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Fliegende Wische aus dem Ränzel eines zottigen Landjuden

Im Dokument Almut Laufer Land, Dorf, Kehilla (Seite 113-118)

Figuren zu konterkarieren, indem es ihnen eine entwürdigende Gier nach Geld unterstellt.«269

Für den durchschlagenden Erfolg des Stückes war neben der hitzig geführten Debatte mit ihrer medialen Präsenz vor allem dessen bühnenwirksame Umset-zung, etwa die Besetzung der Hauptrollen mit Publikumslieblingen, verantwort-lich. Die Spielvorlage selbst war nämlich äußerst dürftig und denkbar einfach:

Jakob Hirsch, der Sohn eines Hausierers, wird von seinen Eltern in die finanzielle Eigenständigkeit entlassen – mit dem Wunsch, er möge es seinem Vater gleich-tun und es durch Handel zu Geld bringen. Jakob hingegen fühlt sich zu Höherem berufen: er möchte Dichter werden. Als ihm der reiche Geschäftsmann Polkwitzer vorschlägt, bei ihm in Dienst zu treten, willigt Jakob ein; dessen schöne und ge-bildete Tochter Lydie, eine »ästhetisierende Jüdin«, hat es ihm angetan. Als irr-tümlich verlautet wird, Jakob habe in der Lotterie den Haupttreffer gemacht, wird er mit einem Schlag zum Liebling aller. Polkwitzer umwirbt ihn als zukünftigen Schwiegersohn, und die vormals abweisende Lydie gibt sich glücklich verliebt.

Als sich das Missverständnis aufklärt, wenden sich alle von ihm ab, und Jakob bleibt völlig mittellos zurück.

Das Aufsehen um die Posse verhalf ihr zu einer erheblichen literarischen Wirkung; selbst mehrfach aufgelegt, zeitigte Unser Verkehr zahlreiche Folgeschriften und Artikel, die sich entweder mit seinem Erfolg kritisch auseinandersetzten oder aber sich seine Tendenz zu eigen machten. Sie ließen den Titel Unser Verkehr zu einem Schlagwort nicht nur im zeitge-nössischen Literaturbetrieb werden. Die in der Folge des Stücks verfaßten Neben- und Sei-tenstücke belegen diese Wirkung anschaulich für den Bereich der dramatischen Litera-tur.270

Fliegende Wische aus dem Ränzel eines zottigen Landjuden

Nicht seiner literarischen Qualität, sondern des thematischen Bezugs wegen ver-dient ein literarischer Text in der Nachfolge von Sessas Bühnenwerk besondere Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich um ein etwa fünfzigseitiges Bändchen mit dem Titel Fliegende Wische aus dem Ränzel eines zottigen Landjuden, als dessen

»Herausgeber« eine fingierte »Gesellschaft ungebildeter Leute unter Aufsicht des Naturdichters Moses Ziegenfuß« auftritt.271 Der eigentliche Verfasser dieser

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269 Ebd., S. 323.

270 Ebd., S. 320.

271 Fliegende Wische aus dem Ränzel eines zottigen Landjuden. Herausgegeben von einer Ge-sellschaft ungebildeter Leute unter Aufsicht des Naturdichters Moses Ziegenfuß. Paris und Polk-witz: bei den Herausgebern [o. J.].

typischen Schrift ist nicht ermittelbar. Obgleich undatiert, lässt sich anhand von Hinweisen im Text selbst mit ziemlicher Sicherheit 1818/19 als Erscheinungsjahr angeben.272 Der Verlagsort ist unbekannt; gelegentliche Bezüge auf Breslauer Verhältnisse, etwa die Erwähnung der sog. »Zwingergesellschaft«,273 könnten auf die schlesische Hauptstadt als Entstehungsort hinweisen, ebenso aber Ausdruck der Abhängigkeit von der Vorlage (Unser Verkehr) sein, vorausgesetzt, der nicht näher bezeichnete Schauplatz der Posse sei anerkanntermaßen mit Heimatstadt und Wohnsitz des Verfassers identifiziert worden. Insgesamt scheint das Bänd-chen auf preußische (bzw. schlesische) Verhältnisse abzustellen.

