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SCHLUSS: ZWEI EUROPAKONZEP TE UND DAS MUSEUM ALS MOBILER ORT

In der vorausgehenden tour d’horizon ging es um das Wechselspiel und die Komple-mentarität der musealen und wissenschaftlichen Diskurse wie Praktiken in der Zeit vor der akademischen Etablierung der Kunstgeschichte, in der zugleich Voraussetzungen geschaf-fen wurden für letztere. Der Weg führte von Wien oder Florenz nach Paris und Rom sowie London und Berlin bzw. skizzierte als Wechselgang das Thema der musealen Entschälung, Konfrontationen bzw. Suprapositionen einer reinen Antike und einer reinen Malerei:

letztere in Schulen gegliedert in einer historischen wie geographischen Ordnung, erstere aufgestellt nach unterschiedlichen ikonographischen oder ästhetischen Kriterien. Wenn Winckelmann eine Geschichte der Kunst des Altertums geschrieben hatte, so war es in den Museumsordnungen nun primär die neuzeitliche Malerei, in der kunstgeschichtliche Modelle elaboriert wurden. All dies bedeutete zugleich das Auflösen und Zerreißen alter Sammlungstopographien, den Transfer über kurze wie weite Distanzen, durch Kunst-handel, neue Sammlungskonzepte und/oder Beutezüge. Oft geschieht dies mit politi-schem oder gar imperialem Anspruch; darin wiederum lässt sich ein Wandel der Konzepte von Wien bis Berlin beobachten. Im Gegenzug zu diesem Transfer im großen Stil gibt es das Insistieren auf einer kontextuellen Verortung der Werke bzw. Schulen, von antiker Skulptur wie Malerei, der Betonung der Wichtigkeit des Lokalkolorit und der Gedächtnis-orte, wofür Rom einsteht. Damit sind wir zwei Europakonzepten begegnet, die beide in Paris verhandelt wurden: jenes Quatremères der universalen Idee Roms als Hauptstadt einer elitären europäischen Republik der Künste (sozusagen unter päpstlichem Schutz), die zugleich einer Gedächtnistopographie, einem localism und einer regionalen Diversifi-kation huldigt und das antike Rom unter der Hand als ein anderes Paris dekonstruiert (denn es habe ja Athen und die eroberten Städte und Provinzen ausgeplündert). Dagegen steht der zentralistische Europagedanke von Paris als neuem Athen, der Versammlung und dem Dialog seiner befreiten Meisterwerke (unter den Prämissen der Revolution und später dem imperialen ‚Schutz‘ Napoleons). Er wurde in die Tat umgesetzt durch Akte der Gewalt und in den Dienst der Ansprüche und der Repräsentation Napoleons gestellt, zugleich aber von einer europäischen Elite jenseits derselben zelebriert, weil die musealen Ensembles und die Werke eben nicht vollständig in der imperialen Geste des Musée Napoléon aufgin-gen, insofern wiederum ‚frei‘ wurden für wissenschaftliche und kulturelle Zuschreibungen.

