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VON DEN UNTERGRÜNDEN DES LEBENSKAMPFES

Im Dokument BUCH HERMANN (Seite 74-119)

O

ft habe ich es ausgesprochen, daß die eigentlichen Welten­

stunden von Christus und von Buddha noch in der Zukunft liegen. Erst in und clank der Drangsal der Revolte der Erdkräfte wird ganz erfaßt werden, welch epochemachendes Ereignis im Prozeß des Einbruchs des Geists des ersteren Erscheinung be­

deutet. Und erst nachdem die Wissenschaftlichkeit höchste Ausbildung erfahren hat, wird ganz ermessen werden, daß und inwiefern das Denken, wie Buddha es verstand und übte, näm­

lich als vitale Wirklichkeit, als die Ganzheit des Lebens von innen her durchdringende und schöpferisch verwandelnde Kraft, ein Wichtigeres ist, als all das scharfe Denken ,,über" die Dinge und deren Meisterung von außen her, auf welche das heutige Abendland so stolz ist. Es ist nämlich nicht richtig, daß die Neu-Anerkennung der seelischen Wirklichkeit und insbeson­

dere von deren unbewußten Regionen, welche die Tiefen­

psychologie eingeleitet hat, an sich schon zu einer Verwesent-lichung und Vertiefung des Lebens vom denkenden Geiste her führte. Und so ist es auch nicht wahr, daß erfolgte Heilung durch analytische Behandlung bis auf ganz seltene Ausnahmefälle das bedeutet, was sie bedeuten soll: nämlich eine dank Hebung vorher verdrängter oder projizierter psychischer Wirklichkeit auf die Subjektstufe erfolgte metaphysisch bedeutsame Inte­

gration. Wohl vermag der moderne Seelenarzt unter Umständen Unbewußtes und Bewußtsein in Einklang zu bringen und dieses insofern zu vertiefen, als der tiefst verwurzelte schon wir­

kende Teil der Psyche zur Dominante wird. Doch nie noch hat ein solcher Seelenarzt in dem Sinne geheilt, wie dieses Heilige und Heilande nachweislich unzählige Male getan haben. Das heißt nie noch hat er aus seinem Patienten ein ,,Mehr" dessen

8o Warum Psychoanalytiker nie geistiger Heiler

gemacht, als er schon ohnehin war; nie hat er ihm etwas hinzu­

gegeben. Vor allem aber: nie hat er ihn souverän gemacht;

technisch ausgedrückt: nie noch gelang die Lösung von „Über­

tragung" wirklich. Gelingt die Ablösung von der Person des Arztes, so verbleibt desto mehr die Bindung an die Theorie der Analyse. Wer zu einem Seelenheiler geht, will aber mehr werden, als er vorher war, nicht bloß entspannt, entkrampft, zurecht­

gerückt, und kann er zu seinem Führer nicht als zu einem ihn hinaufhebenden oder durch Ausstrahlung verwandelnden Wesen aufschauen, dann sucht er seine Zuflucht in einer unpersön­

lichen Zauberformel. Daher die verblüffende Ähnlichkeit der Adepten der Tiefenpsychologie mit den Dogmengläubigen des frühen Christentums; daher die Rolle echter Kirchenväter, welche ihre Schulhäupter im Kreise ihrer Gefolgschaft spielen.

Dazu aber kommt das Folgende.. Das Heil liegt bei geistig­

seelischen Krisen allemal in vollzogenem Einstellungswandel (SE, 399—434) — gerade die Einstellung aber ändert sich am schwersten, und als Allgemeinerscheinung darum am spätesten.

Zu Beginn unserer Ära geschah im großen ganzen zunächst nicht mehr, als daß der unverwandelte antike Realismus in bezug auf Götter, Dämonen, Gesetz und Ritual sich neuen Gegenständen zuwandte. Genau gleichsinnig ist die heutige Allgemeinein­

stellung den neuerschlossenen Seelen- und Geistesräumen gegen­

über zunächst noch die alte des wissenschaftlichen Objektivis­

mus ; nach wie vor wird der Hauptnachdruck seitens der aller­

meisten unwillkürlich auf wissenschaftliche Theorie gelegt, zu der das persönliche Erlebnis nur das Material liefert. So erkennt der Mensch, welcher durch die Schule der neuen Psychologie ging, zunächst nur theoretisch an, daß er eine böse Unterwelt hat, die unablöslich zu ihm gehört, daß seine ,,libido" phanta­

stisch wandlungsfähig ist, daß vieles vormals für gut oder böse geltende ambivalent, daß sein Ich nicht das Letzte in ihm ist.

