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S.: Die Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1970er Jahre begonnen hat, in der Erwachsenenbildung zu arbeiten, hatte eine andere

Strukturierung des Feldes, der ‚Profession‘ und der ‚Disziplin‘ in der Erwachsenenbildung

H. S.: Die Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1970er Jahre begonnen hat, in der Erwachsenenbildung zu arbeiten, hatte eine andere

Perspektive als die späteren Generationen, die Erwachsenenbildung studiert

haben. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass im Grunde genommen nicht von Anfang an völlig klar war, dass Erwachsenenbildung Teil der Erzie-hungswissenschaft ist.

Heute gehen wir davon aus, aber das war damals nicht selbstverständlich.

Denn viele von uns und unseren Kollegen waren eher Soziologen oder sozi-alwissenschaftlich engagiert. Und wir haben damals die Kompromissformel gefunden, dass Erwachsenenbildung Teil einer sozialwissenschaftlich orien-tierten Erziehungswissenschaft ist. Aber das war durchaus nicht selbstver-ständlich – dies zeigte sich auch immer wieder in kontroversen Theoriedis-kussionen.

Ich will nicht sagen, dass es unterschiedliche Fraktionen gab, aber doch Kollegen und Kolleginnen, die stärker sozialwissenschaftlich engagiert wa-ren. Viele von unseren prominenten Leuten, wie Willi Strzelewicz (1905-1986) und Wolfgang Schulenberg (1920-1985), aber auch Oskar Negt (*1934), waren Soziologen oder Sozialwissenschaftler. Es gab andere, dazu gehörten Erhard Schlutz und auch ich, die stärker Wert auf das Pädagogische oder Didaktische der Erwachsenenbildung legten. Das war ein Streitpunkt oder eine Diskussion, die eine große Rolle spielte.

Zu meinen Erinnerungen: Die Zeit um 1970 war sehr reformoptimistisch.

Es war die Zeit, in der Willi Brandt gefordert hat, mehr Demokratie zu wa-gen; es war die Zeit der 68er Studentenbewegung; es gab die Diskussionen zur Kritischen Theorie und so weiter. Das heißt, in dieser Zeit war im Grunde genommen der Optimismus, die Hoffnung, Gesellschaft durch ein veränder-tes Bildungssystem zu verändern, sehr ausgeprägt. Dabei spielte die Erwach-senenbildung eine zentrale Rolle.

Ich will das jetzt nicht ausführen, aber deswegen wurde 1960 im Gutach-ten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen „Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung“ zum ersten Mal offiziell versucht, den Bildungsbegriff zu definieren. Auch noch im „Struk-turplan für das Bildungswesen“ des Deutschen Bildungsrats von 1970, der im Grunde genommen aber die Entwicklung der Erwachsenenbildung zum quar-tären Sektor, also zum vierten Bildungsbereich, proklamiert hat.

Also Erwachsenenbildung hat eine zentrale Rolle gespielt, auch durch die Aufsatzserie zur Deutschen Bildungskatastrophe von Georg Picht (1913-1982), die Mitte der 1960er Jahre veröffentlicht wurde (Picht 1964). Darin wurde deutlich, dass uns eine ständige Verlängerung der Schulzeit nicht wei-ter bringt, sondern, dass wir im Grunde genommen Möglichkeiten des zwei-ten Bildungswegs brauchen. Die Erwachsenenbildung war in der damaligen Zeit auch Teil von Reformdiskussionen und Reformveränderungen.

Ich will noch mal einen Satz sagen zur Professionalität und Professiona-lisierung: Das war natürlich ein Dauerthema. Schon das Gutachten des deut-schen Ausschusses forderte die Einstellung von mehr hauptberuflich

pädago-gischem Personal. 1969 haben die westdeutsche Rektorenkonferenz und die Kultusministerkonferenz die Rahmenprüfungsordnung für pädagogische Dip-lomstudiengänge verabschiedet. 1970 haben wir dann an der Universität Han-nover den Studiengang Diplompädagogik eingeführt (vgl. Doerry und Schmidt-Lauff im vorliegenden Band).

