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I. Einleitung

1. Einheimische, Zuwanderergruppen und Generationen

Mehr als ein Viertel der Einwohner Baden-Württembergs, genauer 2,9 der 10,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger, haben einen Migrationshintergrund (27 %). Sie sind also selbst zugewandert oder haben Eltern bzw. Großeltern, die zugewandert sind; im Bericht wird in

diesem Zusammenhang von Personen mit ausländischen Wurzeln die Rede sein. Personen ohne ausländische Wurzeln werden hingegen als Einheimische bezeichnet. Von den 2,9 Millionen Bürgerinnen und Bürgern mit ausländischen Wurzeln haben 1,6 Millionen die deutsche Staatsbürgerschaft, 1,3 Millionen sind im rechtlichen Sinne Ausländer. Damit hat Baden-Württemberg unter den bundesdeutschen Flächenländern den höchsten Anteil an Einwohnern mit ausländischen Wurzeln. Nach Nordrhein-Westfalen ist es dasjenige Bun-desland, in dem in absoluten Zahlen die meisten Personen mit Migrationshintergrund leben (vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2013). Für die vorliegende Studie wur-den die fünf größten Zuwanderergruppen ausgewählt, dies sind Personen mit Wurzeln in der Türkei, im ehemaligen Jugoslawien, in Italien, in der ehemaligen Sowjetunion und in Polen. Diese wurden ihrerseits nach Zuwanderergeneration differenziert, also danach, ob sie selbst oder ihre Eltern bzw. Großeltern nach Baden-Württemberg zugewandert sind.

Tabelle 1 zeigt die Verteilung der in der vorliegenden Studie befragten Personen mit aus-ländischen Wurzeln auf die Generationsgruppen. Dieser Begriff bezeichnet dabei nicht Personen ähnlicher Geburtskohorten oder die familiäre Generationenfolge Großeltern-Eltern-Kinder. Er benennt den generationalen Abstand zur erfolgten Zuwanderung nach Deutschland.

Die erste Generation (G1) ist im Ausland geboren und verfügt somit über eigene Zuwan-derungserfahrung, unabhängig davon, ob sie Mitte der 1960er Jahre zugewandert ist oder erst kürzlich.

Befragte der zweiten Generation (G2) sind in Deutschland geboren oder so früh nach Deutschland gekommen, dass sie einen Großteil ihrer Sozialisation und die gesamte Schul-zeit in Deutschland verbracht haben. Ihre ausländischen Wurzeln und damit ihr Migrati-onshintergrund werden also zurückgeführt auf ihre Elterngeneration; mindestens ein El-ternteil ist nach Deutschland zugewandert.

Diese ausländischen Wurzeln liegen für Angehörige der dritten Generation (G3) noch wei-ter zurück. Hier verfügt mindestens ein Elwei-ternteil nicht mehr über eine eigene Migrations-erfahrung, sondern ist als Kind zugewanderter Eltern in Deutschland geboren worden.

Eine wichtige und über bisherige Studien hinausgehende Frage ist, ob sich die familiär relativ weit zurückliegende Migration auf die Integration der dritten Generation auswirkt.

Bei Personen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und aus Polen ist diese dritte

Generation noch sehr jung und zahlenmäßig klein. In der vorliegenden Studie wird daher bei den Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Polen lediglich zwischen der ersten und zweiten Zuwanderergeneration unterschieden.

Eine weitere Differenzierung ist zu beachten: Sowohl in der zweiten als auch in der dritten Generation ist es möglich, dass ein Elternteil keinen Migrationshintergrund hat. Diese Per-sonen aus binationalen Elternhäusern werden in den nachfolgenden Analysen gelegentlich eigens betrachtet, da für sie besondere Bedingungen gelten: Wächst etwa ein Kind in ei-nem Elternhaus auf, in dem nur ein Elternteil ausländische Wurzeln hat, könnte dieses Kind es leichter haben, die deutsche Sprache zu erlernen, weil der andere Elternteil und dessen Eltern einheimische Deutsche sind.

Tabelle 1: Überblick über die drei Generationen mit ausländischen Wurzeln

Erste Generation (G1) Zweite Generation (G2) Dritte Generation (G3)

Binational Binational

Geburtsland

Deutschland Nein Ja bzw. vor dem siebten

Le-bensjahr zugewandert Ja

Befragungen der dritten Generation sind in der deutschen Migrations- und Integrationsfor-schung bislang selten und wurden, wenn überhaupt, im schulischen Kontext durchgeführt.

