• Keine Ergebnisse gefunden

Die heutige moderne Strahlentherapie und die Radiologie wären ohne das Wissen der grundlegenden Wirkung ionisierender Strahlung nicht vorstellbar. Die Gefahren und Risiken einer un-kritischen Anwendung der Röntgenstrahlung in der Diagnostik müssen jedem Radiologen bewusst sein; dies dient sowohl der Sicherheit des Patienten als auch der eigenen Sicherheit. Durch die CT und die interventionellen radiologischen Verfahren nimmt die Dosisbelastung für Patienten und Arzt wieder zu.

Wissen über strahlenbiologische Grundlagen und der Umgang mit ionisierenden Strahlen sind notwendig.

Die ionisierende Strahlung verliert beim Durchtritt durch die Materie oder den Körper einen Teil ihrer Energie durch Ab-sorption. Die Energieabgabe erfolgt dabei durch Anregung und Ionisation (Primärprozesse). Im biologischen Gewebe ist nur die absorbierte Energie der Strahlung wirksam, die Zellschäden her-vorrufen kann. Durch chemische und biochemische Prozesse können Veränderungen an Biomolekülen hervorgerufen werden (Sekundärprozesse). Die Wirkung ionisierender Strahlung lässt sich in Phasen einteilen. Die Veränderungen an Biomolekülen entstehen durch unmittelbare oder mittelbare Übertragung von Strahlungsenergie auf Biomoleküle (direkte oder indirekte Strah-lenwirkung).

Durch die Energieabsorption im Gewebe kann es zu tion, Molekülanregung und Wärme kommen. Durch die Ionisa-tion von Wassermolekülen entstehen H2O+ und ein freies Elek-tron, in Folgereaktionen H- und OH-Radikale. Außerdem ent-stehen hydratisierte Elektronen. Die Reaktionsprodukte greifen direkt an Biomoleküle an und reagieren mit Sauerstoff zu Peroxid-radikalen, die an Biomolekülen angreifen können.

Biochemische Reaktionen können Veränderungen an Bio-molekülen bewirken. Veränderungen der Nukleinsäuren der DNA führen zu genetischen Schäden, Veränderungen an ande-ren Biomolekülen, z. B. Proteinen oder Lipiden, zu Schädigun-gen von Körperzellen oder des Embryos (somatische und terato-gene Strahlenschäden).

Durch direkte Strahlenwirkung kann es zur primären Schädigung der Zelle kommen. Indirekt können die Zellen über entstehende freie Radikale geschädigt werden (Strahlenwir-kung).

2.1.1 Phasen der Strahlenwirkung

Die Strahlenwirkung läuft im biologischen Gewebe über 4 Stufen ab. Die physikalische Phase entspricht der Energieabsorption im Gewebe, bewirkt Ionisation, Molekülanregung und Wärme. Sie erfolgt innerhalb von 10–60 s.

Physikalische/klinische Phase. Hierbei kommt es zu einer pri-mären Schädigung der Zelle durch die Reaktion der angeregten oder ionisierten Atome oder Moleküle mit anderen Molekülen.

Dabei entstehen freie Radikale, im Wesentlichen Wasserradikale.

Ca. 1 ms nach Strahlenexposition sind die Bildung und die Fol-gereaktion der freien Radikale abgeschlossen.

Biochemische Phase. In ihr laufen eine große Zahl chemischer und biochemischer Prozesse ab: Hydroxylierungen, Decarboxy-lierungen, Reduktionen und Oxidationen. Dadurch können sich organische Moleküle verändern. Ihre Dauer schwankt zwischen Sekunden und Jahren. In dieser Phase stehen enzymatische Re-aktionen sowie Reparaturprozesse der Veränderungen der Bio-moleküle im Vordergrund.

