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Subjektive Handlungsfähigkeit als Bedingung der Konstitution von Diskursen

Die Einsicht in die irreduzible Individualität des Subjekts und seiner Fähigkeit, kreativ, reflexiv und kritisch in vorstrukturierten Handlungszusammenhängen agieren zu können, erweist sich für diese Arbeit jedoch nicht nur in Abgrenzung zum oftmals einseitig interpretierten Akteursbegriff als fruchtbar, sondern eröff-25 | Die Terminologie der disponierenden und disponierten Subjektivität wird auch von Bührmann und Schneider (2008: 63f, 2010: 278) sowie von Denninger u.a. (2010: 222f.) aufgegriffen.

net auch eine neue Perspektive auf die Rolle des Subjekts in einer prinzipiell gou-vernementalitätstheoretisch inspirierten Analyse der Regierung der Freiwilligkeit.

So ist die von Kögler vorgenommene Unterscheidung von Strukturierungsmacht und subjektiver Handlungsmacht keinesfalls identisch mit der Verschränkung von Fremdführung und Selbstführung, die den gouvernementalen Regierungsbegriff im Spätwerk Foucaults auszeichnet (Kögler 2007: 361). Als problematisch erweist sich hier, wie bereits mehrfach erwähnt, vor allem der strukturalistische Bias vieler Gouvernementalitätsstudien, die den Eindruck erwecken, dass die Programme des Regierens, die das Handeln im besten Falle anleiten sollen, mit dem tatsächlichen Verhalten der Subjekte zusammenfallen. Das freiwillige Engagement der Bürger würde hiernach – ohne eine empirische Prüfung dieses Sachverhalts vorzuneh-men – als Spiegelbild der Aktivierungsprogrammatik betrachtet werden.

Doch auch die Protagonisten der Gouvernementalitätstheorie sind sich darüber im Klaren, dass eine derartige naive Gleichsetzung des (Herrschafts-)Programms mit dem subjektiven Selbstverhältnis kaum überzeugen kann: »Der Eigensinn menschlichen Handelns insistiert in Gestalt von Gegenbewegungen, Trägheits-momenten und Neutralisierungstechniken. Die Regime der Selbst- und Fremdfor-mung liefern keine Blaupause, die lediglich umzusetzen wäre« (Bröckling 2007:

40). Für die konkrete Analyse, so Bröckling weiter, ergibt sich daraus, »die Aufga-be der perspektivischen Vielfalt: Statt ausschließlich die Formen des Zugriffs auf die Einzelnen zu analysieren oder sich darauf zu beschränken, subjektive Wider-standspotenziale zu identifizieren, sind die Konstellationen nachzuzeichnen, die sich aus dem Zusammentreffen beider ergeben« (ebd.: 41). Angesichts der Plau-sibilität dieser Ausführungen erscheint es umso erstaunlicher, dass die meisten Gouvernementalitätsanalysen, wie von vielen Seiten zu Recht kritisiert wird, auf eine Umsetzung dieser Forderungen – z.T. auch ganz bewusst – verzichten (vgl.

die Kritik bei Lessenich/Otto 2005: 14f.; Bührmann 2005: Abs. 6; Denninger u.a.

2010: 211, 2014: 26; Alkemeyer/Villa 2010: 319; Graefe 2010: 299).

Um diesem strukturalistischen Überschuss der Gouvernementalitätsstudien im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht ebenso anheim zu fallen, wird die Regie-rung der Freiwilligkeit im »Modus des Vollzugs von Machtpraktiken« (Ott/Wrana 2010: 160) analysiert, d.h., es wird den programmbezogenen Aneignungs- bzw.

Anverwandlungshandlungen der (potenziellen) Freiwilligen Aufmerksamkeit ge-schenkt. Sich der Analyse der Wirkung von Machtpraktiken zu widmen, bedeutet aber nicht – und diese Einsicht ist besonders zentral –, dass die Handlungsfähig-keit der genannten Subjekte der Programmebene gegenübersteht und ihre Wir-kung im Sinne einer Evaluationsforschung als Implementation von Programmen untersucht werden kann. Vielmehr geht es in Anlehnung an Wrana und Ott dar-um, auch Widerstände oder unerwartete Handlungen der Subjekte als Praktiken zu begreifen, die die Regierung der Freiwilligkeit im Modus des Vollzugs gerade auszeichnen: »In dieser Analyse rückt der Gebrauch von Praktiken als produktive Leistung in den Blick und die Machtverhältnisse erscheinen empirisch als hetero-gener Gegenstand und als ein komplexes Feld von Kämpfen.« (Ebd.: 161) Die unter-suchten Stellungnahmen und Äußerungen der angerufenen Bürger in ihrer Rolle als – (noch) nicht, nicht mehr oder zukünftige – Freiwillige stehen der Programm-ebene demnach nicht gegenüber; sie dürfen nicht, wie Wrana und Ott formulie-ren, als »das ›Andere des Programms‹ gegen dieses« (ebd.: 161f.) gesetzt werden,

sondern stellen vielmehr eine zentrale Quelle für die Analyse der Regierung der Freiwilligkeit im Modus des Vollzugs dar.