Der wohl wichtigste Grund dafür ist, dass sich die dritte Generation häufig noch im Kin-des- oder frühen Jugendalter befindet. Die für eine Erhebung infrage kommende Gruppe, die mindestens 14 Jahre alt ist und damit schon sinnvollerweise zu eigenen Integrationser-fahrungen befragt werden kann, ist zahlenmäßig sehr klein. Auch in der amtlichen Statis-tik, insbesondere dem jährlich durchgeführten Mikrozensus, können aufgrund einer feh-lenden gesetzlichen Grundlage Personen der dritten Generation nur unvollständig ausge-wiesen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die eigentliche Identifikation der dritten Generation aufwendig ist, da im Rahmen eines Screenings detailliert Auskünfte über die familiäre Migrationsbiografie erhoben werden müssen. Die vorliegende Mehrthemenbefra-gung von Einheimischen und Personen mit ausländischen Wurzeln, unter Einschluss der dritten Generation, betritt insofern ein Stück weit Neuland.

In Tabelle 2 sind die 2.566 befragten Personen mit ausländischen Wurzeln getrennt nach Herkunftsland und Generationenzugehörigkeit ausgewiesen. Ziel war es, aus jeder Gruppe eine hinreichend große Zahl an Personen zu befragen, um Herkunftsgruppen und Generati-onen auf belastbarer Grundlage miteinander vergleichen zu können. Zur Bestimmung der Generationenzugehörigkeit wurden, falls die Person nicht selbst zugewandert ist, das Ge-burtsland der Eltern sowie aller vier Großelternteile erfasst. Zu beachten ist, dass die hier berichteten Anteilswerte nicht den Anteilswerten der jeweiligen Gruppe in der Gesamtbe-völkerung entsprechen. Insgesamt haben 44 Prozent der Befragten eine eigene Migrations-erfahrung und zählen damit zur ersten Generation, weitere 43 Prozent sind der zweiten Generation zuzuordnen. Bei den Befragten mit Wurzeln in der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien sowie Italien gehören 20 bzw. 16 oder 28 Prozent zur dritten Generation.

Tabelle 2: Generationen nach Herkunftsland (in Prozent; Fallzahl in Klammern)

Türkei Ehem. Jug. Italien Ehem. SU Polen Gesamt

Quelle: Integration gelungen?; ungewichtet; Fallzahl: 2.566.

In der Tabelle werden zweite und dritte Generation differenzierter ausgewiesen, nämlich danach, ob die Befragten aus binationalen Elternhäusern stammen oder nicht. Je nach Her-kunftsgruppe gründen unterschiedlich viele der befragten Personen eine Familie mit Ein-heimischen. So stammen beispielsweise 38 Prozent der zweiten Generation italienischer Herkunft, d.h. der in Deutschland Geborenen mit einem in Italien geborenen Elternteil, aus binationalen Elternhäusern und haben somit entweder eine einheimische Mutter oder einen einheimischen Vater. Bei den entsprechenden Personen aus der türkischen

Herkunftsgrup-pe kommt dies nur selten vor, nämlich in drei Prozent der Fälle. Selbst in der dritten Gene-ration tritt dieser Fall lediglich bei zwei von 108 türkischstämmigen Befragten auf. Die Verteilung der binationalen Familien nach Herkunftsgruppen steht im Einklang mit ent-sprechenden Forschungsergebnissen bezüglich interethnischer Partnerschaften in Deutsch-land, denen zufolge insbesondere Personen mit italienischen Wurzeln und Einheimische häufig Partnerschaften eingehen (vgl. Gonzalez-Ferrer 2006; Schroedter & Kalter 2008).

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass, wie eingangs beschrieben, die Zuwanderung aus Italien schon früher stattgefunden hat als die Zuwanderung aus den übrigen Herkunfts-ländern. Für Angehörige der italienischen Herkunftsgruppe ergab sich folglich die Mög-lichkeit, einen deutschen Partner bzw. eine deutsche Partnerin zu finden und eine Familie zu gründen, in der Regel schon deutlich früher. Bei den Zuwanderergruppen mit Wurzeln in Italien, Polen und dem ehemaligen Jugoslawien sind binationale Elternhäuser in der zweiten bzw. dritten Generation relativ häufig, sie sollen daher nachfolgend besondere Aufmerksamkeit finden.