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Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismuspolitischen Protektionismus

Neue politische Rechte – neue politische Probleme

6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismuspolitischen Protektionismus

„[…] die kalt berechnenden Menschen haben im Leben nur halb so viel Erfolg wie die richtig gemischten Gemüter, die für Menschen und Verhältnisse, die ihnen Vorteil bringen, wirklich tief zu empfinden vermögen.“

(Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften) Die eben besprochenen nationalen und parteipolitischen Ansprüche standen in krassem Gegensatz zu den althergebrachten Laufbahnen der österreichischen Be-amten. Es hatte selbstverständlich auch vorher Protektion gegeben, die sich aus den Quellen adeliger oder bürgerlicher (Beamten-)Familien speiste, doch das her-kömmliche Muster geriet durch die neuen Formen von „Förderungen“ ins Wan-ken.

Das traditionelle Modell für eine typische Karriere in der höheren Beamten-hie rarcBeamten-hie war darauf angelegt, die Beamten mit möglichst vielen Regionen, nationalen Gruppen, Sprachen, Kulturen, Mentalitäten und Religionen der weitläufigen Monarchie vertraut zu machen. Ob junge Staatsdiener aus ade ligen oder bürgerlichen bzw. bäuerlichen Häusern kamen, war für dieses Muster grundsätzlich nicht ausschlaggebend. Die meisten jungen Juristen begannen als Praktikanten in einer Zentralstelle oder in einer Statthalterei und wurden von hier hinaus in die verschiedenen Behörden der so unterschiedlichen Kron länder geschickt. So führte die Karriere des Grafen Franz Seraph Stadion (1806–1853), Minister für Inneres von 1848 bis 1849, ihn am Beginn seiner Laufbahn als Konzeptspraktikant in die niederösterreichische Landesregierung in Wien, als unbesoldeter Beamter in das Gubernium (Statthalterei) nach Lemberg (L’viv) und in die Kreisämter in Stanislau und Rzeszow in Galizien. Es folgten die Stationen als (noch immer unbesoldeter) Gubernialsekretär (Statthalterei-sekretär) in Innsbruck, als (endlich besoldeter) Hofsekretär bei der Hofkam-mer (später Finanzministerium) in Wien. Er wurde sehr bald Gouverneur des Küstenlandes in Triest, anschließend Gouverneur von Galizien in Lemberg, von wo er 1848 als Minister nach Wien berufen wurde. In der Position als unbe-soldeter Beamter sieben Jahre lang auszuharren, konnte sich ein Graf Stadion leisten, anderen, weniger vermögenden Beamten war dieser Luxus nicht

ge-gönnt.116 Der bürgerliche Beamtensohn Ignaz Beidtel (1783–1865) war elf Jahre Professor für Geschichte an der Universität Olmütz (Olomuc), wurde Appella-tionsgerichtsrat beim Appellationsgericht in Zara (Zadar), später bei der glei-chen Behörde in Fiume (Rijeka), Klagenfurt und Brünn (Brno), und erst im Ruhestand 1850 wurde er als „Beirat“ für die Ordnung kirchlicher Angelegen-heiten in das Ministerium für Cultus und Unterricht nach Wien berufen. Wenn auch der Adel offiziell nicht bevorzugt werden sollte, so ist aus diesen wie aus anderen beruflichen Lebenswegen ersichtlich, dass zumindest durch die finan-zielle Unabhängigkeit vermögender adeliger oder großbürgerlicher Familien für die jungen Beamten ein eineindeutiger Startvorteil gegeben war. Jedenfalls diente dieses Karrieremuster der Qualitätssicherung, der junge Nachwuchs sammelte Berufserfahrung in verschiedenen Behörden, in den ebenso verschiedenen Kron-ländern mit der multinationalen Bevölkerung, deren Eigenheiten und Befind-lichkeiten, Kulturen und Sprachen. Die Kenntnis der Landessprache sollte, wie bereits besprochen, die Voraussetzung für den Dienst in dem jeweiligen Kronland sein. Bei dem starken Wechsel konnte das Prinzip jedoch oft nicht eingehalten werden. Es gab jedoch Beamte, die die Landessprache einer angestrebten Verset-zung wegen erlernten. Ein solches Beispiel repräsentiert der Dichter, Schriftsteller und Politiker Adolf Ignaz Ritter von Tschabuschnigg (1809–1877), zu Beginn sei-ner Karriere (1830) Praktikant am Landesgericht in Klagenfurt, am Ende (1859) erfolgte die Berufung als k. k. Hofrat am Obersten Gerichtshof in Wien – dazwi-schen lagen die Stationen Triest, dann wiederum Klagenfurt und Graz. Er erlernte das Slowenische, um eine besser besoldete Stellung in Görz/Goricia zu erhalten.117

