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„A systematic review of motivational interviewing in physical health care settings” Knight et al. haben mit dieser im Jahr 2006 veröffentlichen systematischen Übersichtsar-beit untersucht: in welchem Umfang MI in unterschiedlichen Gesundheitssettings verwen-det wird, wie wirksam MI ist und zu welchen Effekten es führt, wenn MI bei Patienten mit physischen Gesundheitsproblemen eingesetzt wird. Ferner waren die Autoren bestrebt ei-nen Überblick über die Qualität der diesbezüglichen, damaligen Forschung zu geben und weiteren Forschungsbedarf zu identifizieren (vgl. Knight et al. 2006, S. 319). Insgesamt haben Knight et al. 8 relevante Studien (darunter 4 RCTs) identifiziert, beschrieben und beurteilt (vgl. Knight et al. 2006, S. 323). Die Recherche wurde im August 2002 durchge-führt und im September 2003 sowie im April 2004 aktualisiert (vgl. Knight et al. 2006, S.

321).

Methodik

Die Recherche wurde in den elektronischen Datenbanken Amed, Cinahl, Embase, Medline, Psych Info, ISI Web of Science und SIGLE durchgeführt und umfasste einen Publikations-zeitraum vom Jahr 1966 bis 2004 (vgl. Knight et al. 2006, S. 319ff).

Suchbegriffe waren: motivational interviewing, stages of change, transtheoretical model, behavior change und client centred couselling. Umfangreiche Suchbegrifflisten wurden für chronische Erkrankungen zusammengestellt als auch mit Medical Subject Headings (MeSH) für chronic illness in die Recherche einbezogen (vgl. Knight et al. 2006, S. 321).

Ebenfalls wurde die Webseiten der Cochrane Libary, des National Research Registers sowie drei weitere wissenschaftliche Internetseiten nach Studien mit dem Suchwort moti-vational interviewing durchsucht. Zudem wurden Experten und Personen, welche zu diesem Thema in aktuellen Forschungsprojekten arbeiteten, nach unveröffentlichtem Mate-rial und weiteren Informationen gebeten. Graue Literatur wurde mit Hilfe der Datenbank Sigle durchsucht. Ferner erstreckte sich die Recherche über 7 wissenschaftliche Fachzeit-schriften (u.a. American Journal of Preventative Medicine) (vgl. Knight et al. 2006, S.

321). Die Einschlusskriterien waren:

31

- Im Bereich Zielgruppe, dass die Studienpatienten ein Risiko aufwiesen, eine gemeinsame körperliche Krankheit zu entwickeln und

- im Bereich Intervention, dass MI in der Studie als Methode der Verhaltensänderung verwendet wurden (vgl. Knight et al. 2006, S. 321).

In Bezug auf das Studiendesign lagen keine Kriterien vor, da nur eine geringe Anzahl von RCTs gefunden und daher auch Nicht-RCTs einbezogen wurden. Gleichfalls gab es für gemessene Outcomes keine spezifischen Kriterien. Knight et al. begründen dies damit, dass alle Studien mit wirksamen Ergebnissen identifiziert werden sollten (vgl. Knight et al.

2006, S. 321).

Studienabruf und -analyse

Einundfünfzig relevante Abstracts wurden gefunden. Insgesamt konnten 43 Abstracts ausgeschlossen werden, da sie die Einschlusskriterien nicht erfüllten und z.B. Fragen der Berufsausbildung thematisierten oder MI und/oder körperliche Erkrankungen nicht einbe-zogen. Insgesamt konnten 8 Studien für eine beschreibende Analyse ausgewählt werden (vgl. Knight et al. 2006, S. 321f).

Um Verzerrungen zu vermeiden, erfolgte das Auswahlverfahren durch zwei Forscher, welche Unstimmigkeiten in Diskussionen klärten (vgl. Knight et al. 2006, S. 322).