Wolf Museumskulturen

Die neue Hängung der Malerei in der Grande Galerie, auch wenn sie dieser Geste dienen sollte, favorisierte zugleich einen solchen Zugang, und damit wurde das taxonomi-sche Modell der Schulen im Sinne Mechels aufgegeben oder in ein neues kunstgeschicht-liches Narrativ verwandelt, das eine neue Balance zwischen Künstler, Meisterwerk und Abfolge von Schulen suchte bzw. ausbildete. Damit wandelte sich auch die Rolle des Museums von einem Ort der Geschmacksbildung, der künstlerischen Selektion und Nach-ahmung in eine europäische bzw. nationale Bildungsinstitution, welche auch zum Prome-nieren einlud: z. B. vorbei an Antiken, die ästhetisch zelebriert wurden und sich in diesen Jahren zugleich in einer Krise befanden. Dies betraf, wie dargelegt, vor allem den Apoll vom Belvedere; die mediceische Venus bildete zunächst eine Ausnahme, bis mit den Elgin Marbles ab 1816 in London und der Aphrodite von Melos ab 1822 in Paris sich das Blatt wendete. 1815 war die ‚Versammlung‘ europäischer Meisterwerke in Paris wieder zer-schlagen worden; ihre Rückführung stärkte die nationale Agenda der betroffenen Länder und den Ausbau ihrer Museen mit neuen Konzepten. Auch die Bestände des Louvre blieben reich; es wurde im Laufe der folgenden Jahrzehnte zum nationalen, universalen Museum. In der Tat entstand in diesen Jahren das universale oder enzyklopädische Museum, welches wiederum unterschiedliche politische frames hat, in Verbindung mit dem Kolonialismus zu sehen ist und zugleich eine Exploitation der Altertümer des Osma-nischen Reiches darstellte. Es wurden neue Narrative der Kulturen elaboriert, als Zivilisa-tionsprozess, Abfolge von Hochkulturen, Ethnographisierung usf. mit komplexen Bezie-hungen zu oder als Transformationen der Ordnungssysteme der europäischen Sammlun-gen, ein Zusammen- oder Gegenspiel von Binnenordnungen und übergreifenden narrati-ven Angeboten. Aus all dem resultierten Fragen für die Zukunft, für die Neuordnungen, wie sie z. B. in Berlin anstehen, für den Versuch, Kulturen nicht als nationale, museale Inszenierung und Repräsentation oder universalistische Zelebration der Kunst vorzuführen, sondern das Museum auf einen Dialog der Kulturen hin zu öffnen.

Museen sind Gedächtnismaschinen ebenso wie solche des Vergessens – in Prozessen der Dekontextualisierung wie Rekontextualisierung, die historische wie kunsthistorische Forschung und Narrative ebenso in Gang setzen wie diese auf sie zurückwirken. Sammlungs-topographien sind ihrerseits zu ‚Orten‘ geworden oder werden als solche angelegt, sie lassen sich historisieren, wiewohl neue Konzepte oft nicht vor ihnen haltmachen oder sie integrieren. Die Museen, in denen die Werke oft so unbeweglich scheinen, sind in Wahr-heit Orte eines temporären wie permanenten displacement mit eigenen Technologien.

Und es gibt die Depots, jene überdichteten Orte engster Kohabitation von Artefakten ver-schiedenster Provenienz. In den Depots ist der größere Teil der Museumsobjekte versam-melt; das war auch schon in der Frühgeschichte des Louvre der Fall und läßt sich an so denkwürdigen Orten wie dem Depot des Völkerkundemuseums in den Untergeschossen der Hofburg in seiner ganzen historischen Problematik wie gegenwärtigen Situation erfas-sen. Die Geschichte der Depots wäre gewiss ein spannendes Forschungsthema.

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1 Der Text folgt weitestgehend dem Text des einführenden Vortrags der Wiener Tagung im November 2011.

Für Gespräche, Hilfe bei den Recherchen und Textredaktion danke ich Theresa Holler.

2 Auch hier sei wiederum auf die Serie der Museumsphotos von Struth und seine Photographien aus dem Musée du Louvre verwiesen. Cf. jetzt zum Museum als Gedächtnisort auch Andreas Beyer, Der Louvre, in: Europäische Erinnerungsorte, Bd. 2 Das Haus Europa, München 2012, S. 161–166. Struths Museums-Photographien sind ihrerseits wiederum zum Anlass künstlerischer Kommentierung geworden.

3 Thomas DaCosta Kaufmann, Luigi Lanzi: Collecting, Historiography, and the Exchange of Paintings between Vienna and Florence, in: Journal of the Historiography of Art [im Druck].

4 Anlässlich der kürzlich restaurierten und neu präsentierten Tribuna der Galleria degli Uffizi fand Ende November 2012 eine Tagung unter dem Titel La Tribuna del Principe: storia, contesti, restauro am Kunsthistorischen Institut in Florenz statt, deren Beiträge publiziert werden sollen.