Im Verfassungsstaat wurde am Prinzip einer möglichst umfassenden multinati-onalen/multikulturellen Ausbildung der Beamten in der Berufslaufbahn zunächst festgehalten. Vorderhand hatte man sich beinahe ausnahmslos „hinaufzudienen“.

(Galizien mit der polnischen Autonomie bildete, wie schon besprochen, diesbe-züglich freilich eine Ausnahme.) Selbst dem hannoverischen Aristokraten und hoch geachteten Beamten Erich Graf Kielmansegg (geboren 1847) war dieses Los – wie selbstverständlich auch allen anderen weniger „Hochgeborenen“ – beschie-den. Doch verlief seine Karriere zügig, was sicherlich von seinen anerkannt gro-ßen bürokratischen Kenntnissen und hohen Fähigkeiten abhing, doch stand die

116 Zur Karriere Stadions und Beidtels HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 74 und Vor- und Nach-Zur Karriere Stadions und Beidtels HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 74 und Vor- und Nach-satz.

117 Lebenslauf von Primus-Heinz Kucher in ADOLF RITTER von TSCHABUSCHNIGG (1809–

1877). Literatur und Politik zwischen Vormärz und Neoabsolutismus; hg. von Primus-Heinz Kucher (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen 13, Wien/Köln/Weimar 2006) , S. 335 ff.

adelige Abkunft seinem Aufstieg wohl nicht im Weg. Kielmansegg trat nach sei-nem Jusstudium in Heidelberg und Wien in die niederösterreichische Statthalterei in Wien ein (1870), diente zwei Jahre (1873–1875) dem liberalen Ministerpräsiden-ten Adolf Graf Auersperg als Sekretär, wurde Bezirkshauptmann von Baden (1875–

1881), anschließend vom damaligen Wiener Vorort Sechshaus (1881/82), er trat in die Landesregierungen von Czernowitz (Cernãuţi, Černivci, Černovcy, 1882–1885) und Klagenfurt (1885) über, von wo er bald eine Berufung zum Sektionschef im Ministerium des Inneren und die Leitung der staatspolizeilichen Agenden erhielt.

Kielmansegg wurde für 22 Jahre Statthalter von Niederösterreich (1889–1911), un-terbrochen nur für eine kurze Zeit (1895), in der er in einer Übergangsregierung das Ministerratspräsidium und das Ministerium des Inneren leitete.118 Auch der bereits erwähnte, etwa gleichaltrige spätere Statthalter von Tirol, Franz Graf Mer-veldt (1844–1916) wechselte von Bezirkshauptmannschaften in St. Pölten/Nieder-österreich und Salzburg und zu den Landesregierungen in Klagenfurt, Salzburg und Graz, bevor er Landespräsident von Schlesien, Statthalter von Oberösterreich und 1890 Statthalter von Tirol mit Vorarlberg wurde.119

Untersuchen wir allerdings stichprobenartig einige Karrieren von zirka 10 bis 15 Jahren später, etwa zwischen 1855 bis 1865 geborenen Elitebeamten, demnach erst in der Spätphase der Monarchie ernannten Sektionschefs,120 so fällt auf, dass deren Dienstbahnen in so manchen Fällen weniger bunt verliefen als die der vorange-gangenen Generation. Es wird deutlich, dass viele der jungen Beamten in ihrem

