• Keine Ergebnisse gefunden

Prof. Gerd Heilscher

Technische Hochschule Ulm, Institut für Energie- und Antriebstechnik, Smart Grids Forschungsgruppe

Abstract

Seit einem Jahr erleben wir weltweit eine grundlegende Veränderung unseres Lebens, der wir uns in kurzer Zeit anpassen mussten. Der Prozess war auch mit großer Unsicherheit verbunden. Langsam reift dabei auch die Erkenntnis, dass es nicht mehr so wird, wie es früher war. Es besteht für die einen die Chance auf positive, für andere das Risiko von negativen, bisher undenkbaren neuen Wegen. Wir stecken damit alle gemeinsam in einem Transformationsprozess.

Neben der unsichtbaren Bedrohung durch das C19-Virus geht der Klimawandel weiter. Auch hier ist ein Transformationsprozess notwendig, um unsere Lebensweise anzupassen und grundlegend zu verändern.

Die Nutzung regenerativer Energiequellen und der Aufbau dezentral organisierter Energiesysteme sind Teil dieses Transformationsprozesses unserer Energieversorgung. Der Beitrag erläutert die Herausforderungen der Nutzung regenerativer Energiesysteme und Ansätze zur Anpassung unseres Energiesystems an diese neuen Herausforderungen durch den Einsatz von Digitalisierung und Smart Grids.

Transformationserfahrung

Ein Jahr Pandemie - mit Transformation kennen wir uns jetzt alle aus! Wir konnten selbst erleben – alle, weltweit, fast gleichzeitig – wie unsere Lebensweise sich in kurzer Zeit und in bis dahin unvorstellbarer Weise veränderte, wie wir uns anpassen mussten. Geschäfte, Cafés und Restaurants wurden mehrfach über Monate geschlossen. Der Flugverkehr wurde eingestellt. Reisen, Tagungen, Messen werden erst verschoben und dann ganz abgesagt.

Arbeit, ja sogar Schulunterricht, erfolgt plötzlich online. Alles bis dahin nicht vorstellbar. Auch im ganz persönlichen Umgang miteinander gehen wir selbst zu vertrauten Menschen – wie z.B. unseren Eltern oder Großeltern auf Abstand. Das Tragen von Masken gehört jetzt zum Alltag. Begleitet wird dieser Prozess von einer großen Unsicherheit: der unsichtbare Virus, wie kann ich mich schützen, werde ich mich anstecken, wie wird mein Körper reagieren, werde ich überleben? Dies alles nicht nur fiktiv, sondern real - fast jeder von uns hat Betroffene im Familien- oder Freundeskreis.

Irgendwann wird das jedem zu viel und wir sehnen uns zurück nach dem Alltag, wie er vor der weltweiten Ausbreitung des C19-Virus war. Langsam wird dabei aber vielen bewusst, dass es diesen Weg zurück nicht geben wird. Cafés werden im Sommer wieder öffnen, aber wer geht freiwillig auf ein Kreuzfahrtschiff oder ein Flugzeug? Die Unsicherheit wird zu einer neuen

39 Normalität. Mit dem Transformationsprozess, den wir durchgemacht haben, ist aber auch ein hohes Risiko verbunden. Einige Cafés und Restaurants oder Musikkneipen werden nicht mehr öffnen, denn sie haben diese plötzliche bis dahin undenkbare Veränderung der Geschäftsgrundlage nicht überlebt.

Was können wir aus diesen Transformationserfahrungen lernen? Wir haben diese Veränderungen mitgemacht, experimentiert, viel Neues ausprobiert und die meisten von uns haben die Erfahrung gemacht, dass wir fähig sind uns auf vorher undenkbare Lebensbedingungen einzustellen. – Die Kreativität wurde eingesetzt und wir halten zusammen.

Diese Fähigkeiten werden auch bei einem anderen Transformationsprozess dringend benötigt – dem Klimawandel. Warum sollte eine wirksame CO2-Steuer nicht doch möglich werden?

Entscheidungen, die der Staat im letzten Jahr getroffen hat, zeigen, was möglich ist, wenn es darauf ankommt die Lebensgrundlage für alle zu sichern.

Die wesentliche Frage, die sich jetzt stellt: Haben wir auch im Kampf gegen den Klimawandel den Willen und die Weisheit, um eine Zukunft zu gestalten, die für die ganze Gemeinschaft funktioniert?