Der Professionalisierungsbegriff hat im Grunde genommen das Studium und die Wissenschaftsdisziplin verknüpft. Heute wird der Professionalisie-rungsbegriff häufig mit Verberuflichung gleichgesetzt. Das war damals nicht der Fall. Professionalisierung wurde erstens verstanden als die Entwicklung einer praxisbezogenen Wissenschaftsdisziplin, zweitens als Verberuflichung, also bezogen auf die Einstellung hauptamtlicher pädagogischer Mitarbeiter und drittens als Professionalität.

Die Hauptkompetenz professionellen Handelns ist es, allgemeine wissen-schaftliche Erkenntnisse aufzugreifen und in die Praxis zu übertragen. Das ist die zentrale Kompetenz. Mein Bemühen damals und auch später ist es immer gewesen, diesen Theorie-Praxis-Transfer, diese Verknüpfung wissenschaftli-cher Erkenntnisse und praktiswissenschaftli-cher Anwendungen herzustellen. Damit war ich zwar nicht der Einzige, aber es gab durchaus viele andere Kollegen, die poin-tiert wissenschaftsorienpoin-tiert argumenpoin-tierten und als Ziel die Entwicklung ei-ner eigenständigen Erwachsenenbildungswissenschaft sahen.

C. Z.: Wenn Sie an die Anfänge der Sektion denken: Ist es ihr gelungen, die-se Ansprüche zu unterstützen? Welche Bedeutung hatten die Diskussionen zur Professionsentwicklung und die Frage des Theorie-Praxis-Transfers? In der Vorbereitung zu unserem Gespräch wiesen Sie darauf hin, dass der An-fang der Sektionsarbeit stark bildungspolitisch geprägt war, da die Sektion auf bildungspolitische Ansprüche von außen reagieren wollte. Hat die Sekti-on immer beide Seiten gesehen?

H. S.: Nicht ständig. Wichtig war, dass 1970 einige Erwachsenenbildungsge-setze eingeführt wurden. In Niedersachsen wurde beispielsweise durch das Erwachsenenbildungsgesetz die Einstellung pädagogischer Mitarbeiter finan-ziell gesichert. Die Voraussetzung dafür war natürlich ein Studium. Insofern spielten verschiedene Themen eine Rolle: erstens Praxis und Berufsentwick-lung, zweitens die Prüfung von Studienordnungen und drittens die Erwachse-nenbildungsforschung.

Wir haben gestern auch schon einmal darüber gesprochen, dass die Kritik von vielen klassischen Erziehungswissenschaftlern an uns zunächst die war:

Ihr habt viel zu viel Praxis im Kopf, ihr seid im Grunde genommen Volks-hochschulleute und ihr habt kaum empirische Forschung durchgeführt. Und die einzige empirische Forschung war vielleicht die Göttinger Studie von So-ziologen (Strzelewicz/Raapke/Schulenberg 1966). Die Herausforderung be-stand also darin, empirische Forschung zu etablieren und gleichzeitig aber

auch eine Forschung mit eigenen Profilen zu entwickeln – was natürlich nicht ganz einfach ist. Wir sind alle eher an den Forschungsmethoden unserer Be-zugswissenschaften orientiert, aber es gibt dann doch spezifische Fragestel-lungen, die uns ein gewisses Image verleihen.

C. Z.: Vielen Dank Herr Siebert. Das leitet sehr gut über zu Herrn Schlutz.

Prof. Erhard Schlutz war ab 1980 stellvertretender Vorsitzender und ab 1982 Vorsitzender der Kommission Erwachsenenbildung, er kam damit in eine be-reits etablierte Organisation. Die Frage an ihn lautet, wie sich die Arbeit in der Sektion in den 1980er Jahren gestaltet hat? Wie reagierte die Sektion auf die veränderte bildungspolitische Situation? Hat sie weiterhin auf von außen gestellte Ansprüche reagiert oder stärker nach innen gearbeitet?

E. S.: Das Amt des Sprechers habe ich eigentlich übernommen, weil ich den