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Die Schriften des Itzig Feitel Stern

Im Dokument Almut Laufer Land, Dorf, Kehilla (Seite 118-158)

Auflagenstärke und Verbreitung der Fliegenden Wische lassen sich heute nicht rekonstruieren. Von einem kommerziellen Erfolg des im Selbstverlag erschienen Bändchens ist jedoch kaum auszugehen. Lediglich in den Beständen der Staats-bibliothek zu Berlin und der Bibliothek der Humboldt-Universität ist je ein Exemplar nachweisbar, woraus auf die begrenzte Reichweite der Schrift ge-schlossen werden kann.

Die Schriften des Itzig Feitel Stern

Ein ungleich größerer Erfolg war zweifelsohne dem bayerischen Pendant von Mo-ses Ziegenfuß beschieden, nämlich Itzig Feitel Stern. Unter diesem Pseudonym erschienen zwischen 1827 und 1938 (!) eine Reihe satirischer Schriften in einem fiktiven jüdischen Idiom, das linguistischen Auswertungen zufolge große Ähn-lichkeiten mit der Fürther bzw. fränkischen Dialektgruppe des Jiddischen auf-weist.282 Die Tendenz der Schriften ist judenfeindlich, antiemanzipatorisch mit teils rassistischem Einschlag, wenn auch die frühen Schriften bei Weitem noch nicht den Grad an Gehässigkeit und Verachtung der späteren erreichen, sondern eine eher polemisch-mokierende Absicht erkennen lassen. Bei den meisten Aus-gaben handelt es sich um jeweils aktualisierte Neuauflagen oder Bearbeitungen älterer Texte. Kennzeichnend für das unter dem Namen Itzig Feitel Stern erschie-nene Schrifttum ist eine Gattungsvielfalt, deren Bandbreite von Spielszenen, Bal-laden und Gedichten über Anekdoten, Schwänke, Verrisse und Parodien bis zu Kurzgeschichten reicht. Unter dem Pseudonym Itzig Feitel Stern erschienen aber auch sog. »Enthüllungsschriften«, also theoretische Abhandlungen mit klar an-tisemitischer Tendenz, die zur Warnung und »Aufklärung« der christlichen Öf-fentlichkeit bestimmt waren.283

Die Identität des Verfassers bzw. der Verfasser der Schriftenreihe ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Stilistische und konzeptuelle Differenzen sowie der Um-stand extensiver Textüberarbeitung und -erweiterung sowie die Verlagsgeschichte

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282 Alfred Klepsch: Jiddische Mundartdichtung von Nichtjuden aus Franken. Das Rätsel des Itzig Feitel Stern. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 68 (2008), S. 169-201, hier:

S. 172, 176.

283 Die linke Massematten der houchlöbliche Jüdenschaft. Die Spitzbubereyen und Gauner-streiche der Juden. Meissen: Goedsche [1833]; Lexicon der jüdischen Geschäfts- und Umgangs-sprache. München: George Jaquet 1833. Mit Itzig Feitel Stern als Herausgeber wird folgende Schrift assoziiert: Die Manzepaziuhn der houchlöbliche kieniglich bayerische Jüdenschaft. En Edress an die houchverehrliche Harren Landständ, ousgestodirt von Schächter Eisig Schmuhl in Kriegshaber, und drücken gelosst vun Itzig Feitel Stern. Ansbach: J. M. Dollfuß 1834.

lassen keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass die Schriften nicht alle aus der Feder eines einzigen Autors stammen. Mehrere Personen dürften (nacheinander) unter dem Pseudonym Itzig Feitel Stern schriftstellerisch oder editorisch tätig ge-wesen sein, was dem Namen einen hohen Bekanntheitsgrad einbrachte und die Kunstfigur zum Symbol werden ließ. Für Veitel Itzig, den intriganten Schacher-juden aus Gustav Freytags Soll und Haben (1855), stand sie ideell und nominell Pate, ebenso wie für die Hauptfigur Itzig Faitel Stern in Oscar Panizzas grotesker Erzählung Der operirte Jud’ (1893).284

