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3. Kontextverarbeitung und Adaption 51

3.1.3. Struktur von Kontextdaten

Im vorhergehenden Abschnitt wurde beschrieben, dass das Kontextbewusst-sein mobiler Anwendungen und Geräte zu einer kontextabhängigen Adaption derselbigen führen kann. Diese Anpassung1kann es zum Ziel haben, die Nutz-barkeit mobiler Anwendungen zu erhöhen. Abbildung 3.1 veranschaulicht hier-zu einen Ausschnitt der von einem mobilen Gerät durch Sensoren erfassten Kontextinformation.

Kamera Gyroskop Lichtsensor

Abbildung 3.1.:Ausgewählte Sensoren eines mobilen Gerätes

Welche Kontextinformationen für diese Anpassung berücksichtigt werden können und wie sie klassifiziert werden, sollen nun im folgenden Abschnitt beschrieben werden. Der Fokus liegt entsprechend auf dem für diese Arbeit relevanten Teilbereich des Kontextes mobiler Geräte und ihrer Anwendungen.

Typen von Kontextdaten Für eine weitergehende Klassifikation von Kontex-tinformationen bietet es sich zunächst an, sie anhand der Schnittstelle, über

1Die Begriffe Anpassung und Adaption sind synonym zu verstehen.

3.1. Kontextsensitivität 55

die sie erfasst werden, zu klassifizieren. Schnittstellen, die diese Daten (aus ih-rer Umgebung) erfassen, werden auch als Sensoren bezeichnet. Diese Sensoren und die von ihnen wahrgenommenen Kontextdaten lassen sich nach Baldauf et al. in die folgenden drei Kategorien einteilen [BDR07]:

Physisch wahrgenommener Kontext: Diese Kategorie von Kontextdaten wird durchphysische Sensorenaus der realen Welt erfasst. Ein Beispiel ist die Temperatur, die über einen Temperatursensor wahrgenommen wird, die Helligkeit, die über eine Fotodiode wahrgenommen wird, oder die Beschleunigung, die über einen Beschleunigungssensor wahrgenom-men wird.

Virtuell wahrgenommener Kontext: Die Kategorie virtuell wahrgenom-mener Kontextdaten bezieht ihre Daten aus virtuellen Sensoren. Diese Kontextdaten werden übervirtuelle Sensorenerhoben und umfassen bei-spielsweise die Termine aus dem elektronischen Terminkalender eines Nutzers, die über eine entsprechende Schnittstelle abrufbar sind.

Abgeleiteter Kontext: Diese Kategorie von Kontextdaten wird über logi-sche Sensorenerfasst, die die Daten verschiedener physischer und virtu-eller Sensoren aggregieren und diese um zusätzliche Informationen aus Datenbanken oder weiteren Quellen anreichern, um neue Informationen zu generieren. Beispielsweise kann ein logischer Sensor die Daten eines Beschleunigungssensors so anreichern und auswerten, dass die verschie-denen Aktivitätsausprägungen wie Gehen, Laufen oder Fahrradfahren daraus abgeleitet werden können.

Hierarchien von Kontextdaten Das vorhergehende Beispiel zeigt, dass Kon-textdaten nicht nur nach der Art des Sensors, über den sie erfasst werden, klas-sifiziert werden können, sondern auch auf Basis des Grades der Verarbeitung unterschieden werden können. Insbesondere kann der Typ des abgeleiteten Kontextes weiter in verschiedene Hierarchien von Kontextdaten eingeordnet werden.

In diesem Zusammenhang unterscheiden Dey und Abowd in [DA99] Kon-textdaten anhand der Stufe der Aggregation in einen primären und sekun-dären Kontext. Primärer Kontext (primary context) ist in diesem Zusammen-hang jede Information, die ohne weiteren existierenden Kontext abgeleitet oder ohne jede Form von Sensordatenfusion erzeugt werden kann. Sekundärer Kon-text (secondary conKon-text) charakterisiert sich entsprechend über jede Informa-tion, die aus einem primären Kontext ermittelt werden kann. Ein sekundärer Kontext kann entsprechend beispielsweise durch die Aggregation von Sensor-daten erzeugt werden und entspricht damit dem von Baldauf et al. definierten abgeleiteten Kontext.

