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Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära

für die österreichische Bürokratie?

3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära

„[…] sich nicht bloß in dem begrenzten Raum des Amtes und auf den lähmenden Weg der Akten und schriftlichen Weg der Verhandlungen bewegen […]“

(Innenminister Alexander Bach) Beamte und Bürokratie waren für den neoabsolutistischen Staat, der in erster Li-nie die Durchführung von Reformen auf seine Fahnen heftete, von primärer Be-deutung. Es entsprach der Regierungslogik, nun die Staatsdiener, die ihre Vorstel-lungen 1848 öffentlich kundgetan hatten und von denen sich viele, wie wir sahen, auch nicht gescheut hatten, in Konflikt mit Regierung und Dynastie zu treten, streng an die Regeln des „neuen Österreich“ anzupassen.

Schon wenige Tage nach der Bildung der neuen Regierung unter dem jungen Kaiser Franz Joseph am 7. Dezember 1848 wurde vom neu ernannten Minister

81 So OTTO HINTZE, Machtpolitik und Regierungspolitik. In: OTTO HINTZE, Gesammelte Abhandlungen, hg. von Gerhard Oestreich, Band 1: Staat und Verfassung. Gesammelte Abhand-lungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte (Göttingen 21962), S. 424.

des Inneren, Franz Graf Stadion (1806–1853),82 ein Erlass formuliert, der unmiss-verständlich daran erinnerte, dass ein Beamter auf seinen Posten zu verzichten habe, sollte er anderer Ansicht als die staatlich-dynastische Obrigkeit sein. Als Al-ternative eröffnete er, dass der Staatsdiener, „in und außerhalb dem Amte so rede und handle, dass sein aufrichtiges Wirken im Sinne und Geiste der Regierung gar nicht in Zweifel gezogen werden kann, zugleich ist ihnen [den Beamten] aus-drücklich zu erklären, dass die Centralgewalt fest entschlossen ist, jeden Beamten ohne weiteres seiner Stelle zu entsetzen, der sich erlauben sollte, der Centralgewalt sei es durch öffentlichen Tadel ihrer Verfügungen entgegenzuwirken oder gar sich soweit vergäße, dass er direkt gegen die Regierung oder die aufgestellten Grund-sätze derselben handelnd auftritt.“83

Dementsprechend misstrauisch wurden die Beamten besonders in den natio-nal revolutionären Ländern observiert und hart bestraft, wenn sich der Verdacht, antiösterreichisch zu sein, als begründet erwies.84 (Davon soll noch die Rede sein.)Das bereits erwähnte Rundschreiben Bachs vom 15. August 184985 enthielt mehr: einen wahren Moralkodex für Beamte. In Anlehnung an das Schreiben Josephs II. an „seine“ Beamten vom 13. Dezember 178386 kann es mit Recht als

„Hirtenbrief“ bezeichnet werden, und es brachte wie der josephinische Hirten-brief das deklarierte (vermeintlich) neue Verständnis vom Beamtenberuf zum Ausdruck. Vor allem war Bürgernähe gefragt. Der Beruf des öffentlichen Beam-ten sei, so meinte Bach enthusiastisch, „ein neuer, schönerer“ geworden, dessen Tätigkeiten „sich nicht bloß in dem begrenzten Raum des Amtes und auf dem lähmenden Weg der Akten und schriftlichen Weg der Verhandlungen bewegen“

sollten.87 Im Gegenteil – die Beamten seien in Zukunft verpflichtet, durch „er-höhtes Nachdenken, gesteigerten Eifer und vermehrte Anstrengungen“ beleh-rend und leitend auf die Bürger zu wirken, sie müssten „den Geist des Gesetzes

82 Zu seiner Karriere HEINDL, Gehorsame Rebellen, Innenseite des Umschlags.

83 Erlass des Ministers des Inneren vom 7. Dezember 1848, wodurch den politischen Behörden ein den Grundzügen der Centralgewalt entsprechendes Verhalten zur Pflicht gemacht wird, ALLGE-MEINES REICHSGESETZ- UND REGIERUNGSBLATT (weiterhin RGBL.), Erste Abteilung des Ergänzungsbandes, umfassend die Gesetze und Verordnungen vom 2. Dezember 1848 bis Ende Jänner 1849, Nr. 13 (Wien 1850), S. 15 f.; zit auch bei PAVLA VOŠALÍKOVÁ, Einleitung: Ämter und Beamte unter Kaiser Franz Joseph I. In: Pavla Vošalíková, Von Amts wegen. K. k. Beamten erzählen (= Damit es nicht verloren geht 37, Wien/Köln/Weimar 1998), S. 12.