Zur Frage der Autorenschaft

Als plausibelste Lösung der Frage nach den Verfassern schlage ich folgende These vor, die im Wesentlichen auf den Untersuchungsergebnissen von Alfred Klepsch285 basiert und sich widerspruchslos mit dem autographischen Bekennt-nisgedicht des Juristen Johann Friedrich Sigmund von Holzschuher aus dem Nachlass eines befreundeten Gerichtsschreibers in Einklang bringen lässt. Darin hatte Holzschuher den Werdegang der Itzig-Feitel-Stern-Schriftenreihe nachvoll-zogen, bis zu dem Zeitpunkt, als »Itzig Feitel Stern« seine »Beute«286 wurde, d. h.

er selbst unter diesem Pseudonym die Tradition der judenfeindlichen Satire wie-derbelebte.

Die frühen, im Selbstverlag erschienenen Schriften – wir werden darauf spä-ter zurückkommen – stammen, wie Klepsch vermutet, aus der Feder des protes-tantischen Sozialpädagogen und zuletzt als Patrimonialrichter tätigen Heinrich Holzschuher (1798-1847), der unter dem Pseudonym I. F. Stern 1826 erstmals eine

»Persiflage zeitgenössischer christlicher Erbauungsliteratur«287 herausgebracht

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284 Zu Gustav Freytag s. Mark Gelber: Teaching »Literary Anti-Semitism«: Dickens’ »Oliver Twist« and Freytag’s »Soll und Haben«. In: Comparative Literature Studies 16 (1979), H. 1, S. 1-11, hier: S. 7. – Hans Peter Althaus: Mauscheln. Ein Wort als Waffe. Berlin: De Gruyter 2002, S. 146ff.

285 Klepsch, Jiddische Mundartdichtung von Nichtjuden aus Franken (wie Anm. 282). – Einen chronologischen Überblick über diverse Lösungsvorschläge zur Klärung der Identitätsfrage bringt Althaus, Mauscheln (wie Anm. 284), S. 145f.

286 Klepsch, Jiddische Mundartdichtung von Nichtjuden aus Franken (wie Anm. 282), S. 190.

287 Ebd., S. 177. – Holzschuher dürfte über »zwei hervorstechende Charakterzüge« verfügt ha-ben, wie Klepsch unter Berufung auf dessen Biographin ausführt: Intellektuell begabt, verfügte er über ein »religiös motiviertes soziales Engagement«, war aber auch stark spott- und streitlus-tig. »Seine literarische Produktivität« bestand aus »sozialer und historischer Fachliteratur, aber auch aus Belletristik, insbesondere Mundartdichtung und aus Satiren« (ebd., S. 190).

hatte. Das Gros der Schriften steuerte aber ein in Markt Erlbach beschäftigter Gerichtsassessor bei, zu dessen Identifizierung bisher, ohne jedoch gänzlich überzeugen zu können, mehrere Namen in die Diskussion geworfen wurden.

Folgt man den Angaben im Autograph, so zeichnete der namentlich nicht ge-nannte Assessor für die Bände Das Schabbesgärtle, Die Schabbes Lamp, Louber-hüttenkränz, Knoblichblüthe, Linke Massematten und Gedichter, Peroubeln und Schnoukes verantwortlich. Nach dessen Tod, vermutlich bereits in den 30er Jah-ren des 19. Jahrhunderts, wartete der Goedsche-Verlag offenbar nicht die gesetz-lich vorgeschriebene Frist von dreißig Jahren ab, in denen allein den Erben das Recht der Veröffentlichung zukommt. Als in den 50er Jahren der Verlag die Schriften neu auflegte, erschien 1852 in der Reihe auch ein völlig neuer Band mit dem Titel Verzaehlinge un Schnoukes. Über dessen Autor, der Friedrich von Holz-schuher namentlich nicht bekannt gewesen sein dürfte, heißt es in seinem Ge-dicht lediglich, er »schrieb, wie Fama sagt, schier um ein Butterbrot. / (Dumpf und hohl)«.288 Tatsächlich weist der Band große stilistische Differenzen zu den bis dato erschienen auf und lässt deutlich erkennen, dass der Verfasser weitaus weniger geübt in der Nachahmung des jüdischen Idioms war. Als schließlich vier-ten Autor gibt sich Friedrich von Holzschuher zu erkennen, der mutmaßlich den 1856 erschienen Band Itzig Veitel Stern der Jüngere in der Westentasche ver-fasste.289