Biologische Phase. Die biologische Phase umfasst die Auswir-kung der physikalischen und chemischen Abläufe. Sie verursa-chen Störungen der Vitalfunktion am biologisverursa-chen Substrat, die bis zum Zelltod führen können. Gleichzeitig können latente oder manifeste Schäden auftreten, die sowohl den Zelltod als auch Mu-tationen bewirken. DNA-Schäden sind dabei besonders schwer-wiegend (s. unten), da die DNA in der Zelle nur einmal vorhan-den ist und sie alle für die Zelle relevanten Informationen enthält.

Diese Phase kann mehrere Jahre bis Jahrzehnte betragen.

2.1.2 Strahlenschäden an der Zelle

Radiobiologische Untersuchungen von Zellen haben wesent-lich zum Verständnis der Wirkung ionisierender Strahlen auf Normal- oder Tumorgewebe beigetragen. Die Strahlenwirkung betrifft jede einzelne Zelle, wird aber durch den Zellverband modifiziert. Hemmung der Zellproliferation und Zelltod sind die schwerwiegendsten und in Tumorgewebe erwünschten Strahlen-wirkungen.

Ionisierende Strahlen schädigen dosisabhängig biologische Strukturen. Die Folgen der Schädigung werden nach einer Latenz-zeit, während die Zell- und Organgzerstörung abläuft, manifest.

Genetische Strahlenschäden entstehen nach der Einwirkung ionisierender Strahlung auf Erbfaktoren oder funktionelle Ab-schnitte der DNA (Mutation).

Jede proliferierende Zelle durchläuft einen Zyklus, der sich in Mitosephase und Intermitosephase einteilen lässt. In der Mito-sephase (M-Phase) findet die Zellteilung statt. Die Intermitose-phase lässt sich weiter unterteilen in die G1-Phase, S-Phase und G2-Phase.

In der G1-Phase werden Zytoplasma und Zellorganellen, Enzyme und Bausteine zur Vorbereitung auf die DNA-Synthese produziert. In der Phase wird die DNA repliziert, die Chromosomen haben nun 2 Chromatiden (Diploe der Chromo-somen) (. Abb. 2.1).

Abb. 2.1. Generationszyklus der Zellen. G1-Phase = Wachstumsphase der Zellen; G0-Phase = Ruhephase der Zelle

.

2

13

In der G2-Phase werden Proteine und RNA synthetisiert und die Mitose vorbereitet. Die Mitosephase läuft in Abhängig-keit vom Zelltyp in einem genauen zeitlichen Rahmen von ca.

8–20 h ab.

In der G1-Phase dagegen gibt es eine erhebliche zeitliche Variationsbreite von wenigen Stunden bis Tagen. Proliferierende Zellen können den Zellzyklus verlassen und in eine Ruhephase, die G0-Phase, eintreten. Aus dieser G0-Phase können sie wieder-um in die G1-Phase eintreten oder differenzieren und sterben nach einiger Zeit ab. Untersuchungen haben gezeigt, dass Zellen in den einzelnen Zyklusphasen eine unterschiedliche Strahlen-sensibilität aufweisen.

Die Strahlenempfindlichkeit ist in der M-Phase am größten, am zweitgrößten in der G2-Phase und in der frühen S-Phase. Im weiteren Verlauf ist die S-Phase sehr strahlenresistent, auch die lange G1-Phase ist relativ strahlenunempfindlich. Zu den ersten Strahlenwirkungen zählen die vorübergehende Teilsynchronisie-rung des Zyklus und die Abnahme der Mitoserate. Die Dauer des Zellzyklus nimmt zu, nach einiger Zeit treten überlebende Zellen wieder in strahlensensible Zyklusphasen ein und sprechen dann wiederum auf erneute Bestrahlung an.

