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4. Flächenkreislaufwirtschaft vor dem Hintergrund des Art. 15 GG

4.1 Sozialisierung von Grund und Boden als erwägenswerte Maßnahme für

4. Flächenkreislaufwirtschaft vor dem Hintergrund des Art. 15

tigkeit von Grund und Boden befördern helfen193. Verfassungsrechtlich ist – was bisweilen übersehen wird – in der Tat entscheidend, dass die derzeit praktizierte Bodenordnung als Teil der Wirtschaftsordnung194 keineswegs streng auf das Privateigentum ausgerichtet ist, sondern dass nach Art. 15 GG u. a. Grund und Boden – umfasst sind Grundstücke nebst Bestandteilen und Zubehör195 – zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden können. Gleichwohl handelt es sich bei Art. 15 GG nicht um ein Grundrecht196, sondern (nur) um eine Ermächtigung zur Sozialisierung197. Heute ist jedoch eine Differenzierung von Nutzungsrechten an Flächen einerseits und auf-stehenden Gebäuden andererseits im Bereich industrieller Produktion schon längst Flä-chennutzungsrealität: Insbesondere die Betriebsgesellschaft zeigt, dass Produktionsmittel dem einen und die Unternehmen mit ihren Grundstücken dem anderen Privateigentümer gehören198.

In Anlehnung an die Anregungen, die Vertreter der deutschen Bodenreform-Bewegung am Ende des 20. Jahrhunderts zur Lösung der „Bodenfrage“199 lieferten, wurden in den 1970-er Jahren v1970-erstärkt rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit ein1970-er Kommunalisi1970-erung des Grund und Bodens ins Feld geführt200. Forderungen nach einer Vergesellschaftung des Bodeneigentums durch die Grundgesetznorm des Art. 15 GG wurden in der juristischen Fachliteratur mit einem Verweis auf die durch die Sozialisierung von Grundeigentum ent-stehenden praktischen Nachteile, Schwierigkeiten und Gefahren durchweg zurückhaltend kommentiert201. Man wandte insbesondere ein, dass die Entschädigungslast nach Art. 15 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG enorm wäre202.

193 Man kann daher weitere „Sozialisierungshöffigkeitsstellschrauben“ für eine Flächenkreislaufwirtschaft im Stadtumbau gewissermaßen montieren, als da wären: Wiedernutzung von Brachflächen, Initiierung alternati-ver gemeinwirtschaftlicher Flächenaneignungskonzepte, Revitalisierung von Einzelhandels- und Gewerbe-flächen sowie Förderung der Eigeninitiative einschließlich der Selbstorganisation.

194 Hierin spiegelt sich die mannigfache Verzahnung von Flächenkreislaufwirtschaft und Wirtschaftspla-nung wider, die nicht zuletzt auf die Inwertsetzung des „Produktionsfaktors Boden“ für gewerbliche respek-tive industrielle Zwecke rekurriert. Siehe dazu aus der Sicht der Wirtschaftsverwaltung den Überblick bei Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2002, § 28 I.

195 Rittstieg, AK-GG, Art. 14 / 15, Rdnr. 247.

196 Rittstieg, AK-GG, Art. 14 / 15, Rdnr. 238.

197 BVerfGE 12, S. 354, 363.

198 Schell, Art. 15 GG im Verfassungsgefüge, 1996, S. 133 ff.

199 Schell, Art. 15 GG im Verfassungsgefüge, 1996, S. 81, 114.

200 Ahlers, Die Sozialisierung von Grund und Boden. Historische Wurzeln, Zulässigkeit nach dem Grundge-setz sowie Vor- und Nachteile der Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 1982, S. 90 f.

201 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, 1972, S. 39.

202 A. A. Rittstieg, AK-GG, Art. 14 / 15, Rdnr. 253.

Die h. L. meint, dass das Resultat einer sich aus unterschiedlichen Sozialisierungsdichten ergebenden Uneinheitlichkeit der Lebensverhältnisse203 sowie Friktionen in der Wirtschaft, die zu befürchten seien, wenn in einer marktwirtschaftlichen Ordnung ein so wichtiger Teilbereich wie der Grund und Boden sozialisiert würde, Anlass gäben, die Radikallösung einer Sozialisierung möglichst / tunlichst zu vermeiden204.

Überaus kritisch ist zu illuminieren, ob nicht Tatbestandselemente des Art. 15 GG für ein zeitgemäßes zyklierendes Flächenmanagement fruchtbar zu gestalten sind. Grundsätzlich gilt nahezu unverändert respektive aktuell eher verstärkt, dass die Schlüsselstellung der Bodennutzung bzw. Flächenverfügbarkeit nicht in Vergessenheit geraten darf, da eine funktionsfähige Bodennutzung, die die Grundbedürfnisse des Wohnens, Arbeitens, der Erholung und Freizeitgestaltung befriedigt, das Handlungsziel sämtlicher städtebaurechtli-cher Bemühungen ist. Regelung, Steuerung und Ausübung der Bodennutzung müssen direkt der Realisierung des Städtebaus dienen.

