern und konnte auch selbst keine ängstlichen Gesichtsausdrücke zeichnen. Ihre Gesichtserkennung an sich war nicht beeinträchtigt, und auch nicht das Erkennen anderer Emotionen (Adolphs et al., 1994; 1995). Interessanterweise untersuchten Adolphs et al. SM noch einmal zehn Jahre später und stellten fest, dass die Patientin beim Betrachten emotionaler Gesichtsausdrücke nicht die Augenpartie der Gesichter fixierte, sondern eher die Nase oder andere Bereiche.

Gerade bei Angst wird jedoch ein Großteil der Emotion über den Augenausdruck vermittelt, was die SM`s selektive Beeinträchtigung in dieser Hinsicht erklären könnte. Als sie daraufhin explizit angewiesen wurde, auf die Augenpartie zu achten, war ihr Erkennen ängstlicher

Gesichtsausdrücke völlig normal (Adolphs et al., 2005). In einer anderen Einzelfallstudie wurde der Fall von SP behandelt, einer damals 54jährigen Patientin, der die rechte Amygdala zusammen mit dem Temporallappen reseziert worden war und die zudem eine Läsion der linken Amygdala aufwies. SP war sowohl in der Erkennung ängstlicher als auch angeekelter und trauriger Gesichter schwer beeinträchtigt. Sie konnte allerdings auf Aufforderung ein ängstliches Gesicht machen (Anderson & Phelps, 2000). Da es jedoch auch die Gegenbeispiele zweier Patientinnen gibt, die nach einer Herpes-simplex-Enzephalitis mit Schädigung der Amygdala bilateral intakte Emotionserkennung zeigten (Hamann et al., 1996), müssen die Ergebnisse von Einzelfallstudien mit Vorsicht interpretiert werden.

Adolphs vertritt die Meinung, dass unilaterale Läsionen der Amygdala allgemein eher subtilere Beeinträchtigungen verursachen (Adolphs, 2002). Adolphs & Tranel (2004) untersuchten 27 Patienten mit unilateraler und 5 Patienten mit vollständiger bilateraler Amygdalaschädigung und zeigten diesen jeweils fünf, in der Intensität computergeneriert abgestufte (morphs), traurige, freudige und neutrale Gesichtsausdrücke, die sie mit 12 Kontrollen mit Hirnschädigung und mit 26 normalen Kontrollprobanden verglichen. Die Versuchsteilnehmer wurden angewiesen, die Emotion zu benennen und die Intensität einzuschätzen. Dabei zeigte sich, dass Patienten mit unilateraler Amygdalaschädigung ähnlich reagierten wie die Kontrollgruppen, diejenigen mit der Läsion in der rechten Hemisphäre jedoch schlechter abschnitten. Patienten mit bilateraler Amygdalaschädigung waren spezifisch beeinträchtigt im Abschätzen trauriger, aber nicht freudiger Gesichter. Aus diesen Ergebnissen leiten Adolphs & Tranel die Rolle der Amygdala bezüglich der Prozessierung mehrerer Emotionen mit negativer Valenz ab (Adolphs & Tranel, 2004). Bei keiner einzigen Studie wurden Patienten beschrieben, die gleichzeitig oder selektiv in der Erkennung freudiger Gesichter beeinträchtigt waren, was einen anderen Weg der Prozessierung positiver Emotionen vermuten lässt (Posamentier & Abdi, 2003). Da sich bei Patienten mit Amygdalaläsionen im Vergleich zu Kontrollen keine Differenzen in selbst geschätzten positiven oder negativen Affektzuständen zeigen, scheinen sie eher an der phänomenologischen Wahrnehmung, aber nicht an der subjektiven Erfahrung dieser Zustände beteiligt zu sein (Anderson & Phelps, 2002). Eine Verbindung der Amygdala mit der Prozessierung negativer Emotionen weisen auch Studien nach, bei denen Patienten mit uni- oder bilateraler Läsion des anteromedialen Temporallappens inklusive Amygdala keine Potenzierung des Blinzelreflexes auf Angst- und Ekelstimuli zeigten. Diese Potenzierung ist mit der Funktion der Amygdala verbunden und tritt normalerweise bei negativen Emotionen

auf (Buchanan et al., 2004). Ähnlich ist die Amygdala beteiligt bei aversiver Konditionierung (LaBar et al., 1995).