Strahlenwirkung auf Zellbestandteile

DNA-Schäden wirken sich besonders ungünstig auf die Zellen aus. Durch direkte oder indirekte Strahlenwirkung können fol-gende DNA-Schaäden vorkommen (. Abb. 2.2, . Abb. 2.3):

Einzelstrangbruch Doppelstrangbruch

DNA-Vernetzung mit intra- oder intermolekularen Verbin-dungen (crosslinks)

Basenschäden, bei denen chemische Modifikationen oder Basenverluste auftreten.

Mehrfachschäden, wobei mehrere DNA-Schäden in Kombi-nation auftreten (bulky lesion).

Reparaturmechanismen

Zelluläre Systeme können Strahlenschäden z. T. vollständig wieder reparieren.Nach einer Strahlenexposition können inner-halb von Minuten bis Tagen Reparaturen des Schadens erfolgen.

So werden z. B. Einzelstrangbrüche sowie Basenschäden durch Herausschneiden des geschädigten Abschnitts behoben.

Doppelstrangbrüche können ebenfalls repariert oder un-schädlich gemacht werden. Auch Mehrfachschäden können 44

4 4 4

Abb. 2.2. Direkte und indirekte Strahlungswirkungen können zu Verän-derungen von Molekülen führen

. Abb. 2.3. Verschiedene Arten der DNA-Schäden durch ionisierende

Strahlung . 2.1 · Strahlenwirkung auf biologisches Gewebe

14 Kapitel 2 · Strahlenbiologie und Strahlenschutz

2

durch unterschiedliche Reperaturmechanismen beseitigt wer-den. Die Apoptose (programmierter Zelltod) stellt ein wichtiges Reparatursystem dar, um irreparable Zellschäden durch Zellun-tergang zu beseitigen.

Folgen von Strahlenschäden

Durch direkte und indirekte Strahlenwirkung und durch fehler-hafte Reparaturen können Mutationen auftreten. Mutationen sind irreversible Schäden der genetischen Information. Es gibt Gen- oder Punktmutationen, Chromosomen- und Genom-mutationen. Bei Punktmutationen treten Veränderungen eines Nukleotids auf, z. B. Verlust einer Base (Deletion) oder Ersatz einer Base durch eine andere (Transition und Transversion) so-wie die Umkehrung der Reihenfolge der Basen (Inversion).

Bei Chromosomenmutationen treten Veränderungen der Chromsomenstruktur auf (Deletion, Duplikation, Translation, Inversion). Dabei können nur ein Arm, aber auch beide Arme eines Chromosoms betroffen sein. Auch die Ausbildung von Ring- oder dizentrischen Chromosomen kommt vor. Der Nach-weis dieser Veränderungen in Lymphozyten erlaubt eine Aussage über die empfangene Strahlendosis (Chromosomenaberrations-analyse).

Bei Genommutationen sind Veränderungen in der Anzahl der Chromosomen nachweisbar, z. B. Monosomie oder Trisomie.

Mutationen führen nicht immer zu klinischen Veränderun-gen, sie können stumm bleiben, aber auch zur Entartung oder Tod der Zelle führen.

2.1.3 Akute Strahlenfolgen am menschlichen Körper

Akute Strahlenfolgen treten in einem Zeitraum von bis zu 90 Ta-gen nach Strahlenexposition auf. Betroffen sind v. a. Gewebe mit einem hohen Zellumsatz und das Gefäßsystem. Rasch prolife-rierende und somit früh reagierende Gewebe haben eine hierar-chische Proliferationsorganisation; die Bestrahlung führt zu einem Verlust der Stammzellen, der sich bei diesen Geweben rasch in einem Mangel an funktionstüchtigen Zellen äußert und zu Funktionseinschränkungen führt.

Beim Gefäßsystem kommt es zunächst zu einer Vasodilata-tion der Kapillaren und einer KontrakVasodilata-tion der Venolen, was zu einer Hyperämie (Erythem) und erhöhter Gefäßpermeabilität (Ödem) führt.

Als »Akutes Strahlensyndrom« (akute Strahlenkrankheit) wird eine Vielzahl von Symptomen zusammengefasst, die nach ausgedehnten Teil- oder Ganzkörperstrahlenexposition auftritt.