Auf eine Metaanalyse haben Knight et al. verzichtet, aufgrund der Heterogenität der Studi-en in dStudi-en gemessStudi-enStudi-en EndpunktStudi-en bzgl. des IntervStudi-entionszeitraumes, im definiertStudi-en Prob-lemverhalten der Probanden, in den Studien-Settings sowie hinsichtlich der Qualifikation und Erfahrung der MI-Berater (vgl. Knight et al. 2006, S. 322).

Identifizierte Studien

Unter den ausgewählten Studien waren vier RCTs, drei Pilotstudien und eine nicht-randomisierte Kontrollstudie (vgl. Knight et al. 2006, S. 323) (siehe Tabelle 1). Die einge-schlossenen Erkrankungen bzw. Therapien dieser Studien waren: Diabetes mellitus Typ 1 und 2, Asthma, Hyperlipidämie als auch Hypertonie, koronare Bypass-Chirurgie und kar-diologische Rehabilitation. Mit allen 8 Studien sollte herausgefunden werden, ob MI zu besseren Behandlungsergebnissen führt, als die jeweilige Standardversorgung in den Bereichen: Compliance, Gesundheitsverhalten und Ergebnisverbesserungen der verschie-denen medizinischen Therapien (vgl. Knight et al. 2006, S. 323).

32 Nr. Autoren und

Population

Studiendesign Stichprobengröße (n), Follow-up-Periode (FU) und Durchschnittsalter

Intervention

1 Channon et al.

(2003), Kinder mit Diabetes Typ 1

Pilotstudie n=22; FU 6 Mona-te; Ø 15,8 Lebens-jahre

Interventionsgruppe: individuelle MI-Beratung (Ø 4,7 Sitzungen);

keine Kontrollgruppe 2 Clark und

Hampson (2001),

übergewichtige Erwachsene mit Diabetes Typ 1

RCT

(nur mit Base-line-Daten)

n=100; FU 1 Jahr;

Ø 59,4 Lebensjahre

Interventionsgruppe:

Kurz-MI-Beratung plus drei 10-minütige Telefongespräche in der Follow-Up;

Kontrollgruppe: Standardbehand-lung

3 Smith et al.

(1997), überge-wichtige Frauen mit Diabetes Typ 2

randomisierte Pilotstudie

n=16; FU 4 Mona-te; Ø 62,4 Lebensjahre

Interventionsgruppe:

3 MI-Sitzungen plus 16-wöchige verhaltensbeinflussende Ge-wichtskontrolle;

Kontrollgruppe:

nur besagte Gewichtskontrolle 4 Schmaling et al

(2001), Patien-ten mit Asthma

Randomisierte, kontrollierte Pilotstudie

n=25; FU 2 Wo-chen; Ø 39,32 Le-bensjahre

Interventionsgruppe: einmalige Kurz-Schulung und eine MI-Sitzung;

Kontrollgruppe: einmalige Kurz-Schulung

5 Mhurchu et al.

(1998) Patienten mit Hyperlipi-dämie

RCT

(Teststärke nur 61%)

n=97; FU 6 Mona-te; Durchschnittsal-ter unbekannt

Interventionsgruppe:

3 MI-Beratungen;

Kontrollgruppe: Standardtipps für Cholesterin arme Ernährung 6 Woollard et al.

(1995), Patien-ten mit Hyper-tonie

Nicht-randomisierte Kontrollstudie

n=146; FU 18 Wo-chen; Ø 58 Lebens-jahre

Interventionsgruppe 1: vier 15-minütige Telefonberatungen;

Experimentellgruppe 2: vier 45-minütige MI-Beratungen;

Kontrollgruppe: Standardbe-handlung

7 McHugh et al.

(2001), Patien-ten, die eine arterielle By-pass-OP erwar-ten

RCT N=98; FU 15

Mo-nate; Ø 62 Lebens-jahre

Interventionsgruppe:

MI-Beratung plus monatliche Gesundheitsschulung;

Kontrollgruppe: Standardbehand-lung

8 Scales (1998) Patienten mit Koronarer Herzkrankheit, die eine Rehabi-litation erwarten

RCT n=61; FU 12

Wo-chen; Ø 59,6 Le-bensjahre

Interventionsgruppe:

