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Schadensersatz für Asbestkrankheiten und für Einkarmens- ausfälle

Zweck dieses Absatzes ist eine kurze Darstellung der Entwicklung zweier Bereiche der amerikanischen Rechtsprechung nach dem Common Law. Zum einen handelt es sich um die sogenannte "asbestos litiga­

tion" und zum anderen um die "economic loss" cases. Die Asbest­

fälle sind aus zwei Gründen spektakulär: zum einen wegen der gros­

sen Anzahl der eingeleiteten Verfahren, zum anderen wegen der ri­

gorosen Anwendung des Prinzips der Gefährdungshaftung auf die frühen Fälle, wodurch die Verfahrenslawine ausgelöst wurde.

(Siehe beispielsweise den Fall Borei v. Fibreboard Paper Products Corporation). Die "economic loss" cases bilden ein Indiz für einen Wandel in der Definition des Schadensbegriffs.

Die Details der Rechtsprechung zu diesen Fällen ist an anderer Stelle, (Alan Schwartz (1985)) dokumentiert. Im folgenden soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass trotz der Anwendung der Gefährdungshaftung die eigentliche Problematik von den Gerichten nicht gelöst werden konnte. Die Verurteilung von Unternehmen, deren Arbeiter und Angestellten mit dem Werkstoff Asbest in Kon­

takt gekommen waren, haben nicht zur Kompensation der Opfer, son­

dern vielfach zu Konkursen geführt. Ein Grund für diese Entwick­

lung dürfte die relativ leichte Beweislast sein. Die Gefahren für die Gesundheit des Umgangs mit Asbest wurden in der Vergangenheit sowohl von den Arbeitnehmern als auch von den Unternehmen unter­

schätzt. Dass der Werkstoff jedoch die Gesundheit gefährdet, wurde nie bestritten, und der nachträgliche Kausalitätsnachweis war in den meisten Fällen daher leicht zu erbringen und wurde von den Unternehmen sogar akzeptiert.

Just in der Erkenntnis der Unausweichlichkeit ihrer Haftung haben eine Reihe von Unternehmen dann Konkurs angemeldet, oder zumin­

dest eine Reorganisation ihrer Vermögensverhältnisse durch­

geführt, beispielsweise um Unternehmensteile, die nicht mit der Herstellung bzw. der Verarbeitung von Asbest befasst waren, vor dem Zugriff der Gerichte zu retten. In der Zwischenzeit häuften sich die Anträge bei den Gerichten, die auf diese Weise völlig überlastet waren. Die Praxis der Asbestfälle hat somit gezeigt, dass die Anwendung des Prinzips der Gefährdungshaftung für Gesund­

heitsschäden infolge von Asbest zu einer unkontrollierbaren Umver­

teilung von Vermögen der haftenden Unternehmen führte, die den Opfern jedoch meistens nichts genützt hat.

Ohne auf Details einzugehen, soll an dieser Stelle darauf hin­

gewiesen werden, dass Unternehmen natürlich versucht haben, einen Anteil des Entschädigungsaufwands von ihren Haftpflichtver-

s i c h e r e m erstattet zu bekommen. Zu diesem Zweck wurde ein neues Modell einer Police ausgearbeitet, nach dem die Prämien nicht nach der Frequenz und dem Ernst der auftretenden Ereignisse

(Versicherungsfälle), sondern nach der Frenquenz und der Höhe der

gemeldeten Schäden berechnet wurden. (Die amerikanische Praxis bezeichnet die erste Form mit dem Ausdruck "on an occurrence basis", und die zweite mit dem Begriff "on a claims-made basis".) Obwohl das neue Modell im Prinzip geeignet ist, die Versicherung von allmählich auftretenden Langzeitschäden zu regeln, wurde in der Praxis oft festgestellt, dass im Schadensfall zwar gezahlt wurde, der Versicherungsvertrag aber sogleich seitens des Versicherers aufgekündigt. Der Versicherungnehmer wurde damit seinem eigenen Schicksal überlassen. (12)

Abschliessend kann festgestellt werden, dass die Rechtsprechung in Sachen Asbestschäden gezeigt hat, selbst im Fall einer klaren Haftungsregelung, nicht zwangsläufig zur Entschädigung bereits entstandener Schäden zu führen. Die Präventivwirkung der Regelung der Gefährdungshaftung wurde damit faktisch ausser Kraft gesetzt.