84 Zu Beispielen in Venetien, GOTTSMANN, Venetien, S. 33–56, 443.

85 Siehe Anm. 71.

86 Siehe HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 26f.

87 WALTER, Zentralverwaltung III/ 2, S. 106 f.

erfassen“ und „mit dem Volk und in dessen Vertrauen […] leben und bei ihm das gerechtfertigte Uibergewicht der Einsicht, Bildung und Unbescholtenheit“ ge-winnen. Sie dürften daher „nicht in starrer Abgeschlossenheit von dem Bürgert-hume“ wirken. Das Beamtentum nehme den „Posten des öffentlichen Vertrauens und Wirkens ein“ – nicht einen der Versorgung –, schärfte Bach den Staatsdie-nern ein, und es hätte überdies eine „viel selbständigere“ und daher verantwort-lichere Stellung als früher. Voraussetzung sei, in den einzelnen Regionen „die Gleichberechtigung aller Nationen“ zu achten, die Landessprachen zu kennen und eine sorgfältige Auswahl der richtigen Beamten, nämlich „nur Männer von erprobtem Charakter“, vorzunehmen. Im Gegenzug versprach Bach, „dass der Beamte anständig dotirt und von der Willkür der Vorgesetzten geschützt“ werde und „dem Eifrigen und Verdienstvollen“ die gebührende Anerkennung eines gu-ten Beamgu-ten, der überdies „gesetzlich begründete und wohlverdiente Ansprüche auf Stabilität und Ruhegenüsse“ erhalten und hinsichtlich seiner „Zukunft außer Besorgnis gesetzt“ würde. „Dem Fahrlässigen und Pflichtvergessenen“ aber wurde die strengste Behandlung in Aussicht gestellt.

Gleichzeitig teilte Bach in seinem Rundschreiben den „Landeschefs“ (Statthal-tern), die – so Bach – in ihrer Autorität sehr gewachsen wären, sein eigentliches Grundanliegen mit: Er distanzierte sich klar von dem im Kremsierer Verfassungs-entwurf festgelegten Grundsatz der Volkssouveränität, nach der „alle Staatsgewalt vom Volk ausgehe, und bekannte sich zum monarchischen Recht, das in Öster-reich weiterhin „die unveräußerliche Quelle der obersten Gewalt“ sei. Auf diesem Weg mögen die höchsten Beamten der Königreiche und Länder und die ihnen unterstellten Beamten, so Bach eindringlich, ihm (und den Absichten des Kaisers) folgen. Merkwürdig nimmt sich die Aufforderung aus, dass die Beamten durch das Vorangehen auf dieser „konstitutionellen Bahn“ der Bevölkerung ein Vorbild sein sollten, um damit – in Anspielung auf die Revolution – beizutragen, das ge-schwächte Vertrauen „in die lebensvolle Kraft freier Institutionen“ wieder zu heben und zu fördern.88 Ob die Beamten, von denen – wie erinnerlich – nicht wenige (so wie auch ihr oberster Chef Bach selbst) anfangs die Forderung nach konstitu-tionellen Institutionen der Revolution unterstützt hatten, nicht die Vorspiegelung falscher Tatsachen bemerkt haben sollten? Sie werden jedenfalls die sorgfältig be-mäntelte Warnung verstanden haben, dass von Beamten Loyalität zu dem System, dem sie nun dienten, als erste Beamtentugend verlangt wurde, gleich ob sie in Wi-derspruch dazu gestanden waren (und innerlich immer noch standen) oder nicht.

