• Keine Ergebnisse gefunden

II. Spezieller Teil

2.14 Diskussion Eintopf-Reaktionen

2.14.2 Spezifische Ioneneffekte in flüssigem Ammoniak?

Neben Wasser ist flüssiges Ammoniak das bestuntersuchteste ionisierende Lösungsmittel, und das auf ihm aufbauende Ammonosystem wurde von Franklin aufgestellt und gemeinsam mit Cady und Kraus experimentell untersucht.[58] Dieses „Lösungsmittel des anorganischen Lebens“ spielt bei homoatomaren Polyanionen der p-Block Elemente eine besonders große Rolle, seit A. C. Joannis im Jahre 1891 erstmals die grüne Färbung von Nonaplumbid-Anionen in Natrium-Ammoniak-Lösungen mit elementarem Blei beobachtete.[3, 59] Im Jahr 1968 wurden von Dewald und Tsina im Rahmen von kinetischen Untersuchungen von einer sehr guten Löslichkeit von tert-Butylalkohol und Natrium-tert-Butanol in flüssigem Ammoniak berichtet.[52] Die hier vorgestellten Ergebnisse lassen vermuten, dass das Vorliegen dieser Verbindungen in Lösung eine Änderung des Gleichgewichts- und des Kristallisationsverhaltens von sich ebenfalls in Lösung befindlichen Zintl-Salzen zur Folge hat. Obwohl auch Ansätze verfolgt wurden, in denen ein Unterschuss an Alkalimetall vorlag, konnten hierbei keine Kristalle erzielt werden, obwohl die Ergebnisse aus tert-Butanolat-freien Ansätzen dies vorhersagten. Besonders bezüglich des Zinns ist anzumerken, dass keine Nonastannidsalze erhalten werden konnten, obwohl dies gezielt versucht wurde und auch in tert-Butanolat-freien Ansätzen gelang.[30] Die hier präsentierten Kristalle haben gemeinsam, dass sie Anionen mit einem hohen Ladung/Atom-Verhältnis enthalten und, abgesehen von den sehr stabilen Heptaphosphid- und Heptaarsenidanionen, nur kleine „harte“ Spezies vorweisen. Es scheint, als ob das vergleichsweise „weiche“ tert-Butanolat-Anion diese kleinen „harten“ Zintl-Anionen aus der Lösung verdrängt, mit anderen Worten, aussalzt. Es werden Strukturen beobachtet, die sich durch wenige oder gar keine Kation-Anion-Kontakte auszeichnen und in denen die Kationen von viel Ammoniak koordiniert werden bis hin zur Ausbildung homoleptischer Amminkomplexe, deren Kristallisation mit kleinen homoatomaren vieratomigen Zintl-Anionen bisher nur bei [Na(NH3)5]2As4 · 3NH3 möglich war.[36, 51]

Mit den Verbindungen [Li(NH3)4]4Sn4 · 4NH3 und [Na(NH3)5]2P4 · 3NH3 konnten erstmals Tetrastannidtetraanionen und Cyclotetraphosphidanionen ohne Kontakte zu Kationen kristallisiert werden, was durch die Ausbildung von homoleptischen Amminkomplexen möglich wurde und die Stabilität dieser Anionen unabhängig von der Art der Gegenionen deutlich macht. Dies ist besonders im Falle der Verbindung [Na(NH3)5]2P4 · 3NH3 interessant, da der Zugang zu den aromatischen Cyclotetraphosphidanionen bisher nur über die Umsetzung von Diphosphan oder weißem Phosphor mit Alkalimetall bzw. der inkongruenten

Solvatation der Festkörperphase K4P6 möglich war. Die Darstellung über roten Phosphor und Natrium schafft einen einfachen Zugang zu diesen Anionen.

Zur Strukturchemie der Heptaarsenidanionen konnte die neue Verbindung [Li(NH3)4]3As7 · 2NH3, die mehr Ammoniak enthält als die verwandte Struktur von Li(NH3)4]3As7 · NH3, hinzugefügt werden.

In Na4Sn4 · 11.5NH3 konnten elektroneutrale eindimensionale Ketten aus Sn44–

-Tetraedern und Natriumkationen realisiert werden. Kalium-tert-Butanolate lieferten, vermutlich aufgrund der Verwendung von feuchtem tert-Butanol, die hydroxidhaltigen Strukturen K4.5[Sn4(OH)0.5] · 1.75NH3 und K4[(OH)P7] · 11NH3. Die Kokristallisation von Kaliumhydroxid ist nicht überraschend, sie verdeutlicht vielmehr die Stimmigkeit der obigen Argumentation, da es sich bei Hydroxidanionen um „härtere“ Anionen verglichen mit tert-Butanolat handelt.

Offensichtlich begünstigen gelöste tert-Butanolate die Bildung und Kristallisation kleiner hochgeladener Zintl-Anionen. Es darf also ein Ioneneffekt von tert-Butanolat in Ammoniak angenommen werden. Es erschließt sich ein komplett neues Feld, da es bisher keinerlei Untersuchungen zu spezifischen Ioneneffekten in flüssigem Ammoniak gibt.

