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S CHUTZFÄHIGKEIT ALS AUDIOVISUELLES G ESAMTWERK

KAPITEL 2: BEGRÜNDUNG VON WERKSCHUTZ

III. S CHUTZFÄHIGKEIT ALS AUDIOVISUELLES G ESAMTWERK

Je mehr unterschiedliche schöpferische Bestandteile in einer ARU vereint werden, umso stärker tritt der Charakter als multimediales Produkt in den Vordergrund. Wie bisher erarbeitet, kann die zugrunde liegende ARA als Gesamtprodukt zunächst auf einer reinen Softwareebene Urhe-berrechtsschutz erfahren, wobei die Frage nach einer möglichen Erstreckung des Schutzes auf das wahrnehmbare Ergebnis zunächst offen geblieben ist.257 Gleichermaßen kommt Urheber-rechtsschutz für die einzelnen unmittelbar wahrnehmbaren digitalen Bestandteile in Betracht, sofern die Anforderungen der spezifischen Werkart und die jeweils nötige Schöpfungshöhe er-reicht werden.258

Offen ist allerdings noch ob, in welchem Umfang und nach welchem Schutzregime der unmit-telbar wahrnehmbare Teil einer ARU bzw. ARA als Gesamtwerk schutzfähig ist.

253 Vgl. insbesondere Hofmann, S. 33 ff.

254 Rauda, Rn. 62.

255 In Gänze Hofmann, insb. S. 242-300; Rauda, Rn. 41-69, insb. Rn.63; zugeneigt auch Brüggemann, CR 2015, 697, 698; gegen den Schutz der abstrakten Konzepte, aber offen für die konkrete Ausgestaltung von Regeln und Spielmechanik Förster, in: Duisberg/Picot, Kapitel 2, Rn. 14; dagegen für die Einbeziehung in den Schutz-bereich der Sprachwerke Metelski, Rn. 85; kritisch mit Blick auf die erforderliche Schöpfungshöhe Kauert, in:

Wandtke/Ohst, Kapitel 6, Rn. 51; insgesamt ablehnend zu "Spielsystemen" als abstrakte Systeme Schricker/Loe-wenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 28.

256 Dazu vertieft unter Kapitel 2, III,5); insbesondere ist nach dem hier vertretenen Ansatz das interaktive Kon-strukt eines Multimediawerks schutzfähiger Bestandteil eines solchen – hierunter lässt sich wiederum nach Ansicht des Verfassers auch das Spielsystem von Videospielen subsumieren.

257 Siehe oben unter Kapitel 2, I,3),b),bb),(2).

258 Siehe oben unter Kapitel 2, II.

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Für bekannte „Multimediawerke“ wird der Schutz als Filmwerk bzw. ähnlich wie ein Filmwerk geschaffenes Werk (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG) respektive bei fehlender Schöpfungshöhe als Lauf-bild (§ 95 UrhG) erwogen; daneben wird der Schutz solcher Erzeugnisse als eigenständige neu-artige Werkart diskutiert.259 Während diese Einordnung umstritten ist (dazu sogleich unter 1) und 5), besteht weitgehender Konsens, dass der Schutz als Multimediawerk allein die multime-diale Darstellung, also das Programmablaufergebnis betreffen soll und im Gegenzug dafür der Schutz als Computerprogramm ausscheidet.260 Im Umkehrschluss kann hierin wiederum ein Argument für die unter Kapitel 2, I. aufgestellte These angesehen werden, wonach ein Schutz der Oberfläche bzw. des Programmablaufergebnisses als wahrnehmbares Pendant zum Com-puterprogramm mit der herrschenden Ansicht dann nicht erforderlich ist, wenn die Oberfläche eigenständigen Schutz erfahren kann. Denn nur in diesen Fällen ist ein angemessener Schutz des eingeflossenen schöpferischen Tätigwerdens möglich. Fehlt es daran hingegen, kann das aufgezeigte Verständnis zum Multimediawerk als das eines Alternativverhältnisses von Ober-flächenschutz und Programmschutz gelesen werden, das einen Rückgriff auf den – dann nicht gesperrten – Schutz als Computerprogramm ermöglicht.