88 WALTER, Zentralverwaltung III/2, S. 109.

Dieses Bach’sche Rundschreiben vom 15. August 1849 ähnelt inhaltlich tatsäch-lich jenem „Hirtenbrief“ Josephs II. an „seine“ Beamten“ vom 13. Dezember 1783:

Trotz Verstärkung der Amtsgewalt und des Zuwachses der Autorität für hohe Be-amte wurde unbedingte Treue und Folgsamkeit gegenüber der obersten Regie-rungsspitze verlangt.89 Auch die Methoden, sich dieser Beamtentugenden zu ver-sichern, waren die gleichen. Bach stützte sich, um gehorsame, arbeitsame Beamte zu erziehen, die eine durchschlagsfähige Staatsgewalt repräsentierten, nicht anders als Joseph II. auf das System der Privilegierung und Disziplinierung. Aus Bachs Worten ist zu schließen, dass er wie Joseph II. das Ideal des rastlos arbeitenden, kaiser- und systemtreuen, dabei bürgernahen, weithin gebildeten, im Gesetz be-wanderten, objektiven und unparteiischen Beamten propagierte, den erfahrenen Ratgeber und das Vorbild für „das Volk“, der dafür – im Gegenzug – privilegiert und aus der Masse der Bevölkerung herausgehoben wurde. Am hohen Ideal des vorzüglichen, dem Monarchen gehorsamen Beamten wurde auch in den nach-folgenden Zeiten ex officio festgehalten (wenn auch die Praxis manchmal anders aussah).

Spuren dieses Bach’schen Schreibens finden sich in schriftstellerischen Werken von Beamten. Im Jahr 1857 fühlte sich der kaiserliche Ministerialrat und Präsident der Grundentlastungskommission in Böhmen (daneben auch Autor) Maximilian von Obentraut bemüßigt, einen ausführlichen „Leitfaden“ für das Verhalten von Beamten zu erlassen,90 der den Geist der Bach’schen Vorstellungen widerspiegelt.

An oberster Stelle stand die „Anhänglichkeit an das monarchische Prinzip und an das Allerhöchste Regentenhaus“. Dann folgten im Tugendkatalog „Ehrenhaftigkeit“,

„Unbescholtenheit“, interessanterweise nimmt „Nüchternheit“, d. h. Abstinenz von Alkohol, einen prominenten Platz ein, sowie die oftmals erwähnten Beamtentugen-den „Subordinazion und Gehorsam“, „Verschwiegenheit“ und die typischen bürger-lichen Pflichten „Fleiß, Eifer, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit“; auch „Gründlichkeit“,

„Vollständigkeit […] in der Bearbeitung der amtlichen Geschäfte“, „Rechtlichkeit und Unbestechlichkeit“, „Klugheit“, „Mäßigung“, „Entschlossenheit“, „Beschei-denheit“, „Verträglichkeit“, „Höflichkeit“, „Gefälligkeit“, „Anstand“, „Würde“ und

„Humanitas“ (was immer man darunter verstanden haben mag). Das waren für Obentraut die gefragtesten Eigenschaften des idealen Beamten.

89 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 25–40.

90 MAXIMILIAN von OBENTRAUT, Grundsätzlicher Leitfaden für angehende junge Beamte in practischen Umrissen, 3. Teil: Uiber die nothwendigen Eigenschaften eines Beamten (Prag 1857), S. 107–143.

Die Praxis dürfte freilich anders ausgesehen haben. Warum sonst hätte man es für nötig gehalten, nach dem Abgang Bachs als Innenminister (1859) wiede-rum Maßnahmen zur Disziplinierung der Beamten zu ergreifen? 1860 erfolgte die kaiserliche Verordnung, die „die Disziplinarbehandlung der k. k. Beamten und Diener“ regelte91 und im Großen und Ganzen nichts anderes als die Disziplinar-strafen für Verstöße festsetzte: Rüge, Verweis, Geldstrafe, Entziehung der gradu-ellen Vorrückung, strafweise Versetzung und Entlassung. Die Handhabung im Alltag dürfte allerdings eher locker gewesen sein. Doch war die Absicht klar: Die Beamten sollten an die Kandare genommen werden – und nicht nur sie, sondern auch ihre gesamte Familie haftete bei Verstoß gegen gesellschaftliche Normen ei-nes ihrer Mitglieder. Zum Beispiel wurde bei Ehebruch der Frau oder der Straftat eines Kindes der Beamte als Pater familias zur Rechenschaft gezogen und eventu-ell versetzt.92 Diese Bestimmungen blieben bis zur Dienstpragmatik von 1914 in der Disziplinarordnung – teilweise wiederholt, teilweise gemildert – in Kraft.