Klimawandel und Energiewirtschaft

Abbildung 1: Die Süddeutsche Zeitung (SZ) stellt in ihrer Grafik auf Seite 1 der Ausgabe vom 23. April 2021 dar, wer eigentlich für den Klimawandel verantwortlich ist. Von 1800 bis 1920 war Europa (inkl.

Russland) mit über 50% Hauptverursacher der kumulierten Luftschadstoffe. Wenn wir von heute bis an den Beginn der der industriellen Revolution zurückblicken, haben wir immer noch den größten Anteil der CO2-Emmissionen zu verantworten [1]. Auf Datengrundlage der Internationalen Energieagentur(IEA) ist auf der rechten Seite der Abbildung die Verteilung der CO2-Emmissionen 2019 auf die verschiedenen Sektoren dargestellt. Die Stromerzeugung ist die Quelle von 40% der CO2-Emmissionen, gefolgt vom Transportsektor und der Industrie [2].

Mit den Darstellungen in Abbildung 1 wird deutlich, dass Europa eine historische Verantwortung für den Klimawandel besitzt und deshalb aktiv und beispielgebend an der Entwicklung von Lösungen für eine CO2-freie Energieversorgung arbeiten sollte. Die oft gehörte Grundhaltung, es nützt nichts, wenn wir vorangehen, ist im Bewusstsein dieser Zusammenhänge nicht mehr angebracht.

Abbildung 2: Mit der Überschrift „Der Preis des Zögerns“ erläutert die SZ in ihrer Ausgabe vom 30. April 2021, wie kurz der „Bremsweg“ ist, der uns weltweit noch bleibt, um mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit den Temperaturanstieg auf der Erde unter 1,5 Grad zu halten. Auf dem Niveau, das wir 2021 erreicht haben, bleiben uns nur noch sieben Jahre bis das CO2-Budget aufgebraucht ist [3].

Sieben Jahre für die Transformation des Energiesystems sind in einem weltweiten Maßstab eine sehr kurze Zeitspanne. Ein Blick zurück macht aber auch deutlich, dass wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen sollten.

Klimabilanz Strompreisbremse

2013 wurde im Umweltministerium die Strompreisbremse entwickelt. Der Transformationsprozess hin zu einer CO2-freien Energieversorgung ging dem Umweltministerium zu schnell – der Erfolg der jungen Solarenergiebranche führte von 2010 bis 2012 zu einem jährlichen Zubau von jeweils 7,5 bis über 8 Gigawatt pro Jahr. Das Vergütungssystem für die Einspeisung von Strom aus regenerativen Energiequellen lief aus dem Ruder. Zum einen führte der Merit-Order-Effekt beim Verkauf der EEG-Einspeisungen an der Börse zu immer geringeren Einnahmen, zum anderen wurden die Lasten der EEG-Umlage auf immer weniger Schulter verteilt. Dies führte zu einem Anstieg der EEG-Umlage.

41 Abbildung 3: Auswirkungen der Strompreisbremse auf den Ausbau der Photovoltaik (grüne Balken) und Ermittlung der Klimabilanz dieser Maßnahme im Vergleich zu einer gleichbleibenden Installation von 8 GW pro Jahr von 2013-2020 (rote Fläche) [4].

Das Umweltministerium wollte gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium diesen Anstieg der EEG-Umlage mit der „Strompreisbremse“ verhindern. Der Lösungsansatz

„Strompreisbremse“ hatte zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in der noch jungen Solarindustrie geführt und im Rückblick, wie in Abb. 3 erläutert, eine Minderung der CO2-Emmissionen im Umfang von mindestens 96 Millionen Tonnen verhindert. Noch im letzten Jahr wurde sehr lange um die Abschaffung des 52 GW-Deckels gerungen, der den maximalen Ausbau der Solarenergie im EEG auf 52 GW begrenzt hatte. Damit sind acht Jahre verloren, um intelligentere Lösungen als Alternativen zur „Strompreisbremse“ zu entwickeln.

Nutzung regenerativer Energiesysteme

Um die notwendigen, mutigen und wirksamen Entscheidungen für einen Umbau auf regenerative Energiesysteme zu treffen reicht das kleine Einmaleins.

Abbildung 4: Die monatliche Energiebereitstellung von regenerativen Energiesystemen im Vergleich zur Last im Jahr 2020 ist in der linken Grafik dargestellt. Im Jahresverlauf wurden etwa 50% des Strombedarfs von regenerativen Energiesystemen bereitgestellt [5]. Mit dem Ansatz eines zukünftigen jährlichen Strombedarfs von 600 TWh/Jahr ist eine Verdreifachung der installierten Leistung von Windkraftanlagen und die fünffache Leistung bei Solarkraftwerken notwendig.

