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5. Diskussion

5.1. Funktionelle Interpretation der morphologischen

5.1.2. Das spezialisiert einfache Gelenk

Die zweite Abwandlungsform des Schultergelenkes der Chiroptera vom gewöhnlichen Schultergelenk der Mammalia finden wir in dieser Arbeit durch Mormoops megalophylla vertreten. Sie wird als

spezialisiert, einfaches Schultergelenk bezeichnet.

Diese Form des Schultergelenkes zeichnet sich durch eine längliche, rinnenartige Cavitas glenoidalis aus, die mit einem oval geformten, nahezu rollenartigen Caput humeri gelenkt, welches leicht nach ventral geneigt erscheint. Der ventrale Rand der Gelenkgrube an der Scapula ist von einer kräftigen und breiten Knorpellippe überzogen.

Wiederum war MILLER (1907) der erste, der diesen

Schultergelenkstyp sorgfältig beschrieb, jedoch blieb er Hinweise zu

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seiner Funktion schuldig. Eine Bemerkung zur Aufgabe des

spezialisiert, einfachen Schultergelenkes findet sich erst wieder bei SMITH (1972), der von einer Begrenzung der Rotationsfreiheit im Schultergelenk ausging: “The modifications seen in mormoopids probably result in less freedom of rotation at the shoulder joint than in phyllostomatids“. Die erste umfassende Untersuchung dieser

Schultergelenksform fand erst im Jahre 1990 durch SCHLOSSER -STURM statt, auf die in der folgenden Zeit eine Reihe von Arbeiten erschienen, die sich mit dem Bau und der Funktion dieses

Schultergelenktypus befassten (SCHLOSSER-STURM & SCHLIEMANN

1995,SCHLIEMANN & SCHLOSSER-STURM 1999 und GOETZL 2000).

Nach SCHLOSSER-STURM & SCHLIEMANN (1995) gleitet der rollenartig geformte, proximale Teil des Humeruskopfes während der Abduktion des Oberarmes in den cranialen, engeren Abschnitt der Cavitas glenoidalis. Diese ist von Gelenkknorpel ausgekleidet, welcher sowohl am dorsalen als auch am ventralen Rand lippenförmige Strukturen bildet. In dieser Position des Caput humeri innerhalb der Gelenkgrube arbeitet das Schultergelenk nicht mehr als Kugelgelenk.

Der abduzierte Humerus kann daher nicht mehr rotiert werden, aber Bewegungen um die sagittale und die dorsoventrale Achse sind nicht behindert, so dass auch bei diesem Gelenktyp die Vorderextremität für andere Nutzungsmöglichkeiten zur Verfügung steht.

GOETZL (2000) beschreibt noch einen weiteren Aspekt des

spezialisiert einfachen Schultergelenkes, der mit der Hemmung der Einwärtsrotation des angehobenen Oberarmes in Verbindung steht.

Er verweist darauf, dass es eine auffällig feste und kräftige Knorpellippe am ventralen Rand der Cavitas glenoidalis gibt.

Weiterhin beschreibt er Eigentümlichkeiten am Caput humeri, die bisher zwar beschrieben wurden (SCHLOSSER-STURM & SCHLIEMANN

1995), jedoch noch keine funktionelle Beachtung gefunden haben.

So ist die Ventralseite des Caput humeri im Gegensatz zur

Dorsalseite plan und abgeflacht, und das Tuberculum minus wird als auffällig nach ventral gerichtet beschrieben. Nach der Auffassung von GOETZL (2000) bewirken diese Strukturen eine massive

Einschränkung der Pronation des Humerus im abduzierten Zustand, die folgendermaßen erfolgt:

Die dicke Knorpellippe am ventralen Rand der Cavitas glenoidalis fügt sich in die Vertiefung zwischen dem Caput humeri und dem vergrößerten Tuberculum minus ein, welche mit Gelenkknorpel ausgekleidet ist. Dadurch wird die Knorpellippe von dorsal und

ventral, einem Zangengriff vergleichbar, umfasst. Auf der Dorsalseite der Knorpellippe kommt diese Umfassung durch die fast plane, nach ventral weisende Fläche des Caput humeri zustande. Die ventrale Seite der Knorpellippe wird durch die Innenfläche des Tuberculum minus umschlossen. Durch die Auskleidung der Einbuchtung zwischen Caput humeri und Tuberculum minus mit Gelenkknorpel kommt die Knorpellippe nicht direkt mit dem Knochen in Kontakt.

