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Insgesamt ist in den betrachteten Zeitungen (siehe Tabelle 8) in etwa zwei Fünfteln aller Artikel eine Bewertung der politischen Handlungsträger zu erkennen. Dieser Anteil wird

5. Schlußbemerkung

Unsere Analysen hatten zum Ziel, die Thematisierungsleistung der Medien in einer außergewöhnlichen historischen Situation, in der sich sowohl die Medienordnung als auch die relevanten politischen Institutionen in einer Umbruchphase befanden, nachzuzeichnen.

In dieser Phase des Jahres 1990, in der der W ahlkampf zum ersten gesamtdeutschen Parlament stattfand, konnten zwischen den hier untersuchten Zeitungen aus Ost- und Westdeutschland Anzeichen für zwei unterschiedliche politische Medienrealitäten, aber auch für eine beginnende Konvergenz beobachtet werden.

Eine unterschiedliche Themenstruktur liegt vor allem in verschiedenen Policy-Bereichen vor, wo die Ostmedien starkes Gewicht auf ökonomische Themen legen. Gemeinsam ist den M edien Ost- und Westdeutschlands dagegen der herausragende Stellenwert, der dem Themenbereich der politischen Institutionen eingeräumt wurde. In diesem Sinne lenken die Medien durch ihre Thematisierungsleistung die Aufmerksamkeit auf jeweils spezifische Probleme und signalisieren damit politischen Handlungsbedarf. Sie wirken aber auch integrierend, indem sie die gemeinsame Herausforderung des Aufbaus eines neuen Staatsgebildes in den Vordergrund rücken.

Auch in bezug auf die politischen Handlungsträger lassen einige Unterschiede auf zwei Medienrealitäten in Deutschland schließen: In den beiden Westmedien bestimmen die Parteien und ihre Spitzenkandidaten als zentrale Akteure die Berichterstattung. Dagegen haben die Parteien in den Ostmedien eine weniger zentrale Bedeutung. Es scheint, daß es den - westlichen bzw. neu gegründeten - Parteien während des Wahlkampfes 1990 nicht vollständig gelungen ist, im Osten ihre dominante Position als kollektive Repräsentanten des Bürgerwillens durchzusetzen. Statt dessen haben die Bürger in den Ostmedien deutlicheres Gewicht als politische Handlungsträger und Subjekte der politischen Willensbildung. Im Osten hat also die Bürgerrolle zumindest temporär eine Aufwertung erfahren.

A uf der Ebene des Medienhandelns läßt sich die Struktur der jeweiligen Schwerpunktsetzungen als Ergebnis unterschiedlicher Selektionsentscheidungen interpretieren. Was die Bedeutung der Nachrichtenfaktoren angeht, so zeigen die Analysen, daß Form und Intensität dieser die Selektionsentscheidungen steuernden medienspezifischen Kriterien zwischen Ost und West variieren. Dies gilt vor allem für die erste Phase des Untersuchungszeitraums vom Juli bis zur staatlichen Vereinigung im Oktober 1990. W ir führen diese Unterschiede in erster Linie auf ein zumindest rudimentäres Fortwirken der Struktur und Logik der autoritären Medienordnung der DDR zurück, wo sich das Medienhandeln primär an externen, politischen Zielen ausrichtete und weniger, wie in liberalen Medienordnungen der Fall, an medieninternen Rationalitäten.

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Bemerkenswert ist, daß sich nach der Vereinigung eine deutliche Tendenz zur Angleichung der Relevanz der Nachrichtenfaktoren zeigt, wobei allerdings weiterhin idiosynkratische Muster in den Ostmedien, insbesondere hinsichtlich des Faktors Nähe, fortbestehen. Hier wären Erklärungen im Sinne eines eher parochialen Verständnisses der Nachrichtenauswahl in der Übergangsphase des ostdeutschen Mediensystems denkbar.

Ebenso wie bei der Selektion, lassen sich auch bei der Interpretation als der zweiten von uns untersuchten Dimension des Medienhandelns Ähnlichkeiten und verbliebene Unterschiede zwischen Ost- und Westmedien beobachten. Hinsichtlich der Pro- blematisierung als Merkmal massenmedialer Interpretationsleistung fanden w ir ein in allen untersuchten Zeitungen einheitliches Muster, wonach die Defizite und nicht die Problemlösungen im Vordergrund stehen. Gleichfalls überwiegen in allen Zeitungen die negativen die positiven Bewertungen politischer Akteure.

W ir gingen von der Annahme aus, daß sich das in liberalen Medienordnungen geltende Postulat der inhaltlichen Vielfalt in divergierenden Problemdefinitionen von Themen und Bewertungen von Akteuren manifestiert. Hier zeigt sich, daß vor allem zwischen den beiden Westmedien eine solche Heterogenität der Problematisierung besteht. Aber auch die beiden Ostmedien weisen, wenngleich auf deutlich niedrigerem Niveau, voneinander abweichende Interpretationen der ausgewählten Themen auf. In der Bewertung der politischen Akteure findet sich in Ost- und W estmedien bereits der gleiche Grad an Heterogenität. Die Berichterstattung der Ostmedien w ar also durchaus nicht so homogen, wie es ihre historische Verwurzelung in einem autoritären, den Prinzipien von Einheitlichkeit und Optimismus verpflichteten Mediensystem vermuten ließ. Die Ergebnisse zeigen, daß sich die Veränderungen der strukturellen Bedingungen des Medien­

systems in zunehmend konvergenten Selektions- und Interpretationsleistungen nieder- schlagen. Abzuwarten bleibt, in welchem Zeitraum und mit welcher Dynamik sich eine vollständige Anpassung an die Logik liberaler Mediensysteme vollziehen wird.

Im Hinblick auf die schnelle Konvergenz der ostdeutschen Medien ist interessant, daß sich das Phänomen der Gleichzeitigkeit von Divergenz und rascher Konvergenz auch für andere Akteure im politischen Prozeß beobachten ließ, so u.a. bei Parteien44.

Erklärungsbedürftig ist dabei nicht die fortbestehende Unterschiedlichkeit, sondern die schnelle und umfassende Angleichung. Unterstellt m an die Rationalität journalistischen Handelns, so ließe sich die Konvergenz in der Thematisierungsleistung nach der staatlichen Einheit als kurzfristig notwendig gewordene Anpassungsleistung an die neuen Verhältnisse im politischen wie im Medienbereich begreifen. Eine Perspektive, die journalistisches Handeln hingegen als langfristigen Lern- und Sozialisationsprozeß sieht, ginge davon aus, daß die Journalisten in der ehemaligen DDR nicht nur die Prinzipien 44 Vgl. Pappi, Wahrgenommenes Parteiensystem (Anm. 26).

ihres Mediensystems kannten. Durch die Erreichbarkeit der Berichterstattung der Westmedien war ihnen das liberale Modell und dessen journalistische Handlungskriterien bekannt und - zumindest oberflächlich - verfügbar. Da diese Form der Aneignung eines Modells notwendigerweise nicht geeignet ist, latente Konstruktionslogiken zu vermitteln, ist zu vermuten, daß auf einer tieferliegenden Ebene möglicherweise bedeutsame Unterschiede der Medienrealität in Ost- und Westdeutschland fortbestehen.

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