5 Zu Zoffany cf. John Anthony Nicholls, Das Galeriebild im 18. Jahrhundert und Johann Zoffanys „Tribuna“, Diss. Bonn 2006 [Online: http://hss.ulb.uni-bonn.de/2006/0865/0865.htm]; sowie jetzt grundlegend Mary Webster, Johan Zoffany, 1733–1810, New Haven [u.a.] 2011; Johan Zoffany RA: society observed, hg. von Martin Postle, Ausst.-Kat. Royal Academy of Arts London, 2011.

6 Dazu auch Detlef Heikamp, Le sovrane bellezze della Tribuna, in: Magnificenza alla corte dei Medici, hg. von Cristina Acidini Luchinat, Mina Gregori, Detlef Heikamp und Antonio Paolucci, Ausst.-Kat. Florenz, Museo degli Argenti, Mailand 1997, S. 329–345.

7 Tobias Smollett, Letter XXVIII, Nice, February 5, 1765, konsultiert nach der Ausgabe: Travels through France and Italy, Edinburgh 1796, online in http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Gazetteer/Places/Europe/Italy/_Texts/Smollett/

Travels/28.html. (15.02.2013)

8 Zur ‚Identifizierung‘ der einzelnen Persönlichkeiten cf. u.a. Nicholls 2006 (Anm. 5), S. 163–165.

9 Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1976.

10 Harald Marx, Gemäldegalerie Dresden, Alte Meister: Sammlung, Bau, Geschichte, Leipzig 2008; Barbara Marx/Karl-Siegbert Rehberg (Hgg.), Sammeln als Institution. Von der fürstlichen Wunderkammer zum Mäzenatentum des Staates, München/

Berlin 2006; Tristan Weddigen, Ein Modell für die Geschichte der Kunst: die Hängungen der Dresdener Gemäldegalerie zwischen 1747 und 1856, in: Dresdener Kunstblätter, 52, 2009, 1, 44–58; Tristan Weddigen, The picture galleries of Dresden, Düsseldorf, and Kassel: Princely Collections in Eighteenth-Century Germany, in: The First Modern Museums of Art, Los Angeles 2012, S. 145–165.

11 Licia Collobi Ragghianti, Il libro de’ disegni del Vasari, 2 Bde., Florenz 1974.

12 Giulio Mancini, Considerazioni sulla pittura, hg. von Adriana Marucchi, 2 Bde., Rom 1956/57 (Fonti e documenti inediti per la storia dell’arte 1). Weiterhin Frances Gage, Giulio Mancini’s Considerazioni sulla pittura: recreation, manners and decorum in seventeenth-century Roman picture galleries, 2 Bde., Diss. Baltimore 2000; Donatella Livia Sparti, Novità su Giulio Mancini: medicina, arte e presunta ‚connoisseurship‘, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 52, 1, 2008 (2009), S. 53–72, die eine kritische Haltung gegenüber der Kennerschaft Mancinis einnimmt.

13 Display and Art History: The Düsseldorf Gallery and Its Catalogue, hg. von Thomas W. Gaehtgens und Louis Marchesano, Ausst.-Kat. Getty Research Institute, Los Angeles 2011; Sabine Koch, Die Düsseldorfer Gemäldegalerie, in: Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland, 1701–1815, hg. von Bénédicte Savoy, Mainz 2006, S. 87–115;

Debora J. Meijers, Kunst als Natur. Die Habsburger Gemäldegalerie in Wien um 1780 (Schriften des Kunsthistorischen Museums, Bd. 2), Wien 1995.

14 Gert von der Osten, Hans Baldung Grien. Gemälde und Dokumente, Berlin 1983, cat. 77, S. 214–221. Weiterhin Gerhard Wolf, Incarnation of Light, in: Images Take Flight. Feather Art in Mexico and Europe, hg. von Alessandra Russo, Gerhard Wolf, Diana Fane. München 2014.

15 Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunst-geschichte, Berlin 2000.