Eine exakte Definition, wann ein „Multimediawerk“ als eigenständige Werkart vorliegt, fällt schwer. So fehlt es gerade an einer Aufnahme dieses Begriffs in das Urheberrechtsgesetz und die Werkart wird für verschieden neuartige Digitalprodukte diskutiert, weshalb – vergleichbar mit dem offenen Begriff des Computerprogrammes – eine gewisse Flexibilität bei der Sub-sumtion hierunter durchaus sinnvoll erscheint.261 Dennoch haben sich mittlerweile (weitgehend einheitlich) zumindest die Kombination verschiedener Medien in digitaler Form und unter Ein-räumung von interaktiver Einflussmöglichkeit auf den wahrnehmbaren Inhalt durch den Nutzer als Charakteristika herauskristallisiert, bei deren Vorliegen in der Regel von einem Multime-diawerk gesprochen wird.262 Einigkeit besteht außerdem darin, dass allein die Digitalisierung

259 Vgl. etwa BeckOK UrhR-Ahlberg, § 2 Rn. 44; Fromm/Nordemann-A.Nordemann, § 2 Rn. 231; Kraul, S. 57 ff.

und 68 f.; Kreutzer, CR 2007, 1, 2; Lührig, in: Ensthaler/Weidert, Kapitel 2, Rn. 179 ff.; Wandtke/Bullinger-Bul-linger, § 2 Rn. 153 f.

260 BeckOK UrhR-Ahlberg, § 2 Rn. 152; Loewenheim-Hoeren, 1. Kapitel, 2. Abschnitt, § 9 Rn. 264; Schri-cker/Loewenheim-Loewenheim/Spindler, § 69a Rn. 29.

261 Besonders deutlich hinsichtlich der nötigen Flexibilität: Loewenheim, GRUR 1996, 830, 831. Vgl. auch Bechtold, GRUR 1998, 18, 24; Esteve, GRUR Int. 1998, 858, 858 f.; Schlatter, in: Lehmann, Rn. 33.

262 Lehmann/Tucher, CR 1999, 700, 702; Loewenheim, GRUR 1996, 830, 831; Lührig, in: Ensthaler/Weidert, Ka-pitel 2, Rn. 179 f.; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 152 f.; weniger stark auf das interaktive Element abstel-lend auch Esteve, GRUR Int. 1998, 858; Mestmäcker/Schulze-Obergfell, vor §§ 88 ff., Rn. 21; Kraul, S. 54; ohne Nennung von Interaktivität, später aber von typischem Element der Interaktivität ausgehend Auer-Reins-dorff/Brandenburg, S. 20, 41; soweit ursprünglich andere Kriterien vertreten wurden, wie noch Hoeren, CR 1995, 710, 711, der von der technischen Verknüpfung von Text, Bild und Musik durch Digitalisierung ausging und Koch, GRUR 1995, 459 mit einem technischen Definitionsversuch, haben sich diese nicht durchgesetzt.

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bestehender Werkarten diese nicht in neue Werke umwandelt, sondern höchstens eine neue Nutzungsform darstellt.263

Der Begriff des Multimediawerks wird in der bestehenden Literatur häufig zunächst nicht als Rechtsbegriff im engeren Sinne, sondern vielmehr als Oberbegriff für entsprechende Medien-kombinationen verwendet.264 Zunächst wird – dem folgend – der Begriff daher, bis zu einer genaueren Untersuchung, möglichst weit als Sammelbegriff für multimediale Werkkombinati-onen im digitalen Umfeld verwendet, ohne eine Wertung hinsichtlich des Streits um die urhe-berrechtliche Verortung zu enthalten.265

1) Filmwerk und ähnlich wie ein Filmwerk geschaffenes Werk

Die Einordnung von Multimediawerken als Filmwerk bzw. ähnlich einem Filmwerk geschaf-fenen Werk (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG) liegt zunächst unter dem Gesichtspunkt der charakteristi-schen Medienkombination und der Beteiligung verschiedener Urheber nahe: Es ist dem Film-werk immanent, eine bewegte Bildfolge darzustellen, wobei die Einzelbilder ggf. selbstständig schutzfähig sind.266 Gleichermaßen basiert das Filmwerk i.d.R. auf vorbestehenden und ggf.