Die Ausdehung der Strahlenkrankheit ist von der Dauer und Intensität der Strahlenexposition abhängig.

Das akute Strahlensyndrom verläuft üblicherweise in 3 Phasen:

Prodromalphase, gekennzeichnet durch Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen. Sie tritt umso früher auf, je höher die Dosis ist.

Latenzphase, in der der Betroffene weitgehend asymptoma-tisch ist.

Hauptphase, in der der Strahlenschaden manifest wird.

4

4 4

Eine Dosis von bis zu 2 Gy führt zu Ermüdungserscheinungen und Konzentrationsstörungen, ab 7 Gy ist die Dosis letal. Die mediane Letaldosis beträgt 3–4 Gy (LD 50, d. h. 50% der Strah-lenexponierten sterben innerhalb von 30 Tagen).

2.1.4 Chronische Strahlenfolgen

Chronische Strahlenfolgen treten ab 90 Tage nach der Strahlen-exposition auf. Betroffen sind Gewebe mit einem niedrigem Zell-umsatz, Bindegewebe, aber auch das Gefäßsystem. Durch den langsamen Zellumsatz zeigen diese Gewebe eine hohe Repara-turkapazität. Der Verlust an Stammzellen wirkt sich bei diesen Geweben jedoch nicht so gravierend aus. Chronische Strahlen-folgen sind von Strahlentherapeuten gefürchtet, da sie irreversi-bel, teilweise progredient und schlecht therapierbar sind.

2.1.5 Lokale Strahlenfolgen

Hämatopoetisches System. Das Knochenmark ist sehr strah-lenempfindlich, v. a. die pluripotenten Stammzellen sind sehr empfindlich. Eine Einzeitbestrahlung von 3–4 Gy reduziert die Stammzellen um ca. 90%. Stammzellen können aus der Periphe-rie oder unbestrahltem Knochenmarkbereichen nachwandern.

Gastrointestinaltrakt. Der Dünndarm ist am strahlenempfind-lichsten, es kommt durch Absterben der Epithelzellen zu einer Strahlenenteritis mit Resorptionsstörung, blutiger Diarrhoe, Wasser- und Elektrolytverlust. Am Colon entsteht eine Strahlen-proktitis.

Leber. Bei einer Strahlenexposition der Leber >30 Gy kommt es zu einer Strahlenhepatitis mit allmählichem Verschluss der Zentralvenen. Klinisch zeigt sich dies durch einen Anstieg der Leberenzyme, Ikterus, Hepatomegalie und Aszites.

Niere. Die Nieren sind relativ strahlenunempfindlich, nach ent-spechend hoher Strahlenexposition kommt es jedoch zu einer Strahlennephropathie mit Tubulusatrophie und interstitieller Fibrose, die sich etwa 6 Monate nach Bestrahlung manifestiert.

Ein strahleninduzierter Hypertonus kann sich auch noch 10 Jah-re nach Bestrahlung manifestieJah-ren.

Lunge. Nach einer Strahlenexposition von 20–30 Gy kann sich akut nach 4–8 Wochen eine Strahlenpneumonitis zeigen, die sich klinisch ähnlich wie eine atypische virale Pneumonie äußert (Husten, Dyspnoe), aber auch asymptomatisch verlaufen kann.

Als chronische Strahlenfolge kann sich dann eine Lungenfibrose ausbilden.

Herzkreislaufsystem. Als akute Strahlenfolgen können EKG-Veränderungen auftreten, als Langzeitfolgen Perikardergüsse, Perikarditis. An den Gefäßen treten Veränderungen in Abhän-gigkeit von der Gefäßgröße auf. An großen Gefäßen treten kaum akute oder chronische Strahlenschäden auf. An den Arteriolen und im Kapillarbett treten chronische Strahlenfolgen relativ spät