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Selbstverwaltung, Genossenschaften und Gemeinschaftswerke

Im Dokument Edition Politik (Seite 72-76)

Heimann sieht die Selbstverwaltung im Mittelpunkt der Sozialisierung.

In der Selbstverwaltung steckt für ihn

»die Würde des Menschen selbst, der darin, daß er seine Kräfte rührt, sein eigenes Leben lebt. Den Spielraum dafür sollen wir ihm ja in der Wirtschaft verschaffen. Die Forderung nach Selbstverwaltung ist nicht nur an die Sozialpolitik zu richten; sie sollte weiter hinaus greifen auf das eigentliche Gebiet der sozialen Not, auf die Wirtschaft selbst. Die Bekanntschaft mit dem Sozialismus wird dann nicht theoretisch oder ein geistig vorgestelltes Ideal, sondern bricht aus der Wirklichkeit her-vor.« (Heimann 1927: 129ff.)

Heimann verstand Selbstverwaltung nicht rätedemokratisch, sondern gleichsam sozialorganisch aus der eigenen betrieblichen Erfahrung heraus in das Gemeinwesen und den Staat hinein. Dabei hat er den

funktionalen Zusammenhang zwischen Staat und Selbsthilfe im-mer wieder herausgestellt. Den»Gegensatz zwischen Selbsthilfe und Staatshilfe als den beiden Grundrichtungen der Sozialpolitik«versucht er im Sinne seiner Dialektik der Angewiesenheit zu überbrücken. So argumentiert er,

»daß der Gegensatz als ein solcher innerhalb des herrschaftlichen Sys-tems an Kraft verliert in dem Maße, als die jenseits des Gegensat-zes stehende soziale Bewegung an Kraft gewinnt. Sie fußt zwar ganz und gar auf der liberalen, freilich dynamisch aufgefassten Selbsthil-fe; sie braucht aber die Staatshilfe grundsätzlich nicht von der Selbst-hilfe auszuschließen, weil sie dynamisch, nicht institutionell denkt.«

(Heimann 1929: 132)

Er sieht »die soziale Staatshilfe aus der Selbsthilfe der sozialen Be-wegung« entstehen (ebd.). Wenn heute von den bürgergesellschaftli-chen Bewegungen als Medien der auffordernden Vermittlung zwisbürgergesellschaftli-chen Selbsthilfe und Sozialstaat gesprochen wird, so finden wir bei Heimann schon die entsprechenden Anklänge.

Heimann war in der Frage des Verhältnisses von Gemeinwirt-schaft, Selbstverwaltung, Markt und Staat offenbar mehr von dem Konzept einer »dualistischen Wirtschaft« von Hans Ritschl (1931) als dem der marktwirtschaftsnahen Verortung der Gemeinwirtschaft von Margit Cassel (1925) beeinflusst. Letztere sprach von den »Lücken der Marktwirtschaft«, die durch gemeinwirtschaftliche Unternehmungen ausgeglichen werden müssen. Ritschl hingegen sah in der Gemein-wirtschaft einen »Faktor für die Gestaltung wie für die Umformung der Wirtschaftsordnung« (Ritschl 1931: 3), aber auch der politischen Ordnung. Denn er sah die gemeinwirtschaftlichen Zusammenschlüsse als Kerne einer demokratischen Gesellschaft. Heimann wiederum er-hoffte sich – im Sinne der Dialektik der Erweiterung – ausgehend von der politischen Kraft der Betriebsräte und Gewerkschaften eine weite-reichende politische Mobilisierung. Über die Betriebsgemeinschaften hinaus – so auch Ritschl – sollte sich in sozialen Gemeinschaften wie z.B. Siedlungsgenossenschaften oder genossenschaftlichen Gemein-schaftswerken die demokratische Willensbildung ausformen und in

die Gesellschaft hinein entwickeln können. Die gemeinwirtschaftliche Orientierung kann so für Ritschl zu einer Neubelebung der Demokratie führen und die »formale Demokratie, die in mechanischer Weise aus den einzelnen Willen einen allgemeinen Willen zu bilden versucht und damit den Bürger wie einen Gesellschafter einordnet, zu einem stufenweisen Aufbau des Gemeinwillens aus Gemeinschaftskreisen übergehen und damit zu einem System echter Repräsentation streben.

