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Zielsetzung dieses Projektes ist die Entwicklung einer Evaluationsroutine für Maßnahmen zur Bekämpfung arbeitsbedingter Erkrankungen. Zu diesem Zweck wurden drei wissenschaftliche Evaluationsstudien auf der Grundlage des BIOS durchgeführt. Dieses wurde zuvor für die spezifischen Zielsetzungen und

Rahmenbedingungen der Evaluationsvorhaben spezifiziert. Allen drei Studien war gemeinsam, dass sie sich auf eine spezifische Ziel- oder Funktionsgruppe bezogen:

Agenten in Call Centern. Adressaten der Evaluation waren die Leiter dieser Organisationseinheiten bzw. die operativen Führungskräfte (Teamleiter,

Abteilungsleiter), die an einer funktionsorientierten Evaluation interessiert waren.

Entsprechend wurde aus dem Strukturmodell des BIOS lediglich die zweite Ebene (Funktion) aufgegriffen. Für diese Ebene wurde zunächst ein differenziertes Struktur- oder Datenmodell entwickelt, dass die Einfluss- und Ergebnisgrößen in einem

salutogenetischen Gesundheitsverständnis und deren Zusammenhänge im Detail darstellt.

Das Datenmodell geht von folgenden Annahmen aus:

(1) Die individuelle Leistung hängt ab vom individuellen Verhalten (Qualität der Tätigkeitsausübung) und den äußeren Arbeitsbedingungen. Die

Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet sein, dass ein optimales Verhalten des Mitarbeiters auch zum Ziel führt und nicht verpufft. Wichtig sind in dem

Zusammenhang eine gute Organisation der Schnittstellen zu anderen

Mitarbeitern, eine effiziente Arbeitsorganisation sowie ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze und Arbeitsmittel. Gute Leistung ist nur möglich, wenn sowohl das Verhalten des Mitarbeiters als auch die Prozesse und Kontextfaktoren effektiv und effizient sind.

(2) Der Faktor Bereitschaft umfasst Aspekte wie die Motivation des Mitarbeiters, seine emotionale Bindung an das Unternehmen oder sein Commitment für die Unternehmensziele. Dies hängt davon ab, welche Erwartungen der Mitarbeiter an einen attraktiven Arbeitgeber und einen attraktiven Arbeitsplatz hat und inwieweit er dies in seiner Funktion erfüllt sieht. Das Personalmanagement hat die Aufgabe, die Anreize möglichst so zu gestalten, dass die für die

Leistungserfüllung notwendige Bereitschaft gegeben ist. Mitarbeiter sind für das Unternehmen nur dann wertvoll, wenn sie in hohem Maße bereit sind, ihre Kompetenzen wertschöpfend einzubringen. Die Anreizgestaltung ist eine Kernaufgabe des Personalmanagements. Entwicklungsanreize werden z.B.

durch ein attraktives Förderprogramm für Talente gesetzt, Projektarbeit und Teamarbeit erweitern Handlungsspielräume und fördern den Aufgabenwechsel.

Eine leistungsabhängige Vergütung schafft Anreize, herausfordernde Ziele zu erreichen.

(3) Der Faktor Kompetenz beinhaltet alle fachlichen und außer-fachlichen

Kompetenzen der Mitarbeiter und auch die individuelle Gesundheit oder Fairness als Leistungsfaktor. Diese werden in Anforderungsprofilen festgelegt. Das

Kompetenzmanagement ist die zweite Kernaufgabe des Personalmanagements.

Es trägt die Verantwortung dafür, dass die angestrebten Wettbewerbsvorteile des Unternehmens durch entsprechende Mitarbeiterkompetenzen getragen werden.

Die wichtigsten Handlungsfelder im Kompetenzmanagement sind die Selektion

(Stellenbesetzung), die Platzierung (Einsatz), die Qualifizierung (Training, Schulung) und die Betreuung (Coaching, Supervision, Beratung).

Gesundheitsförderung ist in allen Handlungsfeldern als spezifischer

Kompetenzaspekt relevant. Der Erfolg des Kompetenzmanagements hängt dabei davon ab, dass die Maßnahmen anforderungsgerecht sind und von den Mitarbeitern positiv bewertet, akzeptiert und genutzt werden.

(4) Die Voraussetzung für eine optimale Tätigkeitsausübung ist die

funktionsbezogene Kompetenz und die Bereitschaft des Mitarbeiters, sich zu engagieren. Aber auch hier gilt: Die Tätigkeitsausübung ist das Produkt aus dem Zusammenspiel von einerseits Bereitschaft und Kompetenz und andererseits den äußeren Arbeitsbedingungen. Zu den äußeren Faktoren, die im

Zusammenspiel mit Bereitschaft und Kompetenz gestaltet werden müssen, zählen beispielsweise die Qualität der Information, das Führungsverhalten, die Zusammenarbeit im Team oder die Ausstattung des Arbeitsplatzes. Sie sorgen dafür, dass Kompetenz und Motivation in effektives, zielführendes Verhalten übersetzt wird.

