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Teil I: Religion und Vorurteile, religiöser Fundamentalismus und politisch religiöse

Die erste Studie hat ergeben, dass bei Probanden mit muslimischer Religionszugehörigkeit ganz ähnliche Zusammenhänge zwischen Religion und Vorurteilen bestehen, wie sie auch schon für christliche Probanden gezeigt werden konnten. Es gilt also auch hier "that it is not religion per se, but rather the ways in which individuals hold their religious beliefs, which are associated with prejudice" (Hunsberger, 1995, S.113).

Weiterhin spielen kognitiv-motivationalen Variable und soziale Einstellungen wie closed-mindedness und conservatism bei der Übernahme von religiösem Gedankengut und der Unterstützung von Vorurteilen eine Rolle. Dabei zeigt sich, dass religiöser Fundamentalismus auch eine ideologische Funktion erfüllen kann, in dem er ein zu den

45 kognitiv-motivationalen und sozialen Bedürfnissen passendes Verständnis und Interpretationsmuster der Welt bietet.

Zukünftige Forschung sollte die Rolle von solchen kognitiv-motivationalen Variablen und sozialen Einstellungen im Hinblick auf religiösen Fundamentalismus und Vorurteile weiter untersuchen. Neben der Replikation der Mediatormodelle z.B. auch mit Probanden anderer Religionszugehörigkeit, ließe sich für weitere Studien zur ideologischen Funktion von religiösen Fundamentalismus an die Arbeiten von Jost und Kollegen (2013; 2014) anknüpfen. Sie stellen die Hypothese auf, dass religiöse Ideologien hauptsächlich eine Rechtfertigung für bestehende soziale Ordnungen bieten und so zu Legitimation von Ungleichheit und Unterordnung beitragen. Dies können sie auch in Studien mit religiösen Probanden zeigen, haben dabei allerdings nur Religiosität in Form einer Selbsteinschätzung gemessen (Jost et al., 2014). Die Verwendung von religiösem Fundamentalismus und der anderen religiösen Orientierungen hingegen könnte bei diesem Ansatz zu detaillierten Erkenntnissen darüber führen, wann Religion zu Rechtfertigung und wann zu einer Infrage-Stellung von bestehenden sozialen Ordnungen führt. Religiöser Fundamentalismus könnte, wie bereits in der eigenen Studie gezeigt, eher mit einer Rechtfertigung des bestehenden Ordnung verbunden sein. Hingegen könnte die quest Orientierung mit ihrer Bereitschaft die eigene Position zu hinterfragen und andere Positionen in Betracht zu ziehen, bestehende Ordnungen eher in Frage stellen.

In der Studie zur Rekonzeptualisierung des religiösen Fundamentalismus konnte gezeigt werden, dass dieser im Gegensatz zur gängigen Auffassung, nicht zwangsläufig mit Militanz und autoritären Einstellungen einher geht. Stattdessen lassen sich verschiedene Typen religiösen Fundamentalismus' unterscheiden, die durch Merkmale wie Reflexivität oder Ablehnung islamistischer Ideologie deutlich von der herkömmlichen Vorstellung abweichen.

Eine Replikation dieser Typologie mit Personen aus anderen muslimischen Ländern oder mit einer anderen Religionszugehörigkeit als der muslimischen, könnte Aufschluss darüber geben, ob diese Typologie auch für andere kulturelle Kontexte und Religionen Gültigkeit hat.

Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der ägyptische Kontext der vorliegenden Studie die Ergebnisse wie folgt beeinflusst haben könnte: In Ägypten entspricht ein konservatives Verständnis von Religion der gesellschaftlichen Norm (Hellyer, 2013; Radwan, 2013). Sich außerhalb dieser Norm zu bewegen ist sehr schwierig und entsprechend selten. Dies

46 spiegelt sich in den Studienergebnissen darin wieder, dass alle Probanden bis auf einer die Einschlusskriterien für den Basistyp religiösen Fundamentalismus' erfüllten. D.h. im ägyptischen Kontext kann Diversität wie sie durch die Typologie angenommen wurde, vermutlich nur innerhalb dieses konservativ religiösen Selbstverständnis stattfinden. In einem liberaleren Kontext hingegen, könnte sich Personen mit einem etwas flexibleren Glaubensverständnis (Subtyp 1) außerhalb religiös fundamentalistischer Strukturen bewegen, was zu einer weniger diversen und entsprechend extremeren Variante religiösen Fundamentalismus führen könnte.

Die Studie zu den politisch religiösen Einstellungen weist darauf hin, wie wichtig der Einbezug von äußeren, situativen Faktoren in die Untersuchung von Einstellungen sein kann.

Allerdings bleibt unklar, von welcher Dauer die Wirkung des Sturzes auf die Einstellungen war, da die Wirkung nur einmalig mit einem Abstand von nur wenigen Wochen gemessen werden konnte. Längsschnittliche Studiendesigns wären bei zukünftigem Einbezug solcher situativen Faktoren entsprechend aufschlussreich.

Was bedeuten die Ergebnisse der Studien für die Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Toleranz bzw. Intoleranz? Sie zeigen, dass dieser Zusammenhang sich bei muslimisch-arabischen Probanden ähnlich komplex gestaltet, wie bei christlichen Probanden aus den USA und Europa. Dazu tragen sowohl persönliche Merkmale als auch der Kontext bei. Ersteres zeigte sich an der religiösen Orientierung sowie den psycho-sozialen und motivationalen Bedürfnissen, die beeinflussen, wie jemand seine Religion lebt.

Letzteres wird in den drei Studien an verschiedenen Stellen deutlich. In der ersten Studie zeigt sich die Rolle des Kontexts an dem starken Einfluss von conservatism, der die autoritär geprägten Strukturen Ägyptens wiederspiegelt. Die in der zweiten Studie gefundenen Sub-Typen religiösen Fundamentalismus' erklären sich vermutlich zum Teil aus den dominanten religiös-konservativen Strukturen Ägyptens, durch die sich eine Diversität nur innerhalb dieser Strukturen ausbilden kann. Die dritte Studie zeigt auf, wie sich politisch religiöse Einstellungen durch ein äußeres Ereignis, den Sturz des Präsidenten, kurzfristig verändern können.

Ob Religion letztendlich zu mehr Toleranz oder Intoleranz führt, wird also durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die sowohl beim Individuum selbst, in seiner sozialen Umgebung als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene angesiedelt sind. Multidimensionale

47 Modelle, die alle drei Ebenen einbeziehen und an den jeweiligen Forschungskontext angepasst sind, könnten zukünftig noch mehr Aufschluss darüber geben, unter welchen Bedingungen Religion zu Toleranz führt oder Intoleranz hervorruft.

3.2 Teil II: Modelle und Instrumente zur Risikobeurteilung bei gewalttätigem