Literaturjiddisch

Die Verwendung eines fiktiven jüdisch-deutschen Idioms in der Erzählerrede, also zur sprachlichen Gestaltung eines gesamten Textes und nicht allein der Fi-gurenrede, war keine Innovation der sich hinter dem Pseudonym Itzig Feitel Stern verbergenden Autorenschaft; sie bot sich vor dem Hintergrund einer Zeit, in der Juden sich die deutsche Hochsprache aneigneten oder bereits fließend be-herrschten, ein begeistertes Interesse für deutsche Literatur bekundeten oder selbst zur Feder griffen, regelrecht an, um jegliche Ambition durch eine sprachli-che Bloßstellung der Aspiranten in ihrer Legitimität herabzusetzen. Denn wer

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288Ebd., S. 190.

289 Damit ist allerdings noch nicht die Verfasserschaft des Lexicon der jüdischen Geschäfts- und Umgangssprache (1833) geklärt, ebenso wenig wie die der Enthüllungsschrift Die Manzepaziuhn der houchlöbliche kieniglich bayerische Jüdenschaft (1834), die beide nicht bei Goedsche verlegt wurden.

selbst noch »mauschelte«, konnte kaum über die Fähigkeit verfügen, den An-sprüchen der hohen Literatur in irgend erdenklicher Weise gerecht zu werden.290

Das Jiddische, d. h. die jüdischen, regional variierenden Dialekte, stand ge-nerell in schlechtem Ansehen; sprachlich als minderwertig und verdorben ab-qualifiziert, galt es seiner Hebraismen wegen als fremdartig – eine sprachliche Manifestation von Unzugehörigkeit, aber auch Rückständigkeit und Dünkelhaf-tigkeit. Was zu Traditions- und Lebenserhalt taugte, war aus aufklärerisch-bür-gerlicher Sicht keinesfalls gesellschaftsfähig.

Die Imitation jüdischer Sprache in der Literatur geht nicht primär von einem mög-lichst getreuen mimetischen Impuls aus, sondern ist auf den Wiedererkennungs-effekt des Lesers hin konstruiert. Mit anderen Worten: Der Erfolg des Imitats misst sich an der Wahrnehmung der Leser, nicht an einer aktuellen oder historischen (realen) Sprachsituation. Richter hat in seiner Studie gezeigt, wie bestimmte laut-liche und syntaktische Abweichungen von der deutschen Standardsprache als

»jüdisch« angesehen werden, ohne tatsächlich Eigenheiten des Jiddischen wie-derzugeben. Aus diesem Grund schlägt er für die Bezeichnung intendiert jüdi-scher Rede den Begriff »Literaturjiddisch« vor:

Literaturtheoretisch gesehen, sind diese als spezifisch jüdisch geltenden Spracheigentüm-lichkeiten in fiktionalen Texten primär nicht Elemente des realen Jiddisch; vielmehr kon-stituieren sie die Sprache jüdischer Figuren in der Literatur, also ein fiktionales jüdisches Idiom, das ich Literaturjiddisch nennen will.291

Dabei weisen dem Judentum bzw. der jüdischen Emanzipation durchaus nicht abschlägige Texte keinen höheren Grad an Authentizität auf, als deklariert ju-denfeindliche: »Auch ein antijüdisches Machwerk kann in linguistischer Hin-sicht seine Vorzüge haben«, schreibt Richter mit Verweis auf den Verfasser der Itzig-Feitel-Stern-Reihe, »der sich in seinen mit negativen Klischees beladenen Texten mit schwer begreiflicher Besessenheit um die weitgehende Imitation des Jiddischen bemühte.« »[E]ine in vielem authentische Sprachgestaltung« lasse