Vielleicht lernt er auch dank Beschäftigung mit Heinrich Zimmer und Richard Wilhelm metaphysisch verwurzelte Mythologie und empirische Psychologie zusammenzuschauen

— über das Schauen als solches kommt er nicht hinaus; neues

Fluch als Religion mißverstandener Tiefenpsychologie 8l erkenntnis-bedingtes Leben ( S E , 1 1 6 ff.) weckt es nicht in ihm. Darin aber liegt der anerkannte Zweck der ganzen Übung.

Zur Uberbrückung des als unangenehm empfundenen Zwie­

spalts dient dann solcher Schwindel, wie ihn das Unbewußte vorzuspiegeln jederzeit bereit ist — denn der Geist begann s e i n e K a r r i e r e a u f E r d e n a l s L ü g n e r u n d S c h a u s p i e l e r ( S M ,

II und X). So habe ich Jung-Schüler gekannt, die eine ganz banale Integration erreicht hatten, nun aber fest behaupteten, diese käme buddhahafter Erleuchtung oder Kaiser-Schun-hafter Weltüberlegenheit gleich. In Wahrheit waren sie wohl einige Verkrampfungen los, im übrigen aber so eingebildet geworden, daß sich die Lebenslüge später oft furchtbar rächte. Hier möchte ich zu Nutz und Frommen aller das tragische Ende von Oscar A. H. Schmitz in der Erinnerung festhalten. Er war ein extrem verehrungsbedürftiges Gemüt, wäre in früheren Jahrhunderten wohl Benediktinermönch geworden. Zunächst kam er gläubig zu mir: ich lasse mich aber nicht verehren. Nicht allein weil ich mich nicht für verehrungswürdig halte, sondern weil ich eine meiner Hauptaufgaben darin sehe, jeden zur Selbstbe­

stimmung anzuleiten; „Jüngerschaft" darf es meiner Überzeu­

gung nach auf der heutigen Bewußtheitsstufe nicht mehr geben.

Da verschrieb er sich mit Haut und Haaren der Tiefenpsycho­

logie. Seine ganze Vorstellung vom Wege religiöser Erlösung projizierte er in die Etappen des Jungschen Integrationspro-zesses hinein und wähnte sich zuletzt eines beinahe artha-artigen Zustandes teilhaftig geworden. Da erkrankte er an einem äußerst schmerzhaften Krebsleiden. Und wie dessen massiver Ernst ihn anfiel, da gewahrte er entsetzt, daß die Überlegen­

heit, auf deren Erreichnis er so stolz war, überhaupt nicht exi­

stierte. Seine letzten Tage boten ein Bild schauerlichen Rechtens mit dem Schicksal. Es rächt sich eben, sobald das Leben ernst macht, furchtbar, wenn einer als Religion auffaßt, was nicht Reli­

gionist undin empirischer Lösungmetaphysische Befreiung sieht.1

1 Oscar A. H. Schmitz Schriften enthalten übrigens vieles von bleiben­

dem Wert. Wirklich bedeutend ist sein „Versuch einer polaren Ethik" in Brevier für Einsame, wovon im Freiheitskapitel mehr; und sein Geist der Keyserling, Leben 6

82 Analytiker kann kein Vollendeter oder Meister sein

Ganz unmöglich können Psychoanalyse und Tiefenpsychologie den modernen Heilsweg bedeuten, den so viele in ihnen sehen.

Das hat über die genannten Ursachen hinaus auch noch den fol­

genden Grund. Jeder Heiler überträgt unwillkürlich sein persön­

liches Niveau. Es ist nun physiologisch ganz unmöglich, daß ein Analytiker ein Vollendeter wäre. Keiner verspürt den Drang, in den Seelen anderer zu wühlen, der es für sich nicht nötig hätte.