selbstständig schutzfähigen Werken (beispielsweise zugrundeliegenden Romanen und vorbe-reitend geschaffenen Drehbüchern und Exposés)267 und regelmäßig werden auch Musik und Ton, die ihrerseits Werke darstellen können, eingebunden.268 Das Filmwerk ist insofern – an-ders als beispielsweise ein klassisches Gemälde – immer eine Werkkombination. Für diese Kombination wurde erstmals ein eigenständiger Schutz als Gesamtwerk, unabhängig vom Schutz der monomedialen Einzelteile zugebilligt,269 wobei die Situation der Medienkombina-tion wiederum typisch für bekannte Multimediawerke ist.270

Daraus allein kann sich allerdings keine Selbstverständlichkeit der Einordnung multimedialer Produkte als Filmwerk oder filmwerkähnliches Werk ergeben, schließlich sind auch andere Werkkombinationen (so z.B. bereits das Lied als mögliche Kombination aus Sprachwerk und

263 BeckOK UrhR-Ahlberg, § 2 Rn. 46; Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 243; Esteve, GRUR Int. 1998, 858; Loe-wenheim-Hoeren, § 9 Rn. 262; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 94.

264 Brüggemann, CR 2015, 697, 700; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 151; so im Ergebnis auch Kraul, S. 54 ff. Hoeren betrachtet „Multimedia“ sogar zunächst als reine Geisteshaltung im Umgang mit technischen Medien (Hoeren, CR 1995, 710, 711).

265 Die Untersuchung des „Multimediawerks“ erfolgt nachfolgend unter Kapitel 2, III,5).

266 BeckOK UrhR-Ahlberg, § 2 Rn. 37; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 215.

267 Poll, ZUM 1999, 29 (Filmwerke als „Mixtum compositum“); Schricker/Loewenheim-Loewenheim, § 2 Rn. 216.

268 v.Hartlieb/Schwarz-Dobberstein/Schwarz/Hansen, 36. Kapitel, Rn. 2 f. Mit dem treffenden Schlagwort des

„Mehrurheberwerks“: Fromm/Nordemann-A.Nordemann, § 2 Rn. 201.

269 BeckOK UrhR-Ahlberg, § 2 Rn. 44.

270 Fromm/Nordemann-A.Nordemann, § 2 Rn. 231; Kraul, S. 57; Lührig, in: Ensthaler/Weidert, Kapitel 2, Rn. 170; vgl. auch Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 152.

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Musikwerk)271 durchaus üblich, die Einordnung unter § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG ist gleichwohl fernliegend.

a) Vergleichbarkeit von ARU und Videospielen

Ein Indiz für die Schutzfähigkeit von ARU als Filmwerk (bzw. ähnlich geschaffenes Werk) könnte allerdings darin bestehen, dass eine solche mittlerweile (trotz vereinzelter und vor allem anfänglicher Gegenstimmen)272 nach ganz herrschender Ansicht für Videospiele angenommen wird.273 Videospiele sind wiederum als bekannte Art des „Multimediawerks“ im eingangs ge-nannten Sinne anerkannt.274 Daneben werden rein praktisch betrachtet in der öffentlichen Wahr-nehmung Augmented Reality und Videospiele (spätestens seit Pokémon Go275) häufig ver-knüpft276 und nicht zuletzt waren Videospiele wohl der erste Anlass für die Rechtsprechung, sich mit dem Schutz audiovisueller Bildschirmdarstellungen zu beschäftigen.277 Sofern ARU und Videospiele also tatsächlich grundsätzlich vergleichbar in ihrem Charakter wären, läge eine gleichlaufende Einordnung in das Urheberrechtsregime des Filmwerkschutzes nahe.

