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Trends im Batteriemanagement

Deep-Learning-Methoden

Neue und vielversprechende Modellierungsmethoden auf Basis sog. künstlicher neuronaler Netze haben in vielen Ingenieursdisziplinen Einzug gehalten, so auch im Bereich der Modell-bildung von Batteriezellen und ganzen Batteriesystemen.

Künstliche neuronale Netze nutzen zur Modellbildung i.d.R. eine Vielzahl an einfachen, numerischen Verarbeitungselementen, sog. Neuronen ( Abbildung 1), die in Form von mehr-schichtigen Netzwerken (Abbildung 2) miteinander agieren, sodass auch komplexe Zusam-menhänge zwischen den Eingangs- und Ausgangsdaten modelliert werden können. Eine über-geordnete Zielstellung des Trainings von künstlichen neuronalen Netzen ist die Ermittlung der empirischen Modellparameter des künstlichen neuronalen Netzwerkes durch Verfahren der Parameteridentifikation.

Abbildung 1: Schematischer Verarbeitungsprozess eines Neurons von der Dateneingabe (xi) bis zur Datenausgabe (yi) und Darstellung der Modellparameter Gewichtung Wiund Bias bi [10]

Künstliche neuronale Netze sind im Bereich der numerischen Modellbildung i.d.R. der Modell-klasse der empirischen Modelle zuzuordnen. Es wird ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Eingangsdaten und Ausgangsdaten im Modell abgebildet, ohne jedoch dem jeweiligen Problem entsprechende physikalischen Modellgleichungen zu berücksichtigen.

Künstliche neuronale Netze verfügen als Modellierungsmethode über einige charakteristische Eigenschaften, die deren verstärkten Einsatz rechtfertigen. Zum einen bieten künstliche neuronale Netze die Möglichkeit, modellgestützte Prognosen und Regressionen zwischen Eingangs- und Ausgangsdaten eines Modells zu erstellen, ohne die zugrundeliegenden, physikalischen Zusammenhänge des zu modellierenden Systems im Detail analysieren und verstehen zu müssen. Ein derartiges Vorgehen scheint im Hinblick auf das Ziel der Modellbildung zunächst nicht zielführend, kann aber insbesondere in Bereichen hoher Komplexität der abzubildenden Vorgänge praktikabel sein. Zum anderen benötigen Modelle auf Basis bereits trainierter, künstlicher neuronaler Netze im Vergleich zu umfangreichen, physikalischen Modellen i.d.R. weniger Rechenleistung und eignen sich daher besonders für

33 den Einsatz auf kleinen on-board-Systemen zur gleichzeitigen Simulation parallel zum betrachtenden Prozess.

Abbildung 2: Topologischer Aufbau eines künstlichen neuronalen Netzwerks mit Eingabe-Schicht, Ausgabe-Schicht und verstecken Schichten ohne Feedbackschleifen [10]

Exemplarisch für den gewinnbringenden Einsatz von künstlichen neuronalen Netzen im Themenfeld der Batterietechnik sei auf die aktuellen Arbeiten von Weihan Li et al. [11] hinge-wiesen, die künstliche neuronale Netze zur Vorausberechnung des State-of-charge (SOC) einer Li-Ionen-Batterie betrachten. Die Ermittlung des SOC während des realen Einsatzes einer Batteriezelle ist herausfordernd, da i.d.R. nur eine eingeschränkte Verfügbarkeit an on-board-Sensoren vorliegt und die modellgestützte Abbildung des Phänomens der Zellalterung (z.B.

erläutert in [12,13]) i.d.R. komplexe Modellansätze und umfangreiche experimentelle Daten erfordert. Weihan Li el al. [11] nutzen als Eingangsdaten des angewandten LSTM-RNN (Long short-term memory recurrent neural network) einen ausgewählten Zeitbereich der Spannungskurve während des Ladevorgangs der Batteriezellen und können zeigen, dass eine gute Vorausberechnung des SOC mit sowohl unvollständigen und mit Störsignalen belegten Eingangsdaten, als auch mit Eingangsdaten unterschiedlicher Datengröße vorliegt.

