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Stockholm: Atlantis 2009, 360 S

Im Dokument Nordeuropa Forum 1-2.2010 (Seite 196-200)

Mit seinem Buch „Der widerstrebende Europäer – Schwedens Weg nach Euro-pa“ legt Ulf Dinkelspiel eine Art Memoi-ren vor, die voll und ganz auf seine politi-sche Herzensfrage fokussiert sind – Schweden in der EU. Als Diplomat und Politiker war er fast 40 Jahre am schwe-dischen Annäherungsprozess zur heutigen Europäischen Union unmittelbar beteiligt.

Er vertrat Schweden als Unterhändler in den Verhandlungen über ein Freihandels-abkommen in den Jahren 1970–1972 und über den Europäischen Wirtschaftsraum zu Anfang der 1990er Jahre. Mit dem Amtsantritt der Regierung Bildt wurde er als Europa- und Handelsminister schließ-lich auch politischer Entscheidungsträger bei der Aushandlung der Beitrittsverträge und ein exponiertes Gesicht der Ja-Seite bei den Volksabstimmungen über den Beitritt zur EU 1994 und die Einführung des Euros 2003.

Dinkelspiel legt Wert auf die Feststellung, dass er sein Buch nicht als Memoiren versteht, sondern als einen Erfahrungsbe-richt aus der Arbeit an den Schnittstellen zwischen Schweden und den verschiede-nen Institutioverschiede-nen der europäischen

Integ-kennen gelernt hat, und mithin als eine Art Handbuch für kommende Generatio-nen. Er konzipiert das Werk entsprechend einzig um dieses Thema, weshalb die in Memoiren üblichen Angaben zum persön-lichen und berufpersön-lichen Werdegang ausge-spart bleiben, sofern sie nicht direkt mit dem Thema EU verknüpft sind.

Vor den Abschnitt über sein eigenes Wir-ken stellt der Autor drei einleitende Kapi-tel, in denen er die Vorgeschichte und Ausgangslage zu Beginn seiner Karriere darlegt (S. 13–44). Dabei ordnet er unter anderem die so genannte „Metallrede“

Tage Erlanders von 1961 und die außen-politischen Auswirkungen der Wahl Olof Palmes zum Ministerpräsidenten 1969 ein. Im Hinblick auf Erlander sieht Din-kelspiel zwar Züge von Selbstgefälligkeit, doch grundlegend für seine Europapolitik sei die Vorstellung der Unvereinbarkeit kontinentaler mit schwedischen Vorstel-lungen von gesellschaftlicher Organisati-on gewesen. Diese Inkompabilitätswahr-nehmung hätte schwerer gewogen als Erlanders Furcht vor einer handelspoliti-schen Isolation Schwedens. Palmes euro-papolitischen Kurs erklärt Dinkelspiel

onalen Ausrichtung sei Palme an einer schwedischen EG-Mitgliedschaft interes-siert gewesen, um den internationalen Einfluss des Landes zu erhöhen. Damit sei er aber durch innerparteilichen Wider-stand in der Sozialdemokratie ausge-bremst worden. Dinkelspiels Argumenta-tion zeigt deutlich, dass er selber Schweden als natürlichen Teil der europä-ischen Idee begreift und den Weg zur Mitgliedschaft in der Gemeinschaft dem-entsprechend als logischen und alternativ-losen Prozess.

Den Rest des Buches nutzt Dinkelspiel, um in einer Mischung aus persönlicher Lebenserinnerung und zeitgeschichtlicher Dokumentation, die er immer wieder mit Anekdoten, Auszügen aus seinem Tage-buch oder aus der zeitgenössischen Presse anreichert, seine Sicht auf den Verlauf der Geschichte zu skizzieren. Ein wenig be-fremdlich wirkt dabei, dass er bei der Be-schreibung seiner Diplomatenzeit ein Bild zu zeichnen versucht, in dem es allen In-teressengegensätzen zum Trotz immer sehr harmonisch zugegangen sein soll.

Kritische Worte zu seinen wechselnden Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Gegen-spielern am Verhandlungstisch finden sich kaum. Lediglich die Beschreibungen von Sverker Åström und Carl Bildt über-treffen noch die positiven Worte, die Din-kelspiel ansonsten für jeden Verhand-lungspartner oder Vorgesetzten findet.

bietet, abgesehen von wenigen Details der Verhandlungsabläufe und vereinzelten Überlegungen zu Verhandlungsvorberei-tungen, wenig Unbekanntes für den mit der Materie vertrauten Leser.