Statt „bremsen“ ist also „beschleunigen“ beim Ausbau regenerativer Energiesysteme notwendig. Wie wir vor kurzem feststellen mussten, war dazu aber erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig, um die derzeit politisch Verantwortlichen auf den

Eine Fortführung des Ausbaus der Photovoltaik mit 8 GW pro Jahr von 2013 bis 2020 hätte die installierte Leistung und die eingespeiste Energiemenge bis 2021 etwa verdoppelt. Die Strompreisbremse hat damit CO2-Minderungen in einem Umfang von 96 Millionen Tonnen verhindert (rote Fläche).

Schutz der Lebensgrundlage zukünftiger Generationen bei ihren Entscheidungen über Klimaschutzmaßnahmen hinzuweisen.

Neben der wirtschaftlichen Integration regenerativer Energiesysteme sind auch große Herausforderungen bei der Integration der fluktuierenden Einspeisung von Solar- und Windkraftanlagen zu bewältigen.

Abbildung 5: In Deutschland werden bereits hohe fluktuierende Leistungsanteile von Solar- und Windkraftanlagen im Energiesystem genutzt. Dargestellt sind die Anteile der einzelnen Energiequellen in viertelstündlichen Zeitschritten im Juni 2019. Am 8. Juni wurde ein Leistungsanteil von Solar- und Windenergie von 83% erzielt. Zu diesem Zeitpunkt wurden 16% der Kraftwerksleistung exportiert [5].

Transformation des Energiesystems

Als Reaktion auf den Klimawandel ist also eine grundlegende Veränderung der Energieversorgung notwendig. Wenige große zentrale Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß sollen durch Millionen dezentraler regenerativer Energiesysteme ersetzt werden. Diese kleineren Kraftwerke speisen ins Verteilnetz ein. Gleichzeitig sollen zur CO2-Minderung des Transportsektors Verbrennungsmotoren in großer Zahl auf E-Mobilität umgestellt werden.

Auch die Aufladung der E-Mobile erfolgt im Verteilnetz.

43 Abbildung 6: Auswirkungen des Umbaus der Energieversorgung auf dezentrale regenerative Energiesysteme auf die Übertragungs- und Verteilnetze. Während die Energieversorgung bisher durch wenige große Kraftwerke sichergestellt wurde, die ins Übertragungsnetz einspeisen, werden in Zukunft Millionen dezentraler regenerativer Energiesysteme ans Verteilnetz angeschlossen. Dafür wurde das Verteilnetz nicht ausgelegt und muss an diese Veränderung angepasst werden [6,7].

Diese Veränderungen der Belastungen im Verteilnetz sind für die Netzbetreiber neu und erfordern zuerst mehr Kenntnisse über die Lastflüsse im Verteilnetz. Darauf sind die meisten Netzbetreiber nicht bzw. nicht gut vorbereitet.

Bisher reichte es aus, einmal beim Aufbau der Verteilnetze eine Auslegung durchzuführen. Die Belastungen, also das Verhalten der Energieabnehmer, waren mit Erfahrungswerten gut abzuschätzen und veränderten sich kaum.

Das aus Energieabnehmern jetzt Kunden mit E-Fahrzeugen werden, welche Solarstromanlagen auf dem Dach aufbauen und ihren Energiebezug mit lokalen Speichern auch noch selbst optimieren, ist eine wesentliche Änderung für die Belastung der Netze.

Der erste Schritt ist es mehr Transparenz im Verteilnetz zu erhalten. Das hat zum einen mit einer Aufbereitung von Information zu tun, die zwar vorhanden aber oft nicht nutzbar ist (Aus Papierordnern, auch wenn diese gescannt vorliegen, muss die Information erst einmal aufwendig extrahiert und der bisherige Prozess von Papier auf digitale Erfassung verändert werden). Daneben fehlen aber auch wichtige Informationen über die Energieflüsse in der Mittel und Niederspannung.

Erst wenn diese Informationen vorliegen, lässt sich mit Netzberechnungen eine Entscheidungsgrundlage erarbeiten. Netzausbau ist dabei nur eine Lösung, die sicher an einigen Stellen auch sinnvoll ist. Die Alternative und Ergänzung zum Netzausbau ist der Aufbau intelligenter Netze. Das Stromnetz wird um ein Energieinformationsnetz ergänzt. Die Teilnehmer des Netzes stellen Informationen zur Verfügung. Der Netzbetreiber ermittelt daraus den Netzzustand und leitet daraus Steuerungsentscheidungen ab oder gibt Anreize für eine Veränderung des Last-/Einspeiseverhaltens bei den Kunden.

