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Sozialpolitik und Sozialismus

Im Dokument Edition Politik (Seite 65-68)

Heimann begreift die Sozialpolitik als

»Methode der Sozialisierung. Wenn die Sozialpolitik […] den Kapita-lismus über sich selbst hinaus treibt, – wohin treibt sie ihn? Wenn sie ihm die Sicherung seines Bestandes nur um den Preis seines Abbaus seiner Wandlung gewährt – was wird aus ihm? Wenn sie in sein Sys-tem neue und fremdartige Elemente einbaut und sie darin anschwel-len läßt, – zu welchem System gehören diese Elemente und was ist also das immanente Ziel der Sozialpolitik?« (Heimann 1929: 211)

Der Kapitalismus muss ja »diese ihm wesenswidrige Verwirklichung«

zulassen, weil er auf die arbeitenden Menschen angewiesen ist.

»Ein Gegensatz zwischen Sozialismus und Sozialpolitik kann nach al-ledem nicht bestehen, so wenig wie andererseits eine kapitalistische Grenze für die Sozialpolitik; Sozialismus und Sozialpolitik kommen beide aus dem Kapitalismus und sind auf die soziale Freiheitsordnung gerichtet und zwar so, daß die sozialpolitische Verwirklichung der so-zialen Freiheitsordnung ausschließlich der Kraft der soso-zialen Bewe-gung und dabei wieder in erster Linie der Kraft der sozialistischen Be-wegung verdankt wird. Wenn man die Errichtung der sozialen Frei-heitsordnung als Sozialisierung bezeichnet, so ist Sozialpolitik bisher der bevorzugte Weg der Sozialisierung.« (ebd.: 212)

Von daher ist es für Heimann gleichgültig, ob auf dem Weg zur Soziali-sierung vorsozialistische bürgerliche Elemente integriert werden müs-sen oder ob dieser Weg direkt beschritten werden kann. Letzteres ist für ihn eher der Fall, denn der Kapitalismus habe ja mit der »Zerstörung aller Traditionswurzeln« der sozialistischen Perspektive Tür und Tor ge-öffnet. Mit der Durchführung der Sozialpolitik sei zwar noch nicht der Sozialismus erreicht, »aber es ist ein Weg, der zwar für sich allein zur restlosen Verwirklichung der Idee nicht ausreicht, der aber andererseits für jenes Ziel notwendig und unentbehrlich ist«Dieser Weg beginnt mit der Errichtung einer sozialen Betriebsordnung, denn die soziale

Frei-heitsordnung geht vom arbeitenden Menschen aus und dieser wirkt ja in den Betrieben.

»Im Kapitalismus aber steht der Betrieb mit allem seinem sachlichen und menschlichen Zubehör im Privateigentum, er befindet sich in herrschaftlicher Verfassung; darum ist die soziale Betriebsordnung mit dem Privateigentum unvereinbar und darum die auf die soziale Betriebsordnung gerichtete Sozialpolitik gegen den Kapitalismus gerichtet.« (ebd.: 213)

Der Ausbau der Sozialpolitik muss damit zwangsläufig mit dem Ab-bau des Privateigentums zusammengehen; dies ist die Sozialisierung im engeren Sinne. Damit hören auch die Arbeit und der arbeitende Mensch auf, Ware zu sein. Heimann zitiert hier wieder den Arbeits-rechtler Sinzheimer:

»Einst war der Mensch, der nicht ein Freier war, Sache. Durch die Rechtsgleichheit wurde er Person. Die neue Ordnung macht ihn zum Menschen. […] So tritt in den freien Raum, der durch den Abbau des Eigentums entsteht, das Menschentum ein als ein neues selbststän-diges Rechtsprinzip, das sich mit seinem eigenen Wesen dem alten Rechtsprinzip des Eigentums entgegenstellt.« (ebd.: 213f.)