„Heimatkronland“ in den Staatsdienst eintraten, um dann erst in die entsprechen-den Zentralstellen nach Wien gesendet zu werentsprechen-den. Als Beispiele seien genannt der promovierte Doktor der Rechtswissenschaften und der gesamten Heilkunde, DDr. Franz von Haberler (geboren 1859 in Wien, Eintritt in den Staatsdienst 1892 in der Statthalterei von Niederösterreich in Wien, Sektionschef im August 1918, Leiter der Sektion für Volksgesundheit), der immerhin in den Sanitätsbehörden der Statthalterei von Niederösterreichisch, des Innenministeriums, den Landessa-nitätsbehörden von Tirol und Vorarlberg seinen Dienst versah. Ebenso verlief die Karriere des 1866 in Saaz (Žatec) geborenen Dr. jur. Josef von Mühlvenzl (Sekti-onschef 15. Oktober 1912, Leiter der zoll- und handelspolitischen Sektion), der nach dem Eintritt in den Staatsdienst in der Finanzprokuratur in Prag im Jahr

118 GOLDINGER, Einleitung zu KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 16.

119 K. FALSER, Franz Graf von Merveldt: In: ÖBL. 6 (Wien 1975) , S. 237 f.

120 GERTRUDE ENDERLE-BURCEL, MICHAELA FOLLNER, Diener vieler Herren. Biogra-GERTRUDE ENDERLE-BURCEL, MICHAELA FOLLNER, Diener vieler Herren. Biogra-phisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945 (Wien 1997).

1889 in das Finanzministerium in Wien berufen und zum gesuchten Fachmann vor allem für Zollfragen wurde. Der 1865 in Gottschee (Kočevje) geborene Dr. Ri-chard Wenedikter (Ernennung zum Sektionschef am 10. Dezember 1918, also kurz nach Ausrufung der Republik), begann seine Karriere 1889 in der Landesregierung seines Heimatkronlandes Krain in Laibach und wurde danach bei den Bezirks-hauptmannschaften in Rudolfswerth (Novo mesto), Gottschee, Radmannsdorf (Radovljica) tätig. Er wurde wieder in die Landesregierung nach Laibach versetzt und dann in das Innenministerium nach Wien berufen.121

Für die Generation der in den 1870er-Jahren Geborenen (die in der Regel erst in der Ersten Republik zum Sektionschef ernannt wurden) galt dieser Karriere-verlauf zum Teil noch, wie für den Absolventen der Rechtswissenschaften und der montanistischen Studien Franz Aggermann von Bellenberg (geboren 1872 in Schluckenau [Šluknov] in Böhmen, Sektionschef 1926), der seine Laufbahn in der Bergdirektion in Brüx (Most) in Böhmen begann und 1917 als Bergrat in das Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien berufen wurde, oder für den wich-tigen Wirtschaftsfachmann Dr. jur. Ludwig von Alexy, 1871 in Salzburg geboren, Eintritt in den Staatsdienst 1892 bei der Landesregierung in Salzburg, der bereits 1899 in das Innenministerium kam und 1917 zum Sektionschef ernannt wurde.122 Immer mehr wurde es jedoch Brauch, an einem Dienstort, ja auch in derselben Behörde zu bleiben. Der Theresianist Dr. Alexander Angerer beispielsweise, 1868 in Wien geboren, wurde zwar kurz nach seinem Eintritt in den Staatsdienst bei den Bezirkshauptmannschaften in Baden und Mödling verwendet, man berief ihn aber sehr bald, 1901, in das Innenministerium, wo er mit dem Versatz- und Versteigerungswesen betraut wurde, das 1905 zum Handelsministerium kam, wo er 1920, also bereits in der Ersten Republik, zum Sektionschef ernannt wurde.