[…] Ein Aufbau des Gemeinschaftswesens aus den unmittelbaren städ-tischen und ländlichen Lebensgemeinschaften würde den Bürger nicht als Einzelwesen, sondern als Glied einer Gemeinschaft erfassen.« (Rit-schl 1931: 150) Ähnliche Vorstellungen demokratischer Willensbildung von unten finden wir auch heute in manchen gemeinwesenökonomi-schen Projekten.

Die Selbsthilfe- und Genossenschaftsbewegung im Rahmen der Arbeiterbewegung (vgl. Fleißner 1911) war für Heimann ein wichtiger Teil, »ein Flügel« der sozialen Bewegung. Auch die Konsumsgenos-senschaften hatte er hier im Blick. »Es liegt ungemein nahe, daß der Arbeiter sein Verbraucherschicksal parallel zu seinem Erzeugerschick-sal deutet.« (Heimann 1929: 72f.) Die Arbeiterkonsumvereine, so hießen die Konsumgenossenschaften vor dem Ersten Weltkrieg, wurden schon früh von der Sozialdemokratie als soziale und verbraucherpolitische Bewegung anerkannt. Heimann empfiehlt den gemeinwirtschaftlichen Gruppen

»eine gestufte Selbstverwaltung der größeren und kleineren Grup-pen mit möglichst weitgehender Verantwortung für ihren eigenen Arbeitsbereich und in mannigfachen verschiedenen Verfassungen, als örtliche Gemeinde oder Produktivgenossenschaft oder Konsum-genossenschaft oder unmittelbarer Staatsbetrieb oder Einzelbetrieb usw. […] Im Interesse der Gesamtordnung kann auf die Klammer des einheitlichen Gemeineigentums in irgendeiner Form – entweder als eigentliches Eigentum unter der Legierung von Verfügungsrechten an die Belegschaften und dergleichen oder als wirksames Obereigentum über dem Eigentum der Belegschaften oder Gemeinden oder Genos-senschaften – nicht verzichtet werden; man darf nicht die Willkür und

Zusammenhanglosigkeit des Privateigentums durch die Willkür und Zusammenhanglosigkeit von Gruppeneigentum ersetzen.« (Heimann 1932: 17)

Gemeinwirtschaft ist für Heimann nicht nur ein ökonomisches System, sondern ein sozialer Lebenszusammenhang:

»Die Gemeinwirtschaft wäre gerichtet, wenn sie in der Sphäre der Gesamtplanung und der Betriebsverwaltung hängen bliebe und nicht bis in die Sphäre des arbeitenden Einzelmenschen durchstieße;

seinen Lebensraum muß sie verwandeln und erfüllen. Bei Freund und Feind ist zwar die Vorstellung üblich, dass Sozialisierung wie eine luftdicht abschließende Käseglocke über die Wirtschaft ge-stülpt würde, daß sie in Zusammenfassung, Organisationskontrolle und Statistik besteht. Aber das ist das Gegenteil des mit der Sozia-lisierung ursprünglich Gemeinten und das Gegenteil dessen, was notwendig gemeint sein muß, wenn man den Sozialismus als eine Elementarbewegung begreift, in der die elementaren menschlichen Ansprüche geklärt und bestätigt und daher gerade nicht ausgelöscht sein müssen.« (Heimann 1932/1975: 88f.)

Viele Menschen sehen sich heute wieder mit ›elementaren Ansprüchen‹, existenziellen Lebensthemen konfrontiert, die nicht länger in der sozi-alstaatlichen Zone der Befriedung sozialer Probleme gehalten werden können. In dieser Erfahrung des Betroffen-Seins wird das Gemeinsa-me, das Aufeinander-angewiesen-Sein erkannt. Das »Gemeine Eigene«

wird damit zur Schlüsselkategorie für die Formierung sozialer Interes-sen und die Gestaltung einer Kultur der gegenseitigen AngewieInteres-senheit als Basis der Suche nach einer Balance zwischen dem Ökonomischen und dem Sozialen. Während sich im Heimannschen Modell die soziale Idee vor allem um die Arbeit drehte, ist sie in der heutigen Dimensi-on derCommons, des Gemeinen Eigenen also, so allseitig erweitert – ökologisch, sozial und kulturell –, dass sie in ihren Initiativ- und Orga-nisationsformen regionale sozialpolitische Räume strukturieren kann.

Im Dokument Edition Politik (Seite 72-76)