Da der Amygdala unter anderem auch eine Rolle bei der Prozessierung bedrohlicher Reize zugesprochen wird, liegt deren Beteiligung bei der Wahrnehmung ärgerlicher Gesichtsausdrücke nahe, da diese ebenfalls als bedrohlich interpretiert werden können.

Entsprechend gibt es Berichte von Patienten mit Amygdalaläsion, deren Fähigkeit, diese Gesichtsausdrücke zu erkennen, tatsächlich beeinträchtigt war, allerdings in Verbindung mit anderen Emotionen negativer Valenz (Calder et al., 1996). Da es sogar mehr Fälle gibt, in denen die Wahrnehmung von ärgerlichen Gesichtsausdrücken nicht beeinflusst war (Adolphs et al., 1994, 1995; Calder et al., 1996; Broks et al., 1998), bleibt die Rolle der Amygdala in dieser Hinsicht unklar. Calder et al. beschrieben vier Patienten, bei denen nach einer Läsion des ventralen Striatums die Wahrnehmung von Aggressionssignalen, insbesondere Ärger, beeinträchtigt war, und bringen dies mit dem striatalen dopaminergen System in Verbindung (Calder et al., 2004). Ähnlich ist bei Patienten mit Chorea Huntington, wo im Laufe der Zeit Striatum und Putamen atrophieren, die Fähigkeit beeinträchtigt, ängstliche von ärgerlichen Gesichtsausdrücken zu unterscheiden. In einer Studie von Sprengelmeyer et al. wurden diese kontinuierlich ineinanderübergehend präsentiert; Trauer-Freude sowie Geschlechts- und Identitätserkennung waren normal (Sprengelmeyer et al., 1996).

Diese Patienten haben zudem teilweise große Defizite beim Erkennen angeekelter Gesichter, die sie in der Studie von Sprengelmayer et al. nur unter Zufallswahrscheinlichkeit richtig zuordnen konnten (Sprengelmeyer et al., 1996). Eine Studie von Gray bestätigte die selektive Beeinträchtigung angeekelter Gesichter und, zu einem geringeren Ausmaß auch ängstlicher und ärgerlicher Gesichter, bei Huntington-Genträgern zu einem sehr frühen Zeitpunkt, zu dem diese klinisch noch präsymptomatisch und ohne kognitive Defizite waren.

(Gray et al., 1997). Tatsächlich zeigten Patienten mit Läsionen der Inselregion uni- oder bilateral und des Putamens eine verminderte Fähigkeit, angeekelte Gesichter zu erkennen (Calder et al., 2000; Adolphs et al., 2003). Calder et al. (2000) beschreiben in einer Einzelfallstudie einen Patienten mit isolierter Schädigung von Insula, Capsula interna, Putamen und Globus pallidus auf der linken Seite. Dieser war in mehreren Aufgaben selektiv in der Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken, die Ekel zeigten, stark eingeschränkt (Calder et al., 2000).

Eher generelle Ausfälle der Wahrnehmung aller Basisemotionen können Läsionen des ventralen präfrontalen Cortex, des orbitofrontalen Cortex sowie des rechten somatosensorischen Cortex hervorrufen (Hornak et al., 1996; Adolphs et al., 1996, 2000). In

einer Studie mit 108 Patienten mit fokalen Hirnläsionen stellten Adolphs et al. (2000) die schlechtesten Ergebnisse in der Emotionserkennung vor allem dann fest, wenn der rechte primäre oder sekundäre ventrale somatosensorische Cortex betroffen war (Adolphs et al., 2000). Dieses Ergebnis kann auf die Theorie bezogen werden, dass bei der Wahrnehmung emotionaler Gesichtsausdrücke dieselben emotionalen Antworten beim Betrachter ausgelöst werden, diese im somatosensorischen Cortex repräsentiert werden und so Informationen über das Gefühl vermitteln (Wild et al., 2001; Adolphs 2002b). Zum hiermit verwandten Thema der Spiegelneurone siehe Kapitel „Theory of Mind“.