1921 war er als Mitglied der Großdeutschen Partei kurzzeitig Bundesminister für Handel, Gewerbe, Industrie und Bauten. Ähnlich erging es Dr. jur. Artur Aigner Ritter von Aigenhof, geboren 1876 in Wien: er trat 1905 als Postkonzipist in das Handelsministerium ein und blieb dieser Behörde sowie dem Postwesen treu, bis er 1925 zum Sektionschef ernannt und 1933 wegen seiner „nationalen Einstellung“, wie er selbst im Gauakt angab, frühzeitig pensioniert wurde.123

Der Radius der Stationen innerhalb eines beamteten Berufslebens wurde, wie

121 Die vier Beispiele ENDERLE-BURCEL, FOLLNER, Diener vieler Herren, S. 148, 311 ff. und 478.

122 ENDERLE-BURCEL, FOLLNER, Diener vieler Herren, S. 26 und 28.

123 ENDERLE-BURCEL, FOLLNER, Diener vieler Herren, S. 33 ff. und 27 f.

ersichtlich, unter Umständen kleiner, die Kenntnisse dieser Beamten um die Verschiedenheit der Kronländer und deren Bewohner damit eingeengt. Rudolf Sieghart, einer der höchsten Beamten in Monarchie und Erster Republik, unter-streicht, dass „der früher weite Horizont des übernationalen Beamtentums all-mählich verloren“ ging.124

Aber ganz war die Tradition des häufigen Behörden- und Ortswechsels nicht verloren gegangen, da bis zum Ende der Monarchie Karrieren, die durch die ver-schiedenen Kronländer führten (von Statthalter Erasmus von Handel wird zum Beispiel später die Rede sein), noch immer Usus waren! Es kam auf den jeweili-gen Beamten und seine Interessen an. Versetzunjeweili-gen auf eijeweili-genen Wunsch waren möglich und wurden immer wieder ergriffen, entweder weil der neue Posten für die derzeitige oder zukünftige Karriere günstig war, die Kinder eine bessere Schul-wahl vorfanden oder weil der jeweilige Beamte für einen bestimmten Dienstort oder ein bestimmtes Kronland eine besondere Vorliebe hegte (oft aus familiären Gründen). Ein Beispiel einer solch vielfältigen Beamtenlaufbahn bietet uns Dr.

jur. Karl Hieronymus Alois Haager von Vanderhaag, 1872 in Budapest geboren.

Er ging bereits in Wien und Prag in das Gymnasium, was darauf hindeutet, dass auch der Vater einen flexiblen Beruf hatte, er studierte Rechtswissenschaft an der Universität Graz. Abwechslungsreich verlief auch sein weiteres Berufsleben. Un-mittelbar nach seinem Studienabschluss 1895 trat er als Konzeptspraktikant in das Landespräsidium in Troppau (Opava) in Schlesien ein, tat in den Bezirkshaupt-mannschaften in Bielitz (Bielsko – Biala), Jägerndorf (Krnov), Freistadt (Fryštát) und Teschen (Cieszyn) Dienst, 1905 wurde er in das Ackerbauministerium beru-fen, 1925 wurde er zum Leiter der Sektion für Ernährungswesen und Viehverkehr im Landwirtschaftsministerium der Ersten Republik bestellt. Daneben habilitierte sich dieser emsige Beamte, veröffentlichte eine Reihe von Publikationen, wurde Dozent für Agrarrecht an der Hochschule für Bodenkultur (1923), 1933 ordent-licher Professor und 1938 Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an die-ser Lehranstalt, 1939 wurde er in den Ruhestand versetzt.125 Haagers Lebenslauf verkörpert so wie der des Erasmus von Handel das Muster des älteren Karrieretyps der österreichischen Beamtenschaft.