Dazu gilt es zunächst abzugrenzen, was ein „klassisches“ Videospiel überhaupt ausmacht: Als charakteristische Merkmale können hierbei einerseits die Erzeugung einer (rein) virtuellen Spielumgebung und andererseits die (in der Regel durch die Verwendung von Eingabegeräten wie Maus und Tastatur realisierte) darauf bezogene Interaktionsmöglichkeit der Spieler festge-stellt werden.278 Unabhängig von der möglichen weiteren Einteilung in Genres,279 wird der

271 Lührig, in: Ensthaler/Weidert, Kapitel 2, Rn. 171.

272 OLG Frankfurt, GRUR 1983, 757 f – Donkey Kong Junior I; i.E. auch OLG Frankfurt, GRUR 1983, 753 – Pengo; Reupert, S. 64 ff.; Veit, S.44 ff. (jedenfalls hinsichtlich variabler Bildfolgen, die nicht mehr "ähnlich einem Filmwerk" seien).

273 BGH, GRUR 2013, 1035, Rn. 20 – Videospiel-Konsolen I ; GRUR 2013, 370 Rn. 14 – Alone in the Dark; OLG Hamburg, GRUR 1990, 127, 128 Super Mario III; GRUR 1982, 436, 437 Puckman; BeckOK UrhR-Ka-both/Spies, § 69a Rn. 8; Büscher/Dittmer/Schiwy-Obergfell, § 2 UrhG, Rn.58; Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 22 f.; Dreier/Schulze-Dreier, § 69a Rn. 17; Förster, in: Duisberg/Picot, Kapitel 2, Rn. 6 ff.; wohl auch Fromm/Nordemann-Czychowski, § 69a Rn. 10 f.; Hofmann, S. 125; Katko/Maier, MMR 2009, 306, 307 f.; Kat-zenberger, GRUR Int. 1992, 513, 514; Kreutzer, CR 2007, 1; Lambrecht, S. 111 ff.; Metelski, Rn. 119; W.Norde-mann, GRUR 1981, 891, 894; Rauda, Rn. 98; Redeker, Rn. 118; Schricker/Loewenheim-Loewenheim/Spindler,

§ 69a Rn. 27; Spindler/Schuster-Wiebe, § 69a UrhG Rn. 15; Wandtke/Bullinger-Manegold/Czernik, vor §§ 88 ff., Rn. 61.

274 Fromm/Nordemann-A.Nordemann, § 2 Rn. 231; Katko/Maier, MMR 2009, 306; Kauert, in: Wandtke/Ohst, Kapitel 6, Rn. 47; Kreutzer, CR 2007, 1, 3; Poll/Brauneck, GRUR 2001, 389; Ulbricht, CR 2002, 317, 320. Zwar für eine Eigenständigkeit von Videospielen als Kategorie neben Multimediawerken, aber dennoch unter Anerken-nung des weitgehenden Gleichlaufs auch Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 21.

275 Siehe oben, Kapitel 1, I,3).

276 Hilgert, CR 2017, 472, 473.

277 So zur amerikanischen Rechtsprechung m.w.N. Wiebe, GRUR Int. 1990, 21, 24.

278 Lambrecht, S. 22; Hofmann, S. 7 f.

279 Dazu statt aller Rauda, Rn. 13-22; vgl. auch Hofmann, S. 9-14.

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Spielverlauf durch ein mehr oder weniger komplexes und mehr oder weniger offen gelegtes

„Regelsystem“ vorgegeben, aus dem sich die möglichen Interaktionen der Spieler ergeben.280 Für die Frage nach einer Vergleichbarkeit von ARU bzw. der sie steuernden ARA und Video-spielen kann zunächst auf die Situation eingegangen werden, in der die ARU ihrerseits als Vi-deospiel angelegt ist. Ist dies der Fall, erscheint es geradezu obligat, zunächst die Erfassbarkeit entsprechender ARU auf Grundlage der bestehenden urheberrechtlichen Forschung zu Video-spielen zu prüfen.

Aber auch bei anders gearteten ARU bzw. ARA besteht in der bereits angesprochenen künstle-risch-technischen Doppelnatur281 ein erstes Indiz für eine solche Verwandtschaft. Für beide Produkte kommt demnach immer ein Schutz als Computerprogramm (im Sinne der §§ 69a ff.