Im allgemeinen gilt vom Analytiker Äquivalentes wie vom Psy­

chiater, von dem ein vielerfahrener Konstitutionsarzt einmal be­

hauptete: bei jedem von ihnen hätte sich anfangs die Frage ge­

stellt, ob er nun als Arzt oder als Patient ins Irrenhaus einziehen solle. Jeder Analytiker, von dem ich wüßte, ist ein ungelöster analytischer Fall, so sehr er durch Analyse aller Weihen zuteil geworden zu sein wähnt, und zwar muß er ein analytischer Fall sein, sofern er das Unbewußte anderer auffangen können soll, wie dies sein Beruf fordert, anstatt sein persönliches Sein unbe­

fangen auszustrahlen. Wäre er ein Vollendeter, ein Meister, dann könnte er nicht mehr analysieren. So erklärt es sich, warum die Kirchenväter der Psychologie des Unbewußten, anstatt durch Erfahrung toleranter, weiter, ironischer und freier zu werden, sich statt dessen mit fortschreitendem Alter immer fester in den Geleisen ihrer Lehren festfahren.

Der vorgeschrittene moderne Mensch befindet sich sonach wirklich, wie wir's zu Beginn dieser Betrachtungen andeuteten, in eben der Lage, wie einerseits Christus, andererseits Buddha seine erlösungsbedürftigen Zeitgenossen vorfand: in herausge­

stellten Vorstellungen befangen, ob diese den Kategorien des Gesetzes und des Ritus (Juden) oder erstarrten Mythos (Helle­

nen, hinduistische Inder) angehörten. Sowohl Jesus wie Buddha mußten deshalb lehren, das Heil liege in einem fjLETavoeiv,

im Gewinnen einer neuen und fruchtbareren Einstellung. Und dank seiner wunderbaren, immer bis zur letzten Tiefe

vor-Astrologie und sein Dionysisches Geheimnis, auch manches in seiner drei­

bändigen Selbstbiographie könnten in aller Zukunft vielen Anregung bringen. (Die meisten Schriften von O. A. H. Schmitz sind im Verlag Georg Müller, München, erschienen).

Vom Verführenden wissenschaftlicher Fragestellung 83

dringenden Verstandesklarheit hat der Buddha auf eine auf die heutigen Mißstände unmittelbar übertragbare Weise aus­

sprechen können, wo der Grundfehler liegt und worauf es an­

kommt. Freilich gibt es alle die Erscheinungen, von denen die Mythen und Legenden berichten, ja es gibt deren noch sehr viel mehr. Doch der Heilsbeflissene sieht von allen diesen Erfah­

rungen ab, weil sie zum Heil nicht nützen — nicht weil es sie nicht gibt. Die wissenschaftliche Fragestellung als solche ist vom Standpunkt des Lebens zu verwerfen.

In der heutigen Krisis ist Buddhas Entscheidung in posi­

tivem Sinne aktueller, als die von Jesus, und sie ist auch ak­

tueller, als sie's vor zweieinhalb Jahrtausenden in Indien war.

Heute bedarf es zur Gewinnung eines höheren Zustands keiner zeitweiligen Verleugnung der Ratio, wie dies am Ende der europäischen Antike tatsächlich der Fall war. Und heute sind wir sehr viel theoretischer noch, sehr viel mehr Äußerlichem verhaftet, als es Inder jemals waren. Da überdies das mögliche theoretische Verstehen bei uns viel tiefer reicht, als bei Buddhas Zeitgenossen, besteht entsprechend größere Gefahr, sich bei vermeintlichem Alles-Verstehen zu beruhigen und so die per­

sönlichen Entscheidungen nicht zu treffen, auf die es im per­

sönlichen Leben in allen Fällen letztlich ankommt. So wollen wir denn in diesem Kapitel einen Rückzug antreten aus dem Reich verführerischer Theoreme und uns ausschließlich be­

fleißigen, so tief als möglich zu realisieren, was uns als innere Wirklichkeit entgegentritt. Nur von dort her wird schöpferische Lebensmeisterung möglich. Daher wollen wir auch möglichst alles vergessen, was wir über das Unbewußte und die Unter­

gründe gelesen haben: es genügt, daß theoretisches Wissen uns mittelbar lenkt, indem es uns vor Irrwegen und Vorspiege­

lungen bewahrt.