Die soziale Eigentumsordnung ist damit »die geradlinige Fortsetzung, Ergänzung und Vollendung der sozialen Betriebsordnung.« (ebd.: 214) Es braucht weiterhin eine Eigentumsordnung, aber nun eine soziale, denn die ist notwendig, um Freiheit zu sichern. Diese Freiheit ist aber nicht mehr die schrankenlose des Kapitalisten, sondern die in sozia-ler Gegenseitigkeit und Verantwortung begrenzte soziale Freiheitsord-nung.

»Nicht im Kapitalismus, wohl aber vom Kapitalismus aus, dank seiner liberalen Grundlage, hat die Arbeiterbewegung nun die Sozialpolitik voran getragen und dadurch auch die Sozialisierung des Eigentums grundsätzlich angebahnt; die alte These der sozialistischen Lehre ist durch die Tatsachen überholt. Aber wie es wegen der Verelendungs-theorie an einer positiven Theorie der Gewerkschaften fehlt, genau

so und aus demselben Grunde auch an einer allgemeinen positiven Theorie der Sozialpolitik; und so ist das theoretisch geschulte Bewußt-sein starr auf die juristische Eigentumsänderung gerichtet und ver-fehlt die dialektisch-realistische Aufgabe, welche aus der Wirklichkeit der Sozialpolitik erwächst: diese Wirklichkeit und ihre Bewegungs-richtung zu verstehen und zu würdigen.« (ebd.: 215f.)

Für Heimann ist Sozialisierung mehr als nur ein wirtschaftlicher Pro-zess.

»Der Verzicht auf die volle Verwirklichung der sozialen Idee, oder po-sitiv gewendet: die Verbürgerlichung der Arbeiterschaft ist umso eher möglich, je mehr der umfassende Charakter der sozialen Freiheit und der von ihr gestellten Anforderungen verkannt wird. Umso eher kann man sich mit einem Teil begnügen und sich in die dann gegebene Kompromißordnung befriedigt einfügen. Und zwar wird das am bes-ten gelingen, wenn auch das Erstrebte und Gewährte möglichst genau auf der Linie der bürgerlichen Wertungen liegt, also dem bürgerlichen Erwerbsgeist entspricht. Lohnkämpfe sind notwendig, nicht nur in der Gegenwartsordnung, die doch auf der wirtschaftlichen Interessenver-folgung beruht, sondern auch im Rahmen des Kampfes um die soziale Freiheit, die ihrerseits ein Mindestmaß wirtschaftlicher Bewegungs-freiheit fordert. Aber die soziale Frage ist in ihrem inneren Sinn nach keine bloße Lohnfrage; sie ist die Frage, die der arbeitende Mensch an das Leben stellt und auf die er sich durch die soziale Bewegung ei-ne sinnvolle Antwort holen will. Die Frage nach der bloßen Einkom-menshöhe, die Frage des sogenannten ›wirtschaftlichen Interesses‹

also ist in ihrer Beschränkung und Isolierung eine bürgerliche Frage, und mit Recht versucht die bürgerliche Seite eine bürgerliche Antwort, indem sie etwa die Arbeiter als Kleinaktionäre in den Kapitalismus aufnimmt; die durch das Arbeiterdasein aufgeworfene Frage nach der Gestaltung des Arbeitslebens wäre dann vermieden. Das gleiche gilt aber in der Arbeiterbewegung selbst. Die Verengung des Gesichtsfel-des auf die wirtschaftliche Interessenfrage und die damit gegebene Verkürzung der sozialen Spannweite führt organisatorisch zur Zen-tralisierung und Bürokratisierung ohne ein entsprechendes

dezentra-listisches Gegengewicht; denn ein umfassender Lohnkampf wird am besten nach den Weisungen einer zentralen Stelle geführt und aus einer zentral verwalteten Kasse finanziert, und jedes Hineinreden ist von Übel. [….] Die soziale Bewegung nimmt ihren Ausgang aber von der Erkenntnis, daß es in der Wirtschaft für den darin tätigen Men-schen um mehr geht als bloß Wirtschaftliches, daß es um die frei-heitliche und würdige Gestaltung des Arbeitslebens geht.« (Heimann 1929: 231f.)

Im Dokument Edition Politik (Seite 65-68)