Nicht ganz ähnlich verlief die Entwicklung bei der sogenannten

"economic loss" cases. Es handelt sich dabei um Verfahren, in denen Klage wegen Einkommensausfall infolge von Umweltschäden erhoben wurde. Klassische Fälle dieser Art ergeben sich beispiels- weise bei der Verschmutzung von Gewässern, die über eine Verringe- rung der Fischbestände zu Einkommensausfällen bei Fischern und Fischrestaurants führt. Der Fall Middlesex County Sewerage Autho­

rity v. National Sea Clammers handelt genau von einem solchen Sachverhalt. Er wurde vcm Berufungsgericht allerdings in einem anderen Kontext behandelt und ist deshalb nicht exemplarisch für einen "economic loss" case. Wie bereits erwähnt, hat das Gericht sich dafür entschieden, keine Privatklage zuzulassen.

Demgegenüber wurde ein ähnlicher Fall in Louisiana ausführlich be­

handelt. In diesem Fall entstand die Umweltbeeinträchtigung nicht durch das Einleiten von Emissionen aus Klärwerken oder sonstigen genehmigungspflichtigen Anlagen, sondern durch eine Schiffskolli­

sion, bei der zwölf Tonnen Pentachlorphenol (PCP) in die See gelangten. Deshalb war eine Bürgerklage nach dem FWPCA Act unmög­

lich. Wohl aber konnte eine Klage nach dem Common Law erhoben werden. Nach der Behandlung des Falles wurde er noch einmal van Gericht aufgegriffen. Daraus entstand ein Gutachten, das vom Gericht "en banc" abgegeben wurde. (Louisiana ex. rel. Guste v.

M/V Test Bank (No. 82-3059 (5th. Cir. Feb. 11, 1985) 15 ELR 20273).

Aus dem Inhalt des Gutachtens wird deutlich, dass bei der Bestim­

mung von Einkcmmensaufällen als Grund zur Klage Kontroversen bestanden, die zu einer Reihe von Minderheitsvoten geführt haben.

Obwohl die Richter in der Mehrheit jegliche Kompensation von Ein- kcmmensausfällen ablehnten, mit Ausnahme des Falles, in dem Sach­

schaden am Eigentum des Geschädigten entstand, wurde diese Auffas­

sung in den Minderheitsvoten kritisiert. Bemängelt wurde in

diesen Minderheitsvoten, dass die Beschränkung auf Sachschäden am Eigentum des Geschädigten eine willkürliche Abgrenzung der kompen­

sationswürdigen Schäden aufgefasst werden kann.

Diese Beschränkung folgt aus der Rechtstradition, dass nur unmit­

telbare Schäden kompensationsfähig sind, weil indirekte Schäden, zu denen Einkcmmensausfälle gehören, von den Gerichten nicht zu berücksichtigen sind. Die Begründung für diese Vorgehensweise liegt darin, dass das Prinzip der Kompensation von Schäden aus Gründen der Praktikabilität einer Beschränkung unterworfen werden muss. Nur auf diese Weise ist zu erreichen, dass wirkliche Schä­

den kompensiert, und die Gerichte nicht misbraucht werden. Der Ausschluss des Einkcmmensausfalls als kcmpensationsfähiger Scha­

densgrund entstammte daher einer langjährigen Tradition.

Das Gutachten im Fall Louisiana zeigt nun allerdings, dass Gerich te bei der Auslegung des Prinzips des Ausschlusses von "remote damages" ihre Meinung ändern können, obwohl damit im vorliegenden Fall keine Änderung der Mehrheiten zustande kam. So wurde behaup­

tet, dass nicht nur der Sachschaden am Eigentum des Geschädigten einen Hinweis auf die "Nähe" des Geschädigsen zum Verursacher bildet, sondern dass auch andere Schäden auf eine solche "Nähe"

zurückgehen können. Zu diesen Schäden gehöre beispielsweise der Einkommensausfall eines Fischers, der durch die Verunreinigung eines öffentlichen Guts (die See) entsteht. Solche Überlegungen sind aus der Sicht einer umweltbewussten Rechtslehre nicht unwich­

tig, weil sie auf eine mögliche MentalitätsVeränderung der Recht­

sprechung deuten.