1 bis 4 MI-Beratungen plus übli-ches Rehabilitationsprogramm;

Kontrollgruppe: übliches Rehabi-litationsprogramm mit Gruppen-diskussion plus optionale Inter-vention zur Lebensstiländerung Tabelle 1: Übersicht der von Knight et al. bewerteten Studien (vgl. Knight et al. 2006, S. 324ff)

33 Qualitätsbewertung

Die Qualitätsbewertung der Studien basierte auf den Informationen, welche die Studien lieferten. Als Richtlinie zur Beurteilung der Qualität nutzten Knight et al. das CONSORT Statement von Moher, Schulz und Altma (2001), welches Empfehlungen zur Qualitätsver-besserungen der Reports randomisierter Studien gibt (vgl. Knight et al. 2006, S. 322).

Studienergebnis

Die Mehrheit der Studien kommet zu dem Ergebnis, dass MI zu positiven Effekten führt bei der Mehrzahl der untersuchten psychologischen und physiologischen Variablen sowie bei verhaltensbezogenen Variablen bei der Änderung von Lebensstilen (vgl. Knight et al.

2006, S. 323) (siehe Tabelle 2).

Variablen N (Variablen) MI ist effektiv MI ist nicht Effektiv

Angaben fehlen

Psychologisch-kognitiv (z.B. Be-reitschaft zur Ver-haltensänderung)

15 6 3 6

Psychologisch-emotional (z.B. Le-bensqualität)

7 3 1 3

Lebensstilwandel 24 11 2 11

Physiologische (z.B.

Gewicht)

11 10 0 1

Insgesamt 57 30 6 21

Tabelle 2: Übersicht der gemessenen Effektivität von MI in den von Knight et al. untersuchten Studien (vgl. Knight et al. 2006, S. 327)

Die Ergebnisse zweier der RCTs sind wenig aussagekräftig bzw. nicht vorhanden, da entweder keine Outcome-Daten vorlagen (Studie 2) oder die Teststärke aufgrund einer zu geringen Stichprobengröße (80% der Vorgabe) erheblich abfiel (Studie 5). Die beiden anderen RCTs (Studie 7 & 8) kommen zu dem Resultat, dass MI eine effektive Methode ist, Patienten dabei zu helfen, gesündere Lebensstile umzusetzen im Vergleich zu den üb-lichen Methoden (vgl. Knight et al. 2006, S. 323). Im Gegensatz dazu haben eine oder mehrere der Studien gezeigt, dass MI nicht wirksam ist, das Wissen der Patienten zu erhö-hen oder ihnen dabei zu helfen Familienprozesse zu versteerhö-hen, ihre Medikamenten-Compliance zu erhöhen, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren, oder ihr Gefühl von Wohlbe-finden zu steigern (vgl. Knight et al. 2006, S. 323). Zudem wurden bei ca. 37% aller gemessenen Variablen der Studien keine Ergebnisse genannt, was nach Ansicht von

34

Knight et al. das Vorliegen negativer Resultate bedeuten kann (vgl. Knight et al. 2006, S.

323).

Kritik der Autoren

Knight et al. kommen zu folgender Kritik an den Studien:

- Berichterstattung: alle drei abgeschlossenen RCTs (Studie 5, 7 & 8) berichten Einschluss- und Ausschlusskriterien. Von den restlichen Studien berichteten alle von Einschluss-, aber nur drei von Ausschlusskriterien (Studie 1, 3 & 4). Drei der RCTs haben die Randomisierungsmethode beschrieben (Studie 2, 5 & 8).

- Teststärke und Stichprobenumfang: Nur eine RCT berechnete ihre Stichprobengrö-ße nach einer festgelegtenTeststärke (Studie 5). Diese Studie lag mit 20% jedoch unter ihrer geforderten Stichprobengröße, was die Teststärke auf 61% herabsetzte.

