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II. Integration im Gruppen- und Generationenvergleich: Ein Überblick

9. Transnationalismus

Verhältnismäßig wenig untersucht ist das Verhältnis von in Deutschland lebenden Perso-nen mit ausländischen Wurzeln zu ihrem Herkunftsland. Dazu gehören Fragen zu Besu-chen und längeren Aufenthalten, ebenso wie die finanzielle Unterstützung von Verwandten und das Vorhandensein von Wohneigentum. Im Folgenden wird nun die Verbreitung und Persistenz transnationaler Bindungen und Aktivitäten der jeweiligen Herkunfts- und Gene-rationsgruppen verglichen. Dabei muss aufgrund des Alters auf eine gesonderte Analyse der dritten Generation verzichtet werden, da im jungen Alter die untersuchten transnationa-len Aktivitäten nicht vergleichbar relevant sind.

Ein besonders guter Indikator für die Bindung an das Herkunftsland ist der Besitz von Im-mobilien, also einer Wohnung oder eines Hauses (vgl. Abbildung 40). Dieser stellt einen materiellen Wert dar, der – selbst genutzt oder nicht – zur Realisierung ein gewisses Maß an Pflege und Unterhaltung erfordert, etwa indem man die Immobilie selbst bewohnt oder vermietet. Gleichzeitig ist Wohnraum für eine Familie oft Bezugs- bzw. Treffpunkt und wird möglicherweise vor allem deshalb nicht verkauft, weil der Plan besteht, später mehr Zeit im Herkunftsland oder gar den Lebensabend dort zu verbringen.

Allgemein verfügen Personen aus südeuropäischen Herkunftsländern in der ersten Genera-tion am ehesten über Immobilien in ihrer Heimat: dies sind 44 Prozent der Zuwanderer aus der Türkei, 47 Prozent aus dem ehemaligen Jugoslawien und 31 Prozent aus Italien. Ten-denziell nimmt der Anteil des Immobilienbesitzes im Herkunftsland von der ersten zur zweiten Generation ab, die relativ hohen Anteilswerte in der zweiten Generation deuten jedoch darauf hin, dass der Besitz dauerhaft weitergegeben und nicht etwa aufgelöst wird.

Bei den befragten Personen mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion und Polen verfügt lediglich die erste Generation aus Polen über einen nennenswerten Anteil an Immobilien im Herkunftsland (30 %), bei den Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion sowie der zweiten polnischstämmigen Generation ist der Anteil hingegen verschwindend gering (4 % bzw. 1 %).

Abbildung 40: Besitz einer Immobilie im Herkunftsland (in Prozent)

Quelle: Integration gelungen?; Frage: „Besitzen Sie eine Wohnung oder ein Haus in [Herkunftsland]?“; Befragte im Alter ab 18 Jahren;

gewichtet; Fallzahl: 1.947.

Ein zweiter Indikator für Verbindungen zum Herkunftsland ist die Zeit, die von den Mig-rantinnen und Migranten dort verbracht wird (vgl. Abbildung 41). Die Mehrheit von ihnen gibt an, im Verlauf des letzten Jahres im jeweiligen Herkunftsland gewesen zu sein.

Abbildung 41: Aufenthalt im Herkunftsland im letzten Jahr (in Prozent)

Quelle: Integration gelungen?; Frage: „Wie viel Zeit haben Sie letztes Jahr in [Herkunftsland] verbracht?“; gewichtet; Fallzahl: 2.231.

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Kein Aufenthalt im Herkunftsland 4 Wochen oder mehr Bis zu 4 Wochen

Der Anteil derjenigen, die nicht im Herkunftsland gewesen sind, nimmt in der zweiten Generation tendenziell zu. Eine Ausnahme bilden Personen mit italienischen Wurzeln, bei denen die Anteile relativ stabil bleiben.

Wie schon bei der Frage des Immobilienbesitzes stellen Personen mit Wurzeln in der ehe-maligen Sowjetunion die große Ausnahme dar, nur ein geringer Anteil von 15 Prozent in der ersten und 12 Prozent in der zweiten Generation verbringt einige Zeit im Herkunfts-land. Dies dürfte vor allem an den (Spät-)Aussiedlern liegen, die sich in dieser Gruppe befinden.

Bei den Türkischstämmigen der ersten Generation findet sich der höchste Anteil an Perso-nen, die mindestens vier Wochen im Herkunftsland verbracht haben (35 %). Durchaus be-merkenswert ist, dass der Anteil derer, die vier Wochen oder mehr im Herkunftsland ver-bringen, bei allen Herkunftsgruppen, mit Ausnahme der Türkischstämmigen, auch in der zweiten Generation relativ stabil bleibt oder sogar ansteigt, während kürzere Aufenthalte im Generationenvergleich bei allen Herkunftsgruppen eher abnehmen.

Die Befragten wurden zusätzlich gebeten den hauptsächlichen Grund ihres Aufenthaltes im Herkunftsland anzugeben (vgl. Tabelle 12). Wie zu erwarten stellen der Besuch von Fami-lienangehörigen und Urlaub die Hauptgründe für Reisen ins Herkunftsland dar, sie machen zusammen 90 Prozent aller Angaben zu den Motiven aus. Vermutlich handelt es sich häu-fig um eine Kombination beider Gründe, wobei die Angabe „Familienbesuche“ deutlicher den Kontakt zur Familie und die Pflege familiärer Beziehungen unterstreicht, im Gegen-satz zum Urlaub als einer Auszeit vom Alltag in Deutschland.

