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Teil I und Teil II der vorliegenden Dissertation scheinen sich auf den ersten Blick nicht besonders stark aufeinander zu beziehen. Der erste an sozial- und religionspsychologischer Forschung orientierte Teil steht einem zweiten Teil gegenüber, der der forensisch-psychologischen Forschung gewidmet ist.

Es lassen sich jedoch zwei Verknüpfungen herstellen: die erste über den Legitimierungsprozess extremistischer Gewalt, der im Prototypenmodell für extremistisch motivierte Attentäter dargestellt wird (s. 2.2), die zweite über die ideologische Dimension religiösen Fundamentalismus, die sowohl im ersten Teil (s. 1.2.2 und 1.3.2) als auch im zweiten Teil (s. 2.2 und 2.3) der Dissertation zum Tragen kommt.

3.3.1 Implizite Theorien und Vorurteile

Die erste Verknüpfung bezieht sich auf Parallelen, die zwischen den impliziten Theorien und kognitiven Gepflogenheiten des Legitimierungsprozesses für extremistische Gewalt (s.

2.2) und dem Zusammenhang zwischen religiösem Fundamentalismus und Vorurteilen (s.

1.2.2) bestehen. Bei letzterem wird analysiert, unter welchen Bedingungen Menschen bereit

49 sind, pauschale, abwertende Einstellungen, d.h. Vorurteile, gegenüber bestimmten Gruppen zu unterstützen. Im Legitimierungsprozess extremistischer Gewalt werden solche Vorurteile als kognitive Gepflogenheiten beschrieben (z.B. "Die Ungläubigen sind mir feindlich gesinnt."), die es dann erleichtern Gewalt gegen bestimmte Zielgruppen anzuwenden. Diese kognitiven Gepflogenheiten bzw. Vorurteile gegenüber bestimmten Zielgruppen werden auch in VERA-2R unter BA3 "Entmenschlichung von ausgewählten Zielen, die mit Ungerechtigkeit assoziiert werden" erfasst.

Neben den Vorurteilen werden in dieser Studie (s. 1.2.2) auch mögliche Bedingungsfaktoren analysiert, closed-mindedness und conservatism, Facetten von need for cognitive closure und Autoritarismus. Wie bereits erläutert, haben Personen mit diesen Merkmalen spezifische Neigungen und Bedürfnisse. Im Fall von need for cognitive closure geht es darum Unsicherheit und Bedrohung möglichst stark zu reduzieren und entsprechend wird eine möglichst eindeutige Interpretation von Informationen angestrebt (Webster &

Kruglanski, 1994). Bei autoritaristisch eingestellten Personen zeigt sich eine starke Neigung zur Konformitäten, strikter sozialer Kontrolle und Gehorsam gegenüber Autoritäten, die sich in Aggression gegen sich nicht konform verhaltende Personen der eigenen Gruppe bzw.

gegen Personen anderer Gruppen auswirken können (Altemeyer, 1996). Need for cognitive closure und Autoritarismus sind mit dem Konzept der basalen Wahrnehmungsmuster vergleichbar. Dieses wurden von Urbaniok (2016) in FOTRES 3 als Risiko-Eigenschaften bei Straftätern eingeführt. Darunter wird eine bestimmte Art und Weise verstanden, die Welt zu wahrzunehmen und zu interpretieren. Die basalen Wahrnehmungsmuster stellen eine begünstigende Grundlage zur Entwicklung von verhaltensnäheren Risiko-Eigenschaften dar, wie z.B. die bereits erwähnte Waffenaffinität. Besonders Autoritarismus könnte ein relevantes basales Wahrnehmungsmuster für die Risikobeurteilung sein, da durch diese Grundhaltung Abwertung und Gewalt gegenüber bestimmter Personengruppen begünstigt wird.

Aus diesen Zusammenhängen lassen sich weitere Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung ableiten. Beispielweise könnte man die bisherige sozialpsychologische Forschung zu Vorurteilen und Ideologien dazu nutzen, implizite Theorien und kognitive Gepflogenheiten von extremistisch motivierten Gewaltstraftätern genauer zu analysieren und systematisieren. Möglicherweise könnte z.B. bei einigen dieser Personen

50 Autoritarismus, need for cognitive closure oder eine Kombination aus beidem die Übernahme einer extremistischen Ideologie begünstigt haben.