Zum Abschluss dieser kurzen Betrachtung bleibt festzuhalten, dass Theorie und Praxis des Umweltrechts nicht immer deckungsgleich sind. Die Asbestfälle haben gezeigt, dass trotz der Klarheit der Verhältnisse das Recht in der Praxis auf eine unkontrollierbare Weise funktioniert. Die "economic loss"-Fälle zeigen demgegen­

über, dass theoretische Unklarheiten bzw. Meinungsverschieden­

heiten durchaus zu einer umweltbewussteren Rechtsprechung führen können.

6. Schlussbemerkungen

Diese Studie über das Zivilrecht der USA hat gezeigt, dass es durchaus Möglichkeiten zur Beteiligung der Bürger an der Gestal­

tung der Umweltpolitik gibt und dass eine Kombination von staat­

licher Regulierung und privater Überwachung dieser Regulierung zu umweltverbessernde Massnahmen führen kann. Allerdings ist es notwendig, dass den Bürgern vor Gericht eine faire Chance geboten wird. Dazu zählt im wesentlichen die Forderung nach einer trag­

baren Beweislast. In den europäischen Ländern dürfte diese For­

derung schwer zu erfüllen sein, solange die Meinung überwiegt, dass Emissionsdaten als Betriebsgeheimnisse aufzufassen sind und von den Umweltbehörden nur vertraulich behandelt werden dürfen.

Hat die Bürgerklage ihre allgemeine Vorteilhaftigkeit gezeigt, so hat sie auch spezifische Nachteile. Diese ergeben sich dadurch, dass eine private Schadensersatzklage nebst einer Bürgerklage in der Praxis nicht möglich ist. Ob der Verzicht auf ein Recht auf Schadensersatz, dessen Durchsetzung im Fall von Umweltschäden schwierig ist, nun durch die Schaffung eines anderen Rechts, das lediglich ein Bussgeld ohne Entschädigung zulässt, für den Bürger vorteilhaft ist, kann letztlich nur von jedem Einzelnen beurteilt werden.

Schliesslich wurde gezeigt, dass auch in den Vereinigten Staaten zu wenig Rechtsmittel für Umweltopfer bestehen, wenn man davon ausgeht, dass eine Kompensation für Umweltschäden notwendig ist.

Die behandelten Fälle belegen, dass eine Umweltpolitik, die sich nur auf das private Klagerecht bezieht, in Wirklichkeit unzu­

reichend ist. Das private Klagerecht könnte allerdings zu einem wirksameren Hebel zur Durchsetzung einer regulativen Umwelt­

politik ausgebaut werden. Dazu wäre eine Verringerung der Beweislast allerdings notwendig.

Anmerkungen

1. Über die Zunahme der Bedeutung der Gefährdungshaftung wird ausführlich berichtet in: J. C. Bongaerts und D. Heinrichs (1985).

2. Siehe hierzu: Martin H. Belsky (1984).

3. Verwendet wird der Ausdruck "Bürgerklage" anstelle des Begriffs "Verbandsklage", weil beide Verfahren unterschied­

lich sind. Die bundesdeutsche Verbandsklage hat wenig gemein­

sam mit dem "civil action suit" der Vereinigten Staaten.

4. Weitere Fälle aus den letzten jahren:

- Sierra Club v. Morton, 404 U.S. 727 (1972)

- Baughman v. Bradford Coal Co. (592 F. 2d. 215) (3d Cir.

cert, denied, 441 U.S. 961, 99 S. Ct. 2406, 60 L. Ed.

1066 (1979)

- Sierra Club v. Raytheon, 22 Env. Rep. cases, 1050, 1054 (D. Mass. 1984)

- Maryland Waste Coalition v. SCM Corp. (616 F. Supp. 1474) (D. Md. Sept. 4, 1985) 16 ELR 20159

- Sierra Club v. Kerr-Mc Gee Corp. (W. D. La. Oct. 29, 1985) 16 ELR 20083

- Student Public Interest Research Group of New Jersey v.

Monsanto. (660 F. Supp. 1474, 1476) (D. N. J. 1985) 15 ELR 20294

Diese Liste ist natürlich unvollständig.