16 Édouard Pommier, Images du musée dans la deuxième moitié du XVIIIe siècle, in: Jean-Baptiste Wicar et son temps, hg. von Maria Teresa Caracciolo und Gennaro Toscano, Villeneuve d’Ascq 2007, S. 39–61; Paula Rea Radisich, Hubert Robert.

Painted Spaces of the Enlightenment, Cambridge 1998, S. 117–139 (Hubert Robert and the Revolution).

17 Zitiert nach Édouard Pommier, La Révolution et le destin des oeuvres d’art, Einleitung zu Quatremère de Quincy, Lettres à Miranda sur le déplacement des monuments de l’art de l’Italie, hg., komm. und eingel. von Édouard Pommier, Paris 1989, S. 21.

18 Zur Kunstpolitik in der Revolution cf. Aux armes et aux arts. Les arts de la révolution 1789–1799, hg. von Philippe Bordes und Régis Michel, Paris 1989; Édouard Pommier, L’art de la liberté. Doctrines et débats de la Révolution française, Paris 1991; Annie Jourdan, Les monuments de la Révolution. Le discours des images dans l’espace parisien, Diss. Amsterdam 1993;

Dominique Poulot, Musée, nation, patrimoine: 1789–1815, Paris 1997.

19 Zitiert nach Pommier 1989 (Anm. 17), S. 26.

20 Cf. ibidem 1989 (Anm. 17), S. 35f.

21 Dominique Poulot, Letters to Miranda and Canova. On the Abduction of Antiquities from Rome and Athens, Los Angeles 2012.

22 Quatremère schreibt dieses Zitat fälschlicherweise Cicero zu. S. Quatremère, Fourth Letter, ed. Poulot 2012 (Anm. 21), S. 108 und 122, Anm. 30.

23 Cicero, In Verrem, 2,4,33f., cf. Quatremère, ed. Poulot 2012 (Anm. 21), S. 116 und S. 122, Anm. 37.

24 „Quand cet Apollon, arraché du lieu où il existe depuis des siècles, où il a été scellé de la main immortelle de Michel-Ange, aura été emballé, apporté, voituré, emmagasiné à Paris, sera-t-il encore un dieu? Ne sera-ce pas un meuble?“

Pierre-Louis Roederer, De l’entrée de Bonaparte a Rome; des tableaux et statues d’Italie, in: Journal d’Économie publique, du 10 ventose an V (28. février 1797), in: Œuvres du comte P.L. Roederer, hg. von A.M. Roederer, Bd. 5, Paris 1857.

25 Édouard Pommier, La Féte de Thermidor an VI, in: Fêtes et revolution, hg. von Béatrice de Andia, Ausst.-Kat. Musée des Beaux Arts, Paris 1989, S. 176–215; Poulot 1997 (Anm. 18).

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26 Brigitte Sölch, Francesco Bianchini (1662–1729) und die Anfänge öffentlicher Museen in Rom, München [u.a.] 2007.

27 Daniela Gallo, Il Museo Clementino tra novità e tradizione, in: L’età di papa Clemente XIV. Religione, politica, cultura, hg. von Mario Rosa, Marina Colonna, et al., Rom 2010, S. 237–258, S. 244ff.

28 Dabei handelt es sich um ein Werk von Pierino da Vinci, Cosimo I che scaccia i vizi da Pisa, cf. Gallo 2010 (Anm. 28), S. 257.

29 Sölch 2007 (Anm. 26).

30 David Freedberg, The eye of the lynx: Galileo, his friends, and the beginnings of modern natural history, Chicago [u.a.] 2002.

31 Quatremère, Third Letter, ed. Poulot 2012 (Anm. 21), im Zusammenhang mit seinem Hinweis auf Winckelmann, der all dies noch nicht kannte.

32 Quatremère, Second Letter, ed. Poulot 2012 (Anm. 21).

33 Poulot 2012 (Anm. 21), S. 27.

34 Quatremère de Quincy, Canova et ses ouvrages, ou, Mémoires historiques sur la vie et les travaux de ce célèbre artiste.