Inhaltlich bieten die Fliegenden Wische eine lose Aneinanderreihung von diver-sen Spielszenen, vorgeblich Dramenfragmenten, Hexameter-Idyllen, Aphoris-men u.a. Drei der insgesamt sieben Texte (»Der Sonntag. Eine Idylle«, S. 5-9; »Ei-nige Scenen aus dem Lustspiele: Der pohlnische Mann und die gemeinen Leute«, S. 22-36; »Isidor Morgenländers atheistisch-poetische Blähungen«, S. 37-40) be-ziehen sich direkt auf Sessas Judenposse, indem sowohl die handelnden Perso-nen Polkwitzer, dessen Tochter Lydie und der Schöngeist Isidor Morgenländer als auch der Gesamtzusammenhang und der Schlesienbezug von dort übernom-men wurden. Die Tendenz der Schrift im Ganzen ist, will sie sich auch als Scherz und nicht als Satire verstanden wissen, eindeutig denunziatorisch; der Sinn der Juden, so das wiederholt evozierte Negativklischee, stehe nach Geld, und der

»Kaftan voll Schmutz« »zieret« sie besser, »[u]nd vom Schacher zu sprechen als pomphaft die Großen zu spielen«.274 Einmal mehr wird die Unveränderlichkeit des jüdischen »Wesens« beschworen, das Kulturbeflissenheit, modische Klei-dung und die Annahme deutscher Namen nur mangelhaft zu verdecken im Stande seien. Der Effekt des Lächerlichen stellt sich inhaltlich über die Darstel-lung geschmacklicher Fehltritte ein und wird sprachlich durch Anwendung di-verser Verfahren erzielt, denen das Prinzip der Unangemessenheit der Rede zu-grunde liegt. Die Durchsetzung der Rede mit jiddischen Ausdrücken und

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272 So wird als rezente Theaterproduktion Kotzebues Der deutsche Mann und die vornehmen Leute erwähnt und über einen geplanten Aufenthalt des Dramatikers in der näheren Umgebung spekuliert. Das setzt voraus, dass Kotzebue, der im März 1819 einem Mordanschlag zum Opfer fiel, damals noch am Leben war – sofern man in der Aussage nicht eine geschmacklose Bloßstel-lung der Unwissenheit des Sprechers vermuten will.

273 Fliegende Wische (wie Anm. 271), S. 7. – Till van Rahden: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000 (Kritische Studien zur Geschichtswis-senschaft; 139), S. 105, 116ff.

274 Fliegende Wische (wie Anm. 271), S. 8.

taktischen Eigenheiten oder gar ein »Rückfall« in das vertraute Idiom zählen dazu ebenso wie eine manierierte Sprechweise, die umständlich umschreibt, was sich einfach ausdrücken ließe, oder sich phonetisch im übertriebenen Gebrauch von Umlauten manifestiert.275 Für die Versdichtungen insbesondere gilt als ge-stalterische Devise die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt, d. h. zwischen dem hohen Ton der gebundenen Sprache nach antikem Vorbild (Hexameter, elegi-sches Distichon) und dem Ordinären und Niederen der Schilderung.

Die satirische Spitze richtet sich dabei gegen zwei Phänomene: gegen die Prunk- und Geltungssucht Neureicher, aber vor allem gegen deren anmaßende künstlerische Ambitionen bzw. Juden als Kulturschaffende schlechthin. Denn was dem Leser geboten wird, ist – mit einem Wort – Kitsch, der von mangelndem Unterscheidungsvermögen und einem gänzlichen Fehlen literarischen Ge-schmacks zeugen soll. Poetologisch lässt sich das Programm mit einer von »Isi-dor Morgenländers atheistisch-poetischen Blähungen« wie folgt auf den Punkt bringen: »Eulen, ein Nachtlicht, ein Messer, ‘ne Wanduhr hinweisend auf Zwöl-fe, / Und was Gereimtes dazu, so ist der Zauber gekocht«.276 Die Ingredienzien zu dieser Kochkunst sind Versatzstücke aus Vorlagen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In die Szenen aus dem Lustspiel »Der pohlnische Mann und die gemeinen Leute«, ein literarischer Abkömmling von Unser Verkehr mit Polk-witzer und dessen Tochter Lydie in den Hauptrollen, sind auch der Buchhalter und der Student Moor integriert, ein jüdisches Brüderpaar, das sich von dieser germanisierenden Reverenzbezeigung vor Schiller Eingang in die bürgerliche Ge-sellschaft verspricht. Lydies Freundin Klara von Hoheneichen hingegen verdankt ihre literarische Existenz Christian Heinrich Spieß, dessen Ritterschauspiel glei-chen Namens und Schauergeschichten in die Kategorie »Trivialliteratur« fallen.