5. Über diese Fälle und den Übergang vom Common Law zum Statu­

tory Law gibt es eine Reihe von Beiträgen. Stellvertretend seien genannt: R. DeC. Hinds, (1982), Jay Derr (1982) und Jeffrey Traubermann (1983).

6. Siehe zu diesem Fall: Cameron Mileham Smith (1982).

7. Für eine Abhandlung der Altlastensanierung in den USA, siehe: Frank G. Müller (1985) und Volkmar J. Hartje (1986).

8. Siehe dazu: Timothy W. Hoffman (1984).

9. Einige Überlegungen zur Frage der Entschädigung von gesund­

heitlichen Beeinträchtigungen infolge von Altlasten: Mark D.

Seltzer (1982-1983), Frank P. Grad (1983) und Janet Hathaway (1984). Ausserdem war die Jahrestagung 1985 des ABA (American Bar Association) Standing Committee on Environmental Law dem Thema der Lagerung und des Transports von toxischen Industrie­

abfällen gewidmet. Dabei standen Fragen der Haftung für Alt­

lastschäden im Mittelpunkt der Debatte. Für eine Zusammen­

fassung der der Konferenzberichte siehe: ABA Standing Commit­

tee Symposium on Hazardous Waste Siting and Transport, Environ mental Law Reporter (ELR) (1985).

10. Siehe beispielsweise Janet Hathaway, op. cit. Anmerkung 9 11. Für eine Würdigung des Berichts dieser Arbeitsgruppe,

siehe: Frank. P. Grad, op. cit. Anmerkung 9.

12. Siehe zu dieser Problematik beispielsweise: Michael J.

Last (1985) und Ian Schwartz (1985).

Literatur

ABA Standing Committee on Environmental Law: Symposium on Hazar­

dous Waste Siting and Transport, Environmental Law Reporter, Vol. 15, No. 8, Aug. 1985, S. 10233-10261

Belsky, Martin H.: Environmental Policy Law in the 1980's:

Shifting Back the Burden of Proof, Ecology Law Quarterly, Vol. 12, No. 1, 1984, S. 1-88

Bindra, N. S.: Anand and Sastri's Law of Torts, Allahabad, Law Book Company, 1980, Fourth Edition

Bongaerts J. C. und D. Heinrichs: Umweltschäden und Schadens­

ersatzklagen: Inder vor Gericht in den USA, IIUG dp 85-12

DeC. Hinds, R . : Liability Under Federal Law for Hazardous Waste Injuries, Harvard Environmental Law Review, Vol. 6, No. 1, 1982, S. 1-34

Derr, Jay: City of Milwaukee v. Illinois (Illinois II), Ecology Law Quarterly, Vol. 10, No. 1, 1982, S. 51-68

Grad, Frank P . : Hazardous Waste Victim Compensation: the Report of the § 301 (e) Superfund Study Group, Environmental Law

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Hathaway, Janet: Hazardous Substance Victims Need a Federal Cause of Action, Environmental L a w Reporter, Vol. 14, No. 8, 1984,

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Hartje, Volkmar J.: Sanierung von Altlasten, IIUG pre 86-3 Hoffman, Timothy W . : Environmental Protection and Bankruptcy Rehabilitation: Toward a Better Compromise, Ecology Law Quarterly, Vol. 11, No. 4, 1984, S. 671-701

Last, Michael J.: Tort and Insurance Issues, Environmental Law Reporter, Vol. 15, No. 8, Aug. 1985, S. 10252-10255

Müller, Frank G . : Zur Finanzierung der Altlastsanierung: Der US-Superfonds, IIUG dp 85-25

Schwartz, Alan: Products Liability, Corporate Structure and Bank­

ruptcy: Toxic Substances and the Corporate Risk Relationship, The Journal of Legal Studies, Vol. 14, No. 3, 1985, S. 689-736

Smith, Cameron Mileham: Middlesex County Sewerage Authority v.

National Sea Clammers Association, Ecology Law Quarterly, Vol. 10, No. 1, 1982, S. 39-50

Traubermann, Jeffrey: Common Law Nuisance in Hazardous Waste Litigation: Has it Survived Milwaukee II ?, Environmental Law Reporter, Vol. 13, No. 2, 1983, S. 10043-10047