Vom Energie-Effizienzhaus PLUS zum Energie-Flexiblen-Gebäude

Abbildung 7: Neubau der THU als Energie-Effizienzhaus PLUS – vor Ort wird durch Solarenergie so viel Energie bereitgestellt, wie innerhalb eines Jahres für Wärme und Strom vom Gebäude und den Nutzern benötigt wird. [8]

Mit dem neuen Gebäude der THU an der Albert-Einstein-Allee 53 erhält die Technische Hochschule Ulm ein Reallabor oder Living Lab. Das Gebäude selbst wird zur Laborinfrastruktur für Lehre und Forschung. Eine 411 kWp Photovoltaik-Anlage stellt die Energie bereit, um den Strombedarf, sowie über eine Wärmepumpe auch den Heizungs- und Kühlbedarf, zu decken.

Die Definition des Energie-Effizienzhaus PLUS ist jedoch für eine erfolgreiche Transformation des Energiesystems nicht ausreichend. Wir brauchen in Zukunft Energie-Flexible-Gebäude in Interaktion mit den Nutzern und der Umgebung. Diese Gebäude arbeiten aktiv im transformierten Energiesystem mit. Auf der Zeitbasis von 1 Stunde, 15 Minuten oder auch 1 Sekunde werden Energiebedarf und Energiebereitstellung in Einklang gebracht. In diesem Sinne wird das neue Gebäude selbst zum Labor, mit dem wir diese Konzepte in Lehre und Forschung entwickeln und erproben.

Digitalisierung der Energiewende – Erfahrungen aus dem Projekt C/sells

Interaktive Gebäude, Prosumer, die aktiv das neue dezentral organisierte Energiesystem mitgestalten, und der Einsatz der Digitalisierung für die Energiewende waren im Fokus des Forschungsprojekts C/sells. Gemeinsam mit 50 Partnern aus Hessen, Bayern und Baden-Württemberg wurden Lösungen entwickelt und im Feldtest mit den Kunden erprobt.

45 Abbildung 8: Das Projekt C/sells befasste sich 4 Jahre lang mit der Digitalisierung der Energiewende für den Aufbau eines dezentral organisierten Energiesystems. Die Schwerpunkte waren dabei die technische und wirtschaftliche Integration von flexiblen Lasten zum Ausgleich fluktuierender Einspeisung, die Erprobung der Smart-Meter-Infrastruktur, die Konzeption zellulärer Netze als Oganisationsprinzip dezentraler Energiesysteme sowie die intensive Partizipation der Gesellschaft an diesen Veränderungen [9].

Digitalisierung

Mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende wurde bereits vor fünf Jahren eine Grundlage für ein Energieinformationssystem auf Basis der Smart-Meter-Infrastruktur in Verbindung mit Smart–Grid-Gateways geschaffen. Das Projekt C/sells sowie vier weitere

„Schaufensterprojekte“ im Rahmen des SINTEG-Förderprogramms des BMWI sollten Anwendungen des Energieinformationssystems entwickeln und demonstrieren. In der Definition und Entwicklung der Smart–Meter-Infrastruktur treffen Informationssicherheit, Kommunikationssysteme und Messwesen aufeinander.

An der THU wurde dazu eine umfangreiche und tiefgehende Expertise zum Aufbau und Betrieb des Energieinformationsnetzes erarbeitet und unterschiedliche Anwendungen entwickelt.

Das Gesamtsystem wurden im Smart Grid Labor systematisch getestet und wird jetzt im Feldtest erprobt. Die Smart Grids Forschungsgruppe konnte damit als einer der wenigen Teilnehmer des SINTEG-Förderprogramms ein vollständiges Smart Grid im Labor- und Feldtest aufbauen. Auf der Basis von standardisierten Datenmodellen (IEC61850 und CIM) erfolgt eine bidirektionale Kommunikation zwischen Netzleitwarte und dezentralen Prosumern über die Smart-Grid-Infrastruktur.

Abbildung 9: Bidirektionale Kommunikation zwischen Netzleitwarte und dezentralen Energiesystemen mit standardisierten Datenmodellen über die Smart Meter Infrastruktur. In der Abbildung ist die Steuerung eines Solarwechselrichters mit Einspeisemanagement dargestellt.

