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Grundtonfrequenz der betonten Vokale des Deutschen und des Bulgarischen

2.2.3. Grundfrequenz des deutschen und des bulgarischen Vokalismus

2.2.3.1. Grundtonfrequenz der betonten Vokale des Deutschen und des Bulgarischen

Die absoluten Werte, die wir für den F0 der betonten Vokale beider Sprachen ermittelt haben, lassen bestimmte Gesetzmäßigkeiten erkennen, nach denen die Grundfrequenzdaten der Vokale innerhalb der uns bekannten Vokalgruppen der beiden Sprachen streuen. So kann man aus den vergleichenden Tabellen (Tab. 13, 14) ersehen, daß die Grundfrequenz der deutschen und der bulgarischen Vokale nicht für alle Vokale die gleiche ist, daß sie mit der Höhe der Zungenlage während der Artikulation folgerichtig korrespondiert. Dabei folgt sie einer recht stabilen Gesetzmäßigkeit : Je höher die Zungenlage, desto höher der F0. Am höchsten sind die Grundfrequenz- werte des Vorderzungenvokals [i] und des hohen Hinterzungenvokals [u], am niedrigsten sind sie bei den A-Lauten.

Diese Gesetzmäßigkeit beobachtet man in den zwei betonten deutschen Vokalreihen, sie gilt in gleichem Maße auch für den bulgarischen betonten Vokalismus. Da sie durch die Spektralanalysen von Vokallauten anderer Sprachen ebenfalls festgestellt ist, kann man sie für universell halten ( H o u s e , F a i r b a n k s . 1953 ; L e h i s t e , P e t e r s o n , 1961 ; B o e l , 1972; M o h r, 1971).

Die angeführten Autoren suchen verschiedene Erklärungen für diese Gesetzmäßigkeit: House — Fairbanks, Lehiste — Peterson, M ohr — Kim — auf physiologischer Grundlage, Boel — auf elektro-akustischem Boden.

H o u s e und F a i r b a n k s (1953) versuchen, die höhere Grundfrequenz der Vokale mit hoher Zungenlage folgendermaßen zu erklären: Die Hebung der Zunge von den tiefen zu den hohen Vokalen vergrößert die Spannung der Zungenmuskeln; sie wird dann weiter auf die laryngiale Muskulatur und die Stimmlippen übertragen, wodurch auch die Frequenz des erzeugten Stimmtones ansteigt.

L e h i s t e und P e t e r s o n (1961) erklären die Ursache dieser auch von ihnen beobachteten Gesetzmäßigkeit ebenfalls physiologisch. Nach ihnen liegt sie in der etwas mehr ausgeprägten zusätzlichen vertikalen Bewegung des Kehlkopfes während der Artikulation der hohen Vokale. Diese im Gegensatz zu den tiefen Vokalen mehr ausgeprägte vertikale Larynxbewegung erfolgt mechanisch, da die Zunge unmittelbar mit dem oberen Teil des hioidalen Knochens, während andere laryngiale Muskeln mit dessen unterem Teil verbunden sind. Diese mechanisch bewirkte Bewegung des Kehlkopfes vergrößert die Spannung der Stimmlippen, woraus eine Erhöhung der Grundfrequenz resultiert.

M o h r (1971) äußert die Meinung, daß die gegenwärtigen Kenntnisse in der Physiologie des Sprechmechanismus nicht ausreichen, um diese Erscheinung zufriedenstellend aufzuklären. Er berichtet, daß die letzten Untersuchungen über die Genese der Sprachlaute keine Korrelation zwieschen dem Hebungsgrad der Zunge und der zusätzlichen vertikalen Kehlkopfbewe- gung bei den hohen Vokalen bestätigen. Ebenso fehlen jedoch auch für die Bestätigung der House - Fairbanks’ Hypothese experimentell fundierte Daten. Mohrs Hypothese baut auf der myoelastischen Theorie für das Zustandekommen der Stimme. Er berücksichtigt dabei die bestehende