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290»Die Erfindung der ›jüdischen Stimme‹ ist die Reaktion auf die sprachliche Assimilation der Juden, ein eindrucksvolles Beispiel für die historische Dialektik des Akkulturationsprozesses«

(Neubauer, Judenfiguren [wie Anm. 83], S. 157). – Zur Situation des Jiddischen in Deutschland und dessen Fortleben bei langsamer Ablösung durch das Hochdeutsche s. Steven M. Lowen-stein: The Complicated Language Situation of German Jewry, 1760-1914. In: Studia Rosenthali-ana 36 (2002-2003), S. 3-31; ders.: The Yiddish Written Word in Nineteenth-Century Germany. In:

LBI Year Book 24 (1979), S. 179-192; Matthias Richter: Die Sprache jüdischer Figuren in der deut-schen Literatur (1750-1933). Studien zu Form und Funktion. Göttingen: Wallstein 1995, S. 18-54.

291 Richter, Die Sprache jüdischer Figuren in der deutschen Literatur (wie Anm. 290), S. 98.

sich sehr wohl mit einer »diffamierende[n] Darstellung jüdischen Lebens«292 ver-einbaren.

Bereits zehn Jahre vor Erscheinen der Itzig-Feitel-Stern-Schriften hatte Johann Leonhard Meck (1787-1861) in seinen Lustspiele[n] und Gedichte in Nürnberger Mundart (1816) einzelne Gedichte veröffentlicht, die mit »jüdisch« überschrieben waren und einen Dialekt wiedergeben sollten, der, wie Klepsch zeigt, im Großen und Ganzen tatsächlich dem lokalen Westjiddisch der Fürther Judenschaft zu entsprechen scheint.

Der Gattung nach waren Mecks Gedichte Schwankstücklein in gebundener Rede, deren Protagonisten durch Namen und Kontext als jüdische Figuren aus-gewiesen wurden. »Was Mecks ›jüdische‹ Gedichte vom Gehalt her auszeichnet«, so Klepsch, »ist, daß sie zwar Derbes, zum Teil Unappetitliches über ihre jüdi-schen Protagonisten erzählen, daß aber eine spezifisch antijüdische oder gar an-tisemitische Tendenz gänzlich fehlt.«293 Diese Aussage mag ihre Richtigkeit ha-ben, solange man im Hinblick auf die Erzielung eines komischen Effekts dem Inhalt eine klare Vorrangstellung gegenüber der sprachlichen Darbietungsform einräumt. Meck, gebürtiger Fürther, war aber in erster Linie Schauspieler und hatte es in diesem Fach deutschlandweit zu einiger Bekanntheit gebracht. Seine nebenbei verfassten literarischen Texte, Bühnenstücke und Gedichte, waren zur Aufführung und zum Vortrag bestimmt; die intendierte Performanz der Texte hebt also den Aspekt der Form bei der Evozierung des Lachens besonders hervor.

Die Sympathie etwa, die mutmaßlich der Figur des Schmule entgegengebracht wird, als er dem »dummen, sturen« Zöllner einen Streich spielt, dürfte durch die Verwendung einer Sprache gemindert werden, an der Nichtjuden fast ausnahms-los Anstoß nahmen. Was anders präsentiert an einen geistreichen Einfall denken lassen könnte, bekommt hier den Beigeschmack des Betrügerischen und Lächer-lichen. Schmule lehnt sich nicht in einer harmlosen Eulenspiegelei gegen unge-rechte Zollvorschriften auf, er nimmt ganz dem Negativklischee entsprechend eine weitere Gelegenheit wahr, einen Nichtjuden zu foppen.294

Während sich über die beabsichtigte Wirkung des Jiddischen in Mecks Ge-dichten streiten lässt, besteht kein Zweifel über die antijüdische Tendenz von Ja-cob Ludwig Benckers Judenkirschen oder komische Gedichte zum Theil im jüdi-schen Dialect geschrieben. 1826 in Weidenberg (Oberfranken) herausgegeben,

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292 Ebd., S. 113.