Paris 1834, S. 19.

35 Quatremère, Third Letter, ed. Poulot 2012 (Anm. 21).

36 Beyer 2012 (Anm. 2); Bénédicte Savoy, Kunstraub. Napoleons Konfiszierung in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien [u.a.] 2010; Thomas Gaehtgens, Das Musée Napoléon und sein Einfluß auf die Kunstgeschichte, in: Johann Dominicus Fiorillo. Kunstgeschichte und die romantische Bewegung um 1800, hg. von Antje Middeldorf Kosegarten, Göttingen 1997, S. 339–369; Andrew McClellan, Inventing the Louvre, Art Politics and the Origins of the Modern Museum in Eighteenth-century Paris, New York 1994; Pommier 1991 (Anm. 18);

37 Jean Chatelain, Dominique Vivant Denon et le Louvre de Napoléon, Paris 1999; Les vies de Dominique-Vivant Denon, hg. von Daniela Gallo, 2 Bde., Paris 2001.

38 Daniela Gallo, The Galerie des Antiques of the Musée Napoléon: a new perception of ancient sculpture?, in: Napoleon’s Legacy:

The Rise of National Museums in Europe 1794–1830, hg. von Ellinoor Bergvelt et al., Berlin 2009, S. 111–123. Im Jahr 1808 werden dann die Antiken der Sammlung Borghese im Zuge der Verehelichung von Napoleons Schwester mit dem römischen Prinzen nach Paris gebracht.

39 Vgl. Arthur Schopenhauer, Die Reisetagebücher. Mit einem Nachwort von Ludger Lütkehaus, Zürich 1998, bzw. die klassische Ausgabe der Reisetagebücher aus den Jahren 1803 und 1804 von Charlotte von Gwinner, Leipzig 1923.

Cf. Gallo 2009 (Anm. 38), S. 116.

40 Aus Schinkel‘s Nachlaß. Reisetagebücher, Briefe und Aphorismen, hg. von Alfred Freiherr von Wolzogen, Bd. 1, Berlin 1862, S. 156.

41 Zu Canovas Auseinandersetzung mit dem Apoll vom Belvedere: Johannes Myssok, Die ‚tröstende‘ Kopie, in: Das Originale der Kopie. Kopien als Produkte und Medien der Transformation von Antike, hg. von Tatjana Bartsch et al., Berlin 2010, S. 91–116.

42 Die „Promenades dans Rome“ hat Stendhal 1828/9 in Paris auf der Basis von Tagebuchaufzeichnungen verfasst (ed. in: Voyages en Italie, Paris 1873, S. 778f.). Cf. hierzu und zur Rückkehr des Apoll: Hans Belting, Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst, München 1998, S. 82.

43 Édouard Pommier, Wien 1780–1793: Welches der beiden Museen war wohl das revolutionärste?, in: Tempel der Kunst.

Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland, 1701–1815, hg. von Bénédicte Savoy, Mainz 2006, S. 55–65.

44 Gaehtgens 1997 (Anm. 36).

45 Ibid., S. 367.

46 Thomas Gaehtgens, Das Musée Napoléon und seine Bedeutung für die europäische Kunstgeschichte, in: Beutekunst unter Napoleon. Die „französische Schenkung“ an Mainz 1803, hg. von Sigrun Paas und Sabine Mertens, Ausst.-Kat. Landes-museum Mainz, Mainz 2003, S. 178–186, S. 184.

47 Meijers 1995 (Anm. 13).

48 Zum Alten Museum in Berlin und seiner musealen ‚Ordnung‘ s. Elsa van Wezel, Denon‘s Louvre and Schinkel‘s Alte Museum: War Trophy Museum versus Monument to Peace, in: Napoleon‘s Legacy: The Rise of National Museums in Europe 1794–1830, hg. von Ellinoor Bergvelt et al., Berlin 2009, S. 157–172.