Für dieses Verfahren unkritischer Übernahme ließen sich noch etliche Beispiele aus dem Text bringen, in dem die Anspielungen auf zeitgenössisches Schrifttum jeglicher Art und Gattung ungemein dicht gestreut sind.

Die Autorschaft der Fliegenden Wische wird – und das ist der entscheidende Punkt – nicht etwa einem jüdischen Elegant der gehobenen Gesellschaft

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275 Bereits Sessa hatte sich dieses Gestaltungsprinzip der Figurenrede zu eigen gemacht und seinen Figuren je nach Akkulturationsgrad eine andere Sprache in den Mund gelegt. Neubauer in seinen Ausführungen zur Sprache jüdischer Figuren in den Dramen des frühen 19. Jahrhun-derts: »Die in der Figurenrede realisierten sprachlichen Abweichungen sind nicht wertneutral.

Je niedriger der Assimilationsgrad einer Figur und damit auch ihr Sozialstatus, je ›gemeiner‹ sie also sind, desto leichter wird sie identifiziert mit dem moralisch Niedrigen und Verwerflichen.

Und umgekehrt« (Neubauer, Judenfiguren [wie Anm. 83], S. 146).

276 Fliegende Wische (wie Anm. 271), S. 37.

schrieben, sondern einem »Landjuden«, einem Hausierer (Stichwort: Ränzel), mit Namen Moses Ziegenfuß. Von Akkulturation keine Spur, bleibt in der Seman-tik des Namens das Unkultivierte schlechthin verwahrt, was sich im Attribut »zot-tig« noch verstärkt. Eine Lithographie am Anfang des Bändchens zeigt das Kon-terfei des Dichters: krauses Haar und Bart, gekrümmte Nase, Mandelaugen, buschige Augenbrauen, Runzeln und Warzen, wulstige Lippen, den Dreispitz auf dem Kopf und drei Kirschen am Stängel zwischen die Lippen geklemmt – Letzte-res eine Anspielung auf die sog. »Judenkirschen«, die, eigentlich eine volkstüm-liche botanische Bezeichnung, im übertragenen Sinn für »Judenwitze« stan-den.277 Auch ohne die Assoziation des sprechenden Namens »Ziegenfuß« evoziert das Zottelige der Erscheinung den Eindruck einer Kreatur, welche die griechisch-römische Mythologie Wald und Flur zuordnet, oder in die Begriffe der menschli-chen Natur übersetzt: dem Wollüstigen, Primitiven, ganz auf Erhalt ausgerichte-ten Triebhafausgerichte-ten. Wohl nicht Pan selbst stand hier konzeptuell Modell, sondern einer aus dessen Gefolge: ein Satyr, der volksetymologische Namensgeber des spöttischen Humors – der Satire. Wie die polnischen Juden, jiddischsprechend und kaftantragend, als unverstellt und daher authentisch gelten, erhebt auch das Portrait des Moses Ziegenfuß Anspruch auf Wahrheit: nämlich ein getreues Ab-bild des Juden zu sein, der Herkunft und dem Wesen nach. Wie die polnischen Juden »aus den sandigen Steppen«278 kommen, ist der heimische (deutsche) Jude auf dem Land zuhause. Die Bescheidenheit der Verhältnisse entspreche, so der Tenor, dem Charakter des Juden, dessen ungehemmte Vitalität und Virilität der Sphäre des Natürlich-Ländlichen zugeordnet werden. Über den Schatten seiner nüchternen Realitätsbezogenheit kann der Jude auch dann nicht springen, wenn er sich ambitioniert zum »Naturdichter« aufschwingt: Sein pragmatisches Stre-ben nach Mehrung von Vermögen und Nachkommenschaft raubt ihm jeglichen Sinn für das wahrhaft Erhabene.

»Eos entsteiget dem Meer, mit rosigen Fingern«, heißt es im Eröffnungsvers von »Der Sonntag. Eine Idylle«, woraufhin die Atmosphäre der Sonntagsruhe in wenigen Eindrücken von geschlossenen Werkstätten und Läden, Glockengeläut und Kirchgängern festgehalten wird. Und darin: »Nur der Gewürzkrämer hat die Thüren zum Schachern geöffnet.«279 Mehr noch: Lydie Polkwitzer und ihr

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277 Vgl. dazu diverse einschlägige Witz- und Anekdotensammlungen, welche die »Judenkir-schen« in ihrem Titel führen: Frische und eingemachte Judenkirschen von Gottfried Basse (1812), Judenkirschen oder komische Gedichte von Jacob L. Bencker (1826), Frische Judenkirschen von Sebastian Willibald Schießler (1827), etc.