- Vorgehensweise und Intervention: Das Interventionsverfahren wurde in allen Studien hinreichend beschrieben, genaue Informationen über den Inhalt der MI-Sitzungen wurden aber nur in zwei RCTs (Studie 2 & 8) sowie in zwei der nicht-randomisierten Studien gegeben (Studie 1 & 4). In einer der RCTs und zwei der anderen Studien war unklar beschrieben, ob MI als vollwertige Beratung oder Kurz-Intervention eingesetzt wurde (Studie 4, 6 & 7). Die durchschnittliche Dauer der MI-Beratungen wurde lediglich in zwei der RCTs und in einer der anderen Studien angegeben (Studie 4, 5 & 6). Dreiviertel der RCTs und anderen Studien enthalten detaillierte Angaben der Hauptkomponenten, wie auch der Prinzipien von MI (Studie 1, 2, 3, 4, 5 & 8).

- MI-Ausbildung: Zwei nicht-randomisierte Studien beschreiben die Länge und Art der MI-Ausbildung (Studie 1 &/ 4). Nur eine der Studien eine RCT benutzte ein Assessment zur Einschätzung der Beratungsfähigkeiten der Berater nach Ausbil-dung, um die MI-Qualität während des Interventionszeitraumes zu kontrollieren (Studie 5).

- Messung: Die Studien maßen im Durchschnitt 7,5 verschiedene Outcomes (Spann-weite 4 bis 11), mit großen Unterschieden zwischen psychologischen, physiologi-schen oder Lebensstil bezogenen Outcomes. Nur 6 Studien (davon 3 RCTs) beschrieben den Einsatz von spezifischen, validierten Messinstrumenten (Studie 1, 2, 4, 6, 7, & 8) (vgl. Knight et al. 2006, S. 323-328).

35 Diskussion der Autoren

Knight et al. vertreten die Ansicht, dass die niedrige Qualität und mangelhafte Validität der Studien eine eindeutige Schlussfolgerung über die Wirksamkeit von MI bei Patienten mit chronischen und physischen Erkrankungen nicht zulässt (vgl. Knight et al. 2006, S. 329).

Die Hauptmängel der ausgewählten Studien seine: eine zu kleine Fallzahl, mangelnde Teststärke, die Verwendung von grundverschiedenen Outcomes, welche zu einem unreflektierten Einsatz von validierten Fragebögen führt, und eine oft schlechte Definition von MI-Beratungen sowie der MI-Ausbildung (vgl. Knight et al. 2006, S. 329).

Für zukünftige Forschung empfehlen die Autoren qualitativ hochwertige Studiendesigns, in denen größere Stichproben rekrutiert, die erforderliche Teststärke berechnet, validierte, standardisierte und verallgemeinerbare Messinstrumente eingesetzt als auch detaillierte Beschreibungen der MI-Intervention und -Ausbildung sowie der Inhalte der Sitzungen vorgenommen werden (vgl. Knight et al. 2006, S. 329f).

Die Limitierung ihrer systematischen Übersichtsarbeit sehen die Autoren in dem Ausschluss von nicht-englisch-sprachigen Studien, was zu Bias geführt haben könnte. Dass viele negative Studien nicht veröffentlicht wurden, mag zu der geringen Anzahl identifi-zierter Studien geführt haben, vermuten Knight et al. (vgl. Knight et al. 2006, S. 330).

Kritik dieser Studie

Die Übersichtsarbeit von Knight et al. hat mehrere Studien untersucht, deren unterschiedli-che Designs und Gestaltung einen statistisunterschiedli-chen Vergleich der Ergebnisse nicht ermöglich-ten. Zudem wurden nur engschlich-sprachige Studien beachtet, was die Autoren auch selbst einräumen. Abgesehen von diesen Punkten weist die Übersichtsarbeit von Knight et al. keine erkennbaren methodischen Mängel auf.