Am Beispiel der Rohdaten eines GPS-Sensors lassen sich so die gelieferten Werte in Bezug auf Höhen- und Breitengrad als der primäre Kontext beschrei-ben, wohingegen daraus abgeleitete Informationen wie der Abstand zwischen

zwei ermittelten Orten oder eine visuelle Darstellung dieser Information als sekundärer Kontext bezeichnet wird [PZCG14].

In diesem Zusammenhang werden von Dey in [Dey00] Kontextinformationen in Low-level- und in High-level-Informationen unterschieden. Erstere umfas-sen hierbei die Menge an Kontextinformationen, die sich direkt mithilfe physi-scher und virtueller Sensoren wahrnehmen lassen, wie beispielsweise die Tem-peratur oder die Spannung (elektrisches Potential) des Akkus eines mobilen Gerätes. Letztere beziehen sich hingegen auf den abgeleiteten Kontext, der sich aus der Verarbeitung von Low-level-Informationen ergibt. Wie allerdings von Sigg in [Sig08] festgestellt wird, ist die Abgrenzung dessen, was als Rohda-ten, Low-level-Kontext oder High-Level-Kontext bezeichnet wird, nicht immer eindeutig. Generell merkt Sigg hierzu an, dass höhere Formen der Kontextre-präsentation öfter symbolische Präsentationen darstellen, niedrigere dagegen numerische, wie in Tabelle 3.1 veranschaulicht wird.

Folglich sollen in der vorliegenden Arbeit die Kontextdaten physischer und virtueller Sensoren als primärer Kontext oder Low-level-Kontext verstanden werden. Gleichzeitig sollen die Kontextdaten logischer Sensoren als abgeleite-ter Kontext und damit als High-Level-Kontext verstanden und damit als hier-archische Struktur für Kontextdaten herangezogen werden.

High-level Kontext Low-level Kontext Rohdaten Kontextdatenquelle

Laufen 14°C 1001111 Thermometer

Laufen 57.2°F 1001111 Thermometer

Telefonieren 64dB 109 Mikrofon

Lautstärkemessung 64dB 109 Mikrofon

am Strand 53.538671'N;

9.927731'E

GPRMC

(..A,7153.8671,N,..) GPS-Sensor auf der Bank 34.122777'N;

118.303890'W

GPRMC

(..7734.1227,N,..) GPS-Sensor

Schreiben z 0x7a Tastatur [de]

Büro besetzt z 0x7a Tastatur [de]

Tabelle 3.1.:Hierarchien von Kontextdaten nach [Sig08]

Auf Basis der Untersuchung verschiedener Kontextklassifizierungen soll damit zusammenfassend festgehalten werden, dass als primäres Strukturie-rungsmerkmal für Kontextdaten oft hierarchische Strukturen herangezogen werden, wie es ebenso von Kühn et al. in [KKS13] festgestellt wurde.

Granularität und Qualität Bei Betrachtung der zuvor vorgestellten Hierar-chien von Kontextdaten liegt es nahe, dass die verschiedenen Aggregationsebe-nen nur bis zu einem bestimmten Grad teilbar sind. In diesem Zusammenhang wird von Himberg in [Him04] und nachfolgend von Baldauf et al. in [BDR07] in ähnlicher Form der Begriff des Kontextatoms definiert, welches nach Himberg als Merkmal gemeinsam als kleinste unteilbare Menge an

Kontextinformatio-3.1. Kontextsensitivität 57

nen mit semantischer Bedeutung beschrieben wird [Him04]. Nach [HMNS13]

stellt ein Kontextatom beispielsweise ein aus einem Sensordatenstrom abge-leitetes Merkmal dar, welches sich aus einer Attributgenerierung (feature ex-traction) ergibt und als kontinuierlicher normalisierter Wert darstellen lässt:

„We call the extracted features context atoms. Each atom describes the action of the user and/or state of the environment. [. . . ] We define the context atom as a continuous variable from 0 to 1. A context atom is a single feature that has been extracted from the environment of the node.“

[HMNS13]

In dieser Arbeit soll stellvertretend für die vorgenannte Definition der Be-griff Kontextattribut gelten, der unter anderem in [vSvHW+06] gleichbedeu-tend mit dem Begriff des Kontextatoms von Himberg verwendet wird. Nach Baldauf et al. besitzt solch ein Kontextattribut zwei Ausprägungen, anhand derer es beschrieben werden kann: seinen Typ, zum Beispiel „Temperatur“, und seinen Wert, beispielsweise „20 C“, wobei die Einheit vom Typ des Kon-textatoms abhängig ist. In diesem Zusammenhang wird von Baldauf et al. an-gemerkt, dass diese Art von Kontextinformation für die Entwicklung kontext-sensitiver Anwendungen oft nicht ausreichend ist und weitere Attribute wie die Zeit, die Quelle und die Sicherheit der Messung eines Kontextattributs als zusätzliche Information eines Kontextatoms oder Kontextattributs herangezo-gen werden sollten [BDR07]. Die Sicherheit über eine bestimmte Kontextinfor-mation wird von Buchholz et al. als Qualität eines Kontexts bezeichnet (quality of context) und ist definiert als: „any information that describes the quality of information that is used as context information.“ [BKS03].Nach [vSvHW+06]

kann diese Kontextqualität anhand der folgenden Kriterien, die im Sinne von Metainformationen die Qualität einer Kontextinformation definieren, näher charakterisiert werden:

Genauigkeit (accuracy): Die Differenz zwischen dem Wert des Kontextat-tributs und dem realen Zustand, den es repräsentiert.

Konfidenz (probability of correctness): Die von der Kontextquelle ermit-telte Sicherheit, dass sie den richtigen Wert bereitstellt

Vertrauenswürdigkeit (trustworthiness): Die vom Empfänger eines Kon-textattributs ermittelte Sicherheit, dass das von der Kontextquelle be-reitgestellte Kontextattribut den richtigen Wert hat.

Aktualität (up-to-dateness): Das Alter einer Kontextinformation, übli-cherweise repräsentiert durch einen Zeitstempel.

Diese Charakterisierung verdeutlicht, dass einzelne Kontextattribute in eine Reihe von Dimensionen eigeordnet werden können, um ihnen über die Gren-zen einer Hierarchisierung und Typisierung hinweg zusätzliche Bedeutung zuzuordnen. Die Zuordnung von Kontextinformationen in diese Dimensionen schafft eine weitergehende Strukturierung von Kontextdaten, die nachfolgend

vorgestellt werden soll, um die im Verlauf dieser Arbeit verwendeten Kontext-informationen entsprechend einordnen zu können.

Dimensionen des Kontexts Im Zusammenhang mit der Strukturierung von Kontextdaten in Dimensionen bietet es sich hierzu an, zunächst die grundle-gende Klassifikation von Schilit in [Sch95] heranzuziehen, die Kontextinfor-mationen auf Basis der folgenden drei Fragen einordnet:

Where you are:This includes all location related information such as GPS coordinates, common names (e.g. coffee shop, university, police), specific names (e.g. Canberra city police), specific addresses, user prefe-rences (e.g. user’s favourite coffee shop).

Who you are with:The information about the people present around the user.

What resources are nearby: This includes information about re-sources available in the area where the user is located, such as machi-nery, smart objects, and utilities.