Das Kontextmanagement ist eine zentrale Aufgabe im Personal- und

Gesundheitsmanagement. Es soll sicherstellen, dass der gesamte Arbeitskontext von der Organisationsstruktur bis zur Führung verhaltens- und leistungsfördernd ist. Außer der Personalabteilung gibt es natürlich auch noch andere Fach- und Führungskräfte im Unternehmen, die hierfür verantwortlich sind, und mit denen gemeinsam die Kontextfaktoren gestaltet werden müssen.

In diesem Zusammenhang soll kurz auf die mittlerweile als „International Standard“ (ISO 10075, 1996) anerkannten Definitionen von Belastung und Beanspruchung eingegangen werden. Durch diese Begriffe wird zwischen Vorgängen innerhalb und außerhalb von Personen differenziert:

• Als Belastung (load) wird demnach die Gesamtheit aller erfassbaren, von außen auf den Menschen einwirkenden Einflüsse verstanden.

• Der Begriff „Beanspruchung“ (strain) umfasst in Abgrenzung dazu die Auswirkungen der Belastungen im und auf den Menschen und beschreibt

„zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkungen der psychischen Belastung auf die Einzelperson in Abhängigkeit von ihren eigenen habituellen und augenblicklichen Voraussetzungen einschließlich der individuellen

Auseinandersetzungsstrategien“ (Richter & Hacker, 1998, S. 32).

Bedeutsame Faktoren zur Erfassung von arbeitsbedingter Belastung und Beanspruchung stellen die beiden Konstrukte „Arbeitsintensität“ und

„Tätigkeitsspielraum“ dar. Unter Bezugnahme auf das Job Demand / Control-Model (Karasek, 1979, Karasek & Theorell, 1990) beschreibt der Faktor

„Arbeitsintensität (job demand) das Ausmaß des erlebten Zeitdrucks bzw.

Arbeitshektik und den erlebten Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit. Der Faktor

„Kontrolle“ beschreibt inwieweit eine Person in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht Entscheidungen über die Art und Weise von Handlungsabläufen im

Arbeitsprozess treffen kann (Hacker, 1995).

Es wird postuliert, dass mit zunehmender Arbeitsintensität ein Anstieg negativer gesundheitlicher Auswirkungen einhergeht. Ein Anstieg des erlebten

Tätigkeitsspielraums führt hingegen zu „positiven psychophysischen und

sozialen Auswirkungen“ (Richter, Hemmann, Merboth, Fritz, Hansgen & Rudolf, 2000, S. 130). Darüber hinaus wird eine Wechselwirkung der beiden Faktoren angenommen: Es wird davon ausgegangen, dass eine Tätigkeit, die durch eine erhöhte Arbeitsintensität und Kontrolle gekennzeichnet ist, zu deutlich

geringeren psychophysischen und sozialen Beeinträchtigungen führt als eine Tätigkeit, die eine identische Arbeitsintensität, aber einen wesentlich geringeres Ausmaß an Kontrolle besitzt. Je nach Ausprägung der beiden Faktoren (hoch vs.

niedrig) ergeben sich nach diesem Modell vier Typen von Arbeitstätigkeiten:

• „Passive Jobs“ zeichnen sich durch einen geringen Tätigkeitsspielraum (geringe Kontrolle) und geringe Arbeitsintensität aus. Passive Jobs werden in Zusammenhang mit einer allgemeinen Absenkung der Aktivierung und der Problemlöseaktivität gebracht.

• Als „Low strain jobs“ werden Arbeitstätigkeiten bezeichnet, bei denen bei großem Tätigkeitsspielraum eine geringe Arbeitsintensität vorliegt. Diese Arbeitstätigkeiten beinhalten kein Gesundheitsrisiko, gleichzeitig aber keine Förderungsmöglichkeit im Sinne der Persönlichkeitsförderung von

Arbeitstätigkeiten (Hacker, 2005).

„High strain jobs“ sind durch eine hohe Arbeitsintensität und einen gering ausgeprägten Tätigkeitsspielraum gekennzeichnet. „High strain jobs“ bergen Gesundheits- und Fehlbeanspruchungsrisken.

„Active Jobs“ verfügen über eine hohe Arbeitsintensität und großen

Tätigkeitsspielraum. Tätigkeiten, die diese Charakteristika aufweisen, besitzen gesundheits- und persönlichkeitsförderndes Potenzial (Hacker, 2005; Karasek

& Theorell, 1990).

Es konnte gezeigt werden, dass unter Berücksichtigung der Variable „Soziale Unterstützung“ eine verbesserte Vorhersage des Herzkreislauf-Mortalitätsrisikos möglich ist. Darüber hinaus konnte durch Hinzunahme der Variable ein neuer Risikotyp „Isolated High Strain“ identifiziert werden: Personen, die einer „High strain“-Tätigkeit nachgehen und wenig soziale Unterstützung erfahren, weisen das höchste Fehlbelastungsrisiko auf (Johnson & Hall, 1988; Johnson, 1989; Karasek, Theorell, Schwartz, Schnall, Pieper & Michela, 1988).