Folgt man dieser Perspektive, dann kommt der Handlungsmacht26 der situ-ierten Subjekte bei der Durchsetzung bzw. Infragestellung von umkämpften und in soziale Kräfteverhältnisse eingebetteten Diskursen bzw. Dispositiven eine ent-scheidende Bedeutung zu. Die subjektive Handlungsfähigkeit stellt dann nicht – wie dies etwa bei Kögler der Fall ist – »nur eine Option [dar], die Diskurse und Gou-vernementalitäten sozusagen taktisch offen lassen müssen, um ihr Funktionieren zu gewährleisten« (Graefe 2010: 301). Denn, so fragt Stefanie Graefe zu Recht wei-ter, »wodurch entstehen denn Diskurse und Programme – wenn nicht letztlich durch die symbolische Praxis vergesellschafteter Subjekte?« (Ebd.) Die subjektive Handlungsmacht ist somit Bedingung der Konstitution von Diskursen und Bedeu-tungen, wenngleich natürlich die Zuordnung einzelner Subjekte zu umfassenden Sinnkonstruktionen kaum – und dann höchstens in bestimmten Schlüsselmo-menten – gelingt.27 Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies, dass Subjekte in der hier skizzierten Lesart durchaus auch Neues – nicht aber Voraussetzungsloses – schaffen können. Dieses Subjektverständnis erweist sich gerade für die Analyse der gesellschaftlichen Neuverhandlung der Freiwilligkeit als hoch anschlussfähig, da es – ohne hierfür auf die handlungstheoretischen Kreativitätsüberlegungen des Pragmatismus (Joas 1996) zu rekurrieren oder einem omnipotenten Akteur das Wort zu reden – die kreative Leistungsfähigkeit der am Diskurs beteiligten (Grup-pen- und Organisations-)Subjekte betont, die im Rahmen konfliktueller Aushand-lungsprozesse an der Konstruktion und Erneuerung der diskursiven Ordnung – in diesem Fall: der Dispositive der Freiwilligkeit – beteiligt sind.

Für die Anlage dieser Forschungsarbeit ergibt sich aus diesen Überlegungen die Schlussfolgerung, dass nur unter Rekurs auf die Kreativitäts- und Handlungsspiel-räume von diskursiv situierten Subjekten, d.h. von einflussreichen Gruppen- und Organisationssubjekten, wie Freiwilligenvertretungen, Vereinen, Verbänden und Parteien, nachvollzogen werden kann, wie es seit der Jahrtausendwende zu einer tief greifenden Kurskorrektur im gesellschaftlichen Umgang mit freiwilligem En-gagement kam, die ihren deutlichsten Niederschlag in der sukzessiven Etablierung einer – in den 1990er Jahren noch heftig umstrittenen – staatlichen Engagement-politik fand. Dies bedeutet zugleich, dass die Dispositive der Freiwilligkeit nicht als starre, unveränderliche Verknüpfungsstrukturen gedacht werden dürfen. Sie sind allenfalls temporär fixiert, stets umkämpft und wandelbar, was vor allem dar-auf zurückgeführt werden kann, dass die disponierten Subjekte am Weiterspinnen des Netzes dispositiver Verflechtungen in produktiver Weise beteiligt sind (Den-ninger u.a. 2014: 38). Um dieses hier lediglich angedeutete Zusammentreffen von 26 | Hierbei darf allerdings nicht aus den Augen verloren werden, dass auch diese Hand-lungsmacht stets umkämpft sowie brüchig ist und deshalb nicht als Besitz oder feste Eigen-schaft von Subjekten verstanden werden darf.

27 | Die bei vielen Autoren beobachtbare systematische Unterschätzung des subjektiven Faktors bei der Entstehung von Diskursen beschreibt Stefanie Graefe zutreffend »als Selbst-absicherung gegen eine ungewollte Rückkehr des souveränen Subjekts in die postsouveräne Subjekttheorie, zugespitzt formuliert: als Ausdruck des Unvermögens, Subjektivität nicht nur in ihrer konstituierten, sondern auch in ihrer konstituierenden Dimension anders denn als individuelles Vermögen eines Einzelakteurs zu denken« (Graefe 2010: 301f.).

Kräfteverhältnissen und Programmen bzw. Diskursen der Analyse zugänglich zu machen, gilt es im Folgenden, die bisherigen gouvernementalitäts- und diskurs-theoretischen Überlegungen um hegemonietheoretische Ansätze zu erweitern.