Obwohl diese initiale Definition bereits eine hohe Passfähigkeit in Bezug auf das in dieser Arbeit primär betrachte Anwendungsgebiet mobiler Geräte auf-weist, wird sie einer Reihe der Dimensionen der umfassenderen Kontextdefini-tion von Dey nicht gerecht. In diesem Zusammenhang findet sich in [KKS13] ei-ne umfassende Klassifizierung der Dimensioei-nen des Kontexts mobiler und ubi-quitärer Systeme, die die Dimensionen Interaktionskontext, sozio-technischer Kontext, physischer Kontext, Taskkontext, räumlicher Kontext und tempora-ler Kontext unterscheidet.

Im Zusammenhang mit dem in dieser Arbeit untersuchten Kontext mobiler Geräte, im Hinblick auf ihre Kooperation mit der sie umgebenden Infrastruk-tur, fokussiert sich der relevante Kontext im Wesentlichen auf die letzten vier Dimensionen, die entsprechend im folgenden Abschnitt im Rahmen der Be-trachtung domänenspezifischer Kontextmodelle mobiler Geräte weiter detail-liert werden.

Kontext mobiler Geräte Die Untersuchungen verschiedener domänenspezi-fischer Kontextmodelle für mobile Geräte [VIP16, Mül10, PZCG14] zeigen, dass eine Vielzahl verschiedener Modelle existieren, von denen an dieser Stelle stellvertretend nur ein repräsentatives und im Anschluss ein im Hinblick auf diese Arbeit besonders relevantes vorgestellt werden sollen. Ferreira klassifi-ziert hierzu in [Fer13], basierend auf einer Definition von Dey und Abowd in [DA99], den Kontext mobiler Geräte anhand der folgenden Dimensionen:

Who:the unique identity of the entities (e.g. sensor or application).

3.1. Kontextsensitivität 59

What:the characteristics of the entities that can be labeled, measured or inferred (e.g. a label for a geo-location coordinate, currently engaged physical activity for a person, etc.)

When:the instance of time in which the event is occurring Where:the location (e.g. place, application, sensor) of the event

Why:the intelligibility of the system or application, the user intent and accountability of the system, application and user

Ein konkreteres und weitgehend dieselben Kontextdimensionen abdecken-des Modell wird von Mayrhofer et al. in [MRF03] vorgeschlagen und nimmt eine Kategorisierung des Kontexts anhand der folgenden Attribute vor:

geografisch: der Ort, die Straße, der Raum

physisch: die Helligkeit, die Lautstärke oder die Temperatur organisatorisch: die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe sozial: der Familienstand oder Beziehung zu einer Person emotional: der Puls oder der Blutdruck

nutzerbezogen: das Nutzungsprofil des mobilen Geräts, wie „lautlos“

taskabhängig: arbeitend oder schlafend

aktionsabhängig: sitzend, laufend, stehend oder fahrradfahrend

In diesem Zusammenhang und bei Betrachtung der verschiedenen Defini-tionen soll festgehalten werden, dass sich räumliche und zeitliche Bezüge in vielen der vorgestellten Definitionen als wichtige Dimensionen wiederfinden, so wird auch von [BBH+10] festgestellt, dass der Aspekt der räumlichen Be-züge (spatial model) ein entscheidender Faktor in vielen Kontextdefinitionen ist, auch da er relativ einfach zu ermitteln ist. Diese Klassifizierung weist ei-ne hohe Passfähigkeit zu den Dimensioei-nen des Kontextes mobiler Geräte auf, der in dieser Arbeit betrachtet wird, und soll entsprechend im Folgenden als stellvertretend herangezogen werden.

Ferreira merkt in diesem Zusammenhang an, dass die so entstehende Men-ge an Kontextinformationen, die von mobilen Geräten erhoben werden, von ebendiesen mobilen Geräten nicht immer eigenständig und in gewünschter Qualität verarbeitet werden kann [Fer13]. Entsprechend soll, nachdem defi-niert wurde, wie Kontextinformationen beschrieben werden können und wel-cher Teil des Kontextes für mobile Geräte besonders relevant ist, im Folgenden erläutert werden, wie diese Informationen im Hinblick auf die Nutzung in mo-bilen Anwendungen effizient verarbeitet werden können.