Dies ändert sich erst, als der Autor den Diplomaten gegen den Politiker Dinkel-spiel eintauscht (S. 173–295). Nun bezieht er mit seiner Meinung klar Position, be-zichtigt unter anderem die Sozialdemokra-ten der Vereinnahmung des Beitrittspro-zesses aus wahltaktischem Kalkül und verweist die Bedeutung des Regierungs-wechsels 1994 für den Sieg der Ja-Seite bei der Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft Schwedens ins Reich der Mythen (S. 273–274). Auch der Reichtum an Details, Hintergrundinformationen und -überlegungen nimmt bei den Ausführun-gen über die BeitrittsverhandlunAusführun-gen und die folgende öffentliche Debatte deutlich zu. Die Beschreibung seines Engagements bei den Volksabstimmungen 1994 und 2003 vermittelt einen plastischen Eindruck der Gedanken und Überlegungen hinter der Planung der Ja-Kampagnen. Leider beschränken sich seine Erklärungsversuche zum Erfolg der Euro-Gegner weitgehend auf taktische Faktoren: die unterschiedliche Durchschlagskraft der Kampagnen, die Medienpräsenz der Euro-Gegner oder die Bedienung diffuser Bedrohungsängste in der Bevölkerung. Eine Reflexion der un-terschiedlichen Argumente findet

hinge-Abgerundet wird das Buch durch einen Abschnitt, in dem Dinkelspiel versucht, eine Bilanz nach zehn Jahren schwedi-scher EU-Mitgliedschaft zu ziehen und darüber nachdenkt, was sein Verständnis eines Europäers ist und wie sich die euro-päische Idee in der Zukunft weiterentwi-ckeln ließe (S. 296–352). An dieser Stelle mahnt er an, es gehöre mehr zu einem guten Europäer als wie ein Pawlowscher Hund aufzustehen und alle Beschlüsse zu verteidigen, die in Brüssel gefasst werden (S. 328).

Alles in allem ist Ulf Dinkelspiel ein flüs-siges und leicht zu lesendes Buch gelun-gen, das Einblicke in die Erinnerungen eines Schlüsselakteurs des schwedischen EU-Beitritts und der Gedankenwelt der EU-freundlichen Elite des Landes ge-währt. Mit seiner facettenreichen Mi-schung aus Erinnerungsbericht, diploma-tischem Handbuch und pro-europäischem Plädoyer versucht Ulf Dinkelspiel die Akzeptanz der schwedischen Mitglied-schaft in der Europäischen Union zu er-höhen. Der Leser spürt an vielen Stellen das Engagement, mit dem der Autor noch immer für sein Verständnis der EU als Chance für Schweden eintritt. Allerdings kann man sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass das Buch primär für ein ohnehin europafreundliches Publikum geschrieben wurde und somit des Öfteren mehr auf die „richtige“ Interpretation des

Darstellung abzielt. Für einen bekennen-den Politiker ist dies jedoch legitim, wo-bei Dinkelspiel auch nicht die Grenze zur politischen Kampfschrift überschreitet, sondern argumentativ immer auf solidem und glaubwürdigem Terrain bleibt. Wer an das Buch nicht die Erwartung einer durchweg analytischen und objektiven Arbeit stellt, wird es lesenswert finden.

Peer Krumrey (Berlin)

Sune Berger, Gunnel Forsberg und Morten Ørbeck (red.): Inre Skan-dinavien – en gränsregion under omvandling. Karlstad: Karlstad Uni-versity Press 2007, 218 S.

Seit Ende der achtziger Jahre stehen die Themen „Regionen“ und „Regionalis-mus“ auf der politischen Tagesordnung Europas weit oben, was sich mit dem Schlagwort „Europa der Regionen“ illust-rieren lässt. Das politische und finanzielle Potential der EU hat in höchstem Maße dazu beigetragen, die regionale Ebene zu stärken. Die so genannten regionalen Strukturfonds setzen beispielsweise etwa ein Drittel des Haushalts der Union um und sind nach der monströsen Landwirt-schaftspolitik der größte Ausgabenposten.

Das hat die Möglichkeit mit sich ge-bracht, schon existierende regionale Ein-heiten zu stärken und neue entstehen zu lassen. Gleichzeitig sind unzählige bedeu-tende Forschungsinitiativen gefördert worden. Seit dem EU-Beitritt Schwedens und Finnlands sind Regionen und Regio-nalismus selbstverständliche Themen der politischen und wissenschaftlichen Dis-kussion des Nordens.