Wieweit Kenntnisse und Fähigkeiten Einfluss ausübten, kann höchstens am Einzelfall festgestellt werden, wie am erwähnten Beispiel Kielmansegg, der, wenn schon Protektion im Spiel gewesen sein sollte, eine gerüttelt Maß an Vorzügen,

124 RUDOLF SIEGHART, Die letzten Jahrzehnte einer Großmacht (Berlin 1932), S. 265 ff.

125 ENDERLE-BURCEL, FOLLNER, Diener vieler Herren, S. 144 ff.

Eignung, Kenntnissen und bürokratischen Interessen mitbrachte. Protektion durch eine adelige oder beamtete Familie, Verwandtschaft, Freundschaften oder sonstige Beziehungen begleitet die Entwicklung des Beamtentums. Sie war auch nach wie vor im Verfassungsstaat nach 1867 vorhanden, aber, wie bereits angedeu-tet, nicht mehr modern. Kielmansegg berichtet uns (1871) von einem schlagen-den Beispiel: Der aus einer Kärntner Gutsbesitzerfamilie stammende ehemalige Hofopernsänger eines deutschen Hofes mit dem Namen von Rainer-Harbach war zum Bezirkshauptmann in St. Veit an der Glan in Kärnten berufen worden, obwohl dessen Hauptbeschäftigung – so der empörte Kielmansegg – nur in der Organisation von Dilettantenvorstellungen in Klagenfurt bestand. Der dama-lige Innenminister Giskra, der ihn ernannt hatte, dürfte von seinen mangelnden Kapazitäten wohl unterrichtet gewesen sein.126 Auch der Großgrundbesitzer der Bukowina, Eugen Freiherr von Styrcea, der im Landespräsidium von Czernowitz Dienst tat, wurde zum Bezirkshauptmann von Suczawa (Suceava) ernannt, ob-wohl er laut dem untadeligen Beamten Kielmansegg von einer geordneten Ver-waltung wenig Ahnung hatte. Er nützte angeblich sein Amt, um sich als „Agent“

der rumänischen Partei zu betätigen und jede Entscheidung vom Standpunkt sei-ner Partei abhängig zu machen.127

Ebendieser Faktor der Einflussnahme durch die (nationalen) Parteien im Staatsdienst war neu. Er manifestierte sich massiv gegen die Jahrhundertwende – verstärkt mit dem schon besprochenen Aufkommen der neuen Massenparteien.

Offiziell wurde in vielen Fällen der nationalen Vergabe von Beamtenstellen die Sprachenfrage als Alibi benützt. Die möglichst umfassende Kenntnis der landes-üblichen Sprachen war, wie oben erwähnt, eine Forderung, die auch Regierung und Souverän erhoben hatten und die schwerlich zurückgewiesen werden konnte, wie die bereits erwähnten Interventionen des Statthalters Goluchowski von Gali-zien zeigen, der den Umstand, wie erinnerlich, weidlich ausnützte.128 Die Eingriffe der neuen Massenparteien, gekoppelt mit den nationalen Bewegungen, knüpften nahtlos an die ältere Form des Protektionismus durch Familie oder Verwandt-schaft an.

Ob nationaler oder parteipolitischer Protektionismus vorherrschte, ist auf-grund der vielfältigen Verquickungen selten zu unterscheiden. Im Allgemeinen

126 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 201.

127 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 201 f.; siehe auch URBANISTSCH, Vom

„Fürstendiener“ zum „politischen Beamten“, S. 159 f.

