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Soziodigitale Neukonfiguration von Politik und Öffentlichkeit

Im Dokument Politik in der digitalen Gesellschaft (Seite 30-38)

Der dritte Teil des Bandes widmet sich der Untersuchung soziodigitaler Kommu-nikationsräume und der Neukonfiguration von Politik und Öffentlichkeit. Digi-tale Technologien und Kommunikationsräume haben die Strukturen demokrati-scher Öffentlichkeit und Politik tiefgreifend verändert. Sie haben auch Folgen für die Möglichkeiten demokratischer Wissenschafts- und Technikgestaltung. Inzwi-schen werden digitale Technologien auch selbst zum Gegenstand von politiInzwi-schen Gestaltungs- und Steuerungsansprüchen, die wiederum neue Konflikte um die Verteilung von Steuerungs- und Gestaltungsmacht, den Zugang zu und die Pro-duktion von Wissen, um Kontrolle und Herstellung von Sichtbarkeit und Aufmerk-samkeit in soziodigitalen Kommunikationsräumen auslösen. Wie ist die

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hung zwischen soziotechnischen Arrangements, Wissensproduktion und der Um-strukturierung von Öffentlichkeit und Politik konzeptionell zu fassen?

Robert Seyfertbefasst sich mit dem Problem der (Nicht-)Nachvollziehbarkeit und Opazität von Algorithmen und der Frage, wie diesen mit politischen Regulierun-gen begegnet werden kann. An zwei Beispielen, der Datenschutzgrundverordnung und der Regulierung von Finanzmarktalgorithmen, zeigt Seyfert, dass regulato-rische Prozesse selbst ko-produktive soziale Praktiken sind; sie wirken nicht nur verhindernd oder verändernd auf scheinbar gegebene Algorithmen ein, sondern bestimmen mit, was überhaupt ein Algorithmus ist und was er tun soll.

Der Beitrag vonJan-Felix Schrapeuntersucht die Rekonfiguration der öffentli-chen Kommunikation zwisöffentli-chen euphorisöffentli-chen und dystopisöffentli-chen Erwartungen von partizipativer many-to-many Massenkommunikation einerseits und vermachteter Kommerzialisierung und Verflachung andererseits. Schrape kommt zu dem Ergeb-nis, dass die Digitalisierung der öffentlichen Kommunikation die Möglichkeitsräu-me für persönliche Interaktionen und den öffentlichen Austausch ausgeweitet hat, aber auch neue Selektions- und Synthetisierungsprozesse hervorgebracht hat. In-wieweit diese in Zukunft algorithmisiert und automatisiert werden und durch die Logik digitaler Plattformen mitbestimmt werden, ist, so Schrape, noch eine offene Frage.

Die Digitalisierung ist häufig Gegenstand der experimentellen Wissensproduk-tion in Reallaboren. Diese werden eingesetzt, um InnovaWissensproduk-tions- und Transformati-onsoptionen zu erkunden, Herausforderungen zu behandeln und Lösungsstrategi-en zu erprobLösungsstrategi-en. Reallabore, so zeigLösungsstrategi-enStefan Böschen, Julia Backhaus, Ana de la Varga, Stefan JohnundGabriele Gramelsberger,werfen jedoch als Strukturen einer »simula-tiven Demokratie« ihre eigenen demokratiepolitischen Herausforderungen auf. In ihrem Beitrag untersuchen die Autorinnen und Autoren, worin genau diese Her-ausforderungen bestehen und wie sie durch eine gleichgewichtige Beachtung der Dimensionen des politischen Könnens, Wollens und Sollens gestaltet werden kön-nen.

Sergio Belluccibeleuchtet die Frage demokratischer Wissenschafts- und Tech-nikgestaltung aus einer Praxisperspektive. Er rekapituliert die Erfahrungen der TA Swiss mit der partizipativen Technikfolgenabschätzung und zeigt, wie diese als Instrument zur Stärkung der demokratischen Legitimität technologiepoliti-scher Entscheide eingesetzt werden kann. Der partizipative Dialog und das dar-auf gegründete Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, argumentiert Bellucci u.a.

am Beispiel von digitalen Patientendossiers, bilden eine unverzichtbare Grundlage zum gemeinsamen demokratischen Abwägen möglicher technologischer Zukünf-te.

Die Beiträge dieses Bandes zeigen, dass es »die« soziodigitale Zukunft nicht gibt, sondern dass verschiedene Zukünfte um Realisierung konkurrieren und sich heute pfadbildende Entwicklungen vollziehen, die den Umgang mit digitalen

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Möglichkeitsräumen langfristig prägen werden. Die Frage, welche Pfade und wel-che alternativen Optionen mehr, welwel-che weniger oder welwel-che gar nicht wünschbar sind, ist dringend und verlangt nach einem demokratischen gesellschaftlichen Diskussions- und Gestaltungsprozess.

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I. Kooperative Technikgestaltung mit

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