293 Klepsch, Jiddische Mundartdichtung von Nichtjuden aus Franken (wie Anm. 282), S. 172.

294 »Der Schmule und der Zollner« (Johann Leonhard Meck: Lustspiele und Gedichte in Nürn-berger Mundart. Bd 1. Nürnberg 1816, S. 75-76).

reflektiert es thematisch die neuen Zeiten, d. h. den sozialen und ökonomischen Aufstieg der Juden, indem das Spektrum der Negativklischees aktualisiert und erweitert wird. Von Juden in der Armee ist ebenso die Rede wie von Güterzer-schlagung und einer (dem Schein nach vollzogenen) beruflichen Umstrukturie-rung. Die Wahl des Literaturjiddischen verstärkt die Ironie des Gesagten, das da-rauf abzielt, hinter jeglicher Neuerung das vermeintliche Fortbestehen der alten Zustände (Handelspraktiken etc.) aufzuzeigen und den Vorwurf erhebt, die Ju-den würJu-den die neuen rechtlichen Möglichkeiten nur dazu missbrauchen, sich wie bisher auf Kosten der Nichtjuden zu bereichern. Die Verwendung eines fin-gierten jüdischen Idioms trägt zur Ironisierung des Inhalts wesentlich bei und wird damit ein Instrument der Emanzipationsgegnerschaft; denn im Festhalten an der verdorbenen, primitiven Sprache manifestiere sich ein ebensolcher Cha-rakter. So heißt es im Vorwort des ersten Bandes: »Doch will ich jo net hab’n / As soll sich ärgern aner / Hier von der Jud’nschaft; - - / Von ihna steht drinn kaner.

/ Ich schreib von Mauscheln ner / In Pohl’nland dort fern / Mir hem kann Mau-schel mehr / Mir hem jetzt lauter Herrn.«295

Itzig Feitel Sterns Schriften erschienen nur wenig später und weisen inhaltliche Bezüge zu Mercks und Benckers einschlägigen Schriften auf: Mercks Gedichte wurden »nämlich komplett und teils mehrfach«296 ab 1830 in die Stern-Reihe übernommen. Aus Benckers Judenkirschen hatte man sich vermutlich inhaltli-che Anregungen geholt: Die Episoden »Kindbettsuppe« und »Der seltsame Roß-handel« wurden sowohl von Bencker als auch im Rahmen der Stern-Reihe litera-risch unterschiedlich bearbeitet. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass beide unabhängig voneinander auf andere Vorlagen zurückgreifen und bereits bekannte Stoffe bearbeiten, wie im Fall der Rosshandel-Episode, die auch Hebel in seinen Kalenderbeiträgen bringt (»Wie einmal ein schönes Roß um fünf Prügel feil gewesen ist«).

Frühe Parodien und Travestien: Eine Andeutung biographischer Züge

Die ersten beiden unter dem Pseudonym Itzig Feitel Stern erschienenen Bände, die sich der Gattung Emanzipationssatire zuordnen lassen, kamen 1827 in

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295 Jacob Ludwig Bencker: Judenkirschen oder komische Gedichte zum Theil im jüdischen Di-alect geschrieben. Bd 1. Weidenberg 1826, o.S.

296 Klepsch, Jiddische Mundartdichtung von Nichtjuden aus Franken (wie Anm. 282), S. 175.

München heraus. Als Verfasser gilt mit gewisser Sicherheit der bereits oben ge-nannte Heinrich Holzschuher.