Dass der Beamte über den Tod hinaus dem Staat verpflichtet war, zeigt das Strafgesetz von 1852. Es eliminierte zwar die Bestimmung des Strafgesetzes von 1803, die bei Selbstmord eines Beamten (katholischen Vorstellungen folgend, die Suizid als schwere Sünde einstuften) die ohnehin genügend gestraften Witwen und Waisen durch Pensionsentzug weiter büßen ließ. Doch gleichzeitig wurde eine säkulare Begründung für die gleiche Strategie gefunden, die gesamte Familie in Haft zu nehmen. Es wurde nämlich festgesetzt, dass Selbstmord als „freiwillige Dienstesentsagung“ anzusehen sei, daher der Staat keine Pension an die Hinter-bliebenen zu zahlen habe.93

Ob in den neoabsolutistischen Jahren jenen Beamten, die den Liberalismus 1848 ersehnt hatten, der von ihnen geforderte unbedingte Gehorsam schwerge-fallen war? Das neoabsolutistische System zeigte sich von der härtesten Seite. Sein Kurs war geprägt von Gesetzen, die frühere Gesetze aufhoben, vor allem jene, bei denen es um bürgerliche Freiheiten ging, Gesetze, die die Beschränkung der Gemeindeautonomie, die Unterbindung von Neuwahlen in die Gemeindevertre-tungen und in die Landtage aussprachen, die zu Verboten von Vereinen und zur Verhinderung einer freien Presse führten.94

91 Vgl. Kaiserliche Verordnung vom 10. März 1860, über die Disciplinarbehandlung der k. k. Be-amten und Diener, RGBL. Nr. 64/1860.

92 MEGNER, Beamte, S. 136.

93 Erlass des Finanzministeriums vom 30. August 1852, RGBL. Nr. 172/1852.

94 Dazu ausführlich EDUARD WINTER, Revolution, Neoabsolutismus und Liberalismus in der Donaumonarchie (Wien 1969), S. 77–86.

Die absolute Herrschaft, die nach der niedergeschlagenen Revolution wieder-hergestellt wurde, äußerte sich im Sinn von Max Weber in absoluter Verwaltung95 und absoluter Bürokratie, und nicht umsonst gilt der Neoabsolutismus nach den groß angelegten Plänen von Joseph II. als „zweite Blütezeit der Bürokratie“.96 Dieser obrigkeitliche Verwaltungsstaat drückte nicht nur Regierungsstil, Struktur und Geist des neoabsolutistischen Jahrzehnts seinen Stempel auf, sondern prägte selbstverständlich auch entscheidend die Bürokratie und wirkte – laut dem libe-ralen und kritischen Josef Redlich, der immerhin noch am Ende der Monarchie kaiserlicher Minister war –auf das gesamte Verständnis von Staat und Obrigkeit noch bis über die Zeit des monarchischen Systems hinaus.97 Stil und Gehabe vor allem der hohen Bürokratie sei, so Redlich, aus der spezifischen Lage dieser Epo-che abzuleiten.

Die Beamten, auch die ehemals revolutionären, militärisch straff in diesem Sys-tem des bürokratischen Absolutismus organisiert und kontrolliert, schienen sich anzupassen. Viele sollten sich, wie es Bachs „Hirtenbrief“ vorgeschrieben hatte, als willfährige Ausführungsorgane des Systems erweisen. Das System gab ihnen Macht und sie übten Macht aus.

Was blieb ihnen auch anderes übrig? Vor die Wahl gestellt zwischen bürokra-tischer Subordination und bürgerlicher Freiheit, den beiden einander widerspre-chenden Tugenden, die in den Seelen der Beamtengeneration von 1848 wohnten, erklärten sich viele für das bürokratische Prinzip – und für die Sicherung ihrer Existenz. Es gab genügend warnende Beispiele, wie es ungehorsamen Beamten erging.

95 MAX WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, fünfte revi-dierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann (Tübingen 1990), S. 122–130.

96 So KARL RENNER, Zur Geschichte der österreichischen Verwaltung. Anhang: Das Land, der Landtag, die Landesregierung. Der Aufbau der niederösterreichischen Verwaltung (Wiener Neu-stadt 1927), S. 8.

97 REDLICH, Staats- und Reichsproblem, S. 29 f., auch 448.