Tabelle 12: Grund für Aufenthalt im Herkunftsland

Häufigster Grund

Türkei G1 Familienbesuch

G2 Urlaub

Ehem. Jug. G1 Familienbesuch

G2 Urlaub

Italien G1 Familienbesuch

G2 Urlaub

Ehem. SU G1 Familienbesuch

G2 Familienbesuch

Polen G1 Familienbesuch

G2 Familienbesuch

Quelle: Integration gelungen?; Fallzahl: 2.231.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Wechsel des hauptsächlichen Aufenthalts-grunds von der ersten zur zweiten Generation bei den Befragten mit Wurzeln in der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien sowie in Italien: Während hier die erste Generation haupt-sächlich Familienbesuche als Grund für die Reise angibt, nennt die zweite Generation be-reits Urlaub als Hauptgrund. Dies deutet darauf hin, dass sich im Generationenverlauf der Fokus verschiebt, insofern als die zweite Generation ihre engsten Familienangehörigen in Deutschland hat (Eltern, Geschwister), das Herkunftsland aber zunehmend eine attraktive Urlaubsoption darstellt. Der dritte betrachtete Indikator für transnationale Aktivitäten sind Geldtransfers ins Herkunftsland, so genannte Remittances. Diese Form der Unterstützung von Personen im Herkunftsland wird nur von wenigen Befragten tatsächlich ausgeübt. Am größten ist der Anteil der Personen mit Geldüberweisungen in das jeweilige Herkunftsland bei der ersten Generation aus dem ehemaligen Jugoslawien und Polen. Am geringsten ist er bei Personen mit Wurzeln in Italien. Tendenziell nimmt die finanzielle Unterstützung von der ersten zur zweiten Generation ab, besonders stark bei den Personen mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien. Die transferierten Geldsummen bleiben überwiegend unter 800 Euro im Jahr.

In vertiefenden Analysen zeigt sich, dass ein Zusammenhang zwischen den einzelnen transnationalen Aktivitäten besteht. Personen, die über Immobilien im Herkunftsland ver-fügen, halten sich dort häufiger auf und sie unterstützen auch eher Familienangehörige oder Freunde durch Geldüberweisungen. Darüber hinaus zeigt sich, dass transnationale Aktivitäten mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Deutschland abnehmen und Personen aus binationalen Elternhäusern generell weniger Kontakt ins Ausland haben.

Bereits unterstrichen wurde, dass die Herkunftslandbindung darüber hinaus im Generatio-nenverlauf abzunehmen scheint, was durchaus erwartbar war. Interessant ist jedoch, dass die transnationalen Aktivitäten bei den Personen mit Wurzeln in der Türkei, dem ehemali-gen Jugoslawien und Italien auf einem hohen Niveau verbleiben. Diese Bindung hat aber nicht zwangsläufig eine negative Auswirkung auf die Integration in Baden-Württemberg.

So besteht zwar ein enger Zusammenhang zwischen der Identifikation mit dem Herkunfts-land und transnationalen Aktivitäten, aber es besteht kein Zusammenhang zum bürger-schaftlichen Engagement. Migrantinnen und Migranten, die Verbindungen zu ihrem Her-kunftsland aufrechterhalten, identifizieren sich stärker mit diesem Land, sind damit aber nicht zwangsläufig seltener in Vereinen in Baden-Württemberg engagiert.

Abbildung 42: Finanzielle Unterstützung von Personen im Herkunftsland (in Prozent)

Quelle: Integration gelungen?; Frage: „Haben Sie im letzten Jahr Verwandte oder Freunde in [Herkunftsland] mit Geld unterstützt? Wie viel Geld war das ungefähr?“; gewichtet; Fallzahl: 1.935.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Personen mit Migrationshintergrund auf unterschiedliche Arten Beziehungen zu ihrem Herkunftsland aufrechterhalten. Häufig beschränkt sich dies nicht auf eine einzige transnationale Aktivität. Insgesamt erreichen die transnationalen Aktivitäten bei den Personen mit Wurzeln in der Türkei, dem ehemali-gen Jugoslawien und in Italien auch in der zweiten Generation ein relativ hohes Niveau.

In der ersten Generation besitzen je nach Herkunftsgruppe bis zu 47 Prozent der Befragten Immobilien im Herkunftsland. Die Ergebnisse deuten daraufhin, dass bei einem deutlichen Anteil der Besitz an die zweite Generation weitergegeben und nicht etwa aufgelöst wird.

Die Mehrheit der Personen mit ausländischen Wurzeln ist im zurückliegenden Jahr in ihr Herkunftsland gereist. Während kürzere Aufenthalte im Generationenverlauf abnehmen, bleibt der Anteil längerer Aufenthalte relativ stabil. Sowohl beim Immobilienbesitz als auch bei den Besuchen nehmen die Befragten mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion und darunter viele (Spät-)Aussiedler eine Sonderrolle ein, sie besitzen deutlich seltener Immobilien im Herkunftsland und reisen auch nicht dorthin.

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Keine Geldunterstützung Bis 800 Euro 800 Euro oder mehr

Etwa ein Drittel der Befragten unterstützt Personen im Herkunftsland durch Geldüberwei-sungen. Am größten ist der Anteil bei der ersten Generation aus der Türkei, dem ehemali-gen Jugoslawien und aus Polen. In der zweiten Generation nimmt der Anteil derjeniehemali-gen, die finanzielle Unterstützung leisten teils ab. Die transferierten Geldsummen bleiben überwiegend unter 800 Euro im Jahr.