• Keine Ergebnisse gefunden

C) Die Dramen Musils im Vergleich mit seinen ästhetischen Theorien

1.2. Form

1.2.2. Sprache und Dialogik

Die mehrfach erwähnte Dominanz der Dialogpartien über die Handlungsentwicklung läßt H. Arntzen von einer Konkurrenz zwischen "Handlungsdrama" und "Bedeutungsdrama"

sprechen.253 G. Schneider geht noch weiter, wenn er daraus die dramatische Genrebezeichnung des "Konversationsstücks" ableitet.254

Dieser Terminus kennzeichnet treffend die Selbständigkeit der sprachlich-reflexiven Ebene des Stücks. Allerdings betont Schneider zugleich die von diesem Typ abweichenden Momente: inhaltlich, das "für das normale Publikum eines Theaterabends rücksichtslos hohe[n] Niveau"; stilistisch, die "gehobene dichterische Sprache".255 Hält man sich, angesichts der das Drama leitenden ideologischen Auseinandersetzung, den ersten Punkt vor Augen, so wäre mit A. Fritz oder B. Cetti Marinoni256 auch an ein im engeren Sinne philosophisches Drama zu denken (Marinoni zitiert Hölderlins "Tod des Empedokles"). Hiergegen ist aber Schneider zuzustimmen:

"Vom Modell des philosophischen Dialogs sind die Dialoge in den 'Schwärmern' weit ent-fernt. Sie entsprechen nicht dem Muster des philosophischen Dialogs, indem von Gedanke zu

252 Siehe Schneider 1983, 16f., 56f.

253 Arntzen 1980a, 116f.

254 Schneider 1983, 102ff.; siehe auch Leitgeb 1989, 133-135.

255 Schneider, 104 (Herv. C.S.).

256 Fritz 1981, 34, Marinoni 1991, 5f.

Gedanke weiter gefragt wird, sondern viel eher der lebendigen und sprunghaften Konversation, in der viele Probleme berührt und wieder fallen gelassen werden und deren Fortgang nicht so sehr durch die Logik des Gedankengangs als vielmehr durch die äußere Situation des Sprechenden und durch emotionale Reaktionen bestimmt wird." (a.a.O., 135, Herv. C.S.)

Doch ist gegen Schneiders positives Votum im Zitat, das einen lebendigen Realismus suggeriert ("lebendige und sprunghafte Konversation"), seinerseits Einspruch zu erheben.

Einmal, weil Art und Maß von Unlogik und Sprunghaftigkeit normale Verhältnisse erheblich übersteigen. Zum anderen aus den von Schneider selbst genannten Gründen der Inhaltskomplexität und Stilhöhe.

(1) Dialogführung

Die Struktur der Dialogik kennzeichnet eine teilweise extreme thematische wie stilistischeSprunghaftigkeit.Das ist hier nicht im einzelnen auszuführen, doch sei als ein markantes Beispiel auf eine Stelle aus dem Beginn des zweiten Aufzugs verwiesen.257 Auffällig ist dort nicht nur die Rapidität, mit der zwischen, ja innerhalb der Repliken Thema und Tonart wechseln. Hinzu kommt die psychologisch schwierige Nachvollziehbarkeit: Von der sachlichen Reaktion auf eine reale Begebenheit geht man unvermittelt über zu leidenschaftlicher Befindlichkeitsbekundung, die ihrerseits eruptiv auslädt zu existentieller Spekulation: "Überall zwei, drei Schritte weit Antwort, dann Nebel."(ebd.).

(2) Themen

Den Inhalt der Dialoge bilden zum einen sachliche Angelegenheiten der unmittelbaren Gegenwart, über die man verhandelt. Es ist dies allgemein die Sphäre einer auf klare Stringenz angelegten Handlungsentwicklung, insbesondere aber das Feld der bestimmten Menschen, die sich mit Vorliebe im Rahmen praktischer Verhandlung bewegen. Demgegenüber steht der Erfahrungsbereich der Schwärmer. Thematisch handelt es sich um die subjektive Mitteilung innerer Visionen: Exklamationen der Bestimmungslosigkeit und Allmöglichkeit. Signifikant hierfür ist der lange Dialog zwischen Thomas und Regine am Schluß (401-407).

Zum anderen stellen vielfach räumlich oder zeitlich abwesende Personen oder Begebenheiten dialogische Themen dar, und zwar in schwärmerischer wie in normaler Diktion. Was die Personen anbelangt, sind die Verhältnisse in "Die Schwärmer"

besonders frappant. Man redet beinahe systematisch über den, der nicht im Raum anwesend ist, vor allem über Anselm, der erst im zweiten Drittel von I auftaucht und in III gar nicht mehr am Ort ist.258

257 S. 350f., beginnend mit: "Maria: Horchen Sie! [...]" bis: "Anselm: Kleinmut. Nerven ... Wilde Ohnmacht!"

258 Ebenfalls reden in I Anselm und Maria über Thomas (333f.) und Regine (334f.) sowie Anselm und

Dramaturgisch deutet das auf ein Konfliktdefizit hin, denn es hegt auf der Hand, daß die mit einem Abwesenden geführte Auseinandersetzung theatral im eigentlichen Sinn wertlos ist.259 Abwesende Begebenheiten sind überwiegend solche der Vergangenheit.