Zukünftige Arbeiten im Themenfeld der Batterietechnik in Verbindung mit künstlichen neuronalen Netzen könnten sich mit einer verstärkten Integration dieser empirischen Modell-klasse in bekannte physikalische Batteriemodelle befassen. Ein vielversprechender Ansatz wurde von Prof. Venkat Viswanathan von der Carnegie Mellon University an der Konferenz ADVANCED BATTERY POWER (28.-29.04.2021) in seinem Vortrag „Machine Learning and Robotic Experimentation for Accelerating Battery Materials Innovation and Opimization“

vorgestellt. Bei diesem Ansatz werden künstliche neuronale Netze nicht nur stand-alone oder additive zu physikalischen Modellen eingesetzt, sondern innerhalb physikalischer Modelle, z.B. als individuelle Therme in den das Problem beschreibenden partiellen Differential-gleichungen, genutzt. Ein bedeutender Vorteil eines derartigen Ansatzes kann sein, dass die physikalischen Grundgleichungen dadurch relevant vereinfacht und numerisch einfacher gelöst werden können. Das Konzept der Integration von experimentellen Daten mit sog.

Hybridmodellen aus physikalisch-motivierten Modellen und empirischen Modellen auf Basis künstlicher neuronaler Netze wird z.B. auch von Billy Wu et al. [14] unter dem Begriff digitaler Zwilling diskutiert und erläutert.

Thermal Runaway und Thermal Propagation

Der sog. Thermal Runaway beschreibt bei Batteriezellen ein Ereignis, bei dem in einer Batteriezelle kontinuierlich mehr thermische Energie freigesetzt, als über die Batterie-oberfläche abgeführt wird. In der Folge nimmt die Temperatur der Batteriezelle zu. Bei einer Grenztemperatur tritt eine Funktionsaufgabe der Zelle ein und eine starke Gasfreisetzung, die i.d.R. mit der Ausbildung einer Flamme bzw. dem Abbrand der Zelle einhergeht, liegt vor. In Abhängigkeit der konstruktiven Ausführung eines Zellverbundes können durch den Vorgang der sog. Thermal Propagation auch in benachbarten Zellen Temperaturen erreicht werden, die einen Thermal Runaway initiieren. In Folge besteht die Gefahr, dass Nachbarzellen und letztlich die gesamte Batterie betroffen sein können, wodurch sich die freiwerdende Energie und die Schadstoffemissionen vervielfachen. Q. Wang et al. [15] geben in ihrer Arbeit u.a.

einen Überblick über die theoretischen Mechanismen des Thermal Runaway. X. Feng et al.

[16] zeigen u.a. während eines Thermal Runaway einer prismatischen Li-Ionen Batterie die möglichen Zerstörungsmechanismen auf, die abhängig vom jeweiligen Temperaturniveau der Batterie auftreten können.

Zur gezielten Initialisierung des Ereignisses eines Thermal Runaway bei Li-Ionen-Batterien stehen verschiedene Schädigungsmechanismen zur Verfügung, die i.d.R. im Rahmen von sog.

Abuse-Tests Anwendung finden. Diese umfassen mechanische, thermische und elektrische Schädigungen durch z.B. Nagelpenetration, Bruch, interne und externe Kurzschlüsse, Über-temperatur, Überladung und Tiefentladung, Be- und Entladeströme außerhalb der Spezifi-kation und weitere Methoden. Darüber hinaus existieren Möglichkeiten den Thermal Runaway durch in eine Batteriezelle integrierte Vorrichtungen zu initiieren, wie in [17]

erläutert. In Abhängigkeit von der jeweils betrachteten Zelle ist das Auftreten einzelner Schadensmechanismen nicht möglich bzw. kann nicht zur Initialisierung genutzt werden.

Das Auftreten eines Thermal Runaway stellt derzeit bei einer Vielzahl an üblichen Zellchemien einen der größtmöglichen Schadensfälle dar, dessen Auftreten durch vielfältige Sicherheits-maßnahmen verhindert werden soll. Zusätzliche Schutz- und PräventionsSicherheits-maßnahmen bei Batteriespeichern können z.B. geeignete Detektionsmechanismen zur Früherkennung im Batteriemanagementsystem sein, wie z.B. in J. Klink et al. [18] vorgestellt, oder ein ent-sprechend geeignetes Notkühlsystem zur Temperatursenkung im Schadensfall. Ergänzend werden in [17] weitere, detaillierte Schutz- und Präventionsmaßnahmen erläutert. Aktuelle Forschungstätigkeiten und Arbeiten zur Markteinführung von Barriere-Materialen für den Einsatz zwischen einzelnen Zellen und somit zur Unterbindung der Thermal Propagation wurde z.B. von Daniel Becher im Vortrag „Novel barriers for preventing thermal propagation – From research to market“ auf der Konferenz ADVANCED BATTERY POWER (28.-29.04.2021) vorgestellt.

