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Was die Struktur betrifft ist zuerst die Informationsvergabe87 von Bedeutung. Fragen wie ob es Vorinformationen gibt, die schon Aufschluss über den Verlauf geben könnten, z.B. durch Titel oder Gattung.

Bei der Relation sprachlicher zu außersprachlicher Informationsvergabe gibt es drei Möglichkeiten: ident, komplementär oder diskrepant. Wird auf außersprachlicher Ebene das gleiche gezeigt wie auf sprachlicher Ebene gesagt? Oder wird es komplementär, oder zumindest individualisiert und interpretierend konkretisiert? Vor allem in neueren Texten kann sich auch eine radikale, logisch nicht auflösbare Diskrepanz zwischen sprachlich und außersprachlich vermittelten Informationen zeigen.

85 Sucher, C. Bernd: „Macht kein politisches Theater, sondern macht es politisch.“ Zur Rezeption

französischer Dramatiker auf deutschen Bühnen. In: Floeck, Wilfried (Hrsg.): Zeitgenössisches Theater in Deutschland und Frankreich, Francke Verlag, Tübingen 1989, S 76

86 Ingaden, R. (1960), zitiert in: Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S 35

87 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S 67-148

Für die Informationsvergabe ist auch diskrepante Informiertheit zwischen ZuschauerInnen und Figuren wichtig.

Hier sind zwei Formen wichtig:

- Unterschiede im Grad der Informiertheit zwischen den dramatischen Figuren - Unterschiede zwischen den dramatischen Figuren und dem Publikum.

Informationsvorsprung der Zuschauer ist nach Pfister in der Geschichte dramatischer Texte von der Antike bis zur Gegenwart die dominierende Struktur diskrepanter Infor-miertheit. Sie erlaubt es dem Zuschauer die Unterschiede im Informiertheitsgrad der Figuren untereinander zu erkennen.

Informationsvergabe am Drameneingang:

Es gibt die Möglichkeiten eines dominanten Vergangenheitsbezuges, wo die expositori-sche Informationsvergabe dominiert und die dramatiexpositori-sche Situation dem untergeordnet ist. Bei dominantem Gegenwartsbezug wird die expositorische Informationsvergabe durch die gegenwärtige Situation motiviert und bleibt untergeordnet. Die Vorgeschichte wir nur dort gezeigt, wo sie für die bestehende Situation relevant ist.

Vor allem am Textanfang ist auch die außersprachliche Informationsvergabe durch Bühnenbild, Kostüme, Schauspieler, Requisiten etc. für die Einschätzung der Situation, Ort und Zeit wichtig.

Informationsvergabe am Dramenende:

Beim geschlossenen Dramenende werden alle offenen Fragen, alle Informationsdiskre-panzen und alle Konflikte mit einem eindeutigen Schlusssignal aufgelöst. Damit wird auch die intendierte Rezeptionsperspektive fixiert, die Situation einer Figur am Dramen-ausgang stellt ein Bewertungssignal in Bezug auf ihre Verhaltensnormen dar. Beim offenen Dramenende werden die Informationsdiskrepanzen nicht aufgehoben und die Konflikte nicht gelöst.

Perspektivenstruktur:

Trotz kongruenter Informiertheit kann es aufgrund unterschiedlicher psychologischer Disposition der Figuren zu einer Diskrepanz der Perspektiven kommen. Man unter-scheidet zwischen Figurenperspektive und der vom Autor intendierten

Rezeptions-perspektive.88 Der dramatische Text ist ein Arrangement miteinander korrespondier-ender und kontrastierkorrespondier-ender Figurenperspektiven. Auf Ebene des inneren Kommunika-tionssystems ist er polyperspektivisch, die einzelnen Figurenperspektiven sind gleich-wertig. Immer wieder aber gibt es im Drama ein vermittelndes Kommunikationssystem, eine Erzählfunktion. Die Perspektive der Figur, die Träger der vermittelnden Erzähl-funktion ist, erscheint den übrigen Figurenperspektiven übergeordnet, kann aber nicht mit der auktorial intendierten Rezeptionsperspektive gleichgesetzt werden, da die unter-geordneten Figurenperspektiven immer in irgendeiner Weise konkretisierend oder rela-tivierend wirken.

Wie steuert der Autor die Konstitution der auktorial intendierten Perspektive?

A-perspektivische Informationsvergabe89 ist außersprachlich vermittelte. Diese macht nur einen Teil aus, der andere Teil resultiert aus sprachlichen Informationen. Bei Ab-weichungen der beiden Informationen, kann man daraus Schlüsse ziehen. Das Verhalten einer Figur und der Handlungsablauf ermöglicht Bewertungssignale ihrer Figurenper-spektive. So zum Beispiel wird durch einen glücklichen Handlungsausgang die Perspek-tive einer Figur bestätigt.

Aus der Strukturierung des Ensembles der Figurenperspektiven ergibt sich eine Steuer-ungstechnik für die auktorial intendierten Rezeptionsperspektive.90

Es zwei Dimensionen:

Die paradigmatische zielt auf Umfang und Streuung und die Gewichtung der einzelnen Figurenperspektiven ab. Die Gewichtung wird mit der Wichtigkeit der Figur erhöht und dem Fokus, den sie bekommt.