Korrelation zwischen der Ausweitung bzw. Einengung der Stimmritze fü r die verschiedenen Vokalgruppen, dem Grad des Luftdruckes und der Geschwin- digkeit der Expirationsluft. So nimmt er an, daß die pharyngiale Einengung, welche bei den tiefen Vokalen [a] und [o] ihr Maximum erreicht, zu entsprechender Erhöhung des Luftdruckes oberhalb der G lottis führt, infolgedessen sich die Geschwindigkeit der ausströmenden Luftsäule, entsprechend auch die Schwingungsgeschwindigkeit der Stimmbänder verrin- gern. Eine analoge Einengung allerdings zwischen dem Zungenrücken und dem Gaumen, wie man sie bei den hohen Vokalen beobachtet, kann nicht den gleichen Effekt hervorrufen, da der superglottale Raum ein recht großes Volumen bei ihrer Artikulation hat.

Indem M ohr in seiner Hypothese allein mit den wechselseitigen Beziehungen und der gegenseitigen Bedingtheit zwischen Pharynx und Larynx auszukommen versucht, was zu einer einseitigen Lösung des Problems fuhrt, bezieht B o e l (1972) in seinen Überlegungen die Einwirkung des gesamten superglottalen Ansatzraumes auf die Tätigkeit der Stimmlippen in die Lösung der Frage ein. Er beruft sich dabei auf die Gesetzmäßigkeiten der elektroakustischen Analogie. So bestimmt er theoretisch die Eingangsimpe- danz des Ansatzrohres und rechnet ihre Werte für die typischen, m it Hilfe eines Syntesators gewonnenen Vokalgebilde der französischen Sprache aus.

Seine Ergebnisse zeigen, daß die Streuung der Werte der Eingangsimpedanz des Ansatzrohres mit der der Stimmlippen korreliert, besonders aufTällig bei einem niedrigen F , , wie es der Fall mit den hohen Vokalen [i] und [u] ist. Bei ihrer Bildung äußert sich die Impedanzeinwirkung in einer Steigerung der Schwingungsfrequenz der Stimmbänder.

Die zufriedenstellende Lösung dieser immer wieder ins Auge fallenden Gesetzmäßigkeit wird mehr Licht über das Wesen der Grundfrequenz werfen, und cs ist an der Zeit, bei dem heutigen hohen Entwicklungsstand der experimentellen Phonetik, sie endgültig und eindeutig zu lösen. Zu diesem Zweck sollte man sowohl auf physiologischem als auch auf akustischem Niveau entsprechende Untersuchungen vornehmen. Bei unseren Spektralana- lysen der Grundfrequenz der deutschen und bulgarischen Vokallaute sind wir auf eine Tatsache gestoßen, die zwar weiterer näherer Untersuchungen bedarf, jedoch ein gewichtiger Grund dafür ist, daß man keine der angeführten

Hypothesen zu ihrer Aufklärung heranziehen könnte:

Die zwei Reihen von betonten Vokalen im Deutschen folgen, eine jede für sich, der Gesetzmäßigkeit, nach der die höhere Zungenhebung entsprechende Steigerung der Grundfrequenz mit sich zieht. Vergleicht man doch diesbezüglich die lange geschlossene mit der kurzen offenen Vokalreihe (Siehe Tab. 13), so weisen nicht, wie man hätte erwarten können, die geschlossenen, sondern die offenen Vokale etwas höhere Grundfrequenzwerte auf. Dabei charakterisiert sich ihre Artikulation im Gegensatz zu der der geschlossenen

Vokale insgesamt durch eine etwas niedrigere Zungenlage.

Hierzu möchten wir die Meinung äußern, daß die Lösung dafür wahrscheinlich in der von uns beobachteten Korrelation zwischen Grundfre- quenz und Lautdauer zu suchen wäre: so gestaltet sich die Grundfrequenz bei einem kurzen offenen Vokal wegen der kurzen Lautdauer nicht so variabel wie bei einem langen geschlossenen; hier verläuft sie recht unstabil, besonders im

letzten Segment der F0 -Kontur, wo sich das Schwingungstempo etwas verlangsamt und der Stimmton sinkt (Diese Erscheinung läßt sich am Osaillogramm beobachten: Vgl.Abb. 14).