UrhG) in Betracht – der künstlerisch prägende Teil liegt hingegen oft im Programmablaufer-gebnis, also der audiovisuellen Darstellung.282 Ein zweites Indiz für eine Verwandtschaft liegt in der für die ARU charakteristischen (digitalen) Kombination ggf. eigenständig schutzfähiger Werke283, die so auch bei Videospielen charakteristisch ist284. Drittens kann eine Parallele in der bestehenden Interaktivität und der resultierenden Einwirkungsmöglichkeit des Nutzers auf das wahrgenommene Erlebnis gesehen werden. So liegt es bei einem Videospiel bereits dem Wortsinn nach in der Natur der Sache, dass nicht lediglich passiv einer vorgegebenen Handlung gefolgt wird, sondern die Spieler immer auch in irgendeiner Weise lenkend in das Geschehen eingreifen können.285

Gleiches gilt für Augmented Reality bereits nach der ursprünglichen Definition von Azuma.286 Nicht zuletzt besteht bei Videospielen – angesichts stetig wachsender Entwicklungskosten und der ebenso wachsenden Zahl von beteiligten Personen (mit ggf. aus ihrer Beteiligung erwach-senden eigenen Rechten) – ein gesteigertes Interesse der Entwickler und Publisher nach einer

280 Lambrecht, S. 23; Hofmann, S. 8 f.

281 Siehe bereits oben, Kapitelbeginn.

282 Lambrecht, S. 62 f.; Kuß/Schmidtmann, K&R 2012, 782, 784; Poll/Brauneck, GRUR 2001, 389, 390; vgl. auch zum vornehmlichen Schutzbedürfnis bzw. Leistungsschwerpunkt in der audiovisuellen Darstellung bei Multime-diawerken Fromm/Nordemann-Czychowski, § 69a Rn.10; Schricker/Loewenheim-Loewenheim/Spindler, § 69a Rn. 29.

283 Siehe oben unter Kapitel 2, III,1) und zuvor unter Kapitel 2, II.

284 Ausführlich Metelski, Rn. 41 ff.; Kreutzer, CR 2007, 1, 2; Kuß/Schmidtmann, K&R 2012, 782, 785; Rauda, Rn. 81 ff.; Schricker/Loewenheim-Loewenheim/Spindler, § 69a Rn. 27.

285 Häufig wird der Begriff der Videospiele nicht näher definiert, über das Kriterium der Interaktivität besteht dennoch Einigkeit: Fehr, in: Fritz/Fehr; Hofmann, S. 7 f.; Katko/Maier, MMR 2009, 306; Lambrecht, S. 119 f.;

Metelski, Rn. 10 und 19; Rauda, Rn. 99; Veit, S. 43; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 129.

286 S.o. unter Kapitel 1, I,3) – eine Interaktion in Echtzeit muss stattfinden.

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einheitlichen Verwertbarkeit des Endprodukts.287 Auch diese Interessenlage dürfte auf die ARA bezogen übertragbar sein, soweit die Anwendungen für den Massenmarkt geschaffen werden.

Um allerdings verbindlich bewerten zu können, ob ein Gleichlauf der Begründung des Schutzes von Augmented Reality-Umgebungen und Videospielen tatsächlich anzunehmen ist, muss un-tersucht werden, ob die für Videospiele tragenden Erwägungen zur Begründung von Urheber-rechtsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG tatsächlich auch auf ARU bzw. ARA übertragbar sind.

aa) Videospiele als Filmwerke

Begründet wird die Einordnung von Videospielen als Filmwerk in der Regel zunächst damit, dass bei einem Videospiel ähnlich einem klassischen Film („Umsetzung in eine bewegte Bil-derfolge mit Hilfe filmischer Gestaltungsmittel“288) eine bewegte Bildfolge erzeugt werde, die insofern bereits optisch meist einem Film ähnlich sei.289

Trotz der charakteristischen Interaktivität und Einflussmöglichkeit des Spielers auf das wahr-genommene Geschehen wird argumentiert, dass die einzelnen Bildfolgen mit Abschluss der Spielherstellung feststehen würden, ein Einfluss des Nutzers also de facto nur im Rahmen der vorgegebenen (spielerischen) Grenzen bestehe.290 Alle denkbaren Veränderungen der Bild- und Tonfolgen seien somit bereits vorgegeben.291 Für die Einstufung als Filmwerk sei unerheblich, dass Videospiele nicht im klassischen Sinne „gefilmt“ werden, sondern aus computergenerier-ten Bildfolgen bestehen – das Ergebnis sei vergleichbar mit einem Zeichentrickfilm, bei dem ebenfalls auf eine andere Art erzeugte Bildfolgen dargestellt würden.292 Nicht zuletzt wird da-rauf hingewiesen, dass das Filmwerk gerade durch die Vielzahl der rechtlich Beteiligten, sowie den hohen Kostenaufwand zur Herstellung gekennzeichnet sei, welche eine Erleichterung der

287 Deutlich Kuß/Schmidtmann, K&R 2012, 782, 783; zum erheblichen Investitionspotenzial und Entwicklungs-aufwand, bzw. der dadurch bestehenden Vergleichbarkeit mit Spielfilmen: Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 20; Ulbricht, CR 2002, 317 f.; zur Vielzahl der Beteiligten mit eigenen Rechten und der wirtschaftlichen Bedeutung von Videospielen Katko/Maier, MMR 2009, 306, 310; Metelski, Rn. 14; soweit dem teilweise entge-gengehalten wird, es fehle an vergleichbarem Kosten- und Produktionsaufwand (so BeckOK UrhR-Ahlberg, § 2 Rn. 47), geschieht dies ohne Beleg und geht i.E. fehl – siehe dazu noch ausführlich unter Kapitel 3, II,3),b).

288 BGH, GRUR 1958, 354, 355 – Sherlock Holmes.

289 OLG Köln, GRUR 1992, 312, 313 Amiga Club; Hofmann, S. 129; Katko/Maier, MMR 2009, 306, 307;

Kuß/Schmidtmann, K&R 2012, 782, 784; Metelski, Rn. 111; W.Nordemann, GRUR 1981, 891, 893; Poll/Brau-neck, GRUR 2001, 389; Rauda, Rn. 98.

290 Büscher/Dittmer/Schiwy-Obergfell, § 2 Rn. 58; Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 22 ; Förster, in: Du-isberg/Picot, Kapitel 2, Rn. 7; Kuß/Schmidtmann, K&R 2012, , 782; Lambrecht, S. 121; Metelski, Rn. 116;

Mestmäcker/Schulze-Obergfell, vor §§ 88 ff., Rn. 21; Redeker, Rn. 118; Wandtke/Bullinger-Bullinger, § 2 Rn. 129; vgl. auch Brüggemann, CR 2015, 697, 698.

291 OLG Köln, GRUR 1992, 312, 313 – Amiga Club; OLG Karlsruhe, CR 1986, 723, 725 – 1942; OLG Hamburg, GRUR 1983, 436, 437 – Puckman; Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 23; Lambrecht, S. 121; W.Nordemann, GRUR 1981, 891, 893; Katko/Maier, MMR 2009, 306, 307.

292 Brüggemann, CR 2015, 697, 698; Hofmann, S. 139; Kilian/Heussen-Harte-Bavendamm/Wiebe, 33. EL, Teil 5, Rn. 35; Lambrecht, S. 115 f., 119; vgl. auch Metelski, Rn. 112; W.Nordemann, GRUR 1981, 891, 893.

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Verwertbarkeit durch die Sonderregelungen der §§ 88 ff. UrhG erforderlich mache.293 Teil-weise wird unter diesem Gesichtspunkt ein vergleichbarer Bedarf nach der Anwendung der

§§ 88 ff. UrhG294 oder zumindest eine Vergleichbarkeit hinsichtlich der Vielzahl der an der Produktion Beteiligten295 als weiteres Argument für die Einordnung von Videospielen als Werk nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG angeführt.

Die Nähe zu Zeichentrickfilmen wird besonders hervorgehoben, wenn es sich um vorgeren-derte – also bereits als feststehende bewegte Bildfolge abgespeicherte – Zwischensequenzen (sog. „Cutscenes“) handelt. Während ansonsten beim Spielen „Live-Rendering“ stattfindet, die konkreten Bilder also „live“ aufgrund der Spielereingaben durch die Hardware erzeugt und un-mittelbar dargestellt werden,296 handelt es sich bei Cutscenes um vorgerenderte und lediglich passiv wahrgenommene Sequenzen. Diese sollen insofern (Animations-)Filmen entsprechen.297 Animations-, bzw. Trickfilme wiederum seien unproblematisch unter § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG subsumierbar, es könne also auch hier keinen Unterschied machen, wie die Bild- und Tonfolge erzeugt werde.298 Auch soweit keine Cutscenes betroffen sind, das Bild also live erzeugt wird, liege hierin kein Hindernis, da auch Live-Filme schutzfähig seien.299

bb) Kritische Würdigung und Einordnung

Auffällig an der Quellenlage ist, dass – auch in aktuellen Arbeiten – zur Begründung der Film-werknähe regelmäßig auf Wilhelm Nordemanns Ausführungen aus dem Jahr 1981,300 sowie auf

293 Begründung zum Entwurf des UrhG, BT Drs. IV/270, S. 98; teilweise mit direktem Verweis darauf auch BeckOK UrhR-Ahlberg, Einführung Rn. 77; Götting, ZUM 1999, 3, 3 f.; Metelski, Rn. 107; Schricker/Loewen-heim-Katzenberger/N. Reber, § 89 Rn. 1.

294 Hofmann, S. 131; Kraul, S. 69 f.; jedenfalls nicht abgeneigt auch Brüggemann, CR 2015, 697, 701; zumindest die steigenden Kosten und den steigenden PRoduktionsumfang von Videospielen Metelski, Rn. 14.

295 Poll/Brauneck, GRUR 2001, 389, 390; Rauda (2013), Rn. 100; vgl. auch Katko/Maier, MMR 2009, 306, 309 f.;

jedenfalls im Ergebnis der Anwendbarkeit auch Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 23. Die wenigen Gegen-stimmen – etwa Reupert, S. 66 (ausgehend von einzelnen Softwarefirmen mit angestellten Programmierern, sowie erheblich geringeren Investitionskosten) – wurden dabei bislang in der Literatur nicht weiter aufgegriffen und sind heute angesichts immer weiter steigender Produktionskosten moderner Videospiele auch kaum noch haltbar, vgl.

insofern nachfolgend Kapitel 3, II,3),b).

296 Hofmann, S. 133; ebenso Lambrecht, S. 35 f, 128 mit der gleichbedeutenden Terminologie des „Online-Ren-derings“.

297 Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 22; Förster, in: Duisberg/Picot, Kapitel 2, Rn. 6; Kauert, in:

Wandtke/Ohst, Kapitel 6, Rn. 41 f.; Veit, S. 44 (hier bestehe noch genügend "Ähnlichkeit" zu einem Film).

298 Kuß/Schmidtmann, K&R 2012, 782, 784; W.Nordemann, GRUR 1981, 891, 893 f. Siehe dazu auch unten zur Auslegung des Filmbegriffs.

299 Reuter, GRUR 1997, 23, 24 f.

300 W.Nordemann, GRUR 1981, 891.

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die Puckman-Entscheidung von 1983301 (bzw. noch bis in die 1990er-Jahre reichenden Folge-entscheidungen302) verwiesen wird.303 Soweit die Filmeigenschaft überhaupt vertieft themati-siert und diskutiert wird, geschieht dies regelmäßig in Abgrenzung zur Donkey Kong Junior I-Entscheidung304 des OLG Frankfurt aus dem Jahr 1983.305 Die mittlerweile durch den BGH vorgenommene Übernahme dieser Ansicht erfolgt dagegen völlig ohne Begründung.306 Die re-gelmäßig wiedergegebenen Argumente in diesem Zusammenhang wurden also meist bereits in den frühen 1980er-Jahren entwickelt. Zur zeitlichen Einordnung muss insofern berücksichtigt werden, dass der erste „Personal Computer“ von IBM 1981 mit dem Betriebssystem MS DOS erschien.307 Der überhaupt erst zum Durchbruch der Videospielindustrie (und generell der Heimcomputerentwicklung) beitragende Commodore C64 erschien im Jahr 1982.308 Die in den erwähnten Entscheidungen thematisierten Videospiele wie „Puckman“ (die japanische Spiel-hallenversion des heute als Klassiker geltenden Spiels „Pacman“)309 waren wiederum in 2D-Sicht dargestellte, nach heutigem Verständnis technisch wie inhaltlich einfachste Videospiele.

Die heutigen technischen Möglichkeiten, die kommerzielle Bedeutung, die Videospiele erlangt haben und die Vielzahl der entstehenden Genres waren also zum Zeitpunkt dieser Erstkontakte mit dem Medium „Videospiel“ noch längst nicht absehbar.

Mittlerweile haben Spieler teils erheblich mehr Freiheiten in ihren Handlungen. So sind „Open World“-Szenarien, bei denen die Spieler selbst bestimmen, wann und wie sie bestimmte Auf-gaben erfüllen (oder sie bewusst ausschlagen) keine Seltenheit.310 Auch sind spätestens seit

„Second Life“311 und „Minecraft“312 Konzepte bekannt, bei denen Spieler innerhalb einer digi-talen Spielwelt selbst Gegenstände entwerfen und anschließend benutzen bzw. die Spielwelt

301 OLG Hamburg, GRUR 1983, 436 – Puckman, die sich ihrerseits auf Nordemann stützt.

302 Insbesondere OLG Köln, GRUR 1992, 312, 313 – Amiga Club und OLG Karlsruhe, CR 1986, 723, 725 – 1942.

303 So mit jeweils mindestens einem Verweis z.B. Ari, 44 f.; Dreier/Schulze-Schulze, § 2 Rn. 200; Lambrecht, S. 121; Redeker, Rn. 118; Reupert, S. 63; Schlatter, in: Lehmann, Rn. 35; vgl. auch Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19 dort Fn. 20, 25. Insofern auf den Punkt die Kritik von Reupert, 63 f.

304 OLG Frankfurt, GRUR 1983, 757 – Donkey Kong Junior I. Teilweise wird auch auf die fast zeitgleiche und im Ergebnis gleichlaufende Pengo-Entscheidung (OLG Frankfurt, GRUR 1983, 753 – Pengo) Bezug genommen.

305 Hofmann, S. 129; Lambrecht, S. S. 120 ff. Ebenso, wenn auch kürzer: Beyvers/Beyvers, MMR 2015, 794, 795;

Metelski, Rn. 112 und 116; Rauda, Rn. 99; Schlatter, in: Lehmann, Rn. 35.

306 BGH, GRUR 2013, 370 Rn. 14 – Alone in the Dark.

307 Schroeder, S. 76; Wikipedia.de – „IBM Personal Computer“.

308 Schroeder, S. 73.

309 Wikipedia.de – „Pac-Man“.

310 Vgl. dazu Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 22 f. (Als Charakteristika werden außerdem die große Be-wegungs- und Handlungsfreiheit genannt).

311 Entwickler: Linden Lab; dem Nutzer steht hier eine veränderbare virtuelle Welt zur Verfügung, in der er selbst Inhalte erstellen und diese virtuellen Gegenstände anschließend unter anderem verkaufen kann.

312 Entwickler: Mojang.

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nach ihren Vorstellungen gestalten können.313 Gleichermaßen ist es insbesondere bei Mul-tiplayer-Spielen üblich, lediglich Start- und Stop-Bedingung vorzugeben und die Spieler ihre eigene Geschichte in Interaktion miteinander gestalten zu lassen, wobei die Möglichkeiten zum Ablauf der jeweiligen Partie quasi unbegrenzt sind.314 Schließlich gibt es im Bereich der

nach ihren Vorstellungen gestalten können.313 Gleichermaßen ist es insbesondere bei Mul-tiplayer-Spielen üblich, lediglich Start- und Stop-Bedingung vorzugeben und die Spieler ihre eigene Geschichte in Interaktion miteinander gestalten zu lassen, wobei die Möglichkeiten zum Ablauf der jeweiligen Partie quasi unbegrenzt sind.314 Schließlich gibt es im Bereich der