Die syntagmatische Dimension ist eine Strukturierung des Ensembles der Figurenper-spektiven über das der Zuschauer einen Überblick hat. Die Relation zwischen informiertheit und Zuschauerinformiertheit ist ein Teilaspekt der Relation von Figuren-perspektive und auktorial intendierter RezeptionsFiguren-perspektive.

Es lassen sich drei idealtypische Modelle der Perspektivenstruktur herausfiltern91: Figurenperspektive und vom Autor intendierte Rezeptionsperspektive decken sich weit-gehend (a-perspektivische Struktur), die Konvergenzlinie der korrespondierenden und

88 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S91

89 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S94

90 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S96

91 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S 99ff

kontrastierenden Figurenperspektiven zeigen für den Zuschauer die auktorial intendierte Rezeptionsperspektive (geschlossene Struktur), und die offene Perspektivenstruktur, wo eine einheitliche Konvergenzlinie fehlt und somit keine konkrete Wertnormen vermittelt werden, sondern eine perspektivische Relativität gezeigt wird.

Epische Kommunikationsstrukturen

Die drei wichtigsten Tendenzen einer Episierung sind laut Pfister:92 Aufhebung der Finalität:

Im epischen Drama sind die Einzelszenen selbständiger, nicht so auf den Handlungs-ausgang bezogen. Es sind mehr Stationen oder Episoden.

Aufhebung der Konzentration:

Das epische Drama versucht die Wirklichkeit in ihrer Totalität zu zeigen und Kausal-zusammenhänge transparent zu machen.

Aufhebung der Absolutheit:

Im epischen Drama gibt es ein vermittelndes Kommunikationssystem, wie bei narra-tiven Texten. Die Überlagerung der Spielebene des inneren Kommunikationssystems durch eine epische Ebene der Reflexion und des Kommentars, bestimmt die Struktur.

Epische Kommunikationstechniken:

Auktoriale Episierung – z.B. auktorialen Nebentext, der deskriptiv oder kommentierend sein kann, oder auch Projektionen, Spruchbänder, Szenentitel. Auch in der Montage eta-bliert sich ein vermittelndes Kommunikationssystem, wenn die raum-zeitliche Kontinui-tät des Dargestellten durchbrochen wird.

Es gibt Episierung durch spielexterne oder durch spielinterne Figuren.

Epische Kommunikationsstrukturen können auch in Dialog oder Monolog punktuell auftreten, wenn eine dramatische Figur in deutliche Distanz zur Situation tritt und diese von außen kommentiert. Der Grad der Situationsabstraktheit ist hier ausschlaggebend.

Besonders die Komödie hat eine Affinität zum Epischen.

Außersprachliche Episierung wäre zum Beispiel ein Stil der Rollendistanz des Schau-spielers, durch den die Vermittlungsfunktion deutlich gemacht wird.

92 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S 103ff

Spannungspotential

„Spannung im engeren Sinn (suspense) bezieht sich auf die linearsequentielle Ablauf-struktur des Textes; Spannung im weiteren Sinn (tension) ergibt sich dagegen aus der Relation des Kontrasts und Gegensatzes zwischen gleichzeitig gegebenen oder in einem von der zeitlichen Dimension des Nacheinander abstrahierenden Analyseansatz als gleichzeitig betrachteten Elementen eines Textes.“93

Spannung und partielle Informiertheit

„Dramatische Spannung im Sinne einer Neugier auf die zukünftige Handlung kommt nur auf, wenn sich die weitere Entwicklung in Umrissen schon abzeichnet. Dazu ist es nötig, die Zukunft teilweise vorzunehmen. Diese Antizipation wird als Vorausdeutung bezeichnet.“94

Spannung ergibt sich aus einer unterschiedlichen Informiertheit von Figuren und Rezi-pienten. „Spannung realisiert sich immer im Spannungsfeld von Nichtwissen und anti-zipierender Hypothese aufgrund gegebener Informationen.“95

Faktoren die die Spannung beeinflussen sind Identifikation mit einer Figur. Je stärker die Identifikation desto höher die Spannung. Das Spannungspotential wächst auch mit der Größe des Risikos und der Fallhöhe und mit der Zukunftsorientierung der Informa-tionen, damit die Rezipienten antizipierende Hypothesen bilden können. Aus dem Wissen um Pläne und Hindernisse kann sich partielle Informiertheit entwickeln, die Spannung erzeugt und zeitliche Terminierung des Vorhabens, sodass das bloße Ver-gehen der Zeit spannend wird. Durch Manipulation von Erwartungen wird ein hohes Spannungspotential erzeugt. Durch die expositorische Informationsvergabe wird die Grundlage für eine antizipierende Hypothesenbildung und für Spannungspotential geschaffen.

Man kann zwischen Finalspannung und Detailspannung unterscheiden. Das Spann-ungspotential ergibt sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Spannungsbögen, die von verschiedener Reichweite sein können. Finalspannung erstreckt sich über den

93 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S142

94 Asmuth, Bernhard: Einführung in die Dramenanalyse, 6. Auflage, Stuttgart 2004, S 115

95 Pfister, Manfred: Das Drama, 11. Auflage, München 2001, S 143

verlauf, Detailspannung umfasst kürzere Sequenzen. Die beiden verstärken sich gegen-seitig.