2.23.2. Grundfrequenz der unbetonten Vokale des Deutschen und des Bulgarischen

Die unbetonten Vokallaute des Deutschen und des Bulgarischen charakterisieren sich durch niedrigere Frequenzwerte im Vergleich zu den betonten Vokalen. Diese Erscheinung korrespondiert gut mit der schon bei den betonten Vokalen beschriebenen Abhängigkeit der Grundfrequenz von der Höhe der Zungenlage: sämtliche unbetonte Vokale werden mit etwas niedrigerer Zungenhebung im Gegensatz zu den betonten realisiert — daher auch die niedrigeren Grundfrequenzwerte. Der Grundfrequenzunterschied zwischen betont und unbetont offenbart sich bei allen Versuchspersonen, bewegt sich jedoch im Rahmen einer individuell bedingten Variabilität. So ist er z. B. bei H. P. (für die deutsche Sprache) stärker ausgeprägt als bei H. V.

(29,3 Hz gegen 11,9 Hz); für das Bulgarische ist der Frequenzunterschied zwischen betont und unbetont bei M. P. größer als bei R. S. (20,4 Hz gegen

14,2 Hz).

Sehr auffällig ist der Unterschied zwischen den Grundfrequenzwerten der betonten Vokale des Deutschen und denen des Murmelvokals (3) oder des Rcduktionsvokals [c] (Siehe Tab. 13, 15). Dieser Umstand ist ein Beweis dafür, daß die einzigen im spektralen Sinne des Wortes reduzierten Vokallaute in der gegenwärtigen deutschen Standardaussprache der [э]- und [к]-ѴокаІ sind. Im Bulgarischen trifft die Reduktion die drei sog. ״ breiten“ Vokale [a,o,e] in unbetonter Stellung ( С т о й к о е , 1966, 144; 1968, 136; Т и л к о в , Б о я д ж и е в , 1977, 67 — 70). Das ist eine Tatsache, die schon Trubetzkoy beobachtet und beschrieben hat ( T r u b e t z k o y , 1971, 131). Die Untersu- chungen zur Formantenstruktur der bulgarischen betonten und unbetonten Vokallaute bestätigen unbestreitbar die Reduktion des unbetonten Vokal- lautes [a] der bulgarischen Standardaussprache, der, je nach der Position, stärker oder schwächer, seine Formantenstruktur in Richtung [э] ändert.

Von einer Reduktion der sog. bulgarischen ״engen“ Vokale wird in der Literatur über Fragen des bulgarischen Vokalismus nicht gesprochen. Die Ergebnisse unserer Spektraluntersuchungen lassen jedoch annehmen, daß in mancher Position auch der ״enge“ Vokal [3] einer assimilativen Reduktion fähig ist. und zwar bewegt sich seine Formantenstruktur dann in der Spektralzone des ״ breiten“ [a]. Da so eine Formantenbewegung als einen qualitativen Übergang von einem engen zu einem breiten Vokal betrachtet werden kann, haben w ir hierfür die Bezeichnung ״ rückwärtige Reduktion"

vorgeschlagen, im Gegensatz zu der bekannten Reduktion der bulgarischen breiten Vokale, deren Formantenwerte sich stets in Richtung ״enge“ Vokale bewegen ( С и м е о н о в а , 1975, 94, 95).

Die Reduktion der bulgarischen Vokallaute in unbetonter Position läßt sich auch durch die Frequenzwerte des F0 nachweisen: Die Grundfrequenz- werte für die unbetonten [a] und (3) zeigen den minimalen Unterschied von

1,6 Hz (Sprecher R. S.) und 1,9 Hz (Sprecher M. P.), was fúr die Klangfarben- ncutralisierung dieses Korrelationspaares spricht. A uf die Reduktion des [c]

und [o] weisen lediglich die Grundfrequenzwerte, die wir für die eine Versuchsperson gewonnen haben, hin (Siehe Tab. 14, 16).

2.2.3.3. Beeinflussung der Grundfrequenz der Vokallaute