Solche Kenntnisse über gängige implizite Theorien und kognitive Gepflogenheiten von extremistisch motivierten Gewaltstraftätern ließen sich sowohl für die Risikobeurteilung als auch für die therapeutische Arbeit mit solchen Tätern nutzen. Z.B. könnte man im vier-dimensionalen Risikomodell in Dimension 1 häufig vorkommende implizite Theorien und kognitive Gepflogenheiten einführen und in Dimension 2 typische basale Wahrnehmungsmuster ergänzen. Für die therapeutische Arbeit ließen sich solche Kenntnisse im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von kognitiven Verzerrungen und bei der Identifikation von Hoch-Risiko-Netzwerken nutzen, wie man sie in Therapien mit Gewalt- und Sexualstraftätern ohne ideologischen Hintergrund bereits nutzt (Rossegger et al., 2012a, 2012b).

3.3.2 Die ideologische Dimension religiösen Fundamentalismus

Die zweite Verknüpfung bezieht sich auf die ideologische Funktion von religiösem Fundamentalismus.

Im ersten Teil der Dissertation wird deutlich, dass es sich bei religiösem Fundamentalismus zunächst um eine spezifische Art und Weise des Religiös-Seins, des religiösen Denkens handelt.

Sie hat aber darüber hinaus auch eine ideologische Dimension: Durch ihre geschlossene Denkstruktur kann sie zu einer konservativen Ideologie transformiert werden, die besonders für Menschen mit solchen psycho-sozialen und motivationalen Bedürfnissen attraktiv ist, die sich auf die Vermeidung von Unsicherheit und Bedrohung konzentrieren. Vorurteile entstehen in diesem Kontext dann, wenn die mit der Ideologie verbundene Weltsicht in Frage gestellt und damit die erlangte Sicherheit bedroht wird (Brandt & Reyna, 2010). Diese Abwertung dient zum Schutz der adaptierten Ideologie und ihrer Weltsicht.

Neben den persönlichen Merkmalen spielt auch der Kontext dabei eine Rolle, ob religiöser Fundamentalismus eine relevante Ideologie ist oder nicht. Bei der untersuchten ägyptischen Stichprobe besteht durch die sehr religiös geprägten gesellschaftlichen Strukturen eine hohe Zugänglichkeit für religiös geprägte Ideologien. Sie spielt entsprechend für die soziale Zugehörigkeit und Identität ein wichtige Rolle. Hingegen wird dies in

51 Gesellschaften mit geringerer religiöser Prägung weniger der Fall sein. In solchen Kontexten würden andere Ideologien aufgesucht und adaptiert.

Im Extremfall können religiöse Ideologien auch mit Gewalt einher gehen. Dies wird in den Risikomodellen deutlich, die aufzeigen, wie extremistische Einstellungen auf Basis von Ideologien zur Legitimation von Gewalt genutzt werden können. Die Ideologien liefern dann eine spezifische inhaltliche Argumentationslinie, die bei religiösen Ideologien oftmals mit Motiven wie Verteidigung der eigenen Weltsicht und moralischer Überlegenheit einhergeht.

Allerdings reicht für die Hinwendung zur Gewalt eine solche Einstellung nicht aus wie in den Risikomodellen weiter gezeigt wird. Stattdessen sind es meistens verschiedene Merkmale, die in Interaktion zu einer Erhöhung des Risikos für extremistische Gewalt führen. Oftmals spielt eine extremistische Einstellung religiöser oder anderer Art auch nur eine oberflächliche oder gar keine Rolle, wie verschiedene Fallbeispiele zeigen (Leygraf, 2014).

Es lohnt sich also bei religiösem Fundamentalismus zunächst neutral von einer religiösen Denkweise auszugehen, die zunächst nichts mit Extremismus oder Gewalt zu tun hat. Ob es zu einer Ideologisierung kommt, hängt sowohl von persönlichen Merkmalen als auch Kontextfaktoren ab.

Ohne diese Differenzierung bleibt die Funktion und der Einfluss religiösen Fundamentalismus unklar, was im schlechtesten Fall zu einer pauschalen Verurteilung all jener Menschen führt, die zwar in einer religiös fundamentalistischen Denkweise verhaftet sind, aber weder extremistische noch gewalttätige Neigungen haben.

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4 Eigene Arbeiten

4.1 Explaining Prejudice toward Americans and Europeans in Egypt: Closed-mindedness