49 Ibid., S. 168.

50 Theater der Natur und Kunst: Wunderkammern des Wissens, hg. von Horst Bredekamp et al., 2 Bde., Berlin 2000.

51 Dazu auch Andrew McClellan, For and against the universal museum in the age of Napoleon, in: Napoleon’s Legacy:

The Rise of National Museums in Europe 1794–1830, hg. von Ellinoor Bergvelt et al., Berlin 2009, S. 91–100.

52 Zainab Bahrani/Zeynep Çelik/Edhem Eldem (Hgg.), Scramble for the Past, Istanbul 2011. Für Deutschland cf.

Suzanne L. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire: Religion, Race, and Scholarship, Washington D.C. 2009, und zum Begriff Thomas Gaehtgens, Die Berliner Museumsinsel im Deutschen Kaiserreich. Zur Kulturpolitik der Museen in der wilhelminischen Epoche, München 1992.

53 Alina Payne, Portable ruins. The Pergamon Altar, Heinrich Wölfflin, and German art history at the fin de siècle, in: Res 53/54, 2008, S. 169–190.

54 Cf. Eva-Maria Troelenberg, Eine Ausstellung wird besichtigt: die Münchner „Ausstellung von Meisterwerken muhammedani-scher Kunst“ 1910 in kultur- und wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive, Diss. München 2010, Frankfurt a.M. 2011.

Die Autorin hat eine Publikation zu Mshatta in Berlin in Vorbereitung.

Robert Felfe

Dynamiken von Sammlungs-kultur im 17. Jahrhundert

INSTABILE ENSEMBLES, FÜRSTLICHES MÄZENATENT UM UND DIE AMBI T IONEN DER EXP ERTEN

Ein erfahrener Reisender des Jahres 1669 wunderte sich in seinen Berichten über die un-vermittelte Plötzlichkeit, mit der er sich auf einmal in Wien befunden habe. Es sei ihm vor-gekommen, so heißt es später aus seiner Feder, als habe er seine Reise mit Hilfe der Magie beschleunigt – und doch sei es allein die Donau, auf der man fast so schnell reisen könne, wie in der Vorstellung.1 In Wien wird er neben anderen Sammlungen vor allem die des Kai-serhauses besuchen, Menagerien und Parkanlagen besichtigen sowie an einer Jagd teil-nehmen. Er wird mit dem Anspruch von Kennerschaft über Kunstwerke urteilen und im Laufe der kommenden drei Jahre etliche der bedeutendsten Kunstkammern und Bibliothe-ken von Dresden und Prag über München, Basel, Nürnberg, Berlin, Amsterdam und Lon-don besuchen. In Ambras wird er sich angesichts des Bildes von einem Riesen und einem Zwerg2 daran erinnern, dass man auch am Wiener Hof noch immer diese „Spiele der Na-tur“ sehr schätze. Der Erzähler räumt ein, dass er diese Wesen nie ohne eine gewisse Furcht habe sehen können. Als Grund dafür klingt an, dass die Natur in diesen Kreaturen Extreme hinsichtlich der Proportionen des Menschen hervorbringe und mit diesen Extre-men werde die vermeintliche Unverrückbarkeit der besonderen Wesensbestimmung des Menschen in Frage gestellt.3

Der erwähnte Reisende war der Arzt und Numismatiker Charles Patin.4 (Abb. 2) Er ge-hört zum Kreis jener Experten, die im unmittelbaren Umfeld fürstlicher Sammlungen agierten – wenngleich seine Karriere eher untypisch verlief. Auf den schnellen beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg im Paris der 1650er und 60er Jahre folgte eine Erschütte-rung, wie sie heftiger und bedrohlicher kaum hätte sein können. Nur knapp entging Patin im November 1667 der Verhaftung und floh ins Ausland. Einige Monate später wurde er in Abwesenheit zu lebenslanger Galeerenhaft verurteilt, und vor Notre Dame wurde sein Schandbild verbrannt.5 Hintergründe und Hergang dieses Falls sind bis heute nicht restlos geklärt. Fakt ist, dass Charles Patin zusammen mit seinem Vater einen schwunghaften Schwarzhandel mit teils verbotenen Büchern führte.6 Den zuständigen Obrigkeiten war dies jedoch seit längerem bekannt gewesen – und so stellt sich die Frage, warum diese Ak-tivitäten erst zu einem bestimmten Zeitpunkt so vehement als Angriffsfläche gegen ihn genutzt wurden.