6 Diskussion

In den Ergebnisse der drei RCTs fällt zunächst auf, dass sich mit einer Ausnahme bei Dilorio et al. (siehe unten) keine statistisch signifikanten Effekte der MI im Vergleich zu der jeweiligen Kontrollintervention gezeigt haben. Zwei der RCTs haben eine leichte Verbesserung der primären Endpunkte bei MI-Intervention festgestellt: Golin et al. (Kapi-tel 5.1) konnten eine Steigerung in der Interventions- und ein Compliance-Abfall in der Kontrollgruppe nachweisen, und Brodie und Inoue (Kapitel 5.3) eine

Verbes-36

serung des Energieumsatzes in beiden Studiengruppen. Bei Dilorio et al. (Kapitel 5.2) zeigte sich hingegen ein Abfall der Compliance sowohl in der Interventions-, als auch in der Kontrollgruppe, welcher jedoch in der Interventionsgruppe weniger ausgeprägt war.

Damit haben alle drei RCTs positive Effekte von MI in Bezug auf die Compliance gemes-sen.

Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Studiengruppen zeigten sich in zwei der RCTs: bei Golin et al. (Kapitel 5.1) führte MI u.a. dazu, dass die Probanden öfter eigene Verhaltensziele und -Strategien entwickelten, als dies die Standardbehandlung vermochte;

und Dilorio et al. (Kapitel 5.2) stellten fest, dass die mit MI beratenen Teilnehmer eine statistisch signifikant höhere Compliance bei der Medikamenteneinnahme zum verordne-ten Zeitpunkt hatverordne-ten als die Mitglieder der Kontrollgruppe.

Die systematische Übersichtsarbeit von Knight et al. zeigte in den untersuchten Studien ebenfalls positive Effekte von MI bei der Mehrzahl der gemessenen psychologischen und physiologischen Variablen. Keine Wirksamkeit von MI bescheinigten eine oder mehrere dieser Studien bei Wissenssteigerung, dem erhöhten Verstehen von Familienprozessen, der Compliance-Steigerung bei medikamentöser Therapie, der Reduzierung des Alkoholkon-sums und der Verbesserung des Wohlbefindens der jeweiligen Probanden.

Die Ergebnisse besagter Studien sind, nach Ansicht von Knight et al., jedoch nicht geeig-net konkrete Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit von MI bei chronisch und physisch erkrankten Patienten zu treffen, da die Studien insgesamt erhebliche qualitative Mängel sowie eine geringe Validität aufwiesen. Die Zusammenfassung der Ergebnisse ist in Tabel-le 3 dargestellt:

Nr. Autoren, Stu-diendesign (Intervention

jeweils MI)

Stichprobengröße (n);

Population

Endpunkte Outcomes

1 Golin et al.

(2006), RCT

n=117 (2 Gruppen);

erwachsene HIV-Patienten mit ART

Primär: durchschnittlicher Compliance-Grad, Virus-lastveränderung;

Sekundär: psychosoziale, psychoökonomische und auf Verhaltensänderung bezogene Variablen

keine statistisch signi-fikanten Unterschiede zwischen den Gruppe, mit Ausnahme bei den Variablen der Verhal-tensänderung

2 Dilorio et al.

(2008), RCT

n=213 (2 Gruppen);

einkommens-schwache, erwach-sene HIV-Patienten mit ART

Primär: durchschnittlicher Compliance-Grad bei An-zahl der tägl. eingenomme-nen Medikamentendosen und Zeitpunkten der

statistisch signifikant bessere Compliance bei Medikamenten-einnahme zum verordneten Zeitpunkt

37 Einnahme;

Sekundär: Veränderungen bei HIV-Viruslast, CD4-Immunzellen, Drogenkon-sum und Depressions-Score

nach MI-Beratung, sonst keine statistisch signifikanten Unter-schiede zwischen den Gruppen

3 Brodie, Inoue (2004), RCT

n=60 (3 Gruppen);

erwachsene Patien-ten mit chronischer Herzinsuffizienz

Primär: täglicher Energie-umsatz bei körperlicher Aktivität;