Im Hinblick auf die Früherkennung des Schadensereignisses Thermal Runaway scheint die Bedeutung der thermischen Überwachung von einzelnen Batteriezellen, und damit auch ganzer Batteriespeichersysteme, an Bedeutung zu gewinnen. Eine verbesserte Kenntnis des tatsächlichen, thermischen Zustandes bietet darüber hinaus Vorteile bei der insitu-Modellierung von Batteriezellen bezüglich Degradationsmechanismen und Ermittlung des

35 State-of-Charge und State-of-Health. Herausforderungen bei der Entwicklung hardware-basierter Temperaturmesssysteme für diesen Einsatzzweck ergeben sich auch dadurch, dass für Tests und Prüfungen im Umfeld des Thermal Runaway i.d.R. hochgenaue Messtechnik und spezialisierte Prüfstände notwendig sowie höchste Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten sind, insbesondere beim Batteriespeichern mit hoher Zellenanzahl.

Die Marktdurchdringung derartiger Systeme und Konzepte wird auch davon abhängen, wie sich die in der Studie Battery2030+ [7] vorgestellten Trends der direkten Integration von Sensorik in einzelne Batteriezellen entwickeln. Mit der kostengünstigen Verfügbarkeit von Temperaturinformationen für individuelle Batteriezellen wird die thermischen Überwachung deutlich erleichtert.

Weiterhin scheint die Detektion des Thermal Runaway mittels Betriebsdaten eines Batterie-managementsystems ein vielversprechendes Anwendungsgebiet für die zuvor erläuterten Deep-Learning-Methoden zu sein. Dies ist der Fall, da eine detaillierte Beschreibung des Ereignisses Thermal Runaway i.d.R. anspruchsvolle physikalische Modelle erfordert, von der Einbausituation der einzelnen Batteriezelle abhängt und ggf. durch die Betriebsweise der Batteriezellen beeinflusst wird. Diese Vielfältigkeit der Randbedingungen stellt Anforder-ungen an die numerischen Prognose- und Detektions-Algorithmen, die den Einsatz einfacher, analytischer Ansätze erschwert. Bei ausreichender Datenbasis scheint der Einsatz von künstlichen neuronalen Netzen zur Detektion jedoch möglich und sinnvoll.

Fazit

In den nächsten Jahren und Jahrzehnten sind größere, teilweise sprunghafte, technologische Verbesserungen in den Zelltechnologien zu erwarten. Zum einen werden bestehende Techno-logien wie Lithium-Eisen-Phosphat, Nickel-Mangan-Kobalt und Nickel-Kobalt-Aluminium konsequent weiterentwickelt und zum anderen werden neue Technologien wie Lithium-Schwefel, Lithium-Luft und Magnesium, Zink und Kalzium als Lithiumersatz auf den Markt kommen.

Auf Systemebene geht ein aktueller Trend dahin, Gewicht durch neue Ansätze im Systemaufbau einzusparen. Dabei werden die Batteriezellen als Teil des mechanischen und strukturellen Aufbaus integriert.

Neue Algorithmen sorgen im Batteriemanagement dafür, dass die Batterien sicher, effizient und schonend betrieben werden. Hierbei werden insbesondere Deep-Learning Algorithmen dafür sorgen, dass eine genauere Erfassung des Systemzustands möglich ist, wodurch kritische Zellzustände, wie z.B. der eines Thermal Runaway, frühzeitig erkannt werden können.

Literaturverzeichnis

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Die Autoren

Prof. Dr. Walter Commerell Walter.Commerell@thu.de

Professor an der Technischen Hochschule Ulm,

Mitglied in den Instituten Energie- und Antriebstechnik und Fahrzeugsystemtechnik, Sprecher ASIM (Fachgruppe Simulation Technischer Systeme)

Leiter IECN (International Energy Competence Center) Fachinteressen:

Elektrochemische Energiespeicher, Systemdesignmethoden, Optimierung von Energiesystemen, Speichersysteme für Energie- und Automotive-Anwendungen Markus Gensbaur

Markus.Gensbaur@thu.de

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technische Hochschule Ulm (THU) Institut für Energie- und Antriebstechnik, Projekt InnoSÜD

Fachinteressen:

Elektrochemische Energiespeicher, Test- und Prüfmethoden, Modellentwicklung