128 Siehe Kapitel „Nationale Illustrationen“.

mag die Beobachtung des Finanzbeamten Friedrich Kleinwaechter, dass die natio-nalen Vertreter im Abgeordnetenhaus in Wien im Laufe der Zeit – selbstverständ-lich inoffiziell – zumindest versuchten, die Posten in den Zentralstellen paritätisch nach Nation und Kronland zu besetzen, doch gestimmt haben.129 Protegierungen sind im Allgemeinen nicht immer ganz einfach festzumachen, da sie (wie auch heute) meist über inoffizielle Bahnen verlaufen. Auch die Memoiren von Staats-dienern bieten kaum objektive Anhaltspunkte. Welcher Protegé spricht schon gerne über Förderungen, die ihm zuteilwurden? Jeder wollte seinen Erinnerun-gen zufolge aufgrund persönlicher Fähigkeiten ernannt worden sein – außer man sprach wie Kielmansegg über die Protegierung von Kollegen. Kielmansegg, der sich selbst für einen unbestechlichen Beamten hielt, gibt uns empörte Schilde-rungen über die in seinen Augen heftigen Intrigen des bereits erwähnten Rudolf Sieghart, also eines ranghohen Kollegen, was ihm besonders missfiel.130 Hier war, wenn es tatsächlich geschehen war, Missbrauch der Position im Spiel. Wir dürfen annehmen, dass auch in den weniger hohen, mittleren und unteren Beamtenrän-gen von persönlicher, nationaler und parteipolitischer Seite eingegriffen wurde. Es galt in jedem Fall, Einfluss zu sichern und Wählerstimmen zu gewinnen.

Ein bedenkliches Faktum trat bald dazu: Es waren nicht nur die Abgeordneten zum Parlament und die nationalen Bewegungen, die intervenierten und prote-gierten, bereits die Vorfeldorganisationen der Parteien für Mittelschüler und Stu-denten veränderten die traditionelle Personalpolitik und nahmen auf die welt-anschauliche Prägung späterer Staatsdiener Einfluss. Vonseiten der Dynastie und der Regierung wurde seit Mitte des 18. Jahrhunderts versucht, durch das There-sianum, einer Bildungsstätte (zunächst nur) für die Söhne der Aristokratie, die künftigen Staatseliten im kaiser- und staatstreuen Sinn zu erziehen. Wohl waren es im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert immer noch die Absolventen des The-resianums, die mit 68 % den Staatsdienst dominierten und in einem kaiser- und staatstreuen Sinn jenseits aller nationalistischen Strömungen erzogen wurden.131 Seit den Erfolgen der Christlichsozialen Partei 1895 aber spielte, wie Gernot

Stim-129 Siehe Kapitel „Nationale Illustrationen“.

130 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 161 ff.

131 Millenkovich-Morold, der später deutschnational und noch später nationalsozialistisch werden sollte, merkte diese „realitätsferne“ anationale Einstellung kritisch in seinen Erinnerungen an.

MAX von MILLENKOVICH-MOROLD, Vom Abend zum Morgen. Aus dem alten Öster-reich ins neue Deutschland. Mein Weg als österÖster-reichischer Staatsbeamter und deutscher Schrift-steller (Leipzig 1940) , S. 34 f.; siehe auch die Beschreibungen des multinationalen Theresianums bei Erasmus von Handel, Kapitel „Typisch josephinische Beamteneliten“.

mer schlüssig beweist,132 der katholische Kartellverband (CV) eine immer größere Rolle in der höheren Bürokratie. Immerhin ergriff bald der erkleckliche Prozent-satz von 57,1 % seiner Mitglieder den Beruf eines Beamten, Lehrers, Universitäts-lehrers oder Offiziers. Die Mitglieder der in Opposition zu Dynastie, Staat und katholischer Kirche stehenden, (zunehmend) antisemitischen Burschenschaften und der wehrhaften Vereine begannen sich erst im beginnenden 20. Jahrhundert mehr und mehr dem Beamtenberuf zuzuwenden. Am Vorabend des Ersten Welt-kriegs 1912 kamen aber bereits 54,7 % der Beamten aus diesen Reihen. Der Prozess der Integration dieser Gesinnungsgenossen in den höheren Staatsdienst wurde von den Deutschnationalen, die nach den Wahlen von 1911 die stärkste Gruppe im Reichsrat stellten, kräftig gefördert. Die Angehörigen der Bürokratie versuch-ten, die Staatsfeindlichkeit der neuen Mitglieder herunterzuspielen: „Waren die Studentenjahre vorüber, das bunte Band abgetan und in den Schrank gelegt, so verblasste bald die Mittelfarbe und im Philistertum, wenn aus dem flotten Bur-schen ein ehrsamer Bezirksarzt, Gerichtsadjunkt, Bergrat oder Auditor geworden war, verwandelte sich dann regelmäßig das Schwarz-Rot-Gold in ein waschechtes und lichtbeständiges Schwarz-Gelb.“133 Aber dem scheint nicht ganz so gewesen zu sein, wie spätere Entwicklungen zeigen.134 Die staatsloyalen und apolitischen Corpsmitglieder und schon gar die zionistischen Verbindungsmitglieder kamen in der Bürokratie an die Bedeutung von CV und Burschenschaften nicht heran.