Flexibilität

Der Ausgleich von Energiebereitstellung und Energienutzung wird bisher mit der Beschaffung von positiver und negativer Regelleistung durch die Übertragungsnetzbetreiber sichergestellt.

Der in Abbildung 6 erläuterte Wandel der Kraftwerksstruktur und die in Abbildung 5 dargestellte fluktuierende Einspeisung von Solar- und Windkraftanlagen erfordert auch neue Flexibilitätsprodukte für den Betrieb des Energiesystems.

Flexibilität ist dabei die Veränderung von Einspeisung oder Entnahme in Reaktion auf ein externes (Preis-) Signal mit dem Ziel, eine Dienstleistung im Energiesystem zu erbringen.

Auf der Basis der neuen Smart-Meter-Infrastruktur und der Smart-Grid-Gateways wird es möglich, auch „Kleinst-Flexibilität“ als Flexibilitätsprodukte zu bündeln und in bestehenden Regelenergiemärkten und neuen Flexibilitätsmärkten anzubieten. Im Rahmen des Projekts C/sells wurde Flexibilität technisch definiert und drei Flexibilitätsmärkte und ein Meta-Flex-Kataster zur Anbindung von Prosumern entwickelt.

Zellulares Energiesystem

Das bestehende Energiesystem kannte nur eine Energieflussrichtung – von den zentralen Großkraftwerken und den Übertragungsnetzen zu den Verteilnetzen und den Energieabnehmern. Mit den Millionen neuer Einspeiser und den steuerbaren Lasten im Verteilnetz wird auch eine neue Organisationsstruktur notwendig. In C/sells wurde ein gemeinsames Verständnis für zelluläre Strukturen im Verteilnetz entwickelt. Die kleinste Einheit stellt dabei ein Prosumer dar. Mit Hilfe von Energiemanagementsystemen werden Last, Einspeisung und lokale Speicher optimiert und über die Smart-Meter-Infrastruktur mit den Zellnachbarn kommuniziert. Ortsnetze bilden die nächste Ebene der zellulären Struktur.

Wie kann sich ein Ortsnetz optimieren, um ein Optimum zwischen notwendigem Netzausbau

47 und gemeinsamer Nutzung der vorhandenen Infrastruktur auch bei Veränderung der Netznutzung mit hoher Einspeisung und neuen Lasten durch E-Mobilität zu erreichen.

Regionale Energieprodukte sowie Anreize und neue Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Optimierung der lokalen Netznutzung sind aktuell in vielen Ländern der Antrieb für den Ausbau dezentraler Energieversorgung.

Partizipation

Die Energiewende hat nach wie vor eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Bei den notwendigen Veränderungen und den technischen Neuerungen ist ein intensiver Austausch mit den Bürgern wichtig. Die weiteren Schritte der Energiewende können nur mit den Bürgern umgesetzt werden. Bei einer Einführung von Smart Metern in Haushalten muss der Nutzen einfach nachvollziehbar und größer als die Kosten sein. Prosumer, die selbst aktiv in die Umsetzung der Energiewende investieren, brauchen Zugang zu den Energiemärkten.

Bürokratische Hürden bei Netzanschluss und Betrieb der Anlagen müssen abgebaut werden.

Diese Punkte sind entscheidend damit die Transformation des Energiesystems gemeinsam gelingt.

Ausblick digitaler Netzanschluss

Abbildung 10: Mit dem Digitalen Netzanschluss wird im Netz an die Liegenschaften ein zeitlich befristetes Limit der maximalen Last oder Einspeisung mitgeteilt [10].

Der Digitale Netzanschluss gibt über die Kommunikation mit einem Smart Grid Gateway in einem standardisierten Datenformat eine zeitlich befristete Leistungsbegrenzen für die maximale Last oder die maximale Einspeisung bekannt. Das Energiemanagement der Liegenschaften entscheidend lokal eigenständig, ob z.B.: die Einspeisung reduziert oder alternativ die lokale Last erhöht wird um unterhalb des vorgegebenen Limits für die Einspeisung zu bleiben.