Inhaltlich boten die »Drei Gedichter vun e graußen Baal Chochme der Goje mit Nume Friedrich vun Schiller« und »Gedichter vun dien grauße Lamden der Jüdischkeit« mehrere Schiller-Travestien, in denen nicht nur die Sprache jiddi-siert wurde, sondern auch Personen und Handlung einen Bezug zur jüdischen Lebenswelt aufweisen. Letztere erschöpfte sich freilich in der Darstellung und Evokation gängiger Klischees, d. h. besonders hervorstechender religiös-traditi-oneller Eigenheiten und eines alles dominierenden Handelsinteresses. Der komi-sche Effekt ergibt sich aus dem Kontrast von Original und Bearbeitung, von als erhaben Eingestuftem und als niedrig Verlachtem, gleich auf mehreren Ebenen:

dem Schillerschen Pathos einer antik-christlichen Tugendbeschwörung steht eine in Mundart vorgebrachte Fixierung auf Gelderwerb und Handelsgeschäfte gegenüber, den Königen, Grafen und Rittern der Balladenkomparserie Juden vom gemeinen Schlag. Der Rekurs auf Schiller in der Emanzipationskritik war dabei nicht neu: Da Schiller als Dichter der Freiheit sich in jüdisch-assimilierten Krei-sen großer Popularität erfreute, bot sich eine als übertrieben dargestellte, regel-rechte Schillerverehrung als satirischer Topos an.297

Während die Gedichtbearbeitungen des ersten Bandes noch stark dem Original verpflichtet sind und das darin entworfene Judenbild in seiner Stereotypie ein allgemeines bleibt, gerät im Nachfolgeband das landjüdische Milieu ins Blick-feld. In »Dichter Itzig Feitel Stern«, einer Parodie auf die Ballade »Ritter Toggen-burg«, kehrt der Protagonist seinem schwäbischen Heimatort Harburg zweimal den Rücken: zunächst, um »in die Schlacht zu reiten«,298 d. h. sich als Heereslie-ferant zu etablieren, und dann aus Gram über den Verlust der geliebten Frau, die in seiner Abwesenheit einem anderen vermählt worden ist:

Dou verlässet er af immer / Seiner Memme Houß, / Unn sein Zwerchsack sigt er nimmer / Er is ihn e Grouß. / Alles läßt er staihn unn hänga, / Ziegt vun Haarborg fort, / Unn eih verzeh Tag vergenga, / Is er schouh geschmort.299

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297 Fliegende Wische (wie Anm. 271). – Julius von Voß: Ueber des Schauspielers Herrn Wurm jüdische Deklamation. In: Jüdische Romantik und Wahrheit. Von einem getauften Israeliten. Hg.

von Julius von Voß. Berlin: Schmidt 1817, S. 291-300 sowie die sich darauf beziehenden Anmer-kungen in Neubauer, Auf Begehr (wie Anm. 266), S. 325f.

298 Itzig Feitel Stern: Gedichter vun dien grauße Lamden der Jüdischkeit mit Nume Itzig Feitel Stern. Zweyts Heftlich. München 1827, S. 4.

299 Ebd., S. 5.

Der Bruch mit der alten Welt ist scheinbar ein vollständiger; er bedeutet sowohl den Fortgang aus der Kleinstadt (Dorf) und eine Absage an die Erwerbsform Hau-sierer als auch die Abwendung von Religion und traditioneller Lebensweise. Die Zielscheibe des Spotts ist einmal mehr der soziale Aufsteiger ohne moralisches Rückgrat; seine wahre Herkunft sucht er durch eine illegitime Hinwendung zur deutschen Kultur zu verleugnen: Mit Lieferungen an das Heer reich geworden, baut er sich gegenüber der Wohnung seiner geliebten Frau ein Haus, beobachtet diese mit einem »Spektiv« und fasst seinen Schmerz in Gedichte. Die angestrebte Akkul-turation bleibt auch hier unvollständig, weil Name (Itzig Feitel Stern) und Sprache (jüdische Mundart) die eigentliche Herkunft verraten, die als wesentlich vom länd-lichen Milieu der Hausierer und Viehhändler geprägt wahrgenommen wird.

Der geographische Bezug zum nördlichen Schwaben, wie er sich aus der Er-wähnung des Städtchens Harburg im Landkreis Donau-Ries ergibt, ist einmalig und untypisch für die generalisierende, konkrete Bezüge meidende Darstellungs-form der ersten Bände.

