• Keine Ergebnisse gefunden

Spezifische Dauer der deutschen und der bulgarischen Vokallaute

2.2.5.1. Die wichtigsten Untersuchungen zur spezifischen Dauer der Vokale

Die spezifische (objektive) Dauer der Sprachlaute ist vielmals untersucht worden.

Die Ergebnisse einzelner Forscher lassen sich jedoch nicht unmittelbar miteinander vergleichen, weil sie durch unterschiedliche Meßverfahren und Segmentierungsmethodik gewonnen worden sind. Es lassen sich aber doch die Relationen innernalb einer Lautreihe festlegen, die man weiter als vergleichende Grundlage benutzen kann. A u f diese Weise können auch die Ergebnisse früherer Forscher und ihre dadurch gewonnenen Feststellungen über bestimmte Zusammenhänge zwischen den artikulatorischen und akustischen Eigenschaften der Laute und ihrer Dauer Aufschluß geben.

Der Phonetiker E. A. M e y e r (1903, 1904, 1909) hat im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts eingehende Untersuchungen zur Lautdauer am Material

00050386

aus dem Englischen, Deutschen, Ungarischen vorgenommen. Seine Fest- Stellungen sind im großen und ganzen durch spätere Untersuchungen bestätigt worden. Er formuliert sie in der Monographie ״ Englische Lautdauer“ (1903,

106, 109) wie folgt:

a) Ein breiter Vokal ist stets kürzer als seine enge Abart;

b) Je höher die Zungenhebung bei einem Vokal ist, um so kürzer ist er;

c) Ein vor Fortis-Konsonanten stehender Vokal ist stets kürzer als derselbe Vokal vor Lenes;

d) Der Vokal vor Verschlußlauten ist kürzer als derselbe vor Engelauten;

e) Die Konsonanten [1], [m], [n], [r] wirken auf den vorangehenden Vokal kürzend, usw.

Panconcelli Calzia stellt 1917 eine gewisse Abhängigkeit der Vokaldauer von der gesamten Wortlänge fest : ״Je mehr Laute dem akzentuierten Vokal folgen, desto kürzer ist er“ ( P a n c o n c e l l i - C a l z i a , 1917, 127).

Auf die Einwirkung des Sprechtempos auf die objektive Dauer von Vokalen weist G. Lindner hin ( L i n d n e r , 1976, 407 — 414). E. Z w i r n e r schlägt 1936 in ״ Phonometrischer Beitrag zur Frage der neuhochdeutschen Q uantität“ (S.9 6 —112) die Brücke von der objektiven, physikalischen Dauer der Sprachlaute zu ihrer Realisierungsdauer im sprachlichen Kommunika- tionsprozeß. Er stellt durch seine phonometrische Experimente fest, daß sich die sprachlich kurzen und die sprachlich langen Vokale um je einen mittleren Dauerwert gruppieren. Weiter versucht er die Schwellenwerte im Prozeß der Wahrnehmung der Dauerunterschiede analytisch nachzuweisen. Die Unter- suchung ergab, daß ein Dauerunterschied von 2 — 3 Einheiten bei den kurzen Vokalen und von 5 —6 bei den langen Vokalen dem deutschen Sprecher und Hörer unmerklich bleibt.

In ״ Objektive und subjektive Lautdauer deutscher Vokale“ (1940, 79) versucht E. F i s c h e r - J ø r g e n s e n die These b) der Meyerschen Feststei- lungen zu bestätigen: ״ Vielleicht kann man auch sagen, daß eine größere und kompliziertere Bewegung (Öffnung des Mundes, Rundung der Lippen) längere Zeit in Anspruch nehme" (1940, 79).

Ähnlich auch bei O. v. E s s e n (1962, 119): ״ Lautbildungen mit großem Atmungsaufwand beanspruchen im allgemeinen größere Dauer als solche mit geringerem.“

In seinem Artikel ״ Die spezifische Lautdauer deutscher Sonanten“

berichtet E. Maack über seine Untersuchungen zur Lautdauer deutscher Vokale, die er an Schallplattentexten verschiedener Sprecher vergleichsweise und unter Berücksichtigung des ״Gewichtes“ der einzelnen Sonanten durchgeführt hat. Diese seine Untersuchungen bestätigen ״ im großen ganzen den schon von E. Meyer aufgestellten Satz, daß die Lautdauer umgekehrt proportional ist zur Höhe der Zungenstellung“ ( M a a c k , 1949, 232).

In einer weiteren Arbeit analysiert Maack die Beeinflussung der Lautdauer der Vokale durch die konsonantische Lautnachbarschaft, wobei er sich lediglich auf die Lautdauer der betonten Vokale konzentriert. Dabei faßt er die Ergebnisse, die er für die betonten Sonanten gewonnen hat. in folgenden Regeln zusammen: ״ Ein Sonant ist im allgemeinen um so länger:

— je längere Zeit die Bildung des folgenden Konsonanten erfordert;

00050386

— je größer die Expirationsstärke des vorhergehenden Konsonanten isl und je mehr sich diese auf die Stärke und Dauer des Sonanten auswirken kann ;

— je weiter seine Artikulationsstelle von der des nachfolgenden Konsonanten entfernt ist;

— je näher sie an der des vorangehenden Konsonanten liegt“ ( M a a c k , 1953, 128).