Die Regelungsintensität darf nach Auffassung von Breuer freilich nicht so weit gehen wie die „radikalen“ Vorschläge der 1970er Jahre, Flächeneigentum in eine eigentumsrechtliche Verfügungsbefugnis der Kommunen (Gemeineigentum) auf der einen sowie in eine zeit-lich limitierte, gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung eingeräumte Verfügungsbe-fugnis Privater auf der anderen Seite aufzuspalten205. Eine derartige Konstruktion – die Entziehung des Verfügungseigentums und die absolute zeitliche Begrenzung des Nut-zungsrechts – wertet Breuer als entschädigungspflichtige Sozialisierung im Sinne des Art.

15 GG206.

Der Gesetzgeber darf nur handeln, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet

Primär muss auf die besondere Bedeutung von Art. 15 GG im „Verfassungskanon“ Bezug genommen werden: Die Bedeutung dieser Grundgesetz-Norm liegt insbesondere darin, dass sie nicht nur eine Eigentumsentziehung ermöglicht, sondern wie erwähnt zugleich einen Eingriff in die gesamte Wirtschaftsordnung gestattet. Die Umsetzung der

203 Hierzu ist freilich anzumerken, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet derzeit vor dem Hintergrund des primär demographischen Problems der Schrumpfung von Städten und Regionen durchaus kontrovers diskutiert wird.

204 So die h. M. Vgl. dazu etwa Wieland, in: Dreier, GG, Art. 15, Rdnr. 17; Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, S. 3 f.

205 Schell, Art. 15 GG im Verfassungsgefüge, 1996, S. 114; Vogel, NJW 1972, S. 1544, 1547.

206 Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, S. 5.

tigungsoption von Art. 15 GG vermag daher gravierende Auswirkungen für den Produkti-onsfaktor Boden207 nach sich zu ziehen. Die Frage ist nun, ob eine derartige Teilumwand-lung der Eigentumsordnung im Sinne einer Flächenkreislaufwirtschaft – unabhängig von dem Problemkomplex, ob man von dieser Wandlung zur Gänze oder in grundstücksschar-fen homöopathischen Dosen Gebrauch machen sollte – als notwendig und sachangemessen erscheint.

Einführend wird ergo zu bedenken sein, dass die nach Art. 15 GG mögliche Vergesell-schaftung zugleich die Ermächtigung zu bestimmten Eingriffen in das Eigentum bereithält.

Diese Eingriffe gehen über die in Art. 14 Abs. 3 GG vorgesehenen Enteignungsaktivitäten der öffentlichen Hand hinaus, abgemildert dadurch, dass die Sozialisierung analog zur Ent-eignung eine Entschädigungspflicht fixiert. Dies führt immer wieder zu der (bangen) Fra-ge, aus welchen Budgets der Staat diese Kompensation für Sozialisierungsmaßnahmen zu finanzieren gedenkt, wenngleich es im Sinne einer optimalen Flächen-Allokation bzw.

einer verbreiterten Zugangschance der Menschen zur Nutzung des Grund und Bodens nicht allein damit getan sein dürfte, an Stelle der privaten Flächeneigentümer öffentlich-rechtliche Rechtsträger zu platzieren208.

Mit Recht wird man daher konstatieren können, dass Vergemeinschaftungsaktivitäten209 – insbesondere auf der Ebene der deutschen Landesverfassungen – nie über die bloße Theo-rie hinaus kamen. Selbst die hessische Landesverfassung, die im geschichtlichen Rück-spiegel durchaus progressiv genannt werden kann, verzichtete auf die Sozialisierung in der Form der totalen Verstaatlichung, denn auch wo sie eine Sozialisierung forderte, sollte nicht Staatskapitalismus, sondern Gemeineigentum begründet werden (Art. 40 Hessische Landesverfassung)210. Thiele macht darauf aufmerksam, dass auch in Hessen praktische Erfolge kaum zu verzeichnen gewesen seien – selbst der Sozialisierungsversuch sei fehlge-schlagen und teilweise erledigt worden durch das Abschlussgesetz vom 6.7.1954211.

207 Krit. dazu Grimmel, ZfSÖ 1994, S. 29 ff.

208 Überzeugend Thiele, Wirtschaftsverfassungsrecht, 1974, S. 206 f.

209 Vom Gemeineigentum ist strikt die Konstruktion des Gemeinschaftseigentums zu trennen, das u. a. durch das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) geregelt wird. Zwar läuft das „Modell“ des Gemeinschaftseigentums in der Praxis selten konfliktfrei ab (Differenzen zwischen Wohnungseigentümern etwa über Bewirtschaftung und Instandhaltung der Wohnanlage etc.). Doch befindet es sich im Gegensatz zum Gemeineigentum nicht auf einer flächenhaushaltspolitischen terra incognita.

210 Vgl. zu den Sozialisierungsmaßnahmen in Hessen instruktiv Winter, Sozialisierung und Mitbestimmung in Hessen 1946-1955, in: Winter, Sozialisierung von Unternehmen, Bedingungen und Begründungen, 1976, S. 121 ff.

211 Thiele, Wirtschaftsverfassungsrecht, 1974, S. 124 f.

4.2 Gemeinwirtschaft und Gemeineigentum als Flächennutzungsformen in