3 Untersuchungen zum Solvatationsverhalten von Siliciden und Stanniden in flüssigem Ammoniak

3.1 Einführung

Die Solvatation von Zintl-Salzen, die über Festkörperreaktion hergestellt werden, stellt eine alternative Route zur Generierung homoatomarer Zintl-Anionen in Lösung zu der im vorherigen Kapitel vorgestellten direkten Reduktion dar. Diese Methode wurde bereits in den 1930er Jahren von Zintl, Harder und Dullenkopf für deren potentiometrischen Titrationen in flüssigem Ammoniak angewandt.[7] Die erste strukturelle Untersuchung eines homoatomaren Polyanions gelang 1970 Kummer und Diehl durch Solvatation einer binären Legierung NaSn2.4-2.5 in Ethylendiamin. Bis zum heutigen Tag wächst die Zahl der Solvat-Strukturen der homoatomaren Polyanionen.[60] Bezüglich der Gruppe 14 erfreuen sich besonders die neunatomigen Polyanionen in jüngerer Zeit einer Renaissance,[61] nicht zuletzt aufgrund deren vielseitiger Reaktionsmöglichkeiten. Neben Reaktionen mit Übergangsmetallkomplexen, auf die in Kapitel II.3.6 genauer eingegangen wird, wurde von Sevov et al. das Reaktionsverhalten von Nonagermanid- und in jüngster Zeit auch Nonastannidkäfigen in nukleophilen Additionsreaktionen,[62] Alkylierungen und Alkenylierungen[63] untersucht.

Daneben konnte die Möglichkeit der oxidativen Kupplung von Ge9-Käfigen zu Dimeren,[18, 64]

Trimeren,[65] Tetrameren[66] bis hin zu einer eindimensional unendlichen Ge9-Kette gezeigt werden.[67] Durch Umsetzung von K4Ge9 mit einer ionischen Flüssigkeit war neben Clathratbildung[68] sogar die Bildung eines gastfreien Clathrates und damit einer neuen Elementmodifikation des Germaniums möglich.[19] All diesen Reaktionen liegt eine gut etablierte Solvatationschemie zugrunde.

Für reine Solvate von Sn94--Käfigen, die außer den Kationen und Anionen nur noch Lösungsmittelmoleküle enthalten und über die Solvatation von binären Phasen hergestellt werden, findet man in der Literatur die bereits erwähnte Struktur von in Na4Sn9 · 7en. Eine weitere, reine Ammoniakatstruktur konnte am Arbeitskreis charakterisiert werden, welche aber über den Weg der direkten Reduktion dargestellt wurde.[30] Die Zahl der Verbindungen von Sn93–

und Sn94–

-Käfigen mit zusätzlich kationenchelatisierenden Reagenzien aus Solvatationexperimenten ist weitaus größer, wobei der zusätzliche Einbau von großen organischen Molekülen immer eine Erniedrigung der Dimensionalität der Kation-Anion-Netzwerke zur Folge hat. In Tabelle 23 ist eine Auflistung von Nonastannidstrukturen mit Kronenethern oder Cryptandmolekülen und das daraus resultierende Kation-Anion-Netzwerk gegeben. Daraus ist ersichtlich, dass der Einsatz von

chelatisierenden Reagenzien eine Aufweitung des ansonsten dreidimensionalen Netzwerks zur Folge hat.

Tabelle 23. Literaturbekannte Strukturen aus Solvatations-Experimenten binärer und ternärer Stannidphasen in Anwesenheit von chelatisierenden Reagenzien. Edukte für Solvatationsexperimente dienen. Für die schwereren Homologen Germanium bis Blei findet man in der Literatur A4E4-[40, 79-81]

und A4E9-Phasen.[82, 83] In A4E4 Phasen wird die anionische Teilstruktur von tetraedrisch gebauten, elektronenpräzisen E44–-Käfigen repräsentiert, die analog den vieratomigen ungeladenen Tetraedern der Gruppe 15 aufgebaut sind. Daneben sind in A4E9-Phasen neunatomige Käfige enthalten, deren Aufbau sich gemäß den Wade-Regeln für neunatomige Spezies mit 22 Gerüstelektronen von einem einfach überkappten quadratischen Antiprisma (C4v) ableiten lässt (9x4 Valenzelektronen = 36 e ; +4 negative Ladungen  40 e; pro Gerüstatom 2 Elektronen in 2pz-Orbital, das nicht an Gerüst beteiligt ist  40-18=22 e die dem Gerüst zur Verfügung stehen  (2n+4) nido Struktur;

vgl.: closo-Polyeder mit 22 e wäre zweifach überkapptes quadratisches Antiprisma wie von B10H102–

). Für die zweifach oxidierte Form der neunatomigen Käfigspezies, E92–

, ist gemäß der Wade-Regeln ein dreifach-überkapptes, trigonales Prisma (D3h) zu erwarten, was dem closo-Polyeder für 20 Gerüstelektronen entspricht.[84] In Kristallstrukturen von Solvaten und Festkörperverbindungen, die neunatomige Polyanionen der Gruppe 14 enthalten, findet man