278 Fliegende Wische (wie Anm. 271), S. 8.

279 Ebd., S. 5.

Begleiter Heinrich Friedrich May stören bei ihrem Kirchenbesuch die Andacht der Betenden durch ihr »Geschwätz« und anstößiges Verhalten: »Und die eine Hand sträubet empor den wolligen Haarwuchs, / Indeß die Andere frech sich in die Ho-sen verirret, / Gegen den Altar gekehret den Rücken, den Kopf hochgewendet / hin zu der Orgel zu schaun die singenden Mädchen der Bühne[.]«280 Wer dem Materiellen und Körperlichen verhaftet ist, taugt weder zur Poetisierung noch zum Poeten.

Der Imitation bürgerlicher Werte und Sitten, wie sie den sich akkulturieren-den Juakkulturieren-den vorgeworfen und als Spielart ihrer Verstellungskunst gewertet wird, eignet etwas Provinzielles, weil, so die immanente Behauptung, sozialer Aufstieg und Etablierung in den Städten an ihrer Mentalität nichts grundlegend geändert hätten. Die Herkunft aus kleinen Verhältnissen können sie nicht verleugnen, weil sie ihnen regelrecht anhaftet.

Der Familienname Polkwitzer leitet sich von dem schlesischen Städtchen Polk-witz ab, das neben Schilda, Schöppenstädt, Ganslosen, Bopfingen, Beckum u.a.

zu den »deutschen Narrenstädten« und somit zu den Orten zählt, die »zur Ge-burtsstätte aller Albernheiten bestimmt«281 sind. Dem kleinstädtischen Milieu un-terstellte man gerne ein Potential zum Törichten als Resultat heilloser Selbstüber-schätzung, wobei die Anmaßung, den großen Städten kulturell und sozial in Nichts nachstehen zu wollen, jeder Ambition und jedem Ansinnen den Stempel des Provinziellen, d. h. der Imitation oder Vorspiegelung von Städtischem, auf-drückt – man denke nur an Kellers Seldwyla. Genau diese Vorstellung vom ille-gitimen Griff des seinem Wesen nach Kleinen und Niederen nach dem Großen und Bedeutsamen drückt sich im Namen Polkwitzer aus, ebenso wie in der Nen-nung von Paris und Polkwitz als Verlagsort. Polkwitz ist dann nicht nur Inbegriff des Lächerlichen, sondern auch des Provinziellen oder eben dieser besonderen Mischung tölpelhafter Möchtegern-Mondänität. Die Tendenz der Fliegenden Wi-sche ist eine infam antiemanzipatoriWi-sche, weil mit dem unveränderlich auf die Befriedigung von Triebbedürfnissen ausgerichteten Wesen der Juden argumen-tiert wird, für das sinnbildlich der Landjude steht.

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280Ebd., S. 6.

281 Karl Friedrich Wilhelm Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. Bd 4. Leipzig: Brockhaus 1876, Sp. 179: »Schildbürgerstreich«. – Vgl. dazu Heine:

»Ja, Madame, dort bin ich geboren, und ich bemerke dieses ausdrücklich für den Fall, daß etwa, nach meinem Tode, sieben Städte – Schilda, Krähwinkel, Polkwitz, Bockum, Dülken, Göttingen und Schöppenstädt – sich um die Ehre streiten, meine Vaterstadt zu seyn« (Ideen. Das Buch Le grand. In: Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Hg. von Manfred Windfuhr. Bd 6: Briefe aus Polen. Über Polen. Reisebilder I/II (Prosa). Bearb. von Jost Hermand.

Hamburg: Hoffmann und Campe 1973, S. 181 [Cap. 6]).

Auflagenstärke und Verbreitung der Fliegenden Wische lassen sich heute nicht rekonstruieren. Von einem kommerziellen Erfolg des im Selbstverlag erschienen Bändchens ist jedoch kaum auszugehen. Lediglich in den Beständen der Staats-bibliothek zu Berlin und der Bibliothek der Humboldt-Universität ist je ein Exemplar nachweisbar, woraus auf die begrenzte Reichweite der Schrift ge-schlossen werden kann.

Im Dokument Almut Laufer Land, Dorf, Kehilla (Seite 113-118)