L e h i s t e und P e t e r s o n (1960) untersuchen ebenfalls den Einfluß der Lautnachbarschaft auf die Vokaldauer und stellen fest, daß die Dauer der Vokale kaum durch vorangehende Konsonanten beeinflußt wird, daß aber der Vokallaut im allgemeinen kürzer ist, wenn ein stimmloser Konsonant darauf folgt, länger — vor einem stimmhaften Konsonanten : Das Verhältnis ist im Durchschnitt 2 :3 plosives are preceded by the shortest syllable nuclei;

nasals had approximately the same influence as voiced plosives. Syllable nuclei were longest before voiced fricatives“ (1. L e h i s t e und P e t e r s o n , 1960,

— eine absolute Vokaldauer, die allein von den artikulatorischen Merkmalen eines gegebenen Lautes abhängt,

— eine positionsbedingte, welche durch die phonetischen Bedingungen, unter denen ein Laut vorkommt, bestimmt wird,

— eine bedeutungsdifferenzierende (phonologische, funktionelle),

— eine expressive, wodurch Gemütsbewegungen zum Ausdruck gebracht werden.

Die Rangordnung der bulgarischen betonten Vokale nach ihrer objektiven Dauer sieht bei Stoikov, zahlenmäßig ausgedrückt (in Millisekunden), folgendermaßen aus: 1 — 9.5, (103 — י—9,6 , ה, e — 11,5, 11,8 — ה, a — 12,5.

Die ״ positionsbedingte" Lautdauer zeigt nach Stoikov Abhängigkeit von dem Akzent: die betonten Vokale sind im M ittel länger als die unbetonten;

ebenso von der Art der Silbe: die Vokale in geschlossener Silbe sind kürzer als die in offener.

Die Beeinflussung der Lautdauer der bulgarischen Vokale durch die Position der Silbe im Wort und durch die konsonantische Lautnachbarschaft ist von Stoikov nicht analysiert worden.

Eine eingehende Untersuchung der objektiven Dauer der bulgarischen Vokale unter Berücksichtigung aller im Kontext wirkenden Faktoren nehmen T i l k o v , M i s c h e v a und Peev a (Тилков. Мишева, Пеева, 1977, sich die Abhängigkeitstendenz von der Artikulationscharakteristik der Voka.e bemerkbar: die Dauer wächst progressiv von den engen zu den breiten Vokalen an;

— In offener Silbe dauern sowohl die betonten als auch die unbetonten Vokale länger als in geschlossener;

— Die Beeinflussung der Lautdauer durch die konsonantische Umgebung hängt vor allen Dingen von der Bildungsart der den Vokal umgebenden Konsonanten ab und nicht so sehr von ihrer Artikulationsstelle.

2.2.5.2. Vergleichende Charakteristik der spezifischen Lautdauer der deutschen und der bulgarischen Vokale

Für unsere vergleichenden Untersuchungen der Lautdauer der deutschen und der bulgarischen Vokale haben w ir dasselbe Versuchsmaterial benutzt, an dem auch ihre spezifische Intensität und die Grundtonbewegung untersucht wurden. Es sei hier noch einmal darauf hingewiesen, daß wir bei der Aufstellung der Versuchsmethodik ganz besonders auf die für die statistische Auswertung ausreichende Anzahl der Beispiele eines jeden uns interes- sierenden Faktors bedacht waren. Die Rahmenaussprüche mit terminaler Melodiegestaltung, die wir durch den Intonographen analysiert haben, enthalten zwei-, drei- und mehrsilbige Wörter aus dem natürlichen Wortschatz beider Sprachen. Aus den Versuchsergebnissen, die wir nach den entspre- chenden Faktoren zusammengefaßt haben (Siehe Tab. 38 — 49). kann man folgende Schlüsse ziehen :

A. Laut dauer der betonten Vokale des Deutschen und des Bulgarischen

— Von einer klar ausgeprägten Rangordnung in bezug auf die Lautdauer der betonten Vokallaute beider Sprachen kann kaum die Rede sein, da die spezifische Dauer unter den einzelnen Vokalen recht ausgeglichen ist.

Trotzdem markiert ein geringer Dauerunterschied die Grenze zwischen den

״ breiten” und den ״engen" Vokallauten des Deutschen und des Bulgarischen, wobei sämtliche ״ breite“ Vokale etwas länger andauern als die ״engen“ (Siehe Tab. 38, 40).

— Das Dauerverhältnis zwischen der langen geschlossenen und der kurzen offenen Vokalreihe des Deutschen beträgt im M ittel 1 :0,6.