D

ie mechanistisch-materialistische Deutung des Lebens, welche im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dem wis­

senschaftlichen Schrifttum seinen Stempel aufprägte, bedarf keiner Berücksichtigung, weil sie de facto nie in vitalem Ver­

stände vorgeherrscht hat: es genossen damals nur

mechani-84 Woher die Werbekraft der indischen Weisheit

stisch denkende Gelehrte das größte Prestige und diesen wurde nachgeplappert. Im großen ganzen hat, wo Wesensfragen über­

haupt ernst genommen wurden, das christlich-religiöse Welt­

bild bis in unsere Tage weitergeherrscht, nur in immer unsicherer Dar- und Schaustellung, das Wort unsicher sowohl moralisch als geistig verstanden. Das konnte nicht anders kommen, nach­

dem einmal der Verstand seine Maßstäbe darauf anwandte, was seinen Normen nicht unterliegt. Hierauf und nicht etwa auf Fortschritt auf dem Wege religiösen Realisierens beruht das seither stetig wachsende Interesse für indische Metaphysik:

diese zieht nämlich, von dem christlichen ähnlichen und des­

halb christlichem Unbewußtem akzeptablen Urwirklichkeits-erlebnis her zwei Konsequenzen, welche das dogmatische Christentum nicht ziehen konnte, weil es der Intention seines Stifters allzu offenkundig widersprach, die aber der Geist ob­

jektiver Wissenschaftlichkeit fordert: erstens, daß es auf das Persönliche letztlich nicht ankomme, weil ein allgemeiner und in Form einer Objektivation vorstellbarer Plan der Welt in ihrem Sein und Werden zugrundeliege; und zweitens, daß alles relativ sei. Max Weber hatte nämlich für alle Zeiten recht, da er über die von niemandem bestrittene Objektivitäts- und Unpersönlichkeitsforderung für alle Wissenschaft hinaus deren Freiheit von Werturteilen postulierte. Keine Religion der Welt setzt nun so wenig absolute W erte wie die indische: gut und böse sind ihr Aspekte des gleichen, eines kann sich ins andere ver­

wandeln, der Läuterungs- und Heilungsvorgang wird nicht unter dem Zeichen des ,,Soll" vorgestellt, sondern einfach in Form einer Kausalordnung, für die man optieren mag oder auch nicht.

Doch wenn heutige Europäer und Amerikaner indische Religio­

sität bekennen, so tun sie es, noch einmal, in Wahrheit, weil sie in ihren Tiefen noch Christen sind. Die erste nachchristliche Lehre, welche als ein Neues und als solches aufrichtig Aufge­

nommenes gegenüber den christlichen Voraussetzungen gelten darf, war nicht schon die mechanische Weltdeutung des 19. Jahrhunderts — es war diejenige Freuds. Diese leugnete nämlich nicht das Seelische, an dessen Existenz kein Mensch

Fehler der Libido-Theorie-, jeder Monismus verfehlt 85 christlicher Erbmasse ernstlich zweifelt, jedoch sie führte es, dem Geist des naturwissenschaftlichen Zeitalters gemäß, mittels der Reduktionsformel „nichts als" auf Triebhaftes und damit Physiologisches zurück. Die fortschrittliche Tiefenpsychologie hat nun zwar Freuds handgreiflichste Irrtümer und Mißver­

ständnisse überwunden, aber sie ist doch bei einer monistischen Energetik (der Libido-Lehre) stehen geblieben, dank der eben das bis zu einem gewissen Grade wirklich erreicht wurde, was die mechanistische Periode nur scheinbar erreicht hatte: auch das psychische und geistige Geschehen auf Erdhaftes zurück­