Sekundär: Veränderungen der körperlichen Belastbar-keit auf einer Gehstrecke

keine statistisch signi-fikanten Unterschiede zwischen den Gruppen

4 Knight et al.

(2006), sys-temtische Übersichtsar-beit

siehe Tabelle 1 57 gemessene, abhängige Variablen der eingeschlos-senen Studien

mangelnde Qualität und Validität der ein-geschlossenen Studien lassen keine Rück-schlüsse auf Wirk-samkeit der MI zu Tabelle 3: Zusammenfassung der Studienergebnisse

Qualitätsbewertung

Die Qualität der vorgestellten Studien ergibt sich auf Grundlage der in Kapitel 5 zusam-mengefassten Informationen und festgestellten Stärken und Schwächen dieser Arbeiten.

Als Instrument der Qualitätseinschätzung werden hier die Levels of Evidence 2001 und die Empfehlungsgrade aus dem Oxford Centre for Evidence-based Medicine für Interventions-studien aus dem Jahre 2009 verwendet (vgl. Oxford Centre for Evidence-based Medicine 2009, Levels of Evidence 2001). Die Qualitätsbewertung ist in Tabelle 4 dargestellt:

Nr. Autoren, Studiendesgin Evidenzlevel Empfehlungsgrad

1 Golin et al. (2006), RCT 2b C

2 Dilorio et al. (2008), RCT 1b B

3 Brodie, Inoue (2004), RCT 2b C

4 Knight et al. (2006), systematische Über-sichtarbeit

1a B

Tabelle 4: Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der untersuchten Studien

Die systematische Übersichtsarbeit von Knight et al. (Kapitel 5.4) beinhaltet soweit homo-gene Studien, welche einen Ergebnisvergleich zulassen, wenn auch keine statistische Ana-lyse, und die RCT von Dilorio et al. (Kapitel 5.2) liefert überwiegend methodisch fehler-freie Ergebnisse mit engen Konfidenzintervallen. Beide Studien, in denen insgesamt wenig Mängel festgestellt wurden (siehe Kapitel 5 Ergebnisse), erfüllen somit die für ihre Studi-endesigns notwendigen Qualitätsanforderungen und erreichen damit die jeweils höchst möglichen Evidenzlevel. Ihre Empfehlungsgrade wurden jeweils mit B bewertet, da die

38

von ihnen eingeschlossenen Zielgruppen mit verschiedenen chronischen und/oder physika-lischen Erkrankungen sowie weiteren Merkmalen, eine Übertragung der Studienergebnisse auf alle erwachsenen Patienten mit chronischen Erkrankungen nur mit Unsicherheit zulässt.

In den beiden RCTs von Golin et al. (Kapitel 5.1) und Brodie und Inoue (Kapitel 5.3) sind erhebliche qualitative Mängel und eine geringe Validität der Ergebnisse festzustellen (siehe Kapitel 5 Ergebnisse), daher wurden ihre Evidenzlevel jeweils mit 2b eingestuft.

Der Empfehlungsgrad dieser Studien liegt in beiden Fällen bei C, entsprechend ihres Evidenzlevels und da ihre Ergebnisse aufgrund der spezifischen Zielgruppe nicht auf alle erwachsenen Patienten mit chronischen Erkrankungen ohne Extrapolationen übertragen werden können. Damit können Empfehlungen aus diesen beiden Studien praktisch nicht gegeben werden.

Schlussfolgerung

Die MI kann vermutlich die Compliance von erwachsenen, chronisch kranken Patienten im Krankenhaus beeinflussen. Ein statistisch signifikanter Unterschied in der Compliance-Steigerung im Vergleich zu herkömmlichen Methoden ist jedoch wenig wahrscheinlich.