Itzig Feitel Stern: Der Hausierer aus der Provinz

Das änderte sich 1830 mit dem Nachdruck und Vertrieb der Schriften durch den sächsischen Verlag Fr. W. Goedsche (Meißen), der in den folgenden fünf Jahren eine Reihe weiterer Titel unter dem fingierten Verfassernamen Itzig Feitel Stern herausbrachte. Ortsnamen tauchen jetzt öfter auf und situieren das Geschehen in einem geographischen Kontext, der dem Leser geläufig war. In Gedichter, Perou-beln unn Schnoukes von 1832 findet sich beispielsweise ein dramatischer Text, der bereits 1827 unter dem Titel »Der Rekrut« erschienen war und das Thema der Kon-skription von jüdischen Soldaten satirisch darstellt. Wie nicht anders zu erwar-ten, liefert der Rekrut ein um das andere Mal ein Beispiel seiner Feigheit, Uner-fahrenheit und Tölpelhaftigkeit, drückt sich vor dem Exerzieren und bezieht dafür Schläge. Ursprünglich ein kurzes Zweipersonenstück, war der Text inhalt-lich um etinhalt-liche Passagen erweitert worden, und zu dem Rekruten Itzig Feitel Stern und seinem Korporal hatten sich noch weitere Personen gesellt. Im Perso-nenverzeichnis werden der Rekrut und dessen Onkel folgendermaßen einge-führt: »2. De Rekrut, mit Nume Itzig Feitel Stern. (Seine Voreltern stamme vun Kriegshaber bey Aagsborrig.) / 3. Schlome, dien Itzig seihn Unkel, vun Haarbor-rig.«300

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300Itzig Feitel Stern: Gedichter, Perobeln unn Schnoukes. E Roretät poetische Parleschnur um de Kalle ihren Hals. Meissen: Goedsche [1832], S. 12.

Die Herkunft der jüdischen Figuren aus kleinen Ortschaften mit einem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil war offenbar so bedeutsam, dass man es nicht bei einem allgemeinen Verweis auf das Milieu der ländlichen Hausierer bewenden lassen wollte; denn ein solcher findet sich bereits in der ersten Fassung.301 Die Erwähnung Harburgs (»Haarborrig«) als Stammsitz der Familie Stern folgt der Vorgabe des zweiten Bandes (»Dichter Itzig Feitel Stern«, s. o.), während »Kriegs-haber« wohl als sprechender Name im Kontext der Ausbildung zum Soldaten eine komische Wirkung entfalten soll.

Zum einen suggerieren Ortsnamen Realitätsnähe, insbesondere dann, wenn sie einschlägig konnotiert im judenfeindlichen Leser das Bild einer traditionellen jü-dischen Gemeinde wachruft. Setzt man eine Kenntnis lokaler Anekdoten, Skan-dale, einseitig gefärbter Berichte und sonstigen Geredes voraus, ist die Nennung eines Ortsnamens dazu angetan, den komischen Effekt noch zu verstärken: Kriegs-haber und Harburg erscheinen dann von lauter feigen, tölpelhaften und – die Liste der Negativklischees ließe sich noch um Etliches erweitern – Itzig Feitel

Zum einen suggerieren Ortsnamen Realitätsnähe, insbesondere dann, wenn sie einschlägig konnotiert im judenfeindlichen Leser das Bild einer traditionellen jü-dischen Gemeinde wachruft. Setzt man eine Kenntnis lokaler Anekdoten, Skan-dale, einseitig gefärbter Berichte und sonstigen Geredes voraus, ist die Nennung eines Ortsnamens dazu angetan, den komischen Effekt noch zu verstärken: Kriegs-haber und Harburg erscheinen dann von lauter feigen, tölpelhaften und – die Liste der Negativklischees ließe sich noch um Etliches erweitern – Itzig Feitel

Im Dokument Almut Laufer Land, Dorf, Kehilla (Seite 118-158)