Ihrer wird vor allem durch Schwärmer Erwähnung getan durch Erinnerung. "Solche Erinnerungen", wie mit G. Schneider zu sagen ist260:

"durchziehen das ganze Stück. Sie werden [...] oft eingeleitet durch Formeln wie 'Als Kind', 'Als Knabe' 'Als wir jung waren', oder durch ein beigefügtes 'früher', 'damals', 'Vor Jahren' gekennzeichnet."

Daß auch diese Exterritorialisierung der Bedeutung dramaturgisch-ästhetische Probleme bereitet, insofern ein szenisches Handeln in der Vergangenheit ja nicht möglich ist, sei hier bereits kritisch erwähnt.261

(3) Stil

Wenn auch für beide gleichermaßen ein hohes artikulatorisches Niveau zu konstatieren ist, fällt bei den Sprachstilen der Unterschied zwischen Schwärmern und Normalen besonders in die Augen. Während die Normalen ihrem Namen Ehre machen, sind bei der Schwärmer-Sprache erhebliche stilistische Auffälligkeiten zu verzeichnen:

In Systematisierung der Gesichtspunkte bei G. Schneider262 sind für den schwärmerischen Stil hervorzuheben: die Unbestimmtheit der Rede (a), ihre Pathetik (b) und das Aphoristische (c).

a) Unbestimmtheit meint die Unfähigkeit oder die Weigerung, sich deutlich bzw.

eindeutig auszudrücken. Ersteres liegt vor, wenn die Schwärmer ihren inneren Visionen Ausdruck zu geben versuchen. Da diese per definitionem nicht wirklich bestimmbar sind, bleibt als einzige Möglichkeit die Rede in Bildern, Metaphern und Gleichnissen:263 Zur Weigerung wird die unbestimmte Redeweise, wo die Möglichkeit eindeutiger Artikulation gerade bestünde: im alltäglich-realen Weltumgang. Hier entwickelt der Schwärmer seine destruktive Potenz: semantisch durch das Auf werfen von beliebigen Alternativen zu einem bestimmten Sachverhalt264, stilistisch durch den bevorzugten Gebrauch der Möglichkeitsform.265

b) Die Pathetik der Schwärmer-Sprechweise äußert sich u.a. im "häufige[n] und emphati-Regine über Maria (3441), in II Anselm und Maria über emphati-Regine (350f. und 354f.), Thomas und Josef über Regine (363ff.), usf.

259 Vgl. zu dieser Problematik im Zusammenhang mit Ibsen: Szondi 1963, 28ff.

260 Schneider, 56; dort auch weitere Beispiele.

261 Zur Inszenierung der Vergangenheit mittels Rückblendtechnik in moderner Dramatik vgl. Szondi 1963, 157ff.

262 Schneider, 107-134.

263 Siehe hierzu a.a.O., 114.

264 So etwa Thomas’ gleichgültige Reaktion auf die Nachricht von Josefs Ankunft (319f.)

265 Beispiele bei Schneider, 110f. Siehe auch A. Schönes – allerdings für den MoE – grundlegende Arbeit:

Zum Gebrauch des Konjunktivs bei Robert Musil. In: Renate v. Heydebrand (Hrsg.): Robert Musil.

Darmstadt 1982. S. 19-53.

sche[n] Gebrauch 'großer Worte'", "ungewöhnliche[n] (Wort-)Zusammensetzungen" und in einem "ausgeprägten Nominalstil", der "den Eindruck einer für gesprochene Rede stellenweise etwas kompliziert schwerfälligen, im ganzen sehr geballten Sprache entstehen" läßt.266Der Funktion nach ist die pathetische Redeweise der "Schwärmer" vor allem Ausdruck ihres Bemühens, in Abgrenzung von der bestimmten Welt den visionäre Erfahrungsbereich zu artikulieren.

c) Den stark aphoristischen Einschlag des "Schwärmer"-Stils267 kennzeichnet neben dem sentenziös-philosophischen inhaltlichen Zuschnitt das Prinzip der Variation durch dieselben und andere Figuren. Es läßt sich von "Aphorismenreihen mit verteilten Stimmen" sprechen.268 Die Funktion dieses Stilelementes liegt vor allem in einer Visualisierung der ideellen Struktur des Dramas:

"Gerade die Form des Aphorismus – kurzer, prägnanter sprachlicher Ausdruck eines iso-liertenGedankens mit betonter Subjektivität des Urteils im Verein mit einem [...] Anspruch auf allgemeine Geltung – ist geeignet, das wechselseitige Bestimmungsverhältnis von Person und Idee zum Ausdruck zu bringen."269

Als Folge der Aphorismenreihen ergibt sich der Gesamteindruck eines "Ideenmosaiks", wie Schneider in Anlehnung an Musils Zentralbegriff "Ideendrama" formuliert.270

Als Fazit ist mit dem "Schwärmer"-Jargon für das Drama eine "stark stilisierte Sprache" zu konstatieren271, die eine starke Tendenz zum Über-Persönlichen auf weist.