— Die objektive Lautdauer der betonten Vokale des Deutschen und des Bulgarischen wird kaum durch die Art der Bildung des vorangehenden Konsonanten beeinflußt (Siehe Tab. 44, 45).

— Die Bildungsweise des nachfolgenden Konsonanten w irkt sich dagegen etwas merklicher auf die Dauer des linksstehenden Vokals aus: die Untersuchungsergebnisse zeigen, daß die betonten Vokallaute beider Sprachen am kürzesten vor Explosiven ausfallen und daß nachfolgende Frikative. durch die Bildung der Enge, die Dauer des vorangehenden Vokals etwas verlängern (Siehe Tab. 44, 45).

— Für das Bulgarische, wo betonte Vokale auch in Auslautposition distribuiert sind, haben wir die spezifische Vokaldauer getrennt für den An-, In- und Auslaut in der entsprechenden konsonantischen Umgebung ermittelt.

Die Ergebnisse sprechen von keiner merklichen Beeinflussung der Lautdauer der betonten Vokale durch die konsonantische Umgebung im An- und Inlaut.

Der Unterschied in der Vokaldauer zwischen diesen Positionen und der Auslautposition fällt aber auf: der auslautende betonte Vokal wird nach

00050386

unseren Angaben um 0,03 sek. länger realisiert. Dabei ist es nicht von Belang, auf was für einen Konsonanten eine geschlossene Auslautsilbe ausgeht.

Die längere Lautdauer der betonten bulgarischen Vokale im Wortauslaut ließe sich durch die abschließende Melodie des Auslautes erklären, was eine Abschwächung der Intensität der betonten Endsilbe und höchstwahrscheinlich eine dadurch bedingte Ausdehnung des Vokals mit sich zieht. Der betonte Auslaut untersteht wie bekannt keiner Reduktion, so daß die durch die melodische Gestaltung bedingte Längung des Vokals vollerhalten bleibt.

B. lautdauer der unbetonten Vokale des Deutschen und des Bulgarischen Die Lautdauer der unbetonten Vokale des Deutschen und des Bulgarischen wurde fúr jeden einzelnen Vokal ermittelt, wobei die A rt der Silbe (offen, geschlossen), ihre Position im W ort (I., II. vorbetonte und letzte unbetonte Silbe) und die konsonantische Umgebung berücksichtigt wurden (Siehe Tab. 39, 41).

Über die spezifische Lautdauer der unbetonten Vokale beider Sprachen läßt sich nach den von uns ermittelten Ergebnissen folgendes sagen:

— Die unbetonten Vokale sind in beiden Sprachen von kürzerer Dauer als die betonten.

— Die langen geschlossenen Vokallaute des Deutschen sind im M ittel um das doppelte länger als die unbetonten Vokale (0,18 :0,009), während sich die spezifische Lautdauer der kurzen offenen zu der der unbetonten Vokale wie 0,11 :0,09 verhält.

— Das Dauerverhältnis ״ betont —unbetont“ für die bulgarischen Vokale ist im M ittel 0,11 :0,1. Die etwas beträchtlichere Differenz zwischen betont und unbetont bei der Vp. M. P. (0,1 :0,08) läßt sich u. E. durch ihre stärkere Neigung zur quantitativen Reduktion erklären.

— Die Art der Silbe bewirkt keine beträchtlichen Unterschiede des Bulgarischen. Es ist allerdings eine leichte Tendenz zur längeren Dauer des Vokals der geschlossenen Silbe im An- und Inlaut für beide Sprachen festzustellen (Siehe Tab. 48, 49).

— Der geschlossene unbetonte Auslaut ist in bezug auf die Lautdauer der bulgarischen unbetonten Vokale und des deutschen [э] stark einer quantitativen Reduktion ausgesetzt. Das ist aus den Angaben der Tab.46, 47 ersichtlich, wo der quantitative Unterschied zwischen dem geschlossenen ln- and Auslaut viel geringer ist als die Differenz zwischen dem offenen unbetonten In- und Auslaut.

— Die spezifische Lautdauer des einzigen vokalischen Vertreters des deutschen Auslautes [ה] haben wir für die Positionen [-эп], [-31] und die übrigen sprachlich möglichen Auslautpositionen getrennt ermittelt, da die Auslaut- silben [-эп], [-31] einer starken quantitativen Reduktion unterliegen ( M e i n - h o l d , 1973). Die Ergebnisse für die Lautdaucr des [э] in den Endsilben [-эп], [-31] bestätigen zahlenmäßig die von unseren Versuchspersonen realisierte quantitative Reduktion: Die Lautdauer des [9] beträgt 0,08 sek. für die Auslautsilben [-эп]. [-91] gegenüber 0,13 sek. für seine übrigen Auslaut- Positionen. Im absoluten Auslaut dauert das deutsche [9] allerdings länger — seine Dauerwerte betragen hier im M ittel 0,18 sek., eine Lautdauer, die den bulgarischen unbetonten Vokalen in offener Auslautsilbe sehr nahe kommt.

00050386

3. VERG LEICH END E CHARAKTERISTIK