zuführen. Insofern gehört sogar C. G. Jungs analytische Psycho­

logie mit zur revolte des forces telluriques (RM, I). Die inten-tionale Identität ihrer Doktrin mit der altindischen oder alt­

chinesischen, wie diese vielfach nachzuweisen versucht wird, beruht auf einem Mißverständnis, welches auf Grund des per­

spektivischen Zusammenhanges aller,,Sinne" sowie der Möglich­

keit, jeden besonderen „Sinn" mit entsprechenden in anderen Sphären belegenen „Sinnen" in funktionellen Zusammenhang zu bringen (SE, 1,1), naheliegt; es wird in Europa tellurisch gedeu­

tet, was im Osten pneumatisch oder spirituell gemeint war. Der lebenswichtigste Fehler hierbei liegt nun nicht darin, daß Irdi­

sches und Geistiges in Zusammenhang, und nicht einmal darin, daß sie auf einen Generalnenner gebracht werden: er liegt in der Leugnung derunbezweifelbaren Vielfalt des Menschenwesens.

Von dieser Vielfalt gab schon unser erstes Kapitel einen soweit genauen allgemeinen Umriß, als dies zum ersten Inne-werden der wahren eigenen Natur und des wahren eigenen Wesens uner­

läßlich ist. Jetzt liegt uns ob, die gleiche Grunderkenntnis in bezug auf die Bereiche der Seele fruchtbar zu machen, welche die christliche Weltanschauung in die Unterwelt verdrängt, der Begründer der Psychoanalyse durch falsche Deutung an die Oberfläche gezerrt und die moderne Tiefenpsychologie wie die altindische Lehre — hier treffen beide wirklich zusammen — ihrer persönlichen Bedeutung entkleidet hat, indem sie bei der Vielfalt möglicher Lebenszentren innerhalb der Seele und der Wandelbarkeit und Ambivalenz aller psychischen Gestaltung

86 Niederes Unterweltliches für höheres Leben unentbehrlich

stehen blieb. Denn was sich so unbegrenzt verändern und so Entgegengesetztes bedeuten kann, entspricht ganz offenbar nicht dem, was jeder geistbewußte Mensch als sein persön­

liches Subjekt erlebt. Verzichten wir darum auf jeden Verein-heitlichungs- und Reduktionsversuch, lassen wir insonderheit Körperliches und Seelisches so vorbehaltslos als Sonderlich­

keiten gelten, wie das naive Bewußtsein sie erlebt. Da wird uns denn offenbar, daß es zwar keinerlei Leib-Seele-Einheit gibt, daß aber der psychische Organismus wohl ähnlich zusammen­

gesetzt und artikuliert ist, wie der physische. Auch hier gibt es eine Ober-, Mittel- und Unterwelt, deren Bereiche nicht aus­

wechselbar sind; auch hier stellen die verschiedenen Systeme — ich brauche das Wort im Sinn des Zirkulatorischen, Nervösen, Vegetativen usw. innerhalb des Körpers — in hohem Grade selbständige Behörden dar. Und auch hier ist das Niedere für das Leben des Höheren unentbehrlich.

Buddhas ungeheure und von keinem anderen je erreichte zeitlose Wirkung beruht zu einem großen Teil darauf, daß er als einziger bisher ein Weiterkommen auf dem Pfad, der zur Erleuchtung führt, mit Fortschritt in klarem und vorurteils­

freiem Bewußtwerden dessen, was im Menschen wirklich vorgeht, in notwendigen Zusammenhang brachte. Im Gegen­

satz zu allen anderen Heilanden lehrte er nicht imaginiertes Höheres vorzustellen, bis daß es wirklich würde, wodurch der Autosuggestion grundsätzlich Tür und Tor geöffnet wird und bleibt — er lehrte den Mut zur Anerkennung der Wirklichkeit, so wie diese ist. Zu diesem Ende gebot er insonderheit zunächst das mit letzter Deutlichkeit vorgestellte Häßliche und Scheuß­

liche an den körperlichen Vorgängen zu meditieren, von der Defäkation bis zur Verwesung nach dem Tode. Und dieses wiederum nicht zwecks Irrealisierung des Körperlichen, wie dies die christliche Askese betreibt, sondern umgekehrt, zwecks Realisierung des Widerwärtigen als eines dem Menschen unab­

trennbar Zugehörigen. Das Ergebnis war bei denen, in welchen der tiefere Sinn von Buddhas Lehre fruchtbar werden konnte, ein beispielloser Einklang des ganzen Menschenwesens, dessen