In diesen Zusammenhang lässt sich die von Sune Berger, Gunnel Forsberg und Morten Ørbeck herausgegebene interdisziplinäre Anthologie Inre Skandinavien – en

gräns-region under omvandling (Innerskandina-vien – eine Grenzregion im Wandel) gut einordnen. Das Buch ist der Abschlussbe-richt eines größeren Forschungsprojekts, in dem sich u. a. Kulturgeografen, Politikwis-senschaftler und Soziologen der Universität Karlstad in Schweden und der Hochschu-len in Hedmark und Lillehammer in Nor-wegen vorgenommen haben, unterschiedli-che Aspekte der Interreg-definierten Grenzregion zwischen Schweden und Norwegen „Inre Skandinavien“ („In-nerskandinavien“) zu beleuchten. Diese besteht auf schwedischer Seite aus dem gesamten Verwaltungsbezirk Värmlands län sowie einem Teil des Bezirks Dalarnas län, auf norwegischer Seite aus dem ge-samten Verwaltungsbezirk Hedmarks fylke sowie Teilen der Bezirke Östfold und Akershus fylke. Der spezifischere Zweck des Bandes ist es, Politiker, Beamte und Wirtschaftsakteure mit „Grundkenntnissen für Planung und Entwicklungsstrategien“

(„kunskapsunderlag för planering och ut-vecklingsstrategier“, S. 7) zu versehen und gleichzeitig zum wissenschaftlichen Ge-spräch über Regionen und Regionalismus beizutragen.

Ganz offensichtlich wurde dem ersten, handlungsorientierten Ziel der Vorrang gegeben. Die Artikel von Morten Ørbeck und Svante Karlsson beziehungsweise Ståle Størdal, Sjur Baardsen und Kristian Leins beinhalten beispielsweise sehr aus-führliche Diskussionen über Aspekte der Waldwirtschaft, die in der Region eine sehr große Rolle spielt. Auf ähnliche Wei-se nimmt sich Kristian Aasbrenn der Fra-ge an, wie man in den dünn besiedelten Gebieten ein angemessenes Dienstleis-tungsangebot aufrechterhalten kann.

Mit ihren detaillierten und deskriptiven Ansätzen haben diese Artikel nur gerin-gen Wert für Leser, die über keine spezi-fischen Expertenkenntnisse verfügen.

Darüber hinaus bergen sie das Risiko, dass der übergreifende Zusammenhang verloren geht. So erfahren wir beispiels-weise im Artikel von Espen Køhns, dass es im norwegischen Teil von „Inre Skan-dinavien“ 486 Ferienhäuser gibt, die in schwedischem Besitz sind. Camilla Berglund wiederum lässt uns wissen, dass auf der schwedischen Seite der Grenze 1054 Ferienhäuser Norwegern gehören.

Beide Autoren vermögen jedoch nichts darüber mitzuteilen, welche Wirkung die-se Zahlen und Eigentumsstrukturen auf die Entstehung der neuen transnationalen Region haben.

Dass Anthologien oft die innere Kohärenz

Das Fehlen einer richtigen Einleitung, die die einzelnen Beiträge einrahmend zu-sammenführen könnte, macht den vorlie-genden Band in dieser Hinsicht jedoch zu einem auffallend schwachen Werk. Die kurze und unsignierte Einführung verfügt nur über eine handvoll Referenzen und es mangelt ihr an jeglicher Ambition, auf die lebendige, interdisziplinäre Forschung zu Regionen und Regionalismus Bezug zu nehmen.

Trotzdem fehlen Artikel mit theoreti-schem und begrifflichem Ansatz nicht vollständig: Über den Mentalitätsbegriff in den Geistes- und Gesellschaftswissen-schaften bietet beispielsweise der Kultur-geograf Sune Berger einen ebenso inte-ressanten wie prägnanten Artikel an, verbindet aber die Diskussion bedauerli-cherweise nur pflichtschuldig mit ihrem empirischem Studienobjekt. In gleicher Manier stellen Gunnel Forsberg, Liselotte Jakobsen und Maria Jansdotter lieber ihre gendertheoretischen Kenntnisse vor, an-statt zu versuchen, sie für den regionalen Kontext fruchtbar zu machen. Die Region wird folglich zu einem sterilen und ge-schlossenen Labor für exzentrische Expe-rimente.

An dieser Stelle dürfte offensichtlich sein, dass Inre Skandinavien – en gränsregion under omvandling wenig für Wissen-schaftler mit übergreifendem

Im Dokument Nordeuropa Forum 1-2.2010 (Seite 196-200)