Ausblick Mehrwert durch Digitalisierung

Durch den FNN wurde für die Kommunikation mit dem Smart Grid Gateway das Datenmodell IEC 61850 definiert. Damit ist eine vollständige Beschreibung von Stammdaten und Messdaten

von Anlagen oder Systemen möglich. Diese Selbstbeschreibung kann von anderen Systemen gelesen werden und damit z.B. eine völlig automatisierte Integration dezentraler Energiesysteme in einem Leitsystem oder die Registrierung im Marktstammdatenregister erfolgen. Neben den Stammdaten lassen sich auch Fähigkeiten der Systeme oder das aktuell parametrierte Regelverhalten abfragen oder mitteilen. Neben der erheblichen Reduzierung des manuellen Aufwands für die Integration ist damit auch eine größere Sicherheit für den Betrieb der Verteilnetze möglich. Insbesondere das Verhalten des Gesamtsystems läßt sich auf der Basis gesicherter und aktueller Information der einzelnen dezentralen Einheiten für den Störungsfall besser vorhersagen.

Abbildung 11: Auf der Basis des IEC 61850-Datenmodells erfolgte an der THU die automatisierte Integration und Abbildung dezentraler Energiesysteme in einem Power Spectrum5-Leitsystem. Damit konnte erheblicher manueller Aufwand reduziert werden [11].

Fazit

Die Transformation des Energiesystems setzt zuallererst voraus, dass wir gemeinsam, die Gesellschaft, die Politik und die Wirtschaft, den Willen aufbringen vorrausschauend, auf der Basis des aktuellen Wissens, aktiv und in allen Lebensbereichen, die von uns verursachten CO2-Emmissionen drastisch reduzieren. Die Handlungen in den letzten 10 Jahren haben nicht ausgereicht oder waren sogar kontraproduktiv. Es kommt also jetzt auch auf die Geschwindigkeit an in der wir die Maßnahmen die wir als sinnvoll erachten umsetzen. Neben der Technologie sind auch Veränderungen in der Bürokratie notwendig um diese höhere Umsetzungs-Geschwindigkeit zu erreichen.

Solar- und Windkraftanlagen als Basis der neuen CO2-freien Energieversorgung führen zu einer grundlegenden Veränderung des Energieversorgungssystems. Die kleinteiligeren, dezentralen Strukturen stellen die Verteilnetze vor große Herausforderungen. Dies bietet aber auch viele Chancen zum Aufbau robuster zellulärer Strukturen und einer vielfältigen Partizipation der Bevölkerung. Ein wesentlicher Baustein zum Gelingen der Transformation ist die Digitalisierung. Damit lassen sich die notwendigen Informationen zwischen den Beteiligten

49 austauschen. Energiebereitstellung und die Flexibilität des Energiebedarfs lassen sich damit an bestehenden und neuen Märkten handeln und auch notwendige Regulations- und Steuerungsmaßnahmen durchführen.

Abbildung 12: Bausteine für die Transformation des Energiesystems

Literaturverzeichnis

[1] Hosse, „Wer für den Klimwandel verantwotlich ist“, SZ-Grafik, Datenquelle: Our World in Data/Global Carbon Project, Süddeutsche Zeitung, Seite 1 vom 23. April 2021.

[2] International Energy Agency (25.03.2021), Global energy-related CO2 emissions by sector. [Online]. Available: https://www.iea.org/data-and-statistics/charts/global-energy-related-co2-emissions-by-sector

[3] Mujic, „Wer für den Klimwandel verantwotlich ist“, SZ-Grafik, Datenquelle: Robbie Andrews/Global Carbon Project/IPPC, Süddeutsche Zeitung, Seite 2 vom 30. April 2021.

[4] BMWi (15.03.2021), Gesamtausgabe der Energiedaten – Datensammlung des BMWi, letzte Aktualisierung vom 5.3.2021. [Online]. Available:

https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/energiedaten-gesamtausgabe.html [5] B. Burger, Fraunhofer ISE (25.09.2020), Stromerzeugung in Deutschland in Woche 23 2019. [Online]. Available: https://energy-charts.info/charts/power/chart.htm?l=de&c=DE&

year=2019&week=23&stacking=stacked_absolute_area&source=all

[6] BnetzA (19.01.2021), Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur. [Online]. Available:

https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/ElektrizitaetundGas/Unternehmen_Ins titutionen/Versorgungssicherheit/Erzeugungskapazitaeten/Kraftwerksliste/kraftwerksliste-node.html

[7] AGEE-Stat (01.05.2021), Erneuerbare Energien in Zahlen. [Online]. Available:

https://www.erneuerbare-energien.de/EE/Navigation/DE/Service/

Erneuerbare_Energien_in_Zahlen/Aktuelle-Informationen/aktuelle-informationen.html

Erneuerbare_Energien_in_Zahlen/Aktuelle-Informationen/aktuelle-informationen.html