Das Vorbildliche von Buddhas Grundeinstellung 87 fortschreitende Läuterung und Enthaftung nicht in einer Ver­

leugnung des Erdhaften bestand, sondern in dessen Trans-figurierung im Diesseits. Während also der brahmanische Inder in bezug auf seine Gegebenheit meditierte neti neti} das bin ich nicht, oder in bezug auf alles nur mögliche tat twam asi, das bist du, in welchen beiden Fällen das Bewußtsein der eigenen Person verdrängt oder abgetötet wurde, lernte der echte Buddhist sich zunächst vollständig mit allem, was er er­

fahrungsgemäß ist, persönlich zu identifizieren. Daraus ergab sich alsdann, auf Grund der Einsicht in die Nicht-Substanzhaftig-keit des Ich, als welches ein bloßer „Vorgang", ein „Essen und Gegessen-Werden" sei,1 die höhere Bewußtheit, welche das Leiden aufhebt. Buddhas Grundeinstellung ist nun tatsächlich das angemessene Vorbild für jedermann, welcher sich selbst ganz so realisieren will, wie er tatsächlich ist. Denn nicht auf die immerdar Horizont-bedingten Theorien kommt es hier an, son­

dern die lebendige Einstellung gegenüber der Erfahrung.

Von dieser her nun ergibt sich für das aufgehellte Bewußt­

sein das Folgende: Auch der seelische, genau wie der körperliche

1 Gerade an dieser Stelle möchte ich mit höchstem Nachdruck darauf aufmerksam machen, daß der einzige bekannte spätere Geist, in welchem sich die ursprüngliche Einstellung Buddhas ganz echt neuverkörpert hat, der kürzlich verstorbene Deutsche Paul Dahlke ist. Ihn und nicht einen Oldenberg oder Rhys-David studiere man, wenn man die Einzigartigkeit von Buddhas Lehre wirklich fassen will. Dahlke war wirklich Buddhist;

und er wirkte als solcher desto echter, als er persönlich kein Metaphysiker, kein religiös tiefer Geist und schon gar kein Erleuchteter war. Andererseits hatte die wahrhaftige Realisierung seiner Natur nach Buddhas Vorbild aus ihm einen großen Heiler gemacht: der Einklang von Geist, Seele und Kör­

per in ihm war so vollkommen geworden, daß er seine Heilkraft als Homöopath auf eine oft unheimlich wirkende Weise exteriorisieren konnte.

An Dahlkes Wiederverkörperung der Buddha-Einstellung leuchtet im übrigen am deutlichsten ein, wie gänzlich unmetaphysisch, ja anti-indisch Gautama war. Eine Auszählung seiner Hauptwerke bringt eine spätere Anmerkung. — Das Unterschiedliche und Sonderliche Buddhas in der Heilsauffassung im Rahmen der indischen Religiosität bestimmt am besten Heinrich Zimmers Studie „Buddha" in dessen Buch Indische Sphären (München 1935, R. Oldenbourg Verlag).

88 Spannung zwischen Sexus und Eros; Obszönes und Sublimes

Organismus hat seine Unterwelt. Auch die seelisch-unterwelt­

lichen Prozesse sind im großen ganzen häßlich und widerlich.

Aber auch sie sind nicht allein unabtrennbar, unüberwindlich und zu Schönerem unverwandelbar dem Organismus zugehörig:

auch hier tragen und bestreiten und verkörpern sie das spezi­

fisch irdische Leben. Hier bietet die Spannung zwischen Sexus und Eros das Urphänomen: ewig widerstreitet es Geist und

fisch irdische Leben. Hier bietet die Spannung zwischen Sexus und Eros das Urphänomen: ewig widerstreitet es Geist und

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