Ihre Bedeutungslosigkeit im Staatsdienst wurde nur von den Frauen übertroffen.

Solche ungewohnten Rekrutierungspools mussten für die traditionellen Ver-waltungseliten, Juristen und für die Regierung alarmierend gewirkt haben. Es fanden sich Verwaltungsexperten, die sich nicht scheuten, ihre heftige Kritik öf-fentlich kundzutun. Damit fand die (notwendige) Diskussion über das „Protekti-onsunwesen“ Eingang in die Medien.135 Der bekannte Verwaltungsjurist Professor

132 GERNOT STIMMER, Zur Herkunft der höchsten österreichischen Beamtenschaft. Die Bedeu-GERNOT STIMMER, Zur Herkunft der höchsten österreichischen Beamtenschaft. Die Bedeu-tung des Theresianums und der Konsularakademie. In: Student und Hochschule im 19. Jahrhundert.

Studium und Materialen (= Studium zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert 12, Göttingen 1975), S. 310–313, 318, auch STIMMER, Eliten in Österreich 1, S. 96–161.

133 SIEGHART, Die letzten Jahrzehnte, S. 264; siehe auch SCHIMETSCHEK, Der österreichische Beamte, S. 211 f.

134 WALTRAUD HEINDL, Bürokratie und Beamte. In: Handbuch des politischen Systems Ös-terreichs. Erste Republik 1918–1933, hg. von Emmerich Talos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch, Anton Staudinger (Wien 1995), S. 90–104.

135 JOHANN ANKWICZ, Neue Gesichtspunkte in der neuen staatlichen Verwaltung (Wien 1908); JOHANN ANKWICZ, Die europäische Beamtenfrage. In: Österreichische Rundschau 28 (1911), S. 85–93; BROCKHAUSEN, Beamtentum und Protektion, S. 261–268.

Karl Brockhausen bezeichnete öffentlich die alte Familienprotektion geradezu als „gemütlich“ gegenüber dem neuen parteipolitischen und nationalen Protek-tionismus.136 Die Klagen betrafen zwei Entwicklungen: vor allem die Beamten-vermehrung, die der nationalen Parteienprotektion angelastet wurde, was zum Anlass genommen wurde, um überhaupt den Abbau von Beamtenposten zu for-dern. Man vermeinte damit irrtümlich, wie so oft im Laufe der Jahre, dass damit gleichzeitig die Reform der Verwaltung gelöst wäre. Das Verlangen, so berechtigt es auch gewesen sein mochte, war allerdings von keinem großen Erfolg begleitet.

Die politischen Bewegungen profitierten zu gut vom Bestand der Beamtenstel-len, an deren Vergabe sie kräftig partizipierten, sodass sie als Verantwortliche kein allzu großes Interesse hatten, wie ein scharfsinniger Analyst der Bürokratiefrage bemerkte, die Posten im öffentlichen Dienst zu reduzieren.137 Selbstredend konnte auch die Beamtenschaft selbst aus Existenzgründen nur gegen einen Abbau

Die politischen Bewegungen profitierten zu gut vom Bestand der Beamtenstel-len, an deren Vergabe sie kräftig partizipierten, sodass sie als Verantwortliche kein allzu großes Interesse hatten, wie ein scharfsinniger Analyst der Bürokratiefrage bemerkte, die Posten im öffentlichen Dienst zu reduzieren.137 Selbstredend konnte auch die Beamtenschaft selbst aus Existenzgründen nur gegen einen Abbau