Bereits unter Zeitgenossen kursierten hierzu verschiedene Vermutungen.7 Man ging davon aus, dass Patin als intimer Kenner des klandestinen Buchmarktes vom Pariser Hof selbst beauf-tragt worden sei, in den Niederlanden, von wo er für gewöhnlich den Großteil seiner Ware nach Frankreich schmuggelte, die komplette Auflage eines missliebigen Buches aufzukaufen und restlos zu vernichten. Wahrscheinlich handelte es sich um die Amours du Palais Royal, eine satirische Schrift über das erotische Leben am Pariser Hof, die insbesondere für die Maitresse von Louis XIV., Madame de Montespan, als schmachvolle Beleidigung empfunden wurde.8 Abb. 1

Tiziano Vecellio, gen. Tizian, Jacopo Strada, um 1567/68.

Wien, KHM, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 81

338 Felfe Dynamiken von Sammlungskultur

Zweierlei wurde nun weiterhin vermutet: Es könnte sein, dass Patin gemäß dem Auftrag die Auflage erworben hat, dass dann aber ein anderer Fürst mit einem Angebot an ihn her-angetreten sei und er schließlich diesem die Auflage komplett überlassen habe. Eine ande-re Version entwirft ein noch verwegeneande-res Szenarium: Danach hätte Patin, einmal im Be-sitz der delikaten Ware, deren Vernichtung nur fingiert und stattdessen selbst angefangen, die Bücher über erprobte Kanäle zu vertreiben, und zu diesem Zweck einen Teil auch nach Frankreich eingeführt. Beide Varianten laufen darauf hinaus, dass Charles Patin als Agent auf dem internationalen Buchmarkt mit hohem Risiko auf eigene Rechnung spielte und dabei aufgeflogen ist.

Es gibt jedoch eine weitere Variante, die erst von Historikern als Möglichkeit angedeu-tet wurde. Patin hatte sich in den 1660er Jahren einen gewissen Namen in der internatio-nalen Szene der Münz- und Medaillensammler erworben. Dies beruhte zum einen auf Ab-handlungen, die er hierzu publiziert hatte, zum anderen aber auf seiner eigenen Samm-lung, die als besonders auserlesen galt. Um die Mitte der 60er Jahre hatte nun der ehrgeizige Premierminister Colbert damit begonnen, sowohl seine eigene Bibliothek und Münzsammlung als auch die des Königs neu zu ordnen und auszubauen. Genau in dieser Zeit lancierte er heftige Anfeindungen gegen die numismatischen Publikationen Patins.9 Es gilt zudem als sicher, dass Colbert hinter der energischen Strafverfolgung und dem

Es gibt jedoch eine weitere Variante, die erst von Historikern als Möglichkeit angedeu-tet wurde. Patin hatte sich in den 1660er Jahren einen gewissen Namen in der internatio-nalen Szene der Münz- und Medaillensammler erworben. Dies beruhte zum einen auf Ab-handlungen, die er hierzu publiziert hatte, zum anderen aber auf seiner eigenen Samm-lung, die als besonders auserlesen galt. Um die Mitte der 60er Jahre hatte nun der ehrgeizige Premierminister Colbert damit begonnen, sowohl seine eigene Bibliothek und Münzsammlung als auch die des Königs neu zu ordnen und auszubauen. Genau in dieser Zeit lancierte er heftige Anfeindungen gegen die numismatischen Publikationen Patins.9 Es gilt zudem als sicher, dass Colbert hinter der energischen Strafverfolgung und dem