Konkrete Aussagen über die Wirksamkeit von MI bzgl. der Compliance bei Erwachsenen mit spezifischen chronischen Erkrankungen und Therapien lassen sich außer bei einkom-mensschwachen, an HIV erkrankten, erwachsenen Patienten mit ART (siehe Kapitel 5.2) nicht treffen. Bei der besagten Patientengruppe zeigte MI im Interventionsvergleich eine statistisch signifikante Wirkung auf die Compliance-Förderung bei der Medikamentenein-nahme zu einem angeordneten Zeitpunkt. Aussagen über die Wirkung von anderen Formen verhaltensorientierter Beratung auf die Compliance bei erwachsenen, chronisch-kranken Patienten können nicht getroffen werden. Inwieweit MI oder eine andere Form verhaltens-orientierter Beratung die Compliance bei der genannten Population steigern kann im Ver-gleich zu einer fehlenden Intervention ist ebenso unklar.

Limitierung

Für diese systematische Übersichtsarbeit bestehen einige Limitierungen:

- die Recherche erfolgte nur in einer elektronischen Datenbank und schloss ausschließlich englisch- und deutschsprachige Studien ein, daher könnten relevante Forschungsergebnisse unbeachtet geblieben sein;

39

- Bias können nicht ausgeschlossen werden, da die Studienauswahl und -bewertung nur von einer Person durchgeführt wurde; und

- die in den ausgewählten Studien verwendete Intervention bezieht nur eine spezifi-sche Form verhaltensorientierter Beratung ein, daher kann die gestellte Forschungs-frage (siehe Kapitel 2 Fragestellung) nicht hinreichend beantwortet werden.

Forschungsbedarf

Wie wirksam verhaltensorientierte Beratung bei der Verbesserung der Compliance von erwachsenen, chronisch erkrankten Patienten im Krankenhaus oder in Bezug auf Patienten mit einer konkreten chronischen Erkrankung ist, bleibt weiterhin unklar und sollte Gegen-stand zukünftiger Forschung sein. Studien, welche sich diesem Vorhaben annehmen, sollten über ein qualitativ hochwertiges Design sowie eine hinreichend hohe Stichproben-größe verfügen, ausreichend Teststärke vorweisen können, die Beratungsform genau definieren, valide Messinstrumente einsetzen und eine hohe Qualität der Beratung nachweisen können.

In Hinblick auf Compliance als primäre, abhängige Variable ist anzumerken, dass Beratung hier als Instrument zur Förderung der Therapietreue zusätzliche Effekte erzielt, welche als sekundäre, abhängige Variablen in Frage kommen, wie z.B. mit den Klienten entwickelte Beratungsziele und Verhaltensstrategien. Motivationen, Ziele, Problemlö-sungsstrategien usw. sind Outcomes, die vermutlich für jeden verhaltensorientierten Beratungsprozess relevant sind (siehe Kapitel 3.1 verhaltensorientierte Beratung) und die wahrscheinlich für Patienten, welche ihr Verhalten langsam und langfristig ändern, wichti-ge Meilensteine zu einer erfolgreichen Verhaltensänderung darstellen können. Daher soll-ten sie ebenfalls als Beratungsergebnisse in Form von sekundären Endpunksoll-ten gemessen werden.

40

Literaturverzeichnis

Anhang:

A.1 Tabellenverzeichnis A.2 Abkürzungsverzeichnis A.3 Eidesstattliche Erklärung

41

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43

Anhang

A.1 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Übersicht der von Knight et al. bewerteten Studien S. 32 Tabelle 2 Übersicht der gemessenen Effektivität von MI in den von Knight et

al. untersuchten Studien S. 33

Tabelle 3 Zusammenfassung der Studienergebnisse S. 36 Tabelle 4 Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der untersuchten Studien S. 37

44 A.2 Abkürzungsverzeichnis

Ø Durchschnitt

ART antiretrovirale Therapie

eDEMS Electronic Drug Event Monitoring System

log logarithmierte Zahl der Viruslast (Menge an Viren, die in einem bestimmten Volumen des Blutes vorkommt (normalerweise ein Milliliter))

max maximal

MEMS Medication Event Monitoring System MI motivational Interviewing

min minimal

n Stichprobengröße

SD Standardabweichung