Anderenfalls würde sich die Knorpellippe rasch abnutzen. Solange die Knorpellippe in der Einbuchtung eingeklemmt ist, wird die

Pronationsfähigkeit des Humerus bei starker Abduktionsstellung des Oberarmes, wie sie während der Flügelabschlagsphase vorkommt, in Verbindung mit der ebenfalls rotationslimitierenden ovoiden Form der Gelenkelemente, in einem ganz erheblichen Maße eingeschränkt.

Bei maximaler Abduktion ist die Pronationsfähigkeit nach GOETZL

(2000) am stärksten eingeschränkt, da zu diesem Zeitpunkt des Flügelabschlages einerseits der größtmögliche Flächenkontakt zwischen der dicken und festen Knorpellippe und dem nach ventral weisenden Bereich des Caput humeri besteht. Andererseits wird in dieser Stellung des Humeruskopfes im Schultergelenk der proximale, rollenartig geformte Teil des Caput humeri von dem cranialen, engen Abschnitt der Cavitas glenoidalis fest umfasst.

Zum Ablauf der Bewegung des Humerus im Schultergelenk sollen folgende Vorstellungen angeführt werden:

Zu Beginn des Flügelabschlages, wenn der Humerus nach hinten, oben ausgestreckt ist, ruht die Tuberositas supraglenoidalis in der Vertiefung an der Basis der Crista pectoralis, welche im Befundteil dieser Arbeit beschrieben wurde. Der schmale, craniale Teil des Caput humeri liegt in dieser Flügelstellung dem engen, cranialen Bereich der Cavitas glenoidalis an, während der breitere, mittlere Abschnitt des Gelenkkopfes mit dem weiteren, zentralen Teil der Gelenkfläche artikuliert. Der ventrale Rand der Cavitas glenoidalis wird ventral von der Innenfläche des Tuberculum minus und dorsal von der abgeflachten Ventralseite des Caput humeri umfasst, befindet sich also in der Einbuchtung, die durch das stark

abgespreizte Tuberculum minus zwischen diesem und dem Caput humeri entsteht.

Beim Absenken des Humerus während des Flügelabschlages rollt das Caput humeri innerhalb der Gelenkfläche nach oben, wobei die Verbindung zwischen der Tuberositas supraglenoidalis mit der Grube an der proximalen Humerusfläche gelöst wird. Während der aufwärts gerichteten Rollbewegung des Humeruskopfes in der Gelenkfläche wird das schmale Caput humeri vollständig von der Cavitas

glenoidalis und ihrem Labrum glenoidale umfasst. Der ventrale Rand der Cavitas glenoidalis bleibt während der Adduktion des Humerus in der Vertiefung zwischen dem Caput humeri und dem Tuberculum minus eingeklemmt. Diese Verbindung wird erst gelöst, wenn der Flügelabschlag beendet ist und der Humerus zur Einleitung des Aufschlages im Schultergelenk supiniert wird.

Während der Aufschlagsphase des Flügels gleitet der Humeruskopf innerhalb der Gelenkfläche nach unten, und der ventrale Rand der Cavitas glenoidalis wird durch die Supination des Humerus nicht von der Innenfläche des Tuberculum minus umfasst.

Die aus dieser hier vorliegenden Arbeit gewonnen Erkenntnisse bezüglich der Funktion des spezialisiert einfachen Schultergelenkes

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decken sich mit den oben beschrieben Befunden. Weitere Ergebnisse sollen beim Vergleich der Schultergelenkstypen angeführt werden.