Im Hinblick auf Callcenter-Agenten rückt ein weiterer Aspekt in den Blickwinkel:

Neben der Betrachtung von kognitiven und physischen Aspekten spielen, wie auch in allen anderen personenbezogenen Dienstleistungsberufen, soziale und emotionale Arbeitsanforderungen im Callcenter eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der Bedeutung dieser Faktoren wird in dem noch relativ jungen

Forschungsgebiet der Emotionsarbeit nachgegangen. Emotionsarbeit bezeichnet den Umgang und die Modifikation mit den eigenen Gefühlen und den Gefühlen anderer. Emotionsarbeit wird von Dienstleistenden gezielt eingesetzt und leistet einen entscheidenden Beitrag zur Qualität von Interaktionen – der Kunde soll stets zuvorkommend und freundlich behandelt werden, unabhängig davon, wie dieser sich gegenüber dem Agenten verhält. Aufgabe des Agenten ist es, die vom Arbeitgeber geforderte Emotion zu zeigen und dem Kunden in jedem Fall

Wertschätzung entgegenzubringen. Im arbeits- und

organisationspsychologischen Kontext wird Emotionsarbeit als gezielt

eingesetztes Arbeits- und Wettbewerbsmittel verstanden. So wird von

Callcenter-Agenten erwartet, Emotionsarbeit zu leisten, um die eigentliche Tätigkeit, wie beispielsweise den Verkauf von Produkten, erfolgreich ausüben zu können. In ersten Untersuchungen zu den Auswirkungen von Emotionsarbeit auf die Beschäftigten wurden Zusammenhänge zwischen emotionaler Dissonanz

(beschreibt den Widerspruch zwischen empfundenen und gezeigten Emotionen) zum Burnout-Syndrom und geringer Arbeitszufriedenheit gefunden. Gleichzeitig wird betont, dass eine erfolgreich ausgeübte Emotionsarbeit aber auch das Gefühl persönlicher Leistungsfähigkeit erhöhen kann (Zapf, 2002)

(5) Aus betrieblicher Sicht ist die Förderung der Gesundheit eine Gestaltung des Leistungskontextes (Kontextmanagement) und der betrieblich notwendigen Gesundheitskompetenz, da es gilt, positive Leistungsbedingungen zu schaffen.

Gesundheit ist aus betrieblicher Sicht kein Selbstzweck. Organisationen werden nur in Maßnahmen investieren, die auf Dauer wirtschaftlich sind. Die

unternehmensspezifischen Kriterien für Wirtschaftlichkeit bestimmen, in welcher Form und in welchem Ausmaß der Leistungskontext und die

Gesundheitskompetenz gestaltet und gefördert wird. Diese Kriterien bilden den Gesamtkontext der betrieblichen Gesundheitsförderung. Nachhaltigkeit der Vorhaben heißt daher: Dauerhaft gesunde und leistungsfähige Mitarbeiter, die wirtschaftlich im Sinne der Unternehmensziele arbeiten.

Die Gesamtzusammenhänge veranschaulicht Abbildung 6.

Abbildung 6: Das Strukturmodell der funktionsorientierten Evaluation

ƒ Teamklima und soziale Unterstützung

Die Umsetzung dieses Datenmodells in der Evaluation von Maßnahmen der Gesundheitsförderung (aus dem Modellprogramm) führt dazu, dass deren Wirksamkeit und Bedeutung im Gesamtzusammenhang mit anderen

Leistungsfaktoren und Personalmaßnahmen bewertet wird. Maßnahmen der

betrieblichen Gesundheitsförderung sind in diesem Verständnis dann wertvoll für eine Organisation, wenn sie helfen aktuelle oder zukünftige personelle Engpassfaktoren zu beseitigen oder zu verhindern. Dies können ein wirtschaftlich bedeutsamer Krankenstand, ungewollte Fluktuation durch Krankheit oder Unzufriedenheit oder Qualitätsprobleme durch Präsentismus (gesundheitlich bedingte Leistungseinbußen am Arbeitsplatz) sein.

Die drei im Folgenden aufgeführten Studien sollten dazu beitragen, dieses ganzheitliche Modell auf seine Praxistauglichkeit und Nützlichkeit für den

Evaluationsprozess zu überprüfen und operationale Beispiel für die Anwendung zu generieren. Die Operationalisierung erforderte in jeder Studie eine

funktionsspezifische Anforderungsanalyse, da in jedem Call Center neben

allgemeingültigen Anforderungen auch organisationsspezifische Kompetenzen und Tätigkeiten erforderlich waren. Die operationalisierten Konstrukte aus dem

allgemeinen Datenmodell führten in jeder Studie zu einem spezifischen Datenmodell, dass die jeweils relevanten Einfluss- und Ergebnisfaktoren im Zusammenhang

aufzeigte. Es wurde für die Konstruktion der Erhebungsinstrumente und die Darstellung der Ergebnisse genutzt.