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Rosa Luxemburg und aktuelle Ansätze einer integrativen Politik nachhaltiger Entwicklung 1

»Die neoliberale Missachtung der Eigengesetzlichkeit der Natur und des Eigen-sinns der Gesellschaft legt die Lösung einer durch die Kräfte des freien Marktes gewaltsam exekutierten und zugleich legitimierten Enteignung (durch Privatisie-rung öffentlichen Eigentums, Vernichtung von Arbeitsplätzen, Abbau sozialer Standards und Ansprüche, die Verlängerung von Arbeitszeiten, Missachtung von Gefahren für die Gesundheit, Entrechtung der Menschen etc.) nahe. Dies ist eine strategische Unterminierung von menschlicher und sozioökonomischer Sicher-heit. Möglichkeiten demokratischer Partizipation werden eingeschränkt.

Die Frage nach Alternativen ist daher auf der Tagesordnung. Doch inwieweit kann eine andere Welt kapitalistisch sein, und wenn ja, wie wird dieser Kapitalis-mus aussehen? Gibt es einen anderen KapitalisKapitalis-mus als den, den wir kennen?«2

Elmar Altvater Nachhaltigkeit – Kritik der Politischen Ökonomie

Ein entscheidendes Problem des Nachhaltigkeitsdiskurses ist eine zuweilen ein-seitige Fixierung auf die Verteilungsproblematik. Selbstverständlich ist die Vertei-lungsgerechtigkeit eine Schlüsselfrage und ein zentraler Maßstab nachhaltiger Entwicklung. Politik für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Ent-wicklung gerät aber leicht in die Defensive, wenn sie sich allein auf die Vertei-lungsproblematik konzentriert. Sie wird als unseriös, populistisch und wirt-schaftsschädlich diffamiert. Verengt sich der Verteilungsspielraum – so die Logik – müssen die sozialen und ökologischen Erfordernisse in den Hintergrund treten bzw. werden Kompromisse auf Kosten der Zukunft geschlossen.

Die Analyse und Kritik muss deshalb – wie Elmar Altvater dies tut – bei der Auseinandersetzung mit der neoliberalen Ausrichtung der politischen Ökonomie ansetzen und zeigen, dass sich der Charakter der kapitalistischen Ökonomie bzw.

wo und in welcher Weise sich die heutige kapitalistische Ökonomie selbst gegen soziale und ökologische Nachhaltigkeit richtet. Kapitalistische Ökonomie in der Ära neoliberaler Globalisierung verhindert nicht nur Schritte zu mehr Vertei-lungsgerechtigkeit auf nationaler Ebene und in den internationalen Beziehungen.

Sie vernichtet darüber hinaus vorhandene und potenzielle Möglichkeiten der

Pro-1 Dem vorliegenden Text liegen Ausarbeitungen des Autors zur Profilierung des Themenfeldes Nachhaltigkeit zugrunde.

2 Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster 2005, S. 12

duktion gesellschaftlichen Reichtums immer dort, wo sie der globalen Ausdeh-nung ihrer Verwertungsbedingungen im Wege stehen. Wie nach der Wende im Osten Deutschlands in massivster Weise Produktions- und Innovationskapazitäten ausgeschaltet wurden, was eine Transferökonomie auf Jahrzehnte zur Folge hatte, so vernichtet neoliberale Globalisierung weltweit ursprüngliche Wirtschaftsfor-men und soziale Gemeinwesen, ohne in der Lage und Willens zu sein, diese von der Produktion gesellschaftlichen Reichtums ausgeschlossenen Massen ausrei-chend zu ernähren und zu versorgen. Die Aushöhlung des Sozialstaates in den wirtschaftlich führenden westlichen Ländern, wie die Verwandlung der gesamten Welt in eine Ware sind zwei Seiten einer Medaille.

Die Perspektive einer sozial gerechteren, ökologisch auch für künftige Genera-tionen tragfähigen Zukunft steht im krassen Gegensatz zur fortschreitenden welt-weiten Enteignung, einer massiven Umverteilung von Unten nach Oben, von arme in reiche Regionen. Als deutsche Form dieser Umverteilungs- und Enteignungs-prozesse haben wir es im eigenen Lande mit der Agenda 2010, mit der Privatisie-rung öffentlicher Dienstleistungen, der Gesundheitsführsorge und Altersversor-gung bis hin zu Hartz IV und der damit verbundenen massiven Ausdehnung des Niedriglohnsektors und des Drucks auf die noch in Arbeit befindlichen Lohnab-hängigen zu tun.

Nachhaltigkeit im Sinne der Sicherung einer lebenswerten Zukunft für alle Menschen dieses Planeten pervertiert immer mehr zur Nachhaltigkeit der Profit-akkumulation.

»Die Wörter Ökologieund Umweltzeichnen sich angesichts dieser Tatsachen durch einen hohen Grad an Neutralität aus. Sie sind oft unpassend und gefährlich irreführend. Man sollte sie durch andere, angemessenere Begriffe ersetzen« – so Francois Chesnais und Claude Serfati. Und sie fahren fort: »diese Arbeit (kann) nur im Rahmen einer erneuerten Kapitalismuskritik erfolgen, welche die Ausbeu-tung der Beherrschten durch die Besitzenden untrennbar mit der Zerstörung der Natur und der Biosphäre verknüpft.«3

Globale Enteignungsökonomie und Unterkonsumtion – »Nachlese« bei Karl Marx und Rosa Luxemburg

In der jüngeren globalisierungskritischen Debatte sorgt der Begriff der Ökonomie der Enteignung für Furore. Mit dem Terminus neoliberale Globalisierung wurden bislang vor allem die Tendenzen der Deregulierung im Interesse der Verwer-tungsbedingungen des weltweit agierenden Finanzkapitals beschrieben – also eher Fragen der globalen Rahmenbedingungen für Kapitalverwertung. Der Begriff

3 Francois Chesnais, Claude Serfati: Die physischen Bedingungen der gesellschaftlichen Reproduktion, in: Die globale Enteignungsökonomie, Christian Zeller (Hrsg.), Münster 2004, S. 255

neoliberale Globalisierung leistet aber auch einer Vernebelung des Charakters des heutigen Kapitalismus Vorschub – bis hin zur Illusion, dass sich Geld selbst vermehrt, die Reichen heute auch ohne Ausbeutung reicher werden können. So schreibt Ulrich Beck: »Die Globalisierung, aber auch die Individualisierung haben den Charakter sozialer Konflikte verändert. Viele Menschen mögen dasselbe Geschick teilen, aber es gibt keine einheitliche und einigende Erklärung für ihr Leiden, keinen sichtbaren Gegner, der bekämpft und zum Nachgeben gezwungen werden kann. Schlimmer noch ist, dass die wahrhaft Benachteiligten schlicht nicht mehr gebraucht werden, sie müssen nicht einmal mehr wie früher ausgebeutet werden.«4Im letzten Punkt irrt Beck, denn die aus dem kapitalistischen Verwer-tungsprozess Ausgestoßenen sind Bestandteil der neuen Ökonomie des Kapita-lismus.

Das von Christian Zeller 2004 herausgegebene Buch »Die Globale Enteig-nungsökonomie« leistete in diesem Sinne einen wichtigen Beitrag zur Analyse der sich im Zuge neoliberaler Globalisierung entfaltenden neuen weltweiten Akku-mulationsstratregie des modernen Kapitalismus. Bezeichnenderweise knüpfen Zeller und andere Autoren des Sammelbandes bei Karl Marx und seinen Aus-führungen zur ursprünglichen Akkumulation an (Das Kapital, Band 1, 24. Kapi-tel), wonach die Expropriation, also die Enteignung des Landvolks von Grund und Boden erst jene Verhältnisse schafft, in dem der doppelt freie Arbeiter (frei vom Besitz von Produktionsmitteln noch als Individuum für den Produktionsprozess konstitutiv) seine Arbeitskraft den Eignern von Geld, Produktions- und Lebens-mitteln auf Gedeih und Verderb anbieten muss.5Die ursprüngliche Akkumulation spielt für die politische Ökonomie des Kapitalismus nach Marx ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie – »So kam es, daß die ersten Reichtum akkumulierten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre ei-gene Haut.«6

Ursprüngliche Akkumulation war aber nicht nur der Sündenfall, der die Ent-stehung kapitalistischer Produktionsverhältnisse ermöglichte. Ursprüngliche Ak-kumulation bleibt – so Rosa Luxemburg – auch in der weiteren Geschichte des Kapitalismus eines seiner entscheidenden Merkmale, insofern es um die räumli-che und soziale Ausweitung der kapitalistisräumli-chen Eigentumsverhältnisse geht.

In ihren ökonomischen Schriften bestimmt Rosa Luxemburg den Doppel-charakter kapitalistischer Akkumulation wie folgt: »Die eine vollzieht sich in der Produktionsstätte des Mehrwertes – in der Fabrik, im Bergwerk, auf dem land-wirtschaftlichen Gut – und auf dem Warenmarkt. ... Die andere Seite der Kapital-akkumulation vollzieht sich zwischen dem Kapital und nichtkapitalistischen

Pro-4 Ulrich Beck: Die Utopie des Weniger. Interview mit Ulrich Beck in: Psychologie Heute, Heft 10, Weinheim, Oktober 2004, S. 34

5 Karl Marx: Das Kapital, Band 1, insb. Kapitel 24. Die so genannte ursprüngliche Akkumulation, Berlin 1972, S. 741 ff

6 Ebenda, S. 741

duktionsformen. Ihr Schauplatz ist die Weltbühne. Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege. Hier treten ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plün-derung zutage, und es kostet Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufin-den.«7Rosa Luxemburgs ökonomischen Schriften – am Vorabend der ersten durch den Imperialismus herbeigeführten weltweiten Katastrophe, dem 1. Weltkrieg, ge-schrieben – lesen sich heute wie eine Kampfschrift der globalisierungskritischen Bewegung.

Ulrich Beck wäre eine »Nachlese« bei Rosa Luxemburg sehr zugute kommen, da er genau diese zweite Seite kapitalistischer Akkumulation ausblendet. Dazu Rosa Luxemburg: »Die bürgerlich-liberale Theorie fasst nur die eine Seite: die Domäne des ›friedlichen Wettbewerbs‹, der technischen Wunderwerke und des reinen Warenhandels, ins Auge, um die andere Seite, das Gebiet der geräuschvol-len Gewaltstreiche des Kapitals, als mehr oder minder zufällige Äußerungen der

›auswärtigen Politik‹ von der ökonomischen Domäne des Kapitals zu trennen. In Wirklichkeit ist die politische Gewalt auch hier nur das Vehikel des ökonomischen Prozesses, die beiden Seiten der Kapitalakkumulation sind durch die Reprodukti-onsbedingungen des Kapitals selbst organisch miteinander verknüpft, erst zusam-men ergeben sie die geschichtliche Laufbahn des Kapitals.«8

Es ist nicht nur eine Verbeugung gegenüber der Namensgeberin unserer Stif-tung, wenn wir bezogen auf die Grundfragen nachhaltiger Entwicklung noch ei-nen weiteren Argumentationsstrang in den ökonomischen Schriften von Rosa Lu-xemburg aufgreifen – das Gesetz der Unterkonsumtion.

Erinnern sei an die These von Beck, »dass die wahrhaft Benachteiligten schlicht nicht mehr gebraucht werden, sie müssen nicht einmal mehr wie früher ausgebeutet werden«. Man lese dazu Rosa Luxemburg »Einführung in die Natio-nalökonomie«: »Die kapitalistische Produktionsweise hat das Eigentümliche, dass für sie die menschliche Konsumtion, die in jeder früheren Wirtschaftsform Zweck war, nur ein Mittel ist, das dem eigentlichen Zweck dient: der Anhäufung von ka-pitalistischem Profit. Das Selbstwachstum des Kapitals erscheint als Anfang und Ende, als Selbstzweck und Sinn der ganzen Produktion. Das Hirnverbrannte die-ser Verhältnisse kommt aber in dem Maße erst zum Vorschein, wie sich die kapi-talistische Produktion zur Weltproduktion auswächst. Hier, auf dem Maßstabe der Weltwirtschaft, erreicht das Absurde der kapitalistischen Wirtschaft seinen richti-gen Ausdruck in dem Bilde einer ganzen Menschheit, die unter furchtbaren Lei-den im Joche einer ihr selbst unbewußt geschaffenen blinLei-den Gesellschaftsmacht, des Kapitals, stöhnt.«9Soweit bei Rosa Luxemburg die Analyse; es folgt ein

Kern-7 Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitalismus. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Impe-rialismus. In: Gesammelte Werke, Band 5, Berlin 1975, S. 397

8 Ebenda S. 397/398 9 Ebenda, S. 775

satz, der den Widerspruch von nachhaltiger Entwicklung und moderner kapitali-stischer Ökonomie auch unter unseren heutigen Bedingungen auf den Punkt brin-gen hilft:

»Der Grundzweck jeder gesellschaftlichen Produktionsform: die Erhaltung der Gesellschaft durch die Arbeit, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, erscheint erst hier völlig auf den Kopf gestellt, indem die Produktion nicht um der Menschen, sondern um des Profits willen auf der ganzen Erdkugel zum Gesetz und die Un-terkonsumtion, ständige Unsicherheit der Konsumtion und zeitweise direkte Nichtkonsumtion der enormen Mehrheit der Menschen zur Regel werden.«10

Eine solche Schulstunde zu den ökonomischen Wurzeln imperialistischer Poli-tik und den neueren Merkmalen kapitalistischer Ökonomie erscheint uns für den Nachhaltigkeitsdiskurs geboten und die Autoren in dem bereits zitierten Buch

»Die globale Enteignungsökonomie« leisten in dieser Richtung wichtige Beiträge.

Nach ihrer Analyse befindet sich der Kapitalismus heute in einer tief greifenden Akkumulationskrise und Umbruchphase, die new economy hat eine historische Verlangsamung der Arbeitsproduktivitätssteigerung qualitativ nicht umgekehrt11. Insofern setzt der Kapitalismus weltweit verstärkt auf seine zweite Karte. »Im neuen finanzdominierten Akkumulationsregime tritt die Akkumulation durch Ent-eignung hervor. Dazu zählen die AnEnt-eignung finanzieller Einkünfte sowie biologi-scher und intellektueller Ressourcen, Privatisierung und imperialistische Kriege.«12 Beide Seiten kapitalistischer Ökonomie, die Akkumulation durch Mehrwertan-eignung aber insbesondere die fortschreitende Ökonomie der EntMehrwertan-eignung setzen nach Rosa Luxemburg um des Profits willen die ganze Erdkugel unter das »Ge-setz der Unterkonsumtion«13. Es ist Mitnichten ein Schönheitsfehler oder ein not-wendiges Durchgangsstadium, es gehört zum Charakter der heutigen kapitalisti-schen Ökonomie, dass sie weltweit und selbst in ihren Hochburgen permanent Massen von der Produktion gesellschaftlichen Reichtums ausschließt und sie um den Erhalt ihres Profit willens einer permanenten Unterkonsumtion preisgibt.

Mithin ist das von Rosa Luxemburg formulierte Gesetz der Unterkonsumtion geeignet, den theoretischen Diskurs um Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit konkret bis auf den Alltag sozialer Konflikte und Kämpfe in unserer Zeit herunter zu brechen. Robert Kurz zeigt dies am Beispiel um die Diskussion des Länderfi-nanzausgleichs in Deutschland: »…, dass die Politische Klasse wie bei den So-zialtransfers auch beim Länderfinanzausgleich entschlossen ist, die Notbremse zu ziehen und den bisherigen Verfassungsauftrag zu liquidieren. Damit vollzieht die BRD verspätet einen weltweiten Trend: Die Unmöglichkeit, die gesamte Mensch-heit weiter kapitalistisch zu reproduzieren (was Rosa Luxemburg das Gesetz der

10 Ebenda, S. 775

11 Michel Husson; Der Kapitalismus nach der »neuen Ökonomie«, in: Die globale Enteignungsökonomie, Christian Zeller (Hrsg.), Münster 2004, S. 129

12 Vgl. Klappentext zu: Die globale Enteignungsökonomie, Christian Zeller (Hrsg.), Münster 2004 13 Rosa Luxemburg, a.a.O., S. 775

Unterkonsumtion nennt, K.M.), schlägt sich nicht nur als individuelle, sondern auch als regionale Verarmung und Ausgrenzung wachsender Bevölkerungsteile nieder. Inzwischen gibt es kein Land mehr, das nicht sein ›Mezzogiorno‹ hätte.

Die ökonomischen Todeszonen breiten sich aus.«14

Und hier schließt sich der Kreis zu den sozialen und ökologischen Grundfragen nachhaltiger Entwicklung. Der Kapitalismus ist in eine tiefe Akkumulationskrise geraten. Die durch Wissenschaft und Innovation induzierten Produktivitätsfort-schritte erfüllen nicht mehr die Erwartungen des Finanzkapitals. Die Produkti-vitätsrate hat seit den 60er Jahren15tendenziell abgenommen, die kapitalistische Ökonomie schlägt zurück und strebt nach besseren Verwertungsbedingungen. Auf der Ebene der Mehrwertakkumulation geraten die Reallöhne und Sozialabgaben unter massiven Druck, zugleich wird im Zuge neoliberaler Globalisierung der Bo-den für weitere Wellen der Enteignungsökonomie bereitet.

»Das Kapital ist besessen, neue Verwertungsfelder als Quellen regelmäßiger Einnahmen und Renten aufzuspüren. Die Kapitalisierung der Natur und wissen-schaftlichem Wissen ist zu einem zentralen Kennzeichnen des aktuellen Kapita-lismus unter der Dominanz des Finanzkapitals geworden.«16In der fortschreiten-den Enteignung und Privatisierung der Natur und aller Lebensbereiche und ihrer Unterwerfung unter die Logik der Kapitalakkumulation fokussieren sich heute mithin die entscheidenden Grundfragen nachhaltiger Entwicklung.

Politische Bildung und die Formierung von Gegenkräften und gesellschaftli-chen Alternativen

Soweit ein Exkurs zur Analyse – eine wichtige Voraussetzung zur Formierung von Gegenkräften gegen eine fortschreitende weltweite Ökonomie der Enteignung und der Unterkonsumtion. Für die Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist ein Verständnis von Nachhaltigkeit konstitutiv, das der Ökonomie der Enteignung und Unterkonsumtion eine integrative Politik nachhaltiger Entwicklung und demokra-tischen Partizipation entgegensetzt.

14 Robert Kurz: Krisenkolonie Ostdeutschland, ND v. 17.9.04, S. 6. An gleicher Stelle heißt es zur Wiederverei-nigung: »Heute zeigt sich, dass die Macher der Vereinigung nichts als die Exekutoren des Weltmarkts waren, die den Ruin der ostdeutschen Wirtschaft vollzogen. Nicht ein Zuwachs an globaler Konkurrenzfähigkeit und politisch-militärischer Macht war das Resultat, sondern die Belastung durch Transferzahlungen in astronomi-scher Größenordnung. Diese gingen jedoch ins Leere, weil sich unter den Bedingungen der 3. industriellen Revolution für die ›entwerteten‹ Zonen keine Rentabilität mehr herstellen lässt.«

15 Für die drei Nachkriegsjahrzehnte, die als Hochzeiten des fordistischen Kapitalismus gelten, waren ein be-stimmtes Fortschrittsmodell und ein darauf aufbauender »Gesellschaftsvertrag« charakteristisch. Nicht zuletzt durch den durch die Existenz des Staatssozialismus bedingten Systemwettbewerb sah sich der Kapitalismus lange Zeit genötigt, an den insbesondere durch Wissenschaft und Technik bedingten und in dieser Zeit sehr deutlichen Produktivitätsfortschritten auch die Lohnabhängigen und sozial Schwachen partiell teilhaben zu lassen. An diesen Gesellschaftsvertrag sieht sich die heutige kapitalistische Ökonomie nach dem Zerfall des Staatssozialismus und im Zuge fortschreitender Globalisierung nicht mehr gebunden. (K.M.)

16 Christian Zeller: Die globale Enteignungsökonomie, in: Die globale Enteignungsökonomie, a.a.O., S.14

Das betrifft die internationale Politik ebenso, wie die Formulierung von Alter-nativen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene. Was dies im Einzelnen für Folgerungen hat, soll hier kurz angerissen werden.

Das betrifft zum einen das Engagement der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und im Diskurs internationaler glo-balisierungskritischer Netzwerke und Projekte wie etwa dem Weltsozialforum.

Denn alle zentralen Fragen einer wirtschaftlich, sozial und ökologisch tragfähigen Perspektive der Welt sehen sich mit erneuerten, z.T. aber auch völlig neuen Stra-tegien und Mechanismen von Enteignungs- und Umverteilungswellen kapitalisti-scher Akkumulation konfrontiert: »Die Betonung der Rechte an geistigem Eigen-tum in den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (das sogenannte TRIPS-Abkommen) deutet auf Methoden hin, mit denen die Patentierung und Li-zenzierung genetischen Materials, Veränderungen am Saatgut und an den Pflan-zensorten nun gegen ganze Bevölkerungen eingesetzt werden, deren Kultivie-rungspraktiken eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung dieser Materialien gespielt haben. Die Biopiraterie wuchert und das Plündern des Weltvorrats an ge-netischen Ressourcen zum Nutzen von wenigen riesigen multinationalen Konzer-nen ist bereits seit längerem im Gange.«17

Hier zog die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte erste internationale Konferenz zu Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit 2002 in Berlin eine kriti-sche Bilanz von über zwei Jahrzehnten Deregulierung und Privatisierung in Be-zug auf soziale Gerechtigkeit, Zugang zu öffentlichen Gütern, Umweltschutz, Klima und den Erhalt der Ökosysteme. In diesem Jahr nun wird am 26. und 27.

Oktober 2006 eine zweite internationale Konferenz zu Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit stattfinden, die am Beispiel des menschlichen Grundrechts auf Was-sers, die Kommerzialisierung eines öffentlichen Gutes, Chancen oder Gefahren für eine nachhaltige Entwicklung diskutieren wird. Gerade das Beispiel Wasser macht für die politische Bildung sehr deutlich, die globalen Probleme beginnen tatsächlich vor der eigenen Haustür, wie die Diskussion um die Privatisierung der Berliner Wasserwirtschaft zeigt. Insofern muss sich der Nachhaltigkeitsdiskurs ebenso offensiv gegen die im eigenen Lande praktizierten Formen einer Ökono-mie der Enteignung und Umverteilung richten.

17 David Harvey: Die Geographie des »neuen« Imperialismus: Akkumulation durch Enteignung, in: Die globale Enteignungsökonomie, a.a.O. S. 197 und weiter heißt es: »Die Privatisierung bisher öffentlicher Einrichtun-gen (wie z.B. Universitäten) und ihre Überführung in den Besitz von Konzernen – um gar nicht von der Pri-vatisierung des Trinkwassers und anderer öffentlicher Güter zu sprechen -, stellen eine neuerliche Welle der

›Einhegung der Gemeingüter‹ dar (vgl. Karl Marx: Die so genannte ursprüngliche Akkumulation , a.a.O. S.

741-791).

Wissenschaftliche und soziale Innovationen als letztlich unerschöpfliche Quelle menschlicher Produktivität

Zum anderen geht es auch und gerade für die Nachhaltigkeitsthematik um etwas zugegebenermaßen äußerst Kompliziertes – um das Aufzeigen von gesellschaftli-chen Alternativen, von Entwicklungspfaden und konkreten Veränderungsmög-lichkeiten.

Die Suche nach Alternativen führt zur Frage nach den Bedingungen einer nach-haltigen Wirtschaft im Zeichen weltweiter Konkurrenz. Eine Ökonomie der Ent-eignung und Umverteilung – soviel wurde deutlich – ist ihrer Natur nach nicht nachhaltig. Kapitalakkumulation versucht zwar immer, und im Zeichen der Glo-balisierung mit massiver Gewalt, sich neue Felder zu erschließen, insbesondere durch Privatisierung öffentlicher Güter (Atmosphäre, Wasser, Dienstleitungen, Bildung, Gesundheit oder die genetischen Ressourcen). Die einzig unerschöpf-liche Quelle menschunerschöpf-licher Produktivität bilden letztlich aber nur wissenschaftlich-technische und soziale Innovationen. Dabei geht es zugleich um eine fundamen-tale Bedeutungsverschiebung: Während in der bisherigen Entwicklung menschli-cher Produktion die Einsparung lebendiger Arbeit im Mittelpunkt stand und bis heute steht, gehört zu einer nachhaltigen Koexistenz und Koevolution von Natur und Gesellschaft die Begründung einer ressourcensparenden, besser noch res-sourcenregenerierenden, emissionsminimierenden, und besser noch naturregene-rierenden Ökonomie.

Insofern weist die Orientierung der Lissabon-Strategie18, die EU zum wettbe-werbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen, mit der Betonung auf eine wissensbasierte Wirtschaft in diesem Punkt zwar in die richtige Richtung. Die Weiterverfolgung der Deregulierungs-, Privatisierungs-und Enteignungsstrategie ist dabei aber eben nicht der viel gepriesene Königsweg.

Vielmehr ist für Projekte nachhaltiger Entwicklung ein integrativer und damit z.T.

auch re-regulierenden Politikansatz erforderlich, so wie es auch Joachim Span-genberg in einem für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeiteten Grundsatzpapier zur Nachhaltigkeit anspricht: »Gerade in Zeiten krisenhafter ökonomischer

auch re-regulierenden Politikansatz erforderlich, so wie es auch Joachim Span-genberg in einem für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeiteten Grundsatzpapier zur Nachhaltigkeit